Caritasdirektor Loth fordert: Pflege nicht den Marktkräften überlassen gc Osnabrück Osnabrück. Der Tarifstreit im katholischen Wohlfahrtsverband Caritas für die Diözese Osnabrück geht kommende Woche in die nächste Runde. Die gut 17000 Mitarbeiter in der Region verfolgen die Verhandlungen mit Spannung. Unsere Zeitung sprach mit Caritasdirektor Franz Loth über die Probleme in der Pflege, die sich schnell zu einer Krise ausweiten können. Herr Loth, warum sollte sich ein junger Mensch für den Beruf des Altenpflegers entscheiden? Es gibt eine Reihe guter Gründe, das zu tun. Zunächst ist dieser Beruf ein Dienst ganz nah an den Menschen, der nie langweilig wird. Es ist auch ein Beruf mit Zukunft, der sehr krisensicher ist. Und es gibt kaum eine Beschäftigung, die so viele Möglichkeiten der persönlichen Weiterentwicklung in sich birgt und ein so großes Spektrum unterschiedlicher Aufgaben bietet. Neu ist der Bachelor-Studiengang Pflege, der erlaubt, sich auch akademisch in diesem Bereich fortzubilden. Die Verdienstaussichten sind doch eher gering? Wenn ein Altenpfleger sechs Jahre bei uns tätig ist, verdient er 2400 Euro brutto. Zulagen für besondere Leistungen wie die Wochenenddienste kommen noch oben drauf. Das ist nicht üppig, das gebe ich zu. Aber der Lohn kann sich durchaus sehen lassen, wenn man ihn mit Löhnen in anderen Branchen vergleicht, die einen ähnlichen Bildungsgrad der Mitarbeiter voraussetzen. Ein Streitpunkt bei den Tarifverhandlungen ist die Bezahlung der Altenpfleger in stationären Einrichtungen. Warum soll einem Caritas-Altenpfleger der Lohn gekürzt werden, während Krankenpfleger eine Erhöhung erhalten? Niemand will Löhne kürzen, wir verhandeln über Tarifsteigerungen, die der Deutsche Caritasverband im Oktober in einem Eckpunktepapier vorgelegt hat. Jetzt finden in sechs Regionalkommissionen Verhandlungen statt, die die Frage klären sollen, inwieweit dieses Papier übernommen wird. Das ist etwas ganz Normales. Andere Regionalkommissionen haben aber doch den Bundesbeschluss schon übernommen? Ja, aber wir sind nicht die Einzigen, die noch nicht so weit sind. Die Regionalkommission Ost verhandelt ebenfalls noch. Es ist eigentlich nicht verwunderlich, dass der Osten und Norden länger brauchen, weil die Refinanzierungen so grundlegend anders sind als im Süden und Westen. Zurück zur unterschiedlichen Bewertung der Arbeit von Alten- und Krankenpfleger ... Die Frage kann man ganz gut mit einem Zahlenbeispiel beantworten. Wenn wir ein durchschnittliches Caritas-Altenheim mit 60 Betten nehmen, dann hätte diese Einrichtung etwa 25 Pflegekräfte. Bei jeder dieser Stellen mussten wir in den zurückliegenden Jahren eine Deckungslücke von 3600 Euro schließen. In einem Haushaltsjahr ist das allein bei dieser Einrichtung ein Minus von 90000 Euro, und die ist ja nur durchschnittlich groß. Grund ist eine strukturelle Unterfinanzierung der Altenheime. Holen Sie sich einen Konflikt ins Haus, der dort gar nicht hingehört? Richtig. Dieser Konflikt gehört nicht in unsere Häuser. Diese Fragestellungen müssten eigentlich mit den Pflegekassen diskutiert werden. Das tun wir auch, aber wir sind bisher nicht zu den Ergebnissen gekommen, die wir eigentlich gerne erzielt hätten. Ein Stück weit führen wir eine Stellvertreterauseinandersetzung, die wir im Bereich der Pflegekassen nicht führen können. In einer Resolution der Mitarbeiterseite heißt es: „Um den wachsenden Bedarf an Pflegekräften aufzufangen, müssen jetzt die notwendigen Schritte eingeleitet werden, um den Pflegeberuf attraktiv und zukunftssicher zu machen. Die Arbeitsbedingungen müssen grundlegend verbessert werden, und die Mitarbeiter in der Pflege erwarten eine leistungsgerechte Lohnerhöhung.“ Verstehen Sie diese Forderungen? Wir können die Sorge er Mitarbeitervertretung vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sehr gut verstehen. Wir halten es für eine große Herausforderung, junge Leute zu motivieren, in diesem Bereich einzusteigen. Wir werden uns in einen Wettlauf um die besten Köpfe begeben müssen. Das ist uns völlig klar. Nichtsdestotrotz glauben wir, dass wir für eine begrenzte Zeit diesen von uns geplanten Schritt gehen müssen, um mit unseren kirchlichen Altenheimen am Markt bestehen zu können. Wir brauchen eine Atempause und fordern daher quasi eine Nullrunde in der Altenpflege. Laut Pflegestatistik 2007 beträgt die durchschnittliche Vergütung für vollstationäre Dauerpflege pro Monat und Person in NRW 3131 Euro, in Niedersachsen lediglich 2493 Euro. Was muss sich ändern? Das ist eine Lücke, die sich nicht so leicht schließen lässt. Würden dieselben Bedingungen wie in NRW auch in Niedersachsen gelten, würden wir hier nicht sitzen. Wir müssen einfach in den Verhandlungen mit den Pflegekassen zu einem auskömmlichen Pflegesatz finden. Das ist auch die Politik gefragt. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler hat 2011 zum Jahr der Pflege erklärt. Jetzt müssen wir deutlich machen, dass seinen Worten nun Taten folgen müssen. Sie haben mal gesagt, dass Sie nahezu jeden Tag Lobbyarbeit betreiben. Herr Loth, haben Sie das Gefühl, dass Sie bei den Politikern bisher Gehör gefunden haben? Ich habe schon den Eindruck, dass uns ernsthaft zugehört wird. Wir vertreten ja ein Themenfeld, das jeden früher oder später berührt. Die Sorgen und Herausforderungen, die wir sehen, werden durchaus von Politikern geteilt. Nur müssen wir jetzt auch endlich zum Handeln kommen. Deutschland schliddert offenbar sehenden Auges in eine Pflegekrise hinein. Was muss sich ändern? Es muss eine Menge passieren. Die Attraktivität des Berufes muss noch stärker hervorgehoben werden. Dann müssen wir in der Pflege ein vernünftiges Maß bei der Dokumentation finden. Deshalb fordern wir auch die Einführung eines unabhängigen PflegeTÜV. Und die Politik muss überlegen, ob sie die Pflege wirklich den Kräften des Marktes überlassen will. Für uns ist die Arbeit mit Menschen ein sehr sensibles Gut. Eine 90-jährige demente Frau darf man nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen.