Wunsch und Wirklichkeit Die Arbeit eines Werkstattrates in der Praxis Von Alfonso Román Barbas im Rahmen der Ausbildung zum Peer Counselor Gliederung: 1. Vorwort/ Einführung S. 3 1.1 Mitwirkungsrechte des Werkstattrates lt. SGB IX S. 3 2. Geschichte des Werkstattrates/Gesetzliche Grundlagen S. 5 3. Interview S. 6 3.1 Interview Werkstattrat Dortmund S. 6 3.2 Kommentierung/Auswertung des Interviews S. 12 3.3 Fazit des Interviews S. 14 3.4 Analyse: Beispiel Düsseldorf S. 14 3.5 Kritik S. 15 4. Schlusswort S. 16 5. Literaturhinweise S. 17 2 1. Vorwort Die vorliegende Hausarbeit zur Arbeit der Werkstatträte mit dem Titel „Wunsch und Wirklichkeit“ wurde von mir im Rahmen meiner Ausbildung zum Peer Counselor verfasst. Ich bin selbst Mitarbeiter der Düsseldorfer WfBM und Vorsitzender des WR (Werkstattrat). In der Hausarbeit gehe ich auf die geschichtliche Entwicklung der Werkstatträte ein und wie diese mit der Fortentwicklung des SGB9 zusammenhängt. Ferner erläutere ich den gesetzlichen Auftrag der Werkstatträte sowie seine Umsetzung und mache eine Bestandsaufnahme der Arbeitsbedingungen der Werkstatträte. Anschließend führe ich mit einem Werkstattrat ein Interview zu seiner Arbeit und analysiere dieses. Um die Bandbreite möglicher Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zu illustrieren, führe ich jeweils ein Positiv- sowie ein Negativbeispiel aus der Praxis an und analysiere es, um dieses dann letztendlich in meiner Kritik darzustellen sowie Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man Selbstbestimmung im Reha-Leben spüren und erleben kann. Außerdem werde ich meiner Kritik Vorschläge zur verbesserten Umsetzung der Mitwirkung anfügen und die tatsächliche Partizipation der Beschäftigten durchleuchten. 1.1 Mitwirkungsrechte des Werkstattrats lt. SGB IX (1) Der Werkstattrat hat in folgenden Angelegenheiten der Werkstattbeschäftigten mitzuwirken: 1. Fragen der Ordnung im Arbeitsbereich der Werkstatt und des Verhaltens der Werkstattbeschäftigten einschließlich der Aufstellung und Änderung einer so genannten Werkstattordnung zu diesen Fragen; 2. Beginn und Ende der täglichen Beschäftigungszeit einschließlich der Erholungspausen und Zeiten der Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erhöhung der Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit des Werkstattbeschäftigten. Ferner Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage und die damit zusammenhängende Regelung des Fahrdienstes sowie vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der üblichen Beschäftigungszeit; 3. a) Darstellung und Verwendung des Arbeitsergebnisses, insbesondere die Höhe der Grundund der Steigerungsbeträge unter Darlegung der dafür maßgeblichen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse; b) Fragen der Gestaltung der Arbeitsentgelte, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, Festsetzung der Grund- und der Steigerungsbeträge und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte sowie Gestaltung der Arbeitsentgeltbescheinigungen; 4. Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Werkstattbeschäftigte, wenn zwischen der Werkstatt und den beteiligten Werkstattbeschäftigten kein Einverständnis erzielt wird; 3 5. Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Werkstattbeschäftigten zu überwachen; 6. Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften; 7. Fragen der Fort- und Weiterbildung einschließlich der Maßnahmen zur Erhaltung und Erhöhung der Leistungsfähigkeit, zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit sowie zur Förderung des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt; 8. Fragen der Verpflegung; 9. Planung von Neu-, Um- und Erweiterungsbauten sowie von neuen technischen Anlagen, Einschränkung, Stilllegung und Verlegung der Werkstatt oder wesentlicher Teile der Werkstatt, grundlegende Änderungen der Werkstattorganisation und des Werkstattzwecks; 10. Gestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung sowie von Sanitärund Aufenthaltsräumen, Einführung von neuen technischen Arbeitsverfahren; 11. Mitgestaltung sozialer Aktivitäten für die Werkstattbeschäftigten. (2) Soweit Angelegenheiten im Sinne des Absatzes 1 nur einheitlich für Arbeitnehmer und Werkstattbeschäftigte geregelt werden können und soweit sie Gegenstand einer Vereinbarung mit dem Betriebs- oder Personalrat oder einer sonstigen Mitarbeitervertretung sind oder sein sollen, haben die Beteiligten auf eine einvernehmliche Regelung hinzuwirken. Die ergänzende Vereinbarung besonderer behindertenspezifischer Regelungen zwischen Werkstattrat und Werkstatt bleibt unberührt. (3) Die Werkstatt hat den Werkstattrat in den Angelegenheiten, in denen er ein Mitwirkungsrecht hat, rechtzeitig, umfassend und in angemessener Weise zu unterrichten und ihn vor Durchführung einer Maßnahme anzuhören. Beide Seiten haben darauf hinzuwirken, dass Einvernehmen erreicht wird. Lässt sich Einvernehmen nicht herstellen, so kann jede Seite die Vermittlungsstelle anrufen. (4) Weitergehende, einvernehmlich vereinbarte Formen der Beteiligung in den Angelegenheiten des Absatzes 1 bleiben unberührt. 4 2. Geschichte des Werkstattrates/Gesetzliche Grundlagen Seit dem 1. Juli 2001 gilt die Werkstätten-Mitwirkungsverordnung, die im SGB IX zu finden ist. Die Entwicklung der betreffenden Gesetzgebungen spiegelt den Wunsch behinderter Menschen nach Teilhabe und Emanzipation wider. Die Vorläufer der heutigen Werkstatträte waren die so genannten Gruppensprecher. Sie waren gewählt von den Kollegen der einzelnen Gruppen, hatten aber keine rechtliche Grundlage und kein Mitspracherecht. Sie waren keine Organe der Mitwirkungsverordnung, wie wir sie heute kennen. Die Betreffenden waren auf das Wohlwollen der Werkstattleitungen angewiesen. Ich möchte nun entlang der historischen Entwicklung der Gesetzesgrundlagen für die Werkstätten für behinderte Menschen den Weg zur heutigen WerkstättenMitwirkungsverordnung beschreiben. Erstmals von 1961 bis 1964 wurden die rechtlichen Belange der Werkstätten im Bundessozialhilfegesetz geregelt. Hierzu Horst H. Cramer in seinem Kommentar zum SGBIX „Werkstätten für behinderte Menschen“: „Begonnen hat die Entwicklung der Werkstätten Ende der 50er Jahre. Seit Mitte der 60er Jahre sind Werkstätten in größerer Zahl entstanden. Sie sind vor allem von freien und kirchlichen Trägern der Behindertenhilfe, insbesondere von den in der Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte zusammengeschlossenen Elternvereinigungen und von Organisationen der freien Wohlfahrtspflege- insbesondere des Diakonischen Werks, des Caritas Verbandes, der Arbeiterwohlfahrt und im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband organisierter Vereinigungen- gegründet und aufgebaut worden. Sie wurden zunächst als beschützende oder geschützte Werkstätten bezeichnet. Vorläufer gab es nicht, es sei denn, man wollte sie in den verschiedenartigen Einrichtungen für behinderte Menschen sehen, die seit dem 18. Jahrhundert entstanden sind. Die Konzeption dieser Einrichtungen war noch zu entwickeln. Die freien und kirchlichen Träger und die in ihnen wirkenden Persönlichkeiten der ersten Stunde haben sich dieser Aufgabe vor Ort gestellt und dabei Pionierarbeiten geleistet, die rückblickend nicht hoch genug veranschlagt und gewürdigt werden können.“ 1964 wurde die „Eingliederungshilfe-Verordnung“ erlassen. Die nächste gesetzliche Folgemaßnahme waren die 1974 vom Bundestag erlassenen „Grundsätze zur Konzeption der Werkstätten für Behinderte“. 1975 bekamen Werkstattbeschäftigte erstmals Zugang zu den gesetzlichen Sozialversicherungen und waren somit kranken- und rentenversicherungspflichtig. Der erste Versuch, Menschen mit einer Behinderung in das Rehabilitationsleben zu integrieren, war das Teilhabemodell, das 1980 im Zuge der Werkstättenverordnung verabschiedet wurde. Die Grundgesetzerweiterung des Artikels 3 (1994) war ein weiterer Schritt zu mehr Chancengleichheit, da dieser Artikel nicht ausschließlich mit dem Werkstättenalltag zu tun hatte. Jedoch spiegelte sie das Bedürfnis behinderter Menschen nach Teilhabe wieder. Das 2001 in Kraft getretene SGB IX „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ ist schließlich die notwendige Konsequenz dieser historischen Entwicklung und stärkt die Mitbestimmung behinderter Menschen. „Eigene Ausbildung und Entwicklung: das ist Leben und Freiheit“ - diese knappe Wahrheit stammt aus dem Jahr 1887 (Leopold von Ranke, Historiker, 1795-1886). Seit Inkrafttreten des SGB IX hat sich die Mitwirkung grundlegend geändert. Mit der Mitwirkungsverordnung haben die Menschen in den Werkstätten die Möglichkeit der Mitwirkung erhalten. Um diese Rechte zu überwachen, wurde der Werkstattrat installiert - mit folgenden Aufgabengebieten: Der Werkstattrat hat die Einhaltung der Regelungen zwischen der Werkstatt und ihren Beschäftigten zu überwachen und hat dabei verschiedene Möglichkeiten, zu intervenieren. So kann er, falls z.B. zwischen Werkstatt und einem Werkstattbeschäftigten hinsichtlich der Urlaubsplanung Uneinigkeit besteht, die Urlaubszeit festlegen (§5, Punkt 4).Weiter hat der 5 WR die Aufgabe, Ideen und Beschwerden von Beschäftigten aufzugreifen und zu berücksichtigen. Er gestaltet die Werkstattordnung mit und wacht über Einhaltung bzw. Änderung des Werkstattvertrags. Auch die Gestaltung der Arbeit in Bezug auf Arbeitsplatz, Arbeitsablauf, Arbeitsumgebung, Arbeitsplatzsicherheit (Schutz der Gesundheit) und neue technische Arbeitsweisen gehört mit in seinen Kompetenzbereich. Der Werkstattrat wirkt regelnd in Arbeitszeiten, Pausenzeiten und der Organisation von Fahrdiensten mit, überwacht die Verpflegungssituation und hat Befugnisse, über die Entgeltsituation mit zu entscheiden. Er hat die Möglichkeit, Fort- und Weiterbildung, sowie Arbeitsbegleitende Maßnahmen, anzubieten und wahrzunehmen, ebenso Feste und Freizeiten. Abschließend können auch Vergrößerung, Verkleinerung, Schließung, An- oder Umbau einer Werkstatt nicht ohne Hinzuziehen des Werkstattrates vollzogen werden. Der WR macht idealerweise außerdem Empfehlungen für die ausgelagerten Arbeitsplätze, also, wer geeignet scheint und wie lang die Arbeitszeiten sein sollten. Er stimmt mit der Geschäftsführung die Rahmenbedingungen ab, erläutert die soziale Betreuung, die hilft, wenn ein Kollege Schwierigkeiten mit seinem Arbeitsplatz hat, und ist auf vielfältige Weise damit beschäftigt, die Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu fördern. 3.1 Interview Werkstattrat Dortmund Ich habe das Interview mit Bernd M. geführt, den ich aus dem Arbeitskreis Werkstätten für Behinderte kenne. Seine Behinderung ist eine Tetraspastik, hervorgerufen durch Sauerstoffmangel bei der Geburt. Er hat sich vor vier Jahren bei den Wahlen zum Werkstattrat aufstellen lassen und ist nun zweiter Vorsitzender des Werkstattrates in einer Dortmunder WfbM. Diese Werkstatt ist eine kirchliche Einrichtung und besteht aus zwei Einrichtungen: Die eine betreut psychisch Kranke und die andere geistig- und mehrfach Behinderte. Der Werkstattrat hat sechs Mitglieder. Er hat Seminare besucht, die von Bundesverband für Körper und Mehrfachbehinderte angeboten werden. Bei diesen Seminaren wurde er auf seine Tätigkeit als Werkstattratsmitglied vorbereitet, speziell auf die Bereiche der Kommunikation mit Kollegen und Konfliktlösung, des Weiteren in der Ausführung der Aufgaben des Werkstattrates. Bernd M. ist als stellv. Vorsitzender für die internen Aufgabengebiete in der WfbM zuständig, außerdem hält er Kontakte zu diversen Juristen, mit denen er arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnisse erörtert. Seine Kollegin nimmt die Außentermine wahr. Die Kommunikation intern läuft zum Teil über Telefon oder Fax, in dringenden Fällen auch persönlich. Das Interview im Wortlaut Ich heiße Bernd M. Ich habe eine Tetraspastik, verursacht durch Sauerstoffmangel bei der Geburt. Ich habe mich aufstellen lassen, als die Wahlen zum Werkstattrat vor vier Jahren anstanden. Ich bin auf Seminaren auf meine Tätigkeit als Werkstattrat vorbereitet worden. Wie sahen die Seminare aus? Das waren Seminare, in denen uns die Aufgaben, welche auch in der Mitwirkungsverordnung verankert sind, nahe gebracht wurden und auch, wie wir sie umsetzen. Später habe ich noch an einem Seminar teilgenommen, in dem mir beigebracht worden ist, wie ich 6 Werkstattbeschäftigten kommuniziere, wie ich auf die Konflikte eingehe, wenn es bestimmte Probleme gibt, oder auch, wie ich eine Sitzung leite. Waren das spezielle Seminare, die auf die WfBM zugeschnitten waren? Es waren Seminare, die von Bundesverband für Körper und Mehrfachbehinderte angeboten wurden, der Seminarleiter kam aus dem Bereich WfBM. Wie groß ist euer WR? Der WR hat sechs Leute. Wie sieht die Arbeit des WR technisch aus? Habt ihr Arbeitsteilung? Also, bei uns im WR ist es so: Da ich der stellvertretende Vorsitzender bin, kümmere ich mich mehr um die internen Sachen, wie z.B. Briefe schreiben, Kontakte aufnehmen oder in rechtlichen Fragen mit Juristen sprechen. Meine Kollegin, die Vorsitzende ist, nimmt die Außentermine wahr - teilweise alleine, teilweise auch zusammen mit mir. Wie läuft eigentlich die Kommunikation bei euch im WR, trefft ihr euch nur bei den Sitzungen oder gibt es auch mal Telefonate, wenn irgendwas brennt? Also, das ist immer so: Es gibt einen Austausch zwischen den beiden Werkstätten, entweder über Tel./Fax, oder durch ein Treffen, wenn es ganz dringende Fragen gibt. Heißt das, ihr arbeitet auch WfBM- übergreifend? Es ist so, dass wir eine Zweigwerkstatt für psychisch Kranke sind und mit dem WR von der WfBM für geistig und mehrfach Behinderte zusammenarbeiten. Ihr seid ja insofern eine ganz besondere WfBM, siehst du in der Arbeit einen Unterschied zur Arbeit in den gemischten WfBM? Ich glaube, es kommt auf die Leute an, die im WR sitzen, wie engagiert sie sind. Ich möchte eigentlich keine direkte Trennung machen, zwischen psychisch- und körperbehinderten Menschen. Es kommt dann auch auf die intellektuellen Fähigkeiten an, aber das hat man ja in allen Bereichen, auch bei Betriebsräten. Wenn einer sich wirklich engagiert, dann läuft da mehr, wenn einer sich nicht engagiert, läuft da eher weniger. Von daher gesehen glaube ich, und das zeigt auch die Erfahrung, dass es wirklich auf die einzelnen Mitglieder ankommt, wie ernst sie ihre Arbeit nehmen. Wie hat man sich so eine Sitzung vorzustellen? Sind der Vorsitzende und der Stellvertreter der Motor? Wie läuft das bei euch ab? Ist das eine lebhafte Kommunikation? Sprecht ihr über Probleme und wie man sie löst? Also, bei uns ist das so, dass sich der WR drei Mal im Jahr zusammensetzt. Wir sind ein WR, der aus der Zweigwerkstatt und der Hauptwerkstatt besteht, und da treffen wir uns dann gemeinsam mit der Leitung. Dann werden alle Probleme erörtert, das heißt, die sagen uns, welche Probleme sie in unserer WfBM haben. Wir sagen, welche Probleme wir so haben, oder was wir verändern wollen. Das, was auf beide WfBM übertragbar ist, wird dann auch übertragen. Was aus behinderungsspezifischen Gründen nicht übertragbar ist, das macht jeder für sich. Aber die Kommunikation ist schon so, dass jeder vom anderen etwas weiß. Es wird auch darauf geachtet, dass die Aufgaben, die jemand aus dem WR übernimmt, bis zur nächsten Sitzung nach Möglichkeiten erledigt sind. Am Anfang der Sitzung wird ein Protokoll vorgelesen, und es gibt auch eine Tagesordnung, die gemeinsam abgearbeitet wird. Welche Funktion hast du im WR? Wie ich gerade schon gesagt habe, bin ich stellvertretender Vorsitzender. 7 Wie lange im Amt? Vier Jahre. Wie würdest du deine Arbeit bezeichnen? In meiner Arbeit liegt schon ein gewisser Anspruch. Vor allem wenn es darum geht, juristische Fragen zu lösen, die an mich herangetragen werden. Da ist z.B. das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis, das man kennen muss, auch die normalen Arbeitnehmerrechte gehören teilweise dazu. Da muss man sich auch öfter juristischen Rat einholen. Das ist schon ziemlich anspruchsvoll. Woher kommt dieser Anspruch? Also, der Anspruch kommt schon daher, dass bei uns psychisch Kranke Menschen arbeiten. Diese Leute kommen zum größten Teil aus dem normalen Arbeitsleben und daher wissen sie, welche Rechte man auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat. Sie fragen, wo sich im Gesetz etwas ändert oder z.B. wie jetzt Zuverdienstmöglichkeiten für sie sind. Beispiele solcher Fragen sind: „Darf ich auf dem normalen Arbeitsmarkt noch eine Tätigkeit annehmen oder setze ich meinen Arbeitsplatz in der Werkstatt aufs Spiel?“ Diese Fragen kommen vielfach von den Mitarbeitern, ich selbst bin natürlich auch an dieser ganzen Entwicklung interessiert. Von daher gesehen fließt da auch viel von mir mit ein und ich glaube auch, dass die Leute mit Fragen auf mich zukommen, weil sie sehen, dass ich sehr engagiert bin und mich auch weitläufig auskenne. Wir vermitteln unseren Kollegen schon, dass wir an unserer Arbeit interessiert sind und dass wir daran interessiert sind, für unsere Kollegen das Bestmögliche rauszuholen. Wir haben deswegen auch schon Abgeordnete aufgesucht und sie gebeten dabei mitzuwirken, die Gesetzlage so zu verändern, dass es für die Leute positive Effekte hat. Ein Beispiel: Seit Jahren setze ich mich dafür ein, dass die Löhne subventioniert werden. So sind die Leute nicht mehr von Sozialhilfe abhängig, sondern es wird die Sozialhilfe z.B. mit dem Lohn der Werkstatt zusammengelegt und die Leute haben auf ihrer Lohnabrechnung dann einen normalen Lohn. Dadurch sind sie von Sozialhilfe und Grundsicherung unabhängig. Mein persönlicher Anspruch hat sich daraus entwickelt, dass ich immer mit der Frage an die Arbeit gehe, was ich selbst von Mitgliedern des Werkstaatrates erwarten würde. Ich glaube, weil die Kollegen das wissen, kommen sie mit ihren Problemen zu mir. Sicher ist es auch ein Stück meiner Persönlichkeit, weil ich immer neugierig war und bin. Es ist ja so, dass ich ja auch schon sehr engagiert in der WfBM war, als der WR noch nicht in der Form wie heute bestand, sondern noch aus den einzelnen Gruppensprechern. Außerdem habe ich über eine Veranstaltung des Bundesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte andere Menschen kennen gelernt, die ebenfalls in der Behindertenarbeit tätig sind. Aus dieser Veranstaltung hat sich der Arbeitskreis gegründet. Ich bin ja von Anfang an bei diesem Arbeitskreis dabei, und dieser hat mir natürlich hier und da Möglichkeiten eröffnet, aber mein Antrieb, meine Arbeit so zu machen, wie ich sie mache, kommt wirklich aus meinem eigenen persönlichem Anspruch heraus. Der Arbeitskreis ist da eine positive Nebenerscheinung, will ich mal sagen. Dieser Arbeitskreis hat ja den Anspruch, langfristig etwas für die KollegInnen in den WFBM zu verändern, und von daher gesehen fühle ich mich in diesem Arbeitskreis auch sehr gut aufgehoben. Auch weil da Betroffene sind, die Experten im Sinne des Peer Counseling sind? Ja, weil ich dort Gleichgesinnte finde. Menschen, die sich sagen, wir wollen etwas zum Positiven verändern, aus diesem Willen heraus geht dann der Arbeitskreis als Gesamtgremium eben her und wendet sich an Politiker, an Ministerien, um die Anliegen der Behinderten in die Öffentlichkeit, bzw. an die entsprechenden Stellen weiterzugeben. 8 Was würdest du an deiner Arbeit als positiv bezeichnen? Positiv finde ich, dass mein Betrieb und meine Kollegen mich in meiner Arbeit unterstützen, bzw. das, was ich tue, anerkennen. Natürlich nicht immer kritiklos, das ist normal. Aber ich empfinde es schon als sehr positiv, dass ich sehr viele Leute kennen lerne, die sich in sehr ähnlicher Situation befinden und mit welchen ich mich austauschen kann. Wie sieht die Kritik der Kollegen aus? Also, ihnen geht es oft nicht schnell genug. Schwierig ist auch, wenn ich ihnen sagen muss, ich kann dir jetzt im Moment nicht helfen, dass sich dein Lohn erhöht, weil das Budget in der WfBM es einfach nicht zulässt. Da sagen dann viele Leute: „Mensch, ich leiste aber doch viel mehr als der und der, und setz dich doch mal dafür ein.“ Da muss ich auf die bestehende Gesetzesgrundlage hinweisen - das ist nicht immer leicht. Auch den Kollegen dann klar zu machen, dass das, was ich im Augenblick tue, auch schon alles ist, was machbar ist, fällt oft schwer. Ich muss sagen, dass ich von mir aus keine Gesetze ändern kann. Und ich muss sagen, dass ich zwar immer wieder daran mitarbeite, dass sich das Lohnsystem dahingehend verändert, noch etwas mehr nach Leistung zu bezahlen, aber ich muss natürlich auch die Leute berücksichtigen, die eben durch ihre Behinderung Schwierigkeiten und auch mehr Schwächen haben als andere. Wie geht man eigentlich damit um? Nimmt man das mit nach Hause oder lässt man das auf der Arbeit? Es ist ja eigentlich kein direkter Druck. Wenn man den Leuten sagt: Guck mal, ich habe schon das und das versucht, dann kommt ja auch Positives zurück. Manchmal denke ich, dass ich für meine Leistung mehr bekommen müsste. Es kommt auch vor, dass ich, wenn es Lohngespräche gibt, mit dem Gruppenleiter und der Sozialarbeiterin auch mal knallharte Lohnverhandlungen führe und ich ihnen sage, was ich nicht in Ordnung finde. Außerdem unterhalte ich mich auch schon mal mit Bekannten über meine Probleme. Ich versuche, den Druck so niedrig wie möglich zu halten. Das gelingt mir auch dadurch, dass ich sehr viel Verständnis für die Probleme der Leute aufbringe. Aber der Druck ist nicht so stark, dass ich sagen müsste, ich komme damit nicht mehr zurecht. Ich erkläre den Leuten meine augenblicklichen Möglichkeiten - entweder verstehen sie es oder sie verstehen es nicht. Ansonsten muss ich einfach sagen, die Situation ist im Augenblick so, wie sie ist. Manchmal rege ich mich auch auf, wenn sie es nicht begreifen wollen, dann sage ich, es ist im Augenblick so und da kann ich auch nichts ändern. Wie bereits gesagt, hilft es mir auch, mich mit Freunden, Bekannten oder auch mit Kollegen über die Probleme zu unterhalten, um den Druck abzubauen. Empfindest du eine Abhängigkeit gegenüber deinem Arbeitgeber? Es ist so: Die WFBM-Leitung unterstützt meine Arbeit und lässt mich auch zu Fortbildungen und Seminaren. Sie stellt mich dafür frei, sie stellt mich auch dafür frei, wenn es mal außerordentliche Sitzungen gibt, wenn das notwendig ist. Die Zusammenarbeit ist sehr positiv, man unterstützt auch meine politische Arbeit, die ich da mache, von daher fühle ich mich eigentlich sehr gut unterstützt. Das ist die eine Ebene mit der Geschäftsführung, aber da sind ja auch noch die Gruppenleiter, wie ist es mit denen? Die Gruppenleiter sehen die Arbeit genauso positiv. 9 Was empfindest du als negativ? Was ich manchmal an der Arbeit negativ finde, ist, dass es oft nur mühsam vorangeht und dass man den Mitarbeitern eben keinen Lohn ausbezahlt, mit dem sie ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten können. Sehr negativ an dieser Arbeit ist auch, dass man über Jahre hinweg versucht hat, etwas an der Situation zu verändern, und ich jetzt - auch aufgrund der momentanen allgemeinen Arbeitsmarktlage - mitbekomme, dass man nun auch die NichtBehinderten , z.B. durch Hartz IV, für ähnliche Löhne wie in den Werkstätten arbeiten lässt. Durch die Einführung von Hartz IV ist es schwieriger geworden, die Bevölkerung für unsere Position zu sensibilisieren, weil heute schnell gesagt wird, seht mal, die Leute die jetzt unter Hartz IV arbeiten, haben nicht die soziale Absicherung in der Rente. Es werden ja hohe Rentenbeiträge und auch relativ hohe Krankenkassenbeiträge gezahlt. Hier könnte man sagen: Ihr habt es da doch besser, sodass es da noch zu einer Konkurrenzsituation kommen könnte. Diese Befürchtungen sind bei mir, zumindest wenn ich die politische Landschaft betrachte, durchaus vorhanden. Wie bewertest du die Mitwirkungsverordnung? Würdest du dir Mitwirkungsverordnung mit mehr Rechten wünschen? Ich würde mir wünschen, dass man die Mitwirkung in Mitbestimmung umwandelt. eine Wo ist da der Unterschied? Mitwirkung bedeutet, dass ich das Recht habe meine Meinung zu sagen. Mitbestimmung bedeutet, dass ich auch z.B. abstimmungsberechtigt bin, was man als WR nur ganz, ganz bedingt ist. Handelt ihr als WR selbständig und selbstbestimmt? Ja, doch. Wir handeln schon selbstbestimmt. Wie sieht die Selbstbestimmung aus? Wenn etwa der Geschäftsführer kommt und sagt, das wollen wir nicht. Geht ihr dann auf direkte Konfrontation oder versucht der Geschäftsführer, euch zu manipulieren? Also wir haben ja dadurch, dass wir eine Zweigstelle sind, keinen Geschäftsführer, sondern einen WfBM-Leiter. Und der ist schon darauf bedacht, dass es im Einvernehmen läuft. Da wird nicht gesagt, das ist jetzt so, sondern es wird schon geguckt, daß es Einvernehmen mit dem WR gibt. Es gibt natürlich vom Gesetzgeber her auch bestimmte Dinge, wo der WR nur ein Informationsrecht hat. Hier sagt dann eben der WfBM-Leiter, wir machen jetzt das und das. Wenn wir aber Vorschläge machen oder sagen, wir sind mit diesem und jenem nicht einverstanden, versucht man schon, einen Kompromiss zu finden. Weitgehend? D.h. wo scheitert so was? Es scheitert schon mal an Dingen, bei denen wir keine Mitbestimmung haben, sondern nur ein Informationsrecht. Da fällt mir jetzt kein Beispiel ein. Aber es ist schon grundsätzlich so, dass man versucht, sich auf eine Linie zu einigen. Gab es schon Situationen, bei denen ihr die Vermittlungsstelle anrufen musstet? Nein, nein die Situation gab es Gott sei Dank noch nicht. Welche Visionen hast du für dich und deine Kollegen? Ich wünsche mir halt, dass die Leute langfristig ein Mitbestimmungsrecht bekommen, und dass sich die Entlohnung der Menschen in den Werkstätten dahingehend ändert, dass sie eben einen Lohn erhalten, der ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. 10 Bist du mit der aktuellen Gesetzgebung zufrieden? Ja, ich sagte ja eben, was ich fordere ist, dass die Mitwirkung in Mitbestimmung umgeändert wird. Du arbeitest ja in einer diakonischen Einrichtung. Die Mitwirkungsverordnung der Diakonie sieht ja schon Mitbestimmung vor. Meinst du, das wird der Weisheit letzter Schluss sein? Also die Mitwirkungsverordnung, welche die Diakonie vorgelegt hat, und die jetzt seit einem Jahr in Kraft ist, hat den positiven Ansatz, dass sie einige Mitwirkungsrechte in Mitbestimmung umgewandelt hat. Es ist schon mal positiv, dass darin Rechte enthalten sind, die in der staatlichen Mitwirkungsverordnung als Mitwirkung angelegt sind und in der Diakonie als Mitbestimmung. Und da sehe ich schon einen Schritt in die richtige Richtung. Man kann jetzt den Verantwortlichen sagen: Schaut mal, die Diakonie hat hier und hier schon Mitbestimmung gemacht, wollt ihr das nicht dahingehend auch mal verändern? Ich denke, man muss jetzt einfach mal abwarten und beobachten, ob und wie in den WfBM der Diakonie die Mitbestimmungsrechte umgesetzt werden können - um dann auch sagen zu können: Ja, behinderte Menschen sind zur Mitbestimmung fähig. Aber da viele Nicht-Behinderte sich in die Situation Behinderter nicht reindenken können oder auch gar nicht erkennen können, dass jemand im Rollstuhl intellektuell fit sein kann, denke ich, muss man jetzt einfach mal gucken, wie sich die Mitbestimmungsverordnung auswirkt, und die Zeit einfach ein wenig arbeiten lassen. Woran liegt es, dass Nichtbehinderte Behinderten keinen Intellekt zutrauen? Wir haben uns in Deutschland über Jahre hinweg schwer getan, behinderte Menschen ins normale Leben zu integrieren. Wir haben Behinderten-Kindergärten und Sonderschulen, und wir haben gesonderte Ausbildungsstätten. Die behinderten Menschen sind also in ihrer gesamten Laufbahn immer unter sich. Und erst wenn die Berufsausbildung abgeschlossen ist, werden die Behinderten gewissermaßen auf die Betriebe „losgelassen“. Dann haben sich aber schon unterschiedliche Welten entwickelt. Würde man von Anfang an integrativ vorgehen, gäbe es diese Kluft nicht. Was kann der Werkstattrat tun, damit diese Barrieren gekappt werden? Also, der WR kann hier im Grunde nur Öffentlichkeitsarbeit leisten. Aber das Problem kann man nur durch Integration im Kindesalter beheben, da kann der WR wenig tun. Würdest du die WfBM als Ghettoeinrichtung bezeichnen? Ich bezeichne die WfBM dahingehend als Ghettoeinrichtungen, da sie die Leute isolieren. Zum Teil gibt es sicher Leute, welche die Werkstatt als geschützten Raum brauchen, aber WfbM haben heutzutage auch eine gewisse Alibifunktion. Will sagen, Leute, die man im Arbeitsmarkt nicht unterbringen kann, schickt man dann erst mal in die WfBM nach dem Motto „Gucken wir mal was du kannst, und dann integrieren wir dich“. Für viele Betriebe haben die WfBM eine Alibifunktion: Die Werkstatt, an die ein Unternehmen einen Auftrag gegeben hat, erledigt die Arbeit, ohne dass sich das Unternehmen mit den Problemen, die sich daraus ergeben können, rumzuschlagen muss - beispielsweise ein gesonderter Arbeitsplatz, Assistenz bei der Arbeit oder eine Veränderung des Arbeitsplatzes, oder auch daß der Behinderte nicht so schnell mit technischen Hilfsmitteln sein kann. Allerdings glaube ich, dass es schon WfBM gibt, die darauf bedacht sind, starke Leute auch für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Aber ich glaube auch, dass viele WfBM froh sind, wenn sie die starken Leute behalten, weil diese die erforderliche Qualität, auch teilweise Quantität der Arbeit gewährleisten. Das bedeutet, wenn ein Betrieb an eine WfBM einen Auftrag 11 vergibt, dann will er qualitativ hochwertige Arbeit haben, das darf sich von der Qualität her nicht unterscheiden. Von daher haben die WfBM sicher auch ein Interesse daran, starke Leute zu halten. Auf der anderen Seite haben die WfBM oft gar nicht die Gelegenheit, Leute ihren Möglichkeiten entsprechend zu fördern. Dann nämlich müsste man sagen: Macht die WfBM zu Ausbildungsstätten! Wie sieht bei euch die Selbstbestimmung aus? Jaaaa… Selbstbestimmung ist vielleicht nicht so ganz das richtige Wort. Man muss sehen, WfBM sind Betriebe, die auch teilweise betriebswirtschaftlich arbeiten müssen. Es wird natürlich Rücksicht genommen und sowohl nach dem Berufsbildungsbereich als auch nach den Vorlieben gefragt. Und es wird sichergestellt, dass ich die Aufgaben meinen Möglichkeiten entsprechend meistere. Sobald ein Kollege sagt, ich möchte das und das ausprobieren, oder seht ihr die Möglichkeit, für mich einen Außenarbeitsplatz zu schaffen oder mir ein Praktikumsplatz zu suchen, dann wird das auch gemacht. Es wird natürlich dem Kollegen auch gesagt, wie er von der WfBM und vom sozialen Dienst eingeschätzt wird. Ob sie ihm das zutrauen. Aber wenn er jetzt sagt: „ich möchte das“, dann geht die WfBM auch darauf ein und sagt: „Na gut, wenn du draußen einen Praktikumsplatz haben möchtest, dann fangen wir im Rahmen der Förderung jetzt mal damit an, daß du z.B. nicht jede Stunde eine Arbeitsunterbrechung machst, daß du nur die regulären Pausen machst, daß du auch länger arbeitest, also acht Stunden, wenn es möglich ist.“ Vielen Dank für das Interview. 3.2 Kommentierung/Auswertung des Interviews Bernd M. ist der Meinung, dass das Engagement des Werkstattrates nur auf die Motivation der Mitarbeiter zurückzuführen ist und nicht auf ihre Behinderung. Ich bin jedoch der Meinung, dass das Handicap doch eine gewisse Rolle bei der Ausführung des Amtes spielt. Die Kollegen müssen erst einmal Selbstbewusstsein sowie Durchsetzungsvermögen erlangen und auch die Techniken, wie man diese Dinge im normalen Alltag umsetzt, müssen erlernt werden. Viele Hürden sind zu nehmen, z.B. „Wie werden die Schreibarbeiten erledigt?“, sodass ich denke, es findet eine Überforderung für manche Kollegen statt, die sich aber nach und nach legt. Bernd M. betont sehr stark den politischen Charakter seiner Arbeit. Im Gegensatz dazu beschränken sich die meisten WR auf hausinterne Probleme, wie beispielsweise Verpflegung, Urlaub etc. Seine persönliche Motivation zieht Bernd M. immer wieder aufs Neue aus der Frage, was er selbst vom Werkstattrat verlangen würde und was von außen an ihn in seiner Position herangetragen wird. Nach meiner Meinung hat diese Einstellung mit der individuellen Entwicklung zu tun und damit, wie man seine eigene Behinderung sieht. Außerdem kommt es darauf an, dass die Werkstattleitung den Werkstattrat als ebenbürtigen Partner ansieht. Natürlich hat man als Werkstattrat für psychisch Kranke ein anderes Aufgabengebiet. Das ergibt sich schon daher, dass viele Mitarbeiter früher auf dem freien Markt tätig waren und nicht diese Ghettoisierung der Werkstätten erlebt haben. 12 Bernd M. war schon vor seiner Amtszeit beim Werkstattrat sehr engagiert in Bezug auf Mitbestimmung und Teilhabe. Er nahm früher an einer Tagung des Bundesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte teil. Aus der hier gewonnenen Motivation und unter Mitwirkung anderer Betroffener entwickelte sich der Arbeitskreis Werkstätten für Behinderte. Wie man sieht, sind die Betroffenen schon immer organisiert gewesen, entweder in Behindertenverbänden oder Arbeitskreisen. Das Wissen, welches die oben genannten Menschen mitbringen, kommt den Werkstatträten zu Gute. Sie müssen auch vom intellektuellen Stand her eine gewisse Aufnahmefähigkeit mitbringen, um dieses Wissen weiterzugeben. Auch eine Menge Motivation und Selbstbewusstsein gehören hierzu. Die Arbeit von Bernd M. bleibt auch von Kritik nicht verschont. Diese äußert sich darin, dass die Mitarbeiter ihren Frust über das bestehende Lohnsystem bei ihm abladen. Ihm sind in diesem Falle die Hände gebunden, da der Werkstattrat nur begrenzte Einflussmöglichkeiten auf das Lohnsystem hat. Der Werkstattrat kann Kritik anführen und den Vermittlungsausschuss anrufen, aber in letzter Konsequenz kann er weder Gesetze verändern noch die Werkstatt daran hindern, am Lohnsystem festzuhalten. Er kann zwar ein anderes Lohnsystem fordern, aber die Entscheidung trifft allein die Werkstatt. Bernd M. fühlt sich von der Werkstattleitung, den Gruppenleitern und den zuständigen Sozialarbeitern genügend unterstützt. Er wird für seine Arbeit freigestellt. Dies ist sehr positiv, jedoch leider eine Ausnahme der Regel, denn in der Regel haben die Kollegen enorme Schwierigkeiten, diese Freistellungen zu bekommen. Bernd M. sieht auch Schwierigkeiten in seiner Arbeit, die er auf Gesetzgebung und die Politik zurückführt. Er vergleicht die Situation der Werkstatt mit der auf dem freien Arbeitsmarkt und begründet dies mit der Gesetzgebung von Hartz IV. Dazu möchte ich sagen, dass die Löhne in den Werkstätten keine Löhne im Sinne von Gehältern des allgemeinen Arbeitsmarktes sind, sondern nur ein Entgelt. Von Löhnen wird zwar geredet, aber nach meiner Meinung wird dies nur getan, um die Motivation der behinderten Mitarbeiter zu erhöhen. Bernd M. wünscht sich, dass die bisherige Mitwirkungsverordnung dahingehend verändert wird, dass der WR auch mitbestimmende Funktionen hat. Grundsätzlich bin ich auch dafür, dass die Werkstatträte Mitbestimmungsrechte erhalten. Aber wenn sie diese erhalten, müssen sie auch in die Lage versetzt werden, diese zu nutzen. Viele Werkstatträte/Werkstattratskandidaten haben nicht gelernt, selbstbestimmt zu handeln. Diesen Zustand kann man trainieren, jedoch über einen längeren Zeitraum, in dem man den Menschen z.B. eine Supervision anbietet. Der WR von Bernd M. arbeitet nicht direkt mit dem Geschäftsführer zusammen, sondern mit dem Leiter der Zweigwerkstatt. Dieser hält Rücksprache mit dem WR und fällt seine Entscheidungen im Einvernehmen mit dem WR. Deshalb ist es bisher noch nicht nötig gewesen, die Vermittlungsstelle anzurufen. Diese Vorgehensweise findet meine Zustimmung. In solchen Gesprächen gibt es immer Reibungspunkte. Oft ist es ein Drahtseilakt, Kompromisse zu finden. Beide Seiten sind jedoch von der Gesetzgebung dazu angehalten, einvernehmliche Regelungen zu finden. Es ist nicht ratsam, bei jedem Konflikt die Vermittlungsstelle anzurufen, weil sich dadurch die Fronten verhärten können. Bernd M. wünscht sich auf lange Sicht Mitbestimmungsrechte und ein Entgelt, welches einen Lebensunterhalt ohne fremde Hilfen ermöglicht. Er sieht die Mitwirkungsverordnung der Diakonie als positiv. 13 Bernd M. sieht eine breite Kluft zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Diese Kluft lässt sich auf die Strukturen der Gesellschaft zurückführen, denn vor einigen Generationen war es noch nicht an der Tagesordnung, dass Menschen mit Behinderung einen normalen Kindergarten, bzw. eine normale Schule besuchen konnten. Es spielen allerdings sowohl das familiäre Umfeld wie auch die eigene Persönlichkeit eine große Rolle, z.B. ob, wie und zu welchem Zeitpunkt man die eigene Behinderung akzeptiert. Bernd M. sieht die Werkstätten als Ghettoeinrichtungen mit Alibifunktion, in denen die Menschen nicht nach ihren Möglichkeiten gefördert werden. Ich weise darauf hin, dass die Aufgaben der Werkstätten sich auf Rehabilitationsmaßnahmen und auf die Vorbereitung auf den freien Arbeitsmarkt, beziehen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die meisten Beschäftigten nie in den freien Arbeitsmarkt überwechseln. Kollegen aus seiner Werkstatt, die auf dem freien Arbeitsmarkt integriert werden wollen, bekommen Fördermaßnahmen, bei denen ihnen gezeigt wird, wie der freie Arbeitsmarkt aussieht (z.B. mit längeren Arbeitszeiten, weniger Pausen und Freiheiten etc.). Mein Ansatz wäre hingegen, nicht nur den Menschen zu zeigen, wie der freie Arbeitsmarkt draußen ist, sondern ihnen erstmal die Angst zu nehmen und als Vermittler zu fungieren. 3.3 Fazit des Interviews Mein Eindruck nach dem Interview ist, dass keinem WR die gleichen Rahmenbedingungen zugrunde liegen. Auch die eigenen Arbeitsansprüche variieren von WR zu WR. Bei dem Interview hatte ich den Eindruck, dass vielmehr auf Grundlage der Gesetzgebung und politischer Basis gehandelt wird. Ich denke, man müsste vielmehr den Menschen in den Vordergrund stellen und eine persönliche Basis finden. Die Arbeit des WR soll in meinen Augen praxisorientierter sein und sich nicht zu sehr auf die Theorie stützen. Es kommt natürlich immer auf die Person an, wie sie ihre Arbeit im WR verrichtet. Viele Werkstatträte können nicht genau einschätzen, ob sie von der Werkstattleitung als ebenbürtige Partner behandelt werden oder nur eine Alibifunktion erfüllen, um den Gesetzgeber zufrieden zu stellen. Bernd M. hab ich als selbstbewussten, offenen und interessierten Menschen erlebt, der seinen Weg gehen wird und voll und ganz in seiner Arbeit aufgeht. 3.4 Analyse: Positivbeispiel (WfaA - Düsseldorf) Der Werkstattrat der WfaA – Düsseldorf besteht aus sieben Mitgliedern und wird von einer Vertrauensperson unterstützt. Er besteht seit dem Jahre 2002 und ist der erste WR in dieser Werkstatt. Der Werkstattrat ist für 1056 Beschäftigte zuständig, die in 15 verschiedenen Zweigstellen tätig sind. Anfangs musste sich der WR erstmal mit dieser neuen rechtlichen Situation arrangieren. Einige Hürden mussten überwunden werden, die Werkstatt als solche musste lernen, den WR als vollwertigen Partner zu sehen. Auch die Mitglieder des WR waren und sind teilweise immer noch mit dieser neu erworbenen Verantwortung überfordert. 14 Es muss immer wieder trainiert werden, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter versuchen immer wieder, das Selbstbewusstsein und die Selbstmotivation der Mitarbeiter zu verstärken. Der Werkstattrat ist heute schon in der Lage, selbständig und autonom zu arbeiten. Diesen Prozess hat sich der WR durch diverse psychologische Fortbildungen und durch ein ständiges Coaching ausgebaut. Es wird bei diesem Coaching auf direkte Situationen im Alltag der WfbM reagiert, es werden Strategien entwickelt, wie man am besten mit solchen Situationen umgeht und für sich selber sorgt. Als Vorsitzender des WR erfülle ich auch die Funktion eines Peer Counselors. Das möchte ich gerne an einem Beispiel darstellen: Ein Mitglied des WR formuliert sein Problem der Teilnahme an den WR-Sitzungen, welches darin besteht, dass er dafür von seinem Gruppenleiter nicht freigestellt wird. Ich versuche, das Problem mit den Kollegen des WR zu definieren und Strategien zu entwickeln, wie man das Problem lösen kann, indem ich mit einem Rollenspiel die Kollegen wieder in die Situation der Ablehnung einer Freistellung durch den Gruppenleiter versetze. Zwei Mitglieder führen dabei das Rollenspiel aus, die übrigen beobachten und analysieren es. Das hat den Effekt, dass die Mitglieder die Scheu vor derartigen Konfliktsituationen verlieren. Dadurch, dass ich selbst Betroffener bin, habe ich überhaupt erst die Möglichkeit, den Zugang zu den Kollegen zu finden, und andersherum betrachtet, fällt es diesen leichter, dieses zuzulassen. Eine sehr positive Begleiterscheinung ist, dass die Geschäftsleitung den WR als vollwertigen Partner ansieht. Der WR bewegt sich auf gleichem Level wie der Betriebsrat und wird sogar im Firmenorganigramm aufgeführt. Man wird sich fragen, warum dies in dieser Werkstatt gegeben ist und bei anderen nicht. Das resultiert daher, dass der WR früh begonnen hat, Initiative zu ergreifen und Fortbildung sowie Supervision im eigenen Hause eingeführt hat. Des Weiteren hat der Vorsitzende durch seine diversen Seminare und Workshops eine Art Peer Counselor Rolle eingenommen, was von den Beschäftigten sehr positiv aufgenommen wurde. Immer wieder wird von den Werkstatträten der mangelhafte Informationsfluss innerhalb der Werkstätten beklagt. In meiner Werkstatt ist das nicht zu beklagen, weil sich hier beide Seiten stets darum bemühen, diesen aufrecht zu erhalten. 3.5 Kritik Zur Gesetzgebung: Nach meiner Meinung gibt es einige gravierende Kritikpunkte zur Mitwirkungsverordnung. Zunächst möchte ich ein paar Grundsätze nennen, die der Gesetzgeber nicht richtig eingeschätzt hat. Ich möchte sagen, dass die Menschen, die in den WfBM rehabilitiert werden, mit Gesetzgebungen und mit den Aufgaben zunächst überfordert sind, da sie das nötige Fachwissen vielfach nicht haben. Trotz nun vorhandener Möglichkeiten dauert es Jahre, bis sie ihre Rechte wahrnehmen können. Ich möchte damit nicht sagen, dass dies unmöglich ist, aber dazu müssten geeignete Maßnahmen wie Workshops oder Supervisionen, die auf konkrete Ereignisse im Werkstattalltag eingehen, begleitend eingesetzt und gesetzlich verankert werden. Denkbar wäre auch ein Peer Counselor mit Werkstatterfahrung. Ebenso sollte man auch die Gruppenleiter schulen, damit sie lernen, Verantwortung an die Mitarbeiter abzugeben, sodass diese so ihre Partizipationsrechte wahrnehmen können. Der Gesetzgeber hätte gut daran getan, Weiterbildungs- und Fördermaßnahmen anzuordnen/festzuschreiben, d.h. es sollte für Werkstatträte verpflichtend sein, solche Maßnahmen mitzumachen. Auch die Umsetzung der Gesetzgebung gestaltet sich für einige Werkstatträte schwierig, weil Belange der Mitarbeiter nicht immer ernst genommen werden (vegetarisches Essen). Man sollte die Leute gezielter einbeziehen und den Blick 15 darauf richten, Mitbestimmung zu spüren, Reha zu leben, also auf eine Verbesserung der individuellen Situation und Fähigkeiten der Mitarbeiter hinarbeiten. Bei Entscheidungen der Werkstatt sollten die Menschen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten einbezogen werden, also der gesetzliche Rahmen voll ausgeschöpft werden. Dass die WerkstattMitarbeiter nicht so professionell sind, sollte man hinnehmen, da Rehabilitation über Produktivität stehen sollte. Ein Werkstattrat, der Selbstständigkeit, also auch die eigenen Möglichkeiten gespürt hat, ist viel besser imstande, anderen Mitarbeitern zu helfen. Ich denke, dass diese Situation sich in den nächsten Jahren deutlich verbessern wird, weil die Kontinuität da ist, weil die Werkstätten die Mitbestimmung kennen gelernt haben und so allmählich die Angst davor verloren haben. Natürlich werden auch hier über Jahre beibehaltene Vorbehalte nicht über Nacht fallen gelassen, aber der beiderseitige Lernprozess ist eröffnet. 4. Schlusswort Die Recherche für diese Arbeit gestaltete sich sehr schwierig, da es kaum Material gibt sowohl im Print (Zeitungsartikel und Bücher) als auch im Internet-Bereich. Es existiert auch erst sehr wenig Erfahrung mit Werkstatträten, da die entsprechenden Gesetze erst mit dem SGB IX, also im Juni 2001, verabschiedet wurden. Daher verwundert es auch nicht, dass wir hier Neuland betreten. Es wäre notwendig, die entsprechenden Gesetze immer auch zeitgleich mit ihrer Veröffentlichung ergänzend in leichter Sprache herauszugeben, da die Menschen mit Lernschwierigkeiten auch ein Recht darauf haben, die Gesetze zu verstehen. Noch schöner wäre es natürlich, wenn das bereits im Gesetzgebungsprozess geschehen würde, so dass die Betroffenen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern gegebenenfalls bereits frühzeitig handeln können. Um die Mitwirkungsverordnung praktisch umsetzen zu können, müsste es viel mehr Seminarangebote geben, in welchen die Beschäftigten in einem angstfreien Raum lernen, mit Konfliktsituationen umzugehen. Ich selber habe im Rahmen meiner Werkstattratstätigkeit solches angeboten und die Erfahrung gemacht, dass dies absolut notwendig und sehr effektiv ist. Daher bin ich der Meinung, dass dies auch gesetzlich festgeschrieben werden sollte. Ideal wäre es zum Abbau möglicher Hemmnisse von Seiten der Mitarbeiter, wenn diese Seminare von Betroffenen, dem Konzept des Peer Counseling folgend, durchgeführt werden würden. 16 5. Literaturhinweise Angelika Bieneck, Elisabeth Engelmeyer, Burghard Hofmann Handreichungen zur Fortbildung und Praxis von Werkstatträten, Lebenshilfe-Verlag Marburg 2003 Host H. Cramer, Werkstätten für behinderte Menschen, 3. Auflage, C.H. Beck Verlag Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für Behinderte e.V. Alles was Recht ist, Rechtsgrundlagen für Werkstätten BAG/WfB, 2001 Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für Behinderte e.V. Diagonal, Monatszeitschrift des BAG/WfB BAG/WfB Januar, 2005 www.WfaA.de 17