Universität Leipzig Juli 2002 - des Instituts für Psychologie an der

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Universität Leipzig
Juli 2002
Fakultät für Biowissenschaften,
Pharmazie und Psychologie
Institut für Psychologie
PROTOKOLL
„Arbeitsgedächtnisleistungen bei
legasthenischen Kindern“
im Rahmen des Empiriepraktikums II 2002
Betreuer: Frau Prof. Dr. E. Witruk
Kathleen Engelhardt
Carina Jacob
Cindy Henke
Constance Langheinrich
Susanne Schindler
Katja Henning
Martina Weber
Tobias Luck
Universität Leipzig
Protokoll: Legasthenie
Inhaltsverzeichnis
1. Theoretischer Hintergrund
2. Methoden
3. Ergebnisse
 Angsttest DAI-Man Form L
 Intelligenztest CFT 20
 Arbeitsgedächtnisleistungen
4. Diskussion
5. Literaturabgabe
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Juli 2002
Universität Leipzig
Protokoll: Legasthenie
Juli 2002
1. Theoretischer Hintergrund
Mit dem Eintritt in die Schule werden neue Anforderungen an ein Kind gestellt. Zu dieser Zeit
fällt bei einigen Kindern ein Defizit bezüglich ihrer Lese- und Rechtschreibfähigkeit auf, die im
Vorschulalter noch nicht zu Tage getreten sind. Die Leistung des Lesens und Schreibens setzt ein
einwandfreies Funktionieren des Arbeitsgedächtnisses und dessen Zusammenarbeit mit dem
Langzeitgedächtnis voraus. Das heißt, daß durch Wahrnehmungsleistungen eingehende
Informationen, z. B. gelesene Buchstaben, kurzzeitig im Arbeitsgedächtnis erhalten werden
müssen, um zur aktiven Bearbeitung zur Verfügung zu stehen. Zudem muß eine Verbindung zum
Langzeitgedächtnis bestehen. Hier laufen Vergleichs- und Suchprozesse ab, beispielsweise
bezüglich bereits gelernter Buchstaben, deren Ergebnisse dann ins Arbeitsgedächtnis transferiert
werden. Das Arbeitsgedächtnis ist also von fundamentaler Bedeutung für Lese- und
Schreibprozesse.
Ziel
des
von
uns
durchgeführten
Experimentes
war
es,
mit
adaptiven
Arbeitsgedächtnisexperimenten das Ausmaß des Defizites im Arbeitsgedächtnis zu untersuchen.
Mögliche Auswirkungen des Angsterlebens und der Intelligenz der untersuchten Kinder haben
wir mittels Fragebögen zum Angsterleben und zur Intelligenz mit einbezogen. Mit dem
Experiment wurden die Defizite der legasthenischen Kinder anhand der Leistungsunterschiede im
Gegensatz zu normallesenden Kindern erhoben und ausgewertet.
2. Methoden
Im Rahmen des adaptiven Arbeitsgedächtnisexperimentes wurden bei einer Versuchsgruppe von
legasthenen Kindern (n=22) und einer Kontrollgruppe von normalllesenden Kindern (n=23) der
3. Klassenstufe visuelle und auditive Vergleichs- und Reproduktionsleistungen analysiert.
Innerhalb des Experimentes wurden mit einer Zeitbegrenzung von fünf Minuten Aufgaben mit
steigendem Schwierigkeitsgrad, zum einen visuell und zum anderen auditiv, präsentiert. Nach
einer Falschantwort wurde das Schwierigkeitsniveau um drei Stufen reduziert. Die Grundlagen
der Studie sind das „Same- Different- Paradigma“ und das „Serial Recall Paradigma“. Im Zuge
der Aufgabenstellung mussten vier Bedingungen (A bis D) absolviert werden, welche
randomisiert dargeboten wurden.
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In Bedingung A wurden Punktmuster verwendet, wobei die Punktanzahl einer kontinuierlichen
Erweiterung unterlag. Im Teil B wurden Tonfolgen mit hohen und tiefen Tönen mit ebenso stetig
steigender Anzahl präsentiert. Innerhalb beider Bedingungen mußte eine Entscheidung über
Gleichheit/Ungleichheit über einen Gedächtnisvergleich gefällt werden (mit zweitem
Punktmuster bzw. Tonfolge). Die Aufgabenteile C und D verwenden als Antwortmodus die
serielle Reproduktion, zum einen eines Linienmusters mit steigender Linienanzahl ( C ) und zum
anderen Tonfolgen aus hohen und tiefen Tönen steigender Länge (D), welche auf der Tastatur
mechanisch repräsentiert werden mussten.
Als abhängige Variablen wurden Genauigkeitsparameter des Arbeitsgedächtnisses als Anzahl
der
bearbeiteten Items, der gemittelte Wert der höchsten individuell bearbeiteten
Schwierigkeitsstufen, die individuell erreichte höchste Schwierigkeitsstufe, sowie Zeitparameter
des Arbeitsgedächtnisses als Reaktions- und Reproduktionszeiten für richtige und falsche
Lösungen erfasst. Die Stichproben wurden parallelisiert nach Alter, Klassenstufe und Intelligenz
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erfasst. Als Intelligenztest wurde der CFT 20 vor dem Experiment verwendet. Des weiteren
wurde im Vorfeld der Schüler-Angst-Test durchgeführt.
3. Ergebnisse
In die statistische Datenauswertung konnten 48 Kinder aufgenommen werden:
- 22 Kinder in der Versuchsbedingung (legasthene Kinder der 3. Klasse)
- 23 Kinder in der Kontrollbedingung (normallesende Kinder der 3. Klasse)
Es wurden die Kontroll- und die Experimentalgruppe hinsichtlich signifikanter
Mittelwertunterschiede im Angsttest, Intelligenztest und in den jeweiligen Arbeitsgedächtnistests
verglichen. Die deskriptiven Ergebnisse sind in Tabelle 1 und in den nachfolgenden Graphiken
dargestellt.
Tabelle 1: Deskriptive Statistik der Ergebnisse
Kontrollgruppe (n=23)
Variable
MittelStandardVarianz
wert
fehler
Mittelwert
ANGST
96,70
6,32
30,30
IQ
105,17
2,23
10,68
Max.A*
9,75
,61
2,92
Max.B
6,85
,65
3,11
Max.C
6,99
,21
1,00
Max.D
5,24
,17
,83
Rkt. A**
2,07
,11
,54
Rkt. B
1,01
,12
,57
Rkt. C
1,09
,07
,35
Rkt. D
,98
,04
,17
4
Min
Max
46
86
3.71
3.43
5.20
4.11
.96
.44
.55
.71
160
129
17.00
18.00
8.67
7.00
3.55
2.36
1.93
1.31
* Max.A entspricht den lokalen Maxima im Aufgabenteil A
** Rkt. A entspricht den Teaktionszeiten für korrekte Antworten im Aufgabenteil A
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Tabelle 1- Fortsetzung
Versuchsgruppe (n=22)
Variable
Mittelwert
ANGST
IQ
Max.A
Max.B
Max.C
Max.D
Rkt. A
Rkt. B
Rkt. C
Rkt. D
83,14
96,23
7,79
5,43
6,32
4,22
2,03
1,18
1,03
1,01
Standardfehler
Mittelwert
3,70
2,14
,59
,38
,18
,16
,10
,11
,04
,02
Varianz
Min
Max
17,33
10,03
2,78
1,77
,84
,76
,45
,50
,19
,11
57
79
4.33
3.00
4.86
2.85
1.32
.61
.64
.77
115
111
16.00
11.50
8.33
5.62
3.27
2.14
1.44
1.19
Da in allen zu vergleichenden Datenproben durch den Kolmogorow-Smirnov-Test
Normalverteilung nachgewiesen werden konnte, wurden die Mittewertunterschiede mit dem tTest für unabhängige Stichproben auf Signifikanz untersucht:
Angsttest: T = -1,85 ( df =35,3); Signifikanzniveau = 0,072  0,05  nicht signifikant
Punktwerte des DAI-Man (Form L)
erte des DAI-Man (Form L)
140
120
100
80
5
60
96,7
40
83,14
Im durchgeführten Angsttest konnten keine signifikanten Mittelwertunterschied zwischen der
legasthenischen und den normallesenden Kindern gefunden werden.
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Intelligenztest:
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T= -2,90 ( df = 43); Signifikanzniveau = 0,006  0,05 
signifikant
Ergebnisse des Intelligenztests CFT 20
120
100
80
60
105,17
96,23
40
20
normallesend
legasthenisch
0
Punktwerte des CFT 20 bei normallesenden und legasthenischen Kindern (Mittelwerte und Standardabw.)
Im durchgeführten Intelligenztest CFT 20 wurden signifikant Mittelwertunterschiede zwischen
Versuch- und Kontrollgruppe gefunden.
- Ergebnisse der Arbeitsgedächtnisleistungen
6
Mittelwerte der lokalen Maxima
Auditiver Vergleich: same - differnt
Visueller Vergleich: same - different
14
10
12
8
10
6
8
6
4
9,75
6,85
7,79
4
5,43
normallesend
2
2
normallesend
legasthenisch
legasthenisch
0
0
* mit p=0,026 (df=43) signifikant
* mit p=0,047 (df=35) signifikant
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Seriell Recall: auditiv
Seriell Recall: visuell
10
10
8
8
6
6
4
Juli 2002
4
6,99
6,32
5,24
2
normallesend
2
normallesend
4,22
legasthenisch
legasthenisch
0
0
* mit p=0,019 (df=42,3) signifikant
* mit p=0,000 (df=43) signifikant
Wie erwartet wurden in den Tests um das Arbeitsgedächtnis signifikante Leistungsunterschiede
in den beiden Gruppen gefunden.
Reaktionszeiten für korrekte Antworten
Visueller Vergleich: same - different
Auditive Präsentation: same - different
3,0
2,0
2,5
1,5
2,0
1,5
1,0
0,5
1,0
2,07
2,03
normallesend
0,5
legasthenisch
normallesend
1,01
0,0
0,0
7
1,18
legasthenisch
* mit p=0,777 (df=42,3 ) nicht signifikant
* mit p=0,297 (df=42,7) nicht signifikant
Seriell Recall: Visuell
Seriell Recall: auditiv
2,0
1,4
1,5
1,2
1,0
0,8
1,0
0,6
0,5
1,09
0,98
1,18
0,4
normallesend
1,01
normallesend
0,2
legasthenisch
legasthenisch
0,0
0,0
* mit p=0,476 (df=43) nicht signifikant
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* mit p=0,488 (df=43) nicht signifikant
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Es konnten also kein signifikanten Unterschiede in den Reaktionszeiten für Richtigantworten bei
den Arbeitsgedächtnisanforderungen in den beiden Gruppen gefunden werden.
Es zeigt sich für die Gruppe der Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (Experimentalgruppe)
im Vergleich zu der Kontrollgruppe ohne LRS ein signifikant niedriger Intelligenzquotient, was
eine Abweichung zu der Prognose dieses Experimentes und zu bisherigen Studien darstellt.
Im Angsttest konnte, wie prognostiziert, kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden
Gruppen festgestellt werden. Auch hinsichtlich der Arbeitsgedächtnisresultate wurden die
Vorannahmen
bestätigt.
Kinder
mit
LRS
erbringen
signifikant
niedrigere
Arbeitsgedächtnisleistungen oder haben - anders gesagt - größere Defizite in diesem Bereich als
Kinder ohne LRS.
4. Diskussion
Hinsichtlich der Ergebnisse dieses Experimentes wird, wie bereits erwähnt, zwar eine
Bestätigung der Annahme zur defizitären Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses von
Legasthenikern belegt, aber ebenso auch eine Abweichung in Bezug zur Voruntersuchung
„Intelligenztest„ verglichen mit anderen Studien erkennbar. Ausgelegt ist der CFT 20 gerade für
den Gebrauch bei LRS-Kindern, da er frei von Sprache ist. Erklärbar ist dieser Punkt auf der
Basis einer zufällig leistungsmäßig schlechteren Versuchsgruppe im Ganzen.
Des weiteren muß überlegt werden, ob die Werte der Untersuchung wirklich eine generelle
Arbeitsgedächtnisschwäche beweisen, oder nicht eher auf
Modalitäts- und
Materialabhängigkeiten verweisen. Bestätigt können damit nur die ohnehin „konsistenteren
Befunde zu Defiziten der visuellen und auditiven Leistungen bei Legasthenikern„. Noch
experimentell ungeklärt für die Forschung ist der Zusammenhang zwischen elementaren
auditiven und visuellen Wahrnehmungsleistungen und den späteren komplexen Prozessen des
8
Arbeitsgedächtnisses. Natürlich ergibt sich daraus die Frage, ob und in welchem Maße die
Defizite des Arbeitsgedächtnisses von Schwächen der frühen Wahrnehmungsprozesse bestimmt
werden.
Weiterführend sollte man mögliche Zusammenhänge der Tests untereinander untersuchen, um
der Frage, ob beispielsweise ein Intelligensdefizit mit Beeinträchtigungen des
Arbeitsgedächtnisses zusammenhängt, nachzugehen. Des weiteren wäre interessant zu verfolgen,
ob sich das Resultat zu späteren Untersuchungszeitpunkten an selbigen Probanden bestätigen läßt
oder welche generelle Tendenz bei Arbeitsgedächtnisleistungen von Legasthenikern im Vergleich
zu Normallesenden zu beobachten ist.
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5. Literatur
Baddeley, A. D. & Hitch, G. (1974). Working memory. In G. Bower (Ed.), Recent advances in
learning and motivation. 8, New York: Academic Press.
Fawcett, A. J. & Nicolson, R. I. (1995). Persistence of phonological awareness deficits in older
children with dyslexia. Reading and Writing, 7, 361-376.
Remschmidt, H. & Warnke, A. (1995). Zur visuellen und sprachlichen Informationsverarbeitung
bei lese-rechtschreibschwachen Kindern im Längsschnitt. Kinder- und Jugenspsychiatrie, 23,
Suppl. 1,27.
Staffel, P. & Witruk, E. (1999). In E. Witruk & T. Lachmann (Eds.), Basic Mechanism of
Language and Language Disorders. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig.
Witruk, E. & Rosendahl, W. (1999). Modalitäts- und Anforderungsspezifik von
Arbeitsgedächtnisleistungen bei Legasthenikern. In Kongreßbericht der XXIII. Arbeits- und
Fortbildungstagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e. V., Würzburg 1999.
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