Call for Papers für die 8. Diskussionsrunde des Arbeitskreises Policey/Polizei im vormodernen Europa am 22. 6. 2006 in Stuttgart-Hohenheim mit dem Thema Policey und Konsum Die gute Policey und ihre Reaktion auf das Aufkommen neuer Konsumartikel (Tabak, Tee, Kaffee, Kakao/ Schokolade, ...) Kaffee, Tee, Kakao und Tabak sind heute Artikel des Massenkonsums und aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Sie waren aber nicht seit jeher in Europa bekannt, sondern wurden erst im 16. Jahrhundert infolge der europäischen Expansion „entdeckt“, im 17. Jahrhundert weiter verbreitet und erreichten im 18. Jahrhundert endgültig ihren Durchbruch in der Konsumkultur. Zuerst galten sie als exotische Bereichung der Elitenkultur und/oder als seltenes Arzneimittel und konnten in der Apotheke erworben werden. Die Art des Genusses, Geschmack und Wirkung differierten dabei stark von heimischen Produkten. Die anfängliche Exklusivität des Fremden wurde auch durch die langen Handelswege zu den Herkunftsländern, meist Kolonien europäischer Staaten, gefördert. Mit der Aufklärung und dem immer weiter zunehmenden Handel mit den europäischen Kolonien kommt es zu einem Wandel. Die genannten Artikel waren nicht mehr allein ein Oberschichtenphänomen, sondern galten bald auch als bürgerliche Genussmittel und hatten damit die Ständeschranken im Konsumverhalten zum Verschwinden gebracht. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts finden sich Kaffeemühlen im Gepäck nichtsesshafter Frauen und Männer. Zudem wurden die Orte des Genusses (Kaffeehaus) auch Orte der aufklärerischen Öffentlichkeit. Der sich entwickelnde frühmoderne Staat hatte schon zuvor das Potential dieser Konsumgüter erkannt, ging dabei aber mit einer „Doppelmoral“ vor, wie es der Policeygesetzgebung bezüglich der Luxusgüter durchaus eigen war. Und Kaffee, Tee, Tabak galten als Luxuswaren, sie waren eben „Sachen, die bloß zur Wollust und ad luxum gehören“ (Albrecht, Kaffeetrinken, 63) und unterlagen damit der besonderen Wachsamkeit der guten Policey. Einerseits ging man normativ mit Verboten gegen die Einfuhr und den Konsum vor (Tabak-, Tee-, Kaffeeverbote vor allem in Staaten ohne Kolonien) und argumentierte mit dem Schutz der Untertanen vor unnötigen Ausgaben. Als diese Verbote zum Schutz des heimischen Kapitals und der damit verbundenen staatlichen Wirtschaftskraft nichts fruchteten, erkannte man andererseits den fiskalischen Wert und erschloss sich neue Einnahmequellen. Der Handel mit diesen Waren wurde privilegiert, sodass bisweilen sogar Monopole entstehen konnten, oder erlaubt, jedenfalls aber einer erhöhten Kontrolle unterzogen. Zölle, Abgaben und Steuern auf diese Konsumgüter sollten den Handelsstrom kanalisieren und Geld in die Staatskasse spülen. Sie standen an der „Wiege des modernen Steuerstaates“ (Hengartner, Merki, 13), machten damit aber auch zugleich den Schmuggel interessant. Vor diesem Hintergrund (policeyliche Regulierung und Steueraspekt) sind vielfältige Fragenstellungen denkbar: Tabak, Tee, Kaffee, Kakao/ Schokolade in der Policeygesetzgebung einzelner Territorien Vergleich der Policeygesetzgebung zu neuen und alten (z.B. Alkohol) Konsumartikeln Vergleich der Policeygesetzgebung von Staaten mit und ohne Kolonien Schichten-/ ortsspezifische Policeygesetzgebung bezüglich Konsumartikeln (etwa Verbot des Hökerhandels mit Kaffee und Tee auf dem Land oder Verbot des Kaffee- und Teeausssschanks in Verbindung mit Glücksspiel) Arznei-, Genuss- und Suchtmittel und „gute Policey“ Tabak, Tee, Kaffee, Kakao/ Schokolade in der „medizinischen Policey“ Öffentliche Diskussionen zum Thema Luxuskonsum, Verschwendung und Sucht (z.B. Zeitung, Flugschrift, Preisfrage, gelehrte Diskussion) Religiöse Diskurse um Konsum und Policey Öffentliche Räume und Policey (z.B. Kaffeehaus) Die Fiskalisierung des Genusses Polizeiliche Maßnahmen gegen den Schmuggel neuer Konsumgüter Von Interessenten wird bis zum 1. Mai 2006 ein ein- bis zweiseitiges Exposé an eine der untenstehenden Email-Adressen der Organisatoren erbeten. Eine Literaturauswahl wird auf der Internetseite des Arbeitskreises bereitgestellt. Bis zum 1. Juni sollte dann von den Beiträgern ein Papier ausgearbeitet und an die Tagungsteilnehmer (deren mail-Adressen beizeiten bekannt gegeben werden) versendet werden. Diese Papiere werden von den Teilnehmern im Vorfeld der Tagung gelesen. In der Diskussionsrunde selbst erhalten die Referenten Gelegenheit, ihre Thesen in einem fünf- bis zehnminütigen Kurzreferat noch einmal als Impuls für die Diskussion zusammenzufassen. Mit freundlichen Grüßen Josef Pauser ([email protected]) Eva Wiebel ([email protected]) Literatur (Auswahl): Bibliographie zum Kaffee: http://www.johann-jacobs-museum.ch/deutsch/anhang/biblio Albrecht, Peter: Kaffeetrinken. Dem Bürger zur Ehr' — dem Armen zur Schand, in: Vierhaus, Rudolf (Hg.): Das Volk als Objekt obrigkeitlichen Handelns, Tübingen 1992, S. 57-100. Albrecht, Peter: Kaffeetrinken als Symbol sozialen Wandels im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Sandgruber, Roman/ Harry Kühnel (Hg.): Genuss und Kunst. Kaffee, Tee, Schokolade, Tabak, Cola. Ausstellungskatalog, Innsbruck 1994. S. 28-39. Dehesselles, Thomas: Policey, Handel und Kredit im Herzogtum BraunschweigWolfenbüttel in der Frühen Neuzeit (Studien zu Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt am Main 1999. Hengartner Thomas/ Christoph Maria Merki (Hg.): Genussmittel. Ein kulturgeschichtliches Handbuch, Frankfurt a. M. 1999. Gerkens, Gerhard (Hg.): Lust und Last des Trinkens in Lübeck, Lübeck 1996. König, Benno: Luxusverbote im Fürstbistum Münster (Studien zu Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt am Main 1999. Menninger, Annerose: Genuss im kulturellen Wandel. Tabak, Kaffee, Tee und Schokolade in Europa (16.-19. Jahrhundert), Stuttgart 2004 (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 102). North, Michael: Kultur und Konsum – Luxus und Geschmack um 1800, in: Walter, Rolf (Hg.): Geschichte des Konsums. Erträge der 20. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 23.-26. April 2003 in Greifswald, Stuttgart 2004 (VSWG-Beiheft, Bd. 175), S. 17-34. Sandgruber, Roman: Die Anfänge der Konsumgesellschaft. Lebensstandard, Konsumgüterverbrauch und Alltagskultur in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert, Wien 1982. Sandgruber, Roman: Bittersüsse Genüsse. Kulturgeschichte der Genussmittel, Wien 1986. Sandgruber, Roman: Genussmittel. Ihre reale und symbolische Bedeutung im neuzeitlichen Europa, in: Füllberg-Stolberg, Claus/ Peter Kriedte/ Volker Wünderich (Hg.): Kolonialwaren für Europa. Zur Sozialgeschichte der Genussmittel, Berlin 1994 (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1), S. 73–88. Sandgruber, Roman: Schokolade. Von der Götterspeise zum Massenprodukt, in: Ders./ Harry Kühnel (Hg.): Genuss und Kunst. Kaffee, Tee, Schokolade, Tabak, Cola, Innsbruck 1994, S. 64–72. Schivelbusch, Wolfgang: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genussmittel, München 1980. Seidel, Brigitta: KolonialWaren. Genussmittel und Gewürze im ländlichen Haushalt, Husum 2001. Stolleis, Michael: Luxusverbote, in: Horn, N./ G. Dilcher (Hg.): Rechtsgeschichte (Juristenausbildung und Sozialwissenschaften IV), München 1977, S. 145-151 Stolleis, Michael: Luxusverbote und Luxussteuern in der frühen Neuzeit, in: Ders.: Pecunia nervus rerum. Zur Staatsfinanzierung in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1983, S. 9–61.