LRS-Stützpunkt an der Grundschule Denzlingen Legasthenie - LRS (Lese-Rechtschreibschwäche) Ein Überblick über die Begriffsbestimmungen 1. Legasthenie ist ein medizinischer und zugleich kausaler Begriff: Das Kind kann schlecht lesen, weil es Legasthenie hat. (Linder 1951) 2. Die Kritik an der Legasthenieforschung setzte sich durch (Schlee 1974, Sirch 1975) Kritik an den Testverfahren Kritik an den typischen Fehlern, Erscheinungsformen Legasthenie ist ein Konstrukt 3. Deskriptiv wird Legasthenie verwendet ab den 70er Jahren für jegliche Lese-Rechtschreibschwierigkeit mit unterschiedlicher Ursache. 4. Es werden in der Öffentlichkeit und in der Forschung beide Begriffe verwendet. Der Bundesverband Legasthenie verwendet nach wie vor die klassische Definition. Das Interesse der Elternverbände an diesem Begriff bleibt erhalten; es lässt sich damit leichter ein Krankheitsstatus begründen. 5. Legasthenie als Diskrepanzdefinition: eine spezielle, aus dem Rahmen fallende Schwäche im Erlernen des Lesens und Schreibens bei sonst intakter oder relativ guter Intelligenz: typische Fehler typische Erscheinungsformen 6. Operationalisiert wurde dieser Begriff in einem Lese-Rechtschreibtest: Kinder mit einem PR < 15 und mindestens durchschnittlicher Intelligenz sind Legastheniker (Fernstudiengang Legasthenie 1974) 7. Abschaffung des klassischen Legastheniekonzepts durch die KMK. Seit 1978 wird der Begriff „Legasthenie“ in amtlichen Veröffentlichungen der Schulverwaltungen nicht mehr verwendet. Er wird durch „LRS-LeseRechtschreibschwierigkeiten“ ersetzt. 1 LRS-Stützpunkt an der Grundschule Denzlingen 8. Verwaltungsvorschrift 1988 - Förderung von Kindern mit Lese- und/oder Rechtschreibschwächen „Förderung für alle Kinder mit Schwierigkeiten“ Legasthenie taucht als Begriff nicht auf. 9. Verwaltungsvorschrift 1997- Förderung von Kindern mit Lese- und/oder Rechtschreibschwächen „Förderung für alle Kinder mit Schwierigkeiten“ „Legasthenie“ wird auch erwähnt: „in besonderen Fällen Legasthenie“ Die Frühförderung wird betont, ebenso der prozessorientierte Ansatz des Schriftspracherwerbs und die Lernprozessbeobachtung 10.Medizinische Forschung (80er Jahre bis heute) Die Neuropsychologie bleibt unter der Annahme des klassischen Modells von Legasthenie bei dem Konzept von Teilleistungsstörungen (Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 1991: F 81.0 Lese-Rechtschreibstörung F 81.1. isolierte Rechtschreibstörung Teilleistungsschwächen 11.Pädagogische Forschung LRS - ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Problemen, die Schüler beim Erlernen des Lesens, Schreibens und Rechtschreibens aufweisen. (Valtin 1993) Es handelt sich nicht um eine im Kind liegende Schwäche. Das typologische Denken wird ersetzt. Die Orientierung am Einzelfall ist die Regel. Ursachen: möglicherweise organisch-endogene Faktoren häusliche Bedingungen schulische Bedingungen: Überforderung methodische Fehler Das neue Konzept untersucht Lese-Rechtschreibschwierigkeiten als Entwicklungsverzögerung, als Minderung sprachlicher Funktionen und nicht ihr vorgelagerte unspezifische Wahrnehmungsfunktionen 2 LRS-Stützpunkt an der Grundschule Denzlingen Vergleich Altes Konzept neues Konzept Krankheit, Störung langsamer Lerner Wahrnehmungsschwäche Entwicklungsverzögerung Fehler sind eine Schwäche, weisen auf eine „Krankheit“ hin Fehler sind Schritte in der Entwicklung und geben Auskunft über den Stand der Entwicklung Etikettierende Diagnostik Lernbeobachtung individuelle Lernprozessanalyse Schwierigkeiten und Kenntnisse des Kindes werden sichtbar Lernprogramme Individualisierung Ansetzen an den kritischen Stellen Man erforscht Denkoperationen, verschiedene Aufmerksamkeitsstrategien der Kinder, ihre Problemlösungsstrategien und orientiert sich an typischen Stufen und Strategien des Schriftspracherwerbs Das neue Konzept bleibt nahe am Phänomen und weist alle Beteiligten auf dies zurück. Die für den Unterricht verantwortliche Lehrkraft kann sich nicht auf eine außerschulische Wahrnehmungsschulung oder ein Hirndominanztraining zurückziehen, sondern hat im Unterricht die dem Kind für dessen Lernstrategie angemessenen methodischen Möglichkeiten anzubieten. Entlastend ist nur der Entwicklungsaspekt. Merkmale des neuen Konzepts: genaue Lernbeobachtung, Individualisierung, Passung des Förderangebots 24.11.2000 Nübling nach einem Manuskript von H. Schmalhofer 3