Der verweigerte Dialog2

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Nachlese zum Kirchentag Dresden 2011
I. Der verweigerte Dialog
In einer der Veranstaltung zum diesjährigen Kirchentag in Dresden war dem Thema
Hirntod und Organtransplantation
an der Akademie für Palliativmedizin ein ganzer Fachtag gewidmet. Ziel war es dabei unter
anderen, sich über die Argumente pro und contra von Organentnahmen bei „hirntoten“ Patienten auszutauschen; ganz im Sinne des von Karl Popper geforderten „kritischen Dialogs“. Leider hatten aber alle angefragten Transplantationsmediziner ihre Teilnahme abgesagt. Obwohl
dort nun zwar alle zugänglichen Argumente würdigend und wertschätzend vertreten wurden,
kam es dadurch nicht zu dem erwarteten „streitbaren“ Austausch. Ich möchte an dieser Stelle
nur daran erinnern, dass nach Popper die kritische Infragestellung von Hypothesen („Falsifikation“) eine der unbedingten Vorraussetzung wissenschaftlichen Denkens und Argumentierens ist.1
Genau das ist es allerdings, was aussteht. Was fehlt, ist der öffentlich-wirksamen Austausch
von Gründen und Argumenten pro und contra Organspende.
Mein Beitrag an diesem Tag stand unter dem Titel:
„Hirntod und Organtransplantation - Im Spannungsfeld konkurrierender Bedürfnisse“.
Folgende Szenarien hatte ich dabei vor Augen:
1. Manchmal erlebe ich ein „knallhartes“ Aufeinandertreffen von Befürwortern und Gegnern, z.B. auch auf (vergangenen) Kirchentagen.2
„Alle vorwissenschaftliche Erkenntnis, ob tierisch oder menschlich, ist dogmatisch; und mit der Erfindung der
nichtdogmatischen Methode, das heißt, der kritischen Methode, beginnt die Wissenschaft“ Popper in: Wissenschaftslehre in entwicklungstheoretischer und in logischer Sicht
An anderer Stelle: „Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Forscher, dem es gelingt seine eigene Theorie zu falsfizieren, sich immer darüber freuen wird. (…) Wir brauchen in der Wissenschaft eine Art Parteibildung für und
gegen jede Theorie“ a.a.O.
1
2
In seinem Referat, das im Vorfeld des Anhörungsverfahrens über den Entwurf eines Transplantationsgesetzes
im rheinland-pfälzischen Landtag in Mainz im Rahmen der Mainzer Evangelischen Gespräche am 17. März
1993 vorgetragen wurde, erhob der Theologe Hans Grewel 2 folgende Forderungen:2
o
An die Medizin „… insgesamt eine grundlegende Besinnung auf die Grenzen des ärztlichen Heilauftrages.“
o
An die Ärztekammern „…die Beschränkung ihrer Hirntodrichtlinien auf die für die Feststellung der äußersten Behandlungsgrenze bei einem sterbenden Menschen erforderlichen Kriterien. Die Bewertung dieses Befundes als «Tod des Menschen» ist ein unverantwortlicher Übergriff, in dessen Folge am Ende hirntote
Menschen zu allem werden herhalten müssen, was Medizintechnologie möglich macht: als Ersatzteillager
für transplantierfähige Organe, als Gebär-Apparat für Kinder, als Testkörper für pharmazeutische Experimente, womöglich als Übungsfeld für den chirurgischen Nachwuchs.“
o
An die Politiker „…eine klare Parteinahme für das elementare Menschenrecht auf Schutz des Lebens (auch
im Sterben) und eine klare Absage an jede Form eines Transplantationsgesetzes, das Organentnahmen ohne
oder gar gegen die erklärte schriftliche Zustimmung des «Spenders» ermöglichen soll.“
o
An die christlichen Kirchen „…, dass sie die skandalös einseitige und die Problematik verharmlosende
Parteinahme für Organspende als Christenpflicht in der Gemeinsamen Stellungnahme «Organtransplantationen» der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland widerrufen und eine gründlichere Stellungnahme erarbeiten lassen.“
-22. Kaum erlebe ich einen Diskurs, der geprägt ist von Zuhören, gegenseitigen Verstehen und
„gewaltfreien“ Austausch von Argumenten.
3. Deutlich höre ich die Klage über mangelnde Bereitschaft zur Organspende.
4. Oft erlebe ich überforderte Angehörige und auch medizinisches Personal, und zwar dann,
wenn in kurzer Zeit in einer emotional aufgeladenen Situation Entscheidungen getroffen
bzw. herbeigeführt werden sollen.
Ein Fazit der Veranstaltung:
Es gibt neben „guten“ Gründen einer Organentnahme zuzustimmen auch „gute“ Gründe dies
nicht zu tun. Die Abwägung, welche überwiegen, sollte deshalb auch dem Einzelnen überlassen bleiben.
Die Vorraussetzung für solch eine rational abgewogene Entscheidung, wäre allerdings das
Wissen um die verschiedenen Argumente. Dass diese („nicht-manipulativ“) in aller Öffentlichkeit dargestellt und auch öffentlich diskutiert werden, sollte eigentlich in einer sich demokratisch verstehenden Gesellschaft selbstverständlich sein. Auch sonst gilt ja in medizinische
Belangen nur der aufgeklärte Patient als der zustimmungsfähige Patient („informed consent“).
Die allgemeine Werbung für die Organspende bietet nicht wirklich Information. Denn in der
«Aufklärung» der Bevölkerung nimmt die Statistik des Organmangels größeren Raum ein als
die verantwortliche Information über Bedingungen und Problematik der Explantation sowie
des Lebens mit fremden Organen.
Wer informiert über die ungeklärte Problematik des Hirntodes, darüber, dass ein hirntoter
Mensch noch lebt - im Unterschied zu einer Leiche, die zur Obduktion freigegeben wird -,
dass er von Blut durchpulst wird, dass die Beatmungsmaschine erst nach den Explantationen
abgestellt wird, dass in vielen Fällen sogar mehrere Operationsteams nacheinander die für sie
interessanten Organe explantieren? Und auch darüber, wie das Leben der Empfänger mit den
fremden Organen aussieht, gegen die sich ihr Körper ein Leben lang wehrt, wissen die Angehörigen eines Transplantationsopfers in der Regel nichts.
Eine meiner Aufgaben innerhalb der oben erwähnten Veranstaltung auf den Kirchentag war
es, Argumente und Interessen, die vertreten werden zueinander in Beziehung zu setzen.
Dabei ist deutlich: Die Fragwürdigkeit von Organtransplantationen betrifft weniger die Menschen, deren Lebensrettung oder Lebensqualitätsverbesserung durch die Implantation von
Organen eines anderen Menschen bewirkt werden sollen, als vielmehr die Menschen, von
denen die Organe genommen werden.
Bei den Argumenten, die die derzeit geltende Hirntoddefinition und die Organentnahmepraxis
infrage stellen, habe ich mich beispielhaft auf drei international bekannte und anerkannte
Wissenschaftler beschränkt. Und zwar auf: Hans Jonas (Philosoph)3, Klaus- Peter Jörns (Theologe)4 und Linus S. Geisler (Mediziner)5
3
Der vor den Nazis nach England emigrierte Philosoph, der bis zu seinem Tod dann in den USA lehrte ist vor
allen bekannt geworden durch seine „Philosophie der Verantwortung“.
Im September 1968, das war schon ein Monat nach der Hirntoddefinition der Harvard Kommission, veröffentlicht er dazu seine erste Stellungnahme.
4
Klaus-Peter Jörns, geboren 1939 in Stettin. Nach dem Studium der evangelischen Theologie und der Soziologie Pfarrer (1969-1978) und Lehrbeauftragter. 1978 Professor am Theologischen Seminar der Evangelischen
Kirche in Hessen und Nassau, 1981 Professor für Praktische Theologie und Direktor des Instituts für Religionssoziologie der Kirchlichen Hochschule Berlin, seit 1993 der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität
zu Berlin. Mitglied des Ethik-Komitees des Universitäts-Klinikums Rudolf Virchow der FU Berlin.
5
Emeritierter beratender Anästhesist am Addenbrooke Hospital un assoziierter Dozent, Cambridge University,
England
-3Hier die Hauptargumente in einer (sehr kurzen) Übersicht:
1. Ein hirntoter Mensch ist nicht tot – er befindet sich in einem (unumkehrbaren) Sterbeprozess
Die Behauptung, hier würden Verstorbenen Organe entnommen, ist falsch. Das Hirntodkriterium selber macht dies deutlich, indem es das irreversible Erloschensein der gesamten Gehirnfunktion mit der Bedingung verknüpft, dass der gesamte übrige Organismus des Menschen
durch die Beatmungsmaschine am Leben erhalten wird. Gewiss wird ein hirntoter Mensch nie
mehr selbständig leben können. Aber er ist noch nicht zu Ende gestorben, hat sein Sterben
noch nicht vollendet. Insofern markiert der Gehirn«Tod» die Grenze, an der spätestens die
Ärzte einen sterbenden Menschen seinem Sterben, in dem er durch den Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen aufgehalten worden ist, überlassen müssen, weil für weitere Eingriffe in dieses Sterben keine Indikation vorliegt.
„Die Grenzlinie zwischen Leben und Tod ist mit Sicherheit nicht bekannt, und eine Definition kann Wissen nicht ersetzen.“ (Hans Jonas)
Der Hirntod als Todesdefinition ist eine Erfindung der Intensivmedizin. Er galt ursprünglich
als der Zeitpunkt von dem an ein Mensch dem Sterben überlassen werden darf und muss.
Problematik dieser Hirntodkonzeption: Der Tod des Menschen wird an den Anfang des Sterbeprozesses gelegt, er wird manipulierbar. Der ganze Sterbeprozess ist bei der Organentnahme nicht abgeschlossen. Organe werden Sterbenden nicht Toten entnommen. Es kann jedoch
nicht ausgeschlossen werden, dass Sterbende ein Bewusstsein haben.
2. Die seelischen Dimensionen des Sterbens werden außer acht gelassen.
Es wird wenig Rücksicht auf das Erleben des Sterbenden genommen. Die Transplantationspraxis zerreißt die leiblich-seelische Einheit des Menschen, macht die Sterbebegleitung unmöglich und lässt den Sterbenden zu einem Objekt des Organbegehrens werden.
Weil die Empfindungen der Angehörigen von Sterbenden, die zur Organentnahme ausersehen
sind, hinderlich werden können, sollen, so eine Empfehlung, diese Empfindungen möglichst
ganz umgangen werden. Dazu werden sie erst einmal als Ausdruck von Überforderung desavouiert: «Allerdings sind Angehörige i. d. R. psychisch und menschlich überfordert, wenn sie
ausdrücklich die Einwilligung zur Organentnahme für einen plötzlich Verstorbenen (z B Unfallopfer) bei Erhalt der Todesnachricht geben sollen. Daher ist eine gesetzliche Regelung
anzustreben, wonach unter Beachtung des Willens des Verstorbenen die Organentnahme nicht
von der Einwilligung der Angehörigen abhängig ist.» Was das heißt, wenn ein Mensch psychisch und menschlich überfordert ist mit der Forderung nach den Organen sterbender Angehöriger, ob darin nicht vielleicht doch ein zu respektierendes Warnsignal zu sehen ist, wird
gar nicht erst der Diskussion für würdig befunden.6
3. mögliche Erweiterung des „Organbegehrens“
„Wenn der Komatöse gar kein Patient, sondern ein Leichnam ist, dann ist der Weg frei für
andere Verwendungen der Definition … im Prinzip geöffnet und wird in praxi beschritten
werden, … dann sprechen keine logischen Gründe dagegen und starke pragmatische dafür,
die künstliche Durchblutung (Lebenssimulierung) fortzusetzen und den Leib des Verschiedenen zur Verfügung zu halten – als Bank für lebensfrische Organe, möglicherweise auch als
6
Übrigens ist der Grundgedanke eines Widerspruchsmodells von dem utilitaristischen Philosophen Peter Singer
für die Entsorgung der immer zahlreicher und immer älter werdenden alten Menschen vorgeschlagen worden,
von denen er für den Fall wachsender Pflegeabhängigkeit Selbsttötung oder wenigstens die Einwilligung darein
erwartet, von der Gesellschaft getötet zu werden - schmerzlos natürlich. Für den Fall, dass jemand dennoch zu
Ende gepflegt werden wolle, möge er beizeiten eine Widerspruchserklärung verfügen und dokumentieren.
-4Fabrik für Hormone und andere biochemische Substanzen, nach denen Bedarf besteht.“ (Hans
Jonas)
II. Entscheidungen treffen
Die rasante Entwicklung von Wissenschaft und Technik eröffnet uns in den verschiedensten
Bereichen unseres Lebens (Medizin, Raumfahrt, Kommunikation, Handel ...) ständig neue
Möglichkeiten. Gleichzeitig wirft sie damit aber auch eine Unmenge von neuen moralischen
Problemen auf.
Zeitgleich mit dieser Entwicklung sind manche ältere moralische Ordnungen, aufgebaut auf
allgemein anerkannten Glaubensregeln, ins Wanken geraten. Das erschwert es, moralische
Entscheidungen zu treffen. Dazu kommt, dass in den entwickelten Gesellschaften alle Entscheidungen in einem pluralistischen Klima getroffen werden müssen Es scheint, dass im moralischen Klima von heute nie Einigkeit über Richtig und falsch erzielt werden kann.
Nicht selten entarten Auseinandersetzungen über die richtige Entscheidung in gegenseitigen
Verletzungen und Vorwürfen. Statt Klärungen, hinterlassen solche Auseinandersetzungen
dann nur noch größere Unsicherheiten. Wenn viele Diskussionen z.Z. in einem emotional
aufgeheizten und intoleranten Klima geführt werden, so lässt das erkennen, wie erschwert die
gegenwärtigen Umstände sind, unter denen moralische Entscheidungen getroffen werden
müssen. Manche lässt diese Situation verzweifeln, andere suchen nach hilfreicher Unterstützung.
Am ehesten sind Denkanstöße und Unterstützung wohl von der Ethik zu erwarten. Versteht
sie sich doch als Wissenschaft vom moralischen Handeln und fragt unter anderem danach,
wie moralische Entscheidungen zustande kommen. Sie sagt nicht, was das Gute in concreto
ist, sondern wie man dazu kommt, etwas als gut zu beurteilen.
Unser Alltag grundsätzlich lässt sich u.a. auch als eine
dauernde Abfolge von Entscheidungen verstehen. Dabei
sind Entscheidungen zielgerichtete Tätigkeiten, bei denen
aus mehreren Handlungsmöglichkeiten eine Variante
ausgewählt wird. Indem ich nun aber eine Handlungsalternative wähle und verwirkliche, schließe ich andere, die
ich auch hätte wählen können, aus. Und damit enthält
jede Entscheidung auch ein Moment des Verzichts. Ein
Verzicht, der in manchen Fällen zu Unlust führen kann.
Dabei sind Entscheidungen unausweichlich. Auch wenn ich eine Handlung unterlasse habe
ich eine Entscheidung gefällt: Die Entscheidung in dieser Sache nichts zu unternehmen und
den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wer darum auf bewusstes Handeln (Leben) nicht verzichten
will, steht unausweichlich vor der Frage nach dem richtigen Handeln.
(Beispiel:
Restaurant Menü
Situationen 1: Entscheidung zwischen genießbar und ungenießbar - einfach
Situationen 2: Entscheidung zwischen wenig schmackhaft und grässlich
Situationen 3: Entscheidung zwischen verlockend und verlockend - schwer)
Zwischen die Situation, die eine Entscheidung herausfordert und dem Entschluss wird in der
Regel eine Phase der Überlegung, bzw. Besinnung eingeschoben. Es wird nach Kriterien gesucht, die eine Entscheidung erleichtern. In unseren Beispiel: Preis (Wert) / mein Gewicht,
Gesundheit (Folgen) / Lust (Wohlbefinden) / Kellner (Autorität) / Zufall ...
Im vormenschlichen Leben werden Entscheidungen ebenso wie das übrige Verhalten im Wesentlichen durch Instinkte gesteuert. Die Verhaltensforschung (Eibl-Eibisfeld, Konrad Lorenz) macht darauf aufmerksam, dass auch die Instinktausstattung der heute lebenden Men-
-5schen äußerst beachtenswert ist. Allerdings erweist sich das Instinkterbe als einer urtümlichen
Lebensweise angepasst, von der sich der Kulturmensch weit entfernt hat. Unsere biologische
Entwicklung konnte mit der kulturellen Schritt halten.7 So können Handlungen, die aufgrund
solcher Instinktreste erfolgen sich gigantisch übersteigen (Möglichkeiten eines Atomkrieges,
Umweltzerstörung) oder sich als überfordert erweisen hochkomplexe Sozialsysteme zu regulieren.
Wenn es darum geht im Alltag Entscheidungen zu fällen, reicht es in der Regel aus, sich auf
das zu beziehen, was wir mit Intuition oder auch Gefühl umschreiben. Schwieriger ist die
Situation dort, wo es um schwerwiegendere Entscheidungen geht. Also um solche, deren Folgen einen großen Einfluss auf meine Lebensumstände haben. Beispiele: Beruf, Partner, Wohnort ...
Eine sittliche Dimension bekommen Entscheidungen dort, wo die Bedürfnisse und Lebensräume anderer Existenzen (Menschen, belebte und unbelebte Mitwelt) mit berührt werden.
Ein Mensch handelt dann sittlich verantwortlich, wenn er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten bemüht, die für eine Entscheidung relevanten Gesichtspunkte zu finden und wenn er imstande und bereit ist darzulegen, wie und aus welchen Gründen er im Rahmen der objektiven
Vorraussetzungen wichtet.
In der Regel schalten wir in solchen Situationen eine „Bedenkzeit“ ein. Eine Zeit in der wir
auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Methoden die Alternativen unseres
Handelns abwägen.




Vielleicht beraten wir uns mit jemanden, den wir in diesen Fragestellungen für kompetent
erachten. Das kann auch in der Form geschehen, dass wir nachlesen, was andere (für uns
als kompetent erachtete) zu dieser Fragestellung geschrieben oder gesagt haben.
Möglicherweise fragen wir nach den möglichen Folgen.
Oder wir rechnen durch, welche Entscheidung den größeren Nutzen verspricht.
Eventuell gibt es auch einen Moralkodex, den wir als Handlungsorientierung heranziehen.
Den Koran etwa, die Bibel oder das BGB.
In jedem Fall ist die „Bedenkzeit“ vor einer schwerwiegenden Entscheidung eine Zeit dichter
Kommunikation. Wenn nicht äußerer (in dem Sinne, dass ich mich mit anderen berate) dann
doch innerer (in dem Sinne, dass ich denkend mit mir rede).
III. Argumente und Argumentationsstrategien
Um der Gefahr einer Manipulation oder Irreführung zu entgehen, sollten in dieser „Bedenkzeit“ alle (moralischen) Argumente einzeln unterschieden und klassifiziert, sowie auf ihre
Stichhaltigkeit und Wahrhaftigkeit überprüft werden. Nach Hastad/Martens (1966, S.19) ist
„der charakteristische Ort ethischer Argumentation ... das Gespräch (...) unter erwachsenen,
handlungsfähigen, voll verantwortlichen Personen mittleren Alters (...), die die moralische
Erziehung hinter sich haben (...).“ Um argumentieren zu können, sollte man zurechnungsfähig sein und die Fähigkeit besitzen, Verantwortung für seine Handlungen übernehmen zu
können.
Ziele von Argumentationen können sein:
1. Die/den Gesprächspartner von getroffenen sittlichem Urteilen zu überzeugen,
2. In einem Problem, Dilemma, Konflikt gemeinsam zu einem sittlichem Urteil zu finden.
3. Sich beraten zu lassen mit dem Ziel, " sich in im Geflecht der eigenen Motive, Einsichten,
Rationalisierungen und Ängste so zurecht zu finden, dass man zu einer Handlung oder
7
Beispiel: Schreckreaktion (Klumbies, Psychotherapie s.15-16)
-6Unterlassung dergestalt schreiten kann, dass man mit ihr in der Zeit lässt möglichem Einklang steht, auch wenn sie einem partielle weh tut“ (Hasted/Martens 1966, S.21).
Das Ziel ethischer Argumentation ist die Verbesserung von Verantwortlichkeit. Einerseits
bedarf es der persönlichen Betroffenheit, andererseits einer Distanz im rationalistischen Sinne. Je mehr es rational zu einer Aussperrung statt zu einer Integration von Argumenten
kommt, desto mehr besteht die Gefahr der Selbsttäuschung oder Verschleierung der ursprünglicheren Triebkräfte der Argumentation.(Hasted/Martens 1966)
In ihrer Ausgabe vom 6. Juni auf Seite 2 im Artikel „Neuere Vorstoß zur Organspende“ heißt
es in der LVZ: „Alle acht Stunden sterben nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation drei Menschen, weil sie kein Organ bekommen.“
Zu fragen ist (wie bei aller Argumentation) wie stichhaltig und logisch sind die Verknüpfungen, die in dieser Aussage hergestellt werden?
Sterben diese Menschen wirklich, weil sie nicht rechtzeitig ein Ersatzorgan bekommen?
Sterben sie nicht vielleicht deshalb, weil ihr Körper ihnen den Dienst versagt oder weil eine vergiftete
Umwelt sie so schwer geschädigt hat, dass sie nicht weiterleben können?
Lässt sich denn einen Anspruch geltend machen auf die Organe anderer Menschen?
IV. Im Spannungsfeld konkurrierender Bedürfnisse
Sinnvoll und notwendig erscheint es, sich bewusst zu machen, welche unterschiedlichen Ansprüche und Bedürfnisse vorliegen und z.T. miteinander konkurrieren. Das soll im Folgenden
geschehen.
Dabei wird wichtig sein, nicht den einen Bedürfnissen gegenüber den anderen von vorn herein einen höheren Rang zuzuordnen, sondern das entstehende Spannungsfeld als ein Spannungsfeld wahrzunehmen.
In einem nächsten Schritt sollte man dann danach fragen, welche Werte/ sittliche Güter oder
ethische Prinzipien berührt werden um dann in einem dritten Schritt eine persönliche Entscheidung zu fällen.
-75.1. Leidender, der empfängt
In der Regel wird das Schicksal von Organ-Empfänger vorgestellt, deren Lebensqualität sich
durch die Transplantation erheblich verbessert hat.
An dieser Stelle soll es nochmals wiederholt werden: Die Fragwürdigkeit von Organtransplantationen betrifft nicht die Menschen, deren Lebensrettung oder Lebensqualitätsverbesserung durch die Implantation von Organen eines anderen Menschen bewirkt werden soll.
Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass Transplantierte schwerkranke Patienten
mit zum Teil drastischen Einschränkungen ihrer Lebensqualität (und auch Lebenszeit) bleiben. Wenn dies nicht kommuniziert wird, werden Erwartungen und Hoffnungen erweckt, die
so nicht zu erfüllen sind.
Fynn Gabriel Reuther
Empfänger
Joachim Breiter,
Wartelisten-Patient
Isolde Zinkl,
Wartelisten-Patientin
Claudia Kotter,
Empfänger
„Die Entscheidung für eine Organspende ist eine Entscheidung für das Weiterleben
eines Mitmenschen. Sagen Sie Ja zum Leben, sagen Sie Ja zur Organspende!“
Karlheinz Schmid
Empfänger
Angelika Breuer
Empfängerin
Tanja Lutz
Empfängerin
Hannes Camin
Empfänger
-8Jeder transplantierte Patient muss lebenslang Medikamente einnehmen, um das eigene Immunsystem zu unterdrücken (Immunsuppression). Dadurch wird das neue Organ vor der Abstoßung geschützt. Dabei greifen diese Medikamente auf sehr unterschiedliche Weise in das
Immunsystem ein. Sie sind zwar sehr effizient, haben aber auch häufig Nebenwirkungen, die
sich auf die Lebensqualität des Einzelnen auswirken. Da diese Medikamente auch die Abwehr
von Infektionen schwächen, sind die damit behandelten Transplantatempfänger besonders
anfällig für bakterielle, virale (CMV, HSV, HHV 6) und fungale (Aspergillen, Candida) Erkrankungen. Gewisse Krebserkrankungen wie das Kaposi-Sarkom auf der Haut und die Lymphoproliferative Erkrankung nach Transplantation (PTLD) des lymphatischen Systems treten
vermehrt auf.
Der britische Zoologe Sir Brian Medawar beschrieb in den 40er Jahren als erster die immunologischen Grundlagen der Abstoßung fremden Gewebes nach einer Transplantation. 1958
wurde das sogenannte HLA-System (Human Leukocyte Antigen-System) entdeckt. Mit seiner
Hilfe unterscheidet das Immunsystem anhand spezifischer, ererbter Merkmale zwischen
fremdem und eigenem Gewebe. 1962 wurde dann erstmals Gewebe von Spender und Empfänger typisiert. Um die Abstoßungsreaktion nach der Operation zu minimieren, werden Organe nur zwischen Personen transplantiert, die eine möglichst ähnliche Gewebetypisierung
aufweisen. Zunächst versuchten Transplantationsmediziner, die Abstoßungsreaktion nach
einer Transplantation mittels radioaktiver Bestrahlung zu verhindern. Bei den ersten Versuchen starben jedoch viele Patienten, weil die Strahlung den gesamten Körper schädigte.
Erst in den 1960er-Jahren entwickelten amerikanische Wissenschaftler Arzneimittel zur spezifischen Unterdrückung der Immunabwehr (Immunsuppressiva). Davor wurden bei transplantierten Patienten Kortison und Azathioprin eingesetzt.
Gut ein Jahrzehnt später gelang Forschern der Durchbruch, weil sie die immunsuppressive Wirkung eines
Pilzes in Bodenproben aus
Norwegen entdeckten. Allerdings ist eine dauerhafte Immuntoleranz, d. h. die Abwesenheit einer transplantatspezifischen Immunreaktion
ohne dauerhafte Unterdrückung des Immunsystems,
bis heute durch Medikamente
nicht erreichbar.
In einer kollektiven Studie
(Collaborative Transplant
Study) werden die Ergebnisse aus 400 Transplantationszentren in 45 Ländern zur Transplantation von Niere, Herz, Lunge, Leber und Bauchspeicheldrüse zusammengefasst und ständig aktualisiert.
Übrigens können Transplantationen, insbesondere allogene, können schwere psychische Belastungen nach sich ziehen. Infolge dessen entstand eine eigene Richtung der Psychiatrie - die
Organ Transplantation Psychiatry (kurz OTP)8.
8
Anna Bergmann. Der entseelte Patient: Die moderne Medizin und der Tod, ISBN 978-3351025878
-95.2. Verteilendes Transplantationszentrum
Ein Transplantationszentrum ist eine interdisziplinäre Einrichtung zur Übertragung von
Spenderorganen. Es ist entsprechend dem Transplantationsgesetz zugelassen und handelt nach
dessen Vorschriften. Aufgaben der Transplantationszentren sind gemäß § 10 des deutschen
Transplantationsgesetzes:





Führung von Wartelisten
Organübertragung
Dokumentation der Organübertragung
Psychische Betreuung der Patienten im Krankenhaus vor und nach der Organübertragung
Nachbetreuung von Organspendern
Das Interesse, möglichst vielen
Schwerkranken Organe zur Verfügung zu stellen und dies auch zu
können, steht in Spannung zu den
zur Verfügung stehenden Organen.
Dabei haben die verteilenden Zentren allerdings den stärksten Zugang
zu Öffentlichkeit und Gesetzgebung.
Zu fragen ist nun aber auch, inwieweit es für sie eine Aufklärungspflicht gibt und sie dieser nachkommen.
Einwilligung setzt (und so wird es
auch in allen anderen medizinischen Belangen gefordert) Wissen voraus. Deshalb, so ist es
üblich, müssen Patienten über Reichweite und Bedeutung ärztliche Maßnahmen aufgeklärt
werden. Fehlende Einwilligungen haben dabei z.T. weit reichende Konsequenzen.9
Bundesweit zuständig für die Organ-Akquisition und alle Koordinierungsaufgaben, für den gesamten
Organspendeprozess einschließlich Transport ist seit 2000 die Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO, 1984 gegründet).
Organvermittlungszentrale ist die Stiftung Euro-Transplant (ET) in Leiden. Bei ihr wird jeder potenzielle Organempfänger mit allen seinen Daten für den Abgleich mit den Spenderorganen auf einer gemeinsamen Warteliste der ET-Mitgliedsländer geführt, also Deutschland, Beneluxländer, Österreich,
Slowenien, Kroatien.10 Die Arbeit von DSO und ET wird von den Krankenkassen finanziert. Der Spitzenverband der deutschen Krankenkassen (GKV), die deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und
die Bundesärztekammer (BÄK) handeln jedes Jahr die Rückvergütung an DSO11 aus. Im Jahr 2011
war das für jedes vermittelte Organ 8.765 Euro, inklusive der Kosten für die Hirntoddiagnostik.
Weiterhin erhält sie auch eine Registrierungspauschale von 625 Euro für jeden Spender, der auf die
Liste kommt. Für die Berechnung der Pauschalen für 2011 wurden 4.275 transplantierte Organe unterstellt. Das Gesamtbudget der DSO besteht aus den Komponenten Organisationspauschale, Aufwandserstattung für Spenderkrankenhäuser sowie der Finanzierung der Kosten für den Organtransport per
Flugzeug. In der Summe ergibt sich ein Zahlbetrag von 8.765 Euro je transplantiertem Organ, für das
9
abgeleitet aus § 823 Abs.1 1 BGB
10
Euro-Transplant hat 1999 ein Programm aufgelegt für Senioren, nämlich: ,Old for Old', es heißt so, weil
Spender und Empfänger über 65 sein müssen, um daran teilnehmen zu können.
11
,Organisationspauschale'
- 10 kein eigenständiger Flugtransport durchgeführt wurde. Wenn ein eigenständiger Flug durchgeführt
wurde, erhöht sich der Zahlbetrag auf 15.496 Euro je transplantiertem Organ.12
Die DSO hat in vielen Krankenhäusern Koordinatoren, die mit den Angehörigen von hirntoten Patienten zu sprechen, um sie zur Einwilligung in die Organentnahme zu bewegen.
Spenderkliniken, die mit der DSO kooperieren bekommen für ihre Dienstleistungen Anreize in Form
von Vergütungen. Über ein Modulsystem ergeben sich folgende Pauschalen:

Für die Aufrechterhaltung des Kreislaufs etc.1.351 Euro.

Für eine Einorganentnahme: 2.226 Euro (beide Nieren gelten als 1 Organ).

Für Multiorganentnahme: 3.587 Euro.

Abbruch während der Intensivstationsphase wegen Ablehnung: 213 Euro.

Abbruch während der Intensivstationsphase nach Zustimmung: 1.351 Euro.

Der Abbruch im OP: 2.226 Euro.
Die Transplantationen werden, wie alle Krankenhausleistungen, über Fallpauschalen abgerechnet.13
Zu beachten ist weiterhin: Organempfänger benötigen ihr Leben lang (hochpreisige) immunsuppressive Medikamente, damit das fremde Organ nicht abgestoßen wird. Die Transplantationsärzte entscheiden in aller Regel ein für alle Mal, mit welchen Mitteln der Patient von ihnen entlassen wird, welche
er sein ganzes Leben lang nehmen wird.
Es gibt eine Statistik, was der Konsum dieser Mittel kostet, und das liegt bei 1 Milliarde 600 Millionen
im Jahr.
Das ist das eigentliche, das riesige Geschäft, das aus der Transplantationsmedizin gespeist wird. Und
da die immunsuppressiven Mittel starke Nebenwirkungen haben, werden zusätzliche Medikamente
notwendig, oft auch ein weiteres Organ.
12
13
Stand 2011
Pauschalen für 2011 am Beispiel NRW
o eine Transplantation von Leber, Herz, Lunge samt Knochenmark oder Stammzellinfusion und 999
Stunden Beatmung bis zu 215.000 Euro, aufgerundet.
o Eine Lungentransplantation mit Beatmung 140.000 Euro.
o Eine Nierentransplantation mit Komplikationen - postoperatives Versagen - etwa 25.000 Euro.
- 11 5.3. An- und Zugehörige
In der öffentlichen (überwiegend werbenden) Darstellung werden vor allem drei Argumente
vorgebracht.
Sinn
Waltraud Kaspar
Angehörige:
„Durch die Organspende hat
der Tod meines Mannes
wenigstens
noch
einen
Sinn, insofern dass andere
Menschen weiterleben können und das empfinden
meine Kinder und ich als
sehr tröstlich. Es ist fast wie
ein Lebenszeichen meines
Mannes."
Kontinuität
Rolf Lohmann
Angehöriger
„Die
Tatsache,
dass es der Organempfängerin
gut
geht und ein Teil
meiner Schwester
in ihr weiterlebt,
empfinde ich als
großen Trost.“
Solidarität
Olaf Wulfes
Angehöriger
"Vier Tage nach dem Tod
unseres Sohnes kam der
Anruf, dass vier Empfänger fünf Organe erhielten.
Das war für mich ein euphorischer Moment - in
einer traumatischen Situation. … Organe sind das
größte Geschenk, das
man jemandem machen
kann. "
Was allerdings sehr oft vernachlässigt wird:
Während der Verstorbene er für ferner Stehende zum Leichnam geworden ist bleibt er über
seinen (Hirn-) Tod hinaus für die An-Verwanten weiterhin Person.
Die Trauerrituale der Roma zielen darauf ab, der Schmerzbewältigung keine
Grenzen zu setzen. Auf den Verstorbenen abgestimmte musikalische Darbietungen sowie persönliche Gegenstände,
die ins offenen Grab geworfen werden,
schaffen eine zusätzliche emotionelle
Nähe zum Verstorbenen.
… Während der Hausaufbahrung, die
zumindest 24 Stunden dauern soll, darf
der Verstorbene keine Sekunde allein
gelassen werden. In Gegenwart des
Toten darf weder gegessen noch getrunken werden. Männer und Frauen
wechseln sich bei der Totenwache ab.
In Teilen der (kirchlichen)
Bestattungszeremonie wird
der Verstobene als Person
angespochen: „Von Erde
bist DU genommen; zu Erde
wirst DU wieder werden.“
Zwiesprache am
Grab
- 12 Neben den Angehörigen, die Organentnahmen eindeutig befürworten gibt es eine nicht unbedeutende Anzahl, die diese nachträglich doch sehr infrage stellen. Vor allem wird dabei die
fehlende Möglichkeit, die Sterbenden in ihrem Sterbeprozess bis zuletzt zu begleiten bedauert.
Renate Greinert gab ihren 15jährigen Sohn als Organspender frei. Später veröffentlichte sie
die Broschüre Organspender - nie wieder14. Frau Greinert schreibt u. a.: "Ich gab den Kampf
um meinen Sohn auf. Eine ungeheuerliche Situation: Ich wende mich von meinem Kind ab,
das warm ist, lebendig aussieht und behandelt wird wie ein Lebender, weil der Arzt sagt, mein
Kind ist tot." Statt ihrem eigenen Empfinden hatte sie den Ärzten vertraut. Doch ihr Vertrauen
wurde auf eine Probe gestellt: "Und dieses Vertrauen in die Aussagen der Mediziner in der
Frage der Organspende besteht die Probe nicht."
Als sie ihren Sohn vor der Beerdigung noch einmal sieht, erinnert er sie "an ein ausgeschlachtetes Auto, dessen unbrauchbare Teile lieblos auf den Müll geworfen wurden". Die Mediziner
hatten ihrem Sohn Herz, Leber, Nieren und die Augen entnommen, sogar die Beckenkammknochen hatte man aus dem Körper herausgesägt. "Zerlegt in Einzelteile war er dann über
Europa verteilt worden. Er war zum Recyclinggut geworden." Sie spricht mit Eltern, deren
Kinder ebenfalls zu Organspendern gemacht wurden. Und ihre innere Position wandelt sich:
von ihrem Ja, "um noch mehr Tod" zu verhindern, zu einem radikalen Nein und zum Recht
auf ein Sterben in Würde.
Ein Schuldgefühl, zu früh aufgegeben zu haben, macht sich breit, "denn was verlassen wurde,
war ein Lebender, kein Toter". Andere Mütter erzählen ihr von nächtlichen Albträumen, in
denen ihre Kinder schreien und ihnen vorwerfen, sie verlassen zu haben. Und genau das hat
auch sie getan.
Nicht Angehörige waren damals Sterbebegleiter, sondern das Transplantationsteam, das anreist, um sich der Organe zu bemächtigen. Und sie fragt: "Haben unsere Kinder etwas empfunden, als man sie vom Kinn bis zum Schambein aufschnitt, ihre Körperhälften wie eine
Wanne auseinander spreizte, um sie mit eiskalter Perfusionslösung zu füllen?" Die Gewissheit, dass ihr Sohn nicht tot war, sondern erst im Sterben lag, erfüllt sie mit Angst und Entsetzen: "Es ist nicht zum Aushalten. Wir finden keinen Weg aus der Schuld." Die Frau ahnt, dass
die Seele die Schmerzen des furchtbaren Eingriffs empfunden hat.
"Was würde ich tun, wenn einem meiner Kinder mit einer Organspende geholfen werden
könnte?" fragt Frau Greinert an anderer Stelle. "Würde ich dann wenigstens ein Organ von
mir hergeben?" Ihre Antwort lautet immer wieder "nein". "Ich liebe meine Kinder, meine Familie, wie jede Mutter und Frau es tut." Würde eines ihrer Kinder ein Organ brauchen - ihr
fielen sofort die vielen Organempfänger wieder ein, die sie im Laufe der Jahre kennen lernte.
Erschreckend, ein Leben lang mit einem unsichtbaren Band an einen Transplantationsmediziner gekettet zu sein; die vielen Nebenwirkungen durch die Medikamente, die die Abstoßung
verhindern sollen und die noch gesunden Organe schädigen. "Ich fühle mich auch nicht als
Ersatzteillager für meine Kinder: ... Im Extremfall hätte ich eine Niere, ein Stück meiner Leber und vielleicht zwei Hornhäute abzugeben. So verstehe ich aber meine Aufgabe und Pflicht
als Mutter nicht. Immer würde ich sie auf Krankheitswegen begleiten und sie unterstützen, bis
zum Tode." Würde sie nicht wenigstens eine Niere abgeben, da hört man doch viel Positives?
"Nein, auch das nicht, ich halte das Leben eines Dialysepatienten nicht für leicht, aber ich
beneide auch keinen Nierentransplantierten, der voller Pilzinfektionen steckt." 15
14
erhältlich bei der emu-Verlags- und Vertriebs-GmbH, Taununsblick 1a, 56112 Lahnstein
ausführlichere Bericht von Renate Greinert siehe unter
http://www.kirchentag2005.de/presse/dokumente/dateien/P09_1_616.pdf)
15
- 13 5.4. „Spender“
Vergessen wird oft, dass die potentiellen
„Spender“ zum großen Teil erst einmal
„Opfer“ sind. So opfern wir unserer Flexibilität im Straßenverkehr jährlich eine Unmenge von Menschen. Diese „Opfer“ stellen
den größten Teil derer dar, die für die Organspende infrage kommen. Die nächste
Gruppe ist dann die der Suicidanten. Also
derer, die oft an und in dieser Gesellschaft
gescheitert sind für die sie jetzt spenden
„sollen“.
Das Hauptargument gegen eine mögliche Organentnahme ist die, dass diese bei einem Sterbenden
erfolgt. Also einem Menschen, der sich zwar in einem unumkehrbaren Prozess zum endgültigen Tod
befindet aber trotzdem noch lebendig ist.
Für die Transplantation müssen die Organe noch durchblutet sein, damit die Chirurgen sie bei der
Entnahme so präparieren können, dass sie den Weg zum Empfänger überstehen.
Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass „Hirntote“, denen Organe entnommen werden sollen
noch Empfindungen haben können. Warum wohl werden denn sonst dem „Spender“ während der
Organentnahme Schmerzmittel verabreicht?
Dabei ist der Hirntod im Krankenhaus alles andere als wahrscheinlich: Von 900.000 Todesfälle im
Jahr sterben in Deutschland circa 400.000 im Krankenhaus. Davon werden nur 1 Prozent, also 4000
Menschen, überhaupt als hirntot diagnostiziert. Das heißt weniger als 0,5 Prozent aller Todesfälle
kommen überhaupt als Spender in Frage, unabhängig davon, ob sie zu Lebzeiten dafür oder dagegen
waren. Von diesen 4000 wurden 2008 nur knapp 1200 tatsächlich zu Spendern, weil nur bei diesen die
Organe noch in gutem Zustand waren und die Angehörigen der Organentnahme zugestimmt haben.
Über die Bedingungen und Konsequenten, aber auch mögliche Gegenargumente für Eingriffe wie sie
z.B. auch Organentnahmen darstellen, ist der Patient bzw. sind die Angehörigen aufzuklären. Wenig
konkret fassten das einige Juristen und Ärzte kürzlich zusammen: „Dabei obliegt es einzig Arzt und
Patienten, im Rahmen des Wollens und der Möglichkeiten vorzugeben, was, wie viel und auf welche
Art etwas gesagt wird … solange die übliche Information, die Minimalstandards abdeckt, vermittelt
wird.“16
Auf einen anderen Aspekt weist das Gegen-Hartz-Forum hin indem es sich auf ein Interview mit dem
Professor für Volkswirtschafts an der Universität Bayreuth, Peter Oberender im “DeutschlandRadio
Kultur bezieht. Prof. Oberender: „Wenn jemand existenziell bedroht ist, weil er nicht genug Geld hat,
um den Lebensunterhalt seiner Familie zu finanzieren, muss er meiner Meinung nach die Möglichkeit
zu einem geregelten Verkauf von Organen haben.“
5.5. Handelndes Ärzte- und Pflegeteam
In erster Linie kann man davon ausgehen,
das sich alle bei Organentnahme und
Transplantation beteiligten dem Leben
verpflichtet fühlen (in dubio pro vita).
Grundlage ihrer Entscheidungsfindungen
und ihres medizinischen Tuns ist der ärztliche bzw. medizinische Heilungsauftrag.
Dieser kann folgendermaßen beschrieben
16
Gerald Giebel et al., Das Aufklärungsgespräch zwischen Wollen, Können und Müssen, NJW 2001, 386
- 14 werden:
•
•
•
•
•
•
„Beneficience“ (zum Wohl des Kranken handeln)
„Non-maleficience“ (keinen Schaden verursachen,
„Justice“ (Gerechtigkeit walten lassen)
„Autonomy“ (den Willen des Kranken respektieren).
„Dignitiy“ (die Würde des Kranken beachten)
„Care“ (Fürsorge dem Kranken gegenüber).
Wenn der Hirntod eines Menschen festgestellt wird, dann wird ein Mensch, der gerade noch Patient war, in einen Verstorbenen, verwandelt. Gerade noch hatte der Verstorbene seinen Namen,
seine Angehörigen, seine Lebens- und Sterbegeschichte. Wenn dieser verstorbene Spender
dann in eine Leiche verwandelt wird, geschieht
dadurch, dass alles abgeblendet wird, was diesen
Menschen zur Persönlichkeit gemacht hat.
Diese Verfahrensweise ist notwendig, um selbst
gesund zu bleiben und ist so im Anatomiekurs
bei der ersten Leichenöffnung den Medizinstudenten beigebracht worden.
In der Regel löst diese Arbeit keine Trauer aus,
wohl aber bedeutet sie eine Begegnung mit Toten und mit dem Tod. Nach den immer noch
geltenden Ausbildungsparadigmen der Medizin
ist die Begegnung mit dem Tod und deren Verarbeitung reine Privatangelegenheit derer, die die
Medizin erlernen wollen.
Bei allen „Abspalten“, so die Erfahrung17 bleibt der Eingriff in den „Spender“ ein hochemotionales Ereignis.
Exkurs: Die (mögliche) Überbewertung von menschlichen Organen und Körperteilen
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass mit der Verwendung von menschlichen Organen und Körperteilen immer schon große Hoffnungen und Erwartungen
an Heilungsprozesse verbunden waren. Natürlich ist
das historische Material fragmentarisch und lückenhaft. Wir können allerdings trotzdem mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass der menschliche Körper und seine Teile immer schon bis weit in unsere
17
Untersuchungen aus den USA (Penney 1980, Penney 1987) zeigen, dass bei Studenten löst innerhalb
des Anatomiekurses (erste Leichenöffnung) eine Fülle von psychischen und physischen Reaktionen
ausgelöst werden:
- Angst (bei 75%) bis Horrorvorstellungen (bei 11%),
- Ekel bis Abscheu,
- Übelkeit, Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, Albträume,
- bei 40% tieferes Nachdenken über das menschliche Leben,
- bei 80% wurden Gedanken über Tod, Trauer und Sterben ausgelöst,
67% haben ihre Einstellung während des Kurses verändert: Sie würden sich z.B. selbst nicht als
Spender zur Verfügung stellen,
- 64% der Studenten fanden, dass sie emotional nicht genügend auf diese Erfahrung vorbereitet worden seien.
- 15 Vorgeschichte hinein als „Rohstoff“ genutzt wurde.
Die ausführlichsten Nachweise bestehen für die Gewinnung und die Verwendung von Menschenfett zu medizinischen Zwecken. Ganz selbstverständlich wurde zwischen dem 15. und
frühen 18. Jahrhundert durch Auskochen von Leichen gewonnenes Fett als Mittel zur Wundversorgung genutzt.18
Dieses Fett wurde in den Apotheken damals auch als „Armsünderschmalz“ bezeichnet, weil
es von Hingerichteten stammte.19
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts belieferte der Münchner Scharfrichter die
städtischen Hebammen mit „claine Stuckl Menschenheuttl“. Solch ein Stück
Menschenhaut auf den Körper von Schwangeren gelegt, wurde als Geburtshilfsmittel benutzt.
Bekannt ist auch, dass europäische Apotheken ab dem 15. Jahrhundert ihren
Kunden „mumia“, das Fleisch ägyptischer Mumien als hochgeschätzten und
seht teuren Bestandteil von Medikamenten an boten.
In medizinischen Standardwerken des 16. und 17. Jahrhunderts erscheint
menschliches Fett ebenso wie Haut, Hirn, Herz und Knochenmark.20
Ab dem 18. Jahrhundert waren es dann nicht mehr nur Leichen von Hingerichteten, die verwertet wurden, sondern auch die der mittellosen Armen, die
in den Hospitalen starben.
Eine lange Tradition hat auch die Verwendung von Reliquien nicht nur
zur Verehrung sondern auch zu medizinischen Zwecken. Vor allem im
Mittelalter wurden ihnen viele Wunder (miracula) zugesprochen. Die
großen Erwartungen, die den heilenden Wirkungen zugeschrieben wurden lösten damals eine allgemeine Suche nach Reliquien von Heiligen,
insbesondere solchen von Märtyrern, aus. Dabei schreckte man auch vor
Entwendungen der heiligen Leichname (corpora sanctorum) nicht zurück.21
Was auffällt ist, dass über Kultur- und Zeitgrenzen hinweg menschlichen Organen und Körperteilen Wirkungen zugesprochen worden sind,
die weit über alles Erfahr- und Nachweisbare hinaus gegangen sind. Könnte sich dieser Mythos vielleicht auch in anderem Gewand erhalten haben?
Transplantationsversuche
Schon im Mittelalter versuchten Ärzte, bei Menschen mit Verunstaltungen Haut zu transplantieren.
Erfolgreich war das damals aber nicht. Im Jahr 1883 verpflanzten Mediziner Schilddrüsengewebe, um
Menschen mit einer Schilddrüsenmangelerkrankung zu therapieren. Im frühen 20. Jahrhundert war die
Organtransplantation schließlich als Therapiemöglichkeit anerkannt. Mediziner begannen mit der Erforschung der Nierentransplantation.
Tierorgane im Test
Ein erster Schritt war, Organe von Tieren auf Menschen zu übertragen. Dies glückte allerdings nicht,
die Gründe dafür lagen damals noch im Dunkeln. Vorreiter bei der Aufklärung der Ursachen war der
amerikanische Chirurg Alexis Carrel. Eine Gewebeverpflanzung innerhalb eines Individuums funktioAndreas Vesalius: „De humani coporis fabrica“ 1543
Der Nürnberger Rat erlaubte etwa 1580 dem Scharfrichter Franz Schmidt, „den enthaupteten cörper zu schneiden, und ime zu seiner arznei dienstlich zu nehmen“
20
Jütte, „Menschliche Gewebe und Organe“
21
Beschrieben z. B. in dem von Einhard verfassten Translationsbericht über die Überführung der Heiligen
Marcellinus und Petrus von Rom nach Michelstadt-Steinbach
18
19
- 16 nierte, so stellte er bei seinen Versuchen fest. Der Transfer eines Organs zwischen zwei Individuen
scheiterte dagegen - das Organ wurde abgestoßen. Diese Reaktion ließ sich zunächst nicht in den Griff
kriegen, und die Organtransplantation wurde auf Eis gelegt.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erforschten Wissenschaftler die Transplantation weiter. In den USA
wurden Anfang der 50er Jahre eine Reihe menschlicher Nieren verpflanzt. Mensch und Transplantat
überlebten die Transplantation aber nur wenige Tage.
Erste Erfolge
Im Jahr 1954 wurde in den USA die erste Niere bei eineiigen Zwillingen erfolgreich transplantiert. Die
Gewebeeigenschaften haben hier die größtmögliche Ähnlichkeit. Der Mann mit der neuen Niere lebte
noch achte Jahre nach der Transplantation und erlag dann einem Herzinfarkt.
1963 wurden die erste Leber und die erste Lunge erfolgreich transplantiert. Zwei Jahre später verpflanzen Mediziner die erste Bauchspeicheldrüse.
Weltweit Furore machte die erste Herztransplantation 1967, die der Herzchirurg Christiaan Barnard in
Südafrika durchführte - der Patient überlebt 18 Tage.
- 17 -
Religiöse Positionen zur Organentnahme
Christentum
Die christlichen Kirchen haben zur Organspende positiv Stellung genommen und sagen: Organspende
ist ein Akt der Nächstenliebe, der jedem Christen gut zu Gesicht steht. Sich zu Lebzeiten für die Organspende bereit zu erklären und als Angehöriger der Organentnahme zuzustimmen, bewerten die
christlichen Kirchen als moralisch verantwortliches Handeln. Es gibt allerdings auch eine Reihe renommierter Theologen22, die die Organentnahme bei Sterbenden kritisch sehen und eine Überarbeitung der Stellungnahme der Kirchen fordern. 23
Islam
Da es im Islam verschiedene Glaubensrichtungen gibt, herrscht kein einheitliches Meinungsbild zum
Thema. Traditionell geprägte islamische Würdenträger sind noch heute gegen die postmortale Organspende, da der Körper Allah gehöre und ihrer Auffassung nach nicht verletzt werden dürfe. Der moderne Islam dagegen erlaubt die Organspende und sieht sie als Zeichen der Nächstenliebe, sofern die
Organspende die einzig lebensrettende Maßnahme für den Empfänger bedeutet. Die religiösen Gesetzestexte von verschiedenen islamischen Ländern verlangen wie im deutschen Transplantationsgesetz
den festgestellten Tod und die Zustimmung des Spenders oder der Angehörigen. Auch der Zentralrat
der Muslime in Deutschland hat 1997 zur Organspende Stellung genommen. Demnach ist die Organspende für in Deutschland lebende Muslime mit dem islamischen Prinzip vereinbar. Allerdings gilt
dabei einschränkend:
22
Z.B. die evanglischen Theologen Klaus-Peter Jörns und Hans Grewe sowie katholische Ärzte, Philosophen
und Theologen wie J. A. Armour, Arzt, University of Montreal – Hospital of the Sacred Heart, Montreal,
Quebec, Fabian Bruskewitz, Bischof von Lincoln, Nebraska, Paul A. Byrne, ehemaliger Präsident der „Catholic Medical Association", USA, Pilar Mercado Calva, Professor, Medizinische Fakultät, Anahuac University, Mexiko, Cicero G. Coimbra, Professor für Klinische Neurologie, Federal University, Sao Paolo, Brasilien,
William F. Colliton, emerit. Professor für Geburtshilfe u. Gynäkologie, George Washington University, Medizin. Fakultät, Virginia, Joseph C. Evers, assoziierter Professor für Kinderheilkunde, Georgetown University,
Medizinische Fakultät, Washington, DC, David Hill, emeritierter beratender Anästhesist am Addenbrooke Hospital, und assoziierter Dozent, Cambridge University, England, Ruth Oliver, Psychiaterin, Kingston, Ontario,
Michael Potts, Direktor der Abteilung Religion und Philosophie, Methodist Colleg, Fayetteville, North Carolina, Josef Seifert, Professor für Philosophie an der Internationalen Akademie für Philosophie in Vaduz, Liechtenstein; Ehrenmitglied der Medizinischen Fakultät der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago, Chile, Robert Spaemann, emeritierter Professor der Philosophie an der Universität München, Deutschland,
Robert F. Vasa, Bischof der Diözese Baker, Oregon, Yoshio Watanabe, beratender Kardiologe, Nagoya Tokushukai General Hospital, Japan, Mercedes Arzú Wilson, Präsidentin der „Family of the Americas Foundation" und der „Weltorganisation für die Familie"
23
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So forderte z.B. Hans Grewe schon vor Jahren:
von der Medizin insgesamt eine grundlegende Besinnung auf die Grenzen des ärztlichen Heilauftrages ;
von den Ärztekammern die Beschränkung ihrer Hirntodrichtlinien auf die für die Feststellung der äußersten
Behandlungsgrenze bei einem sterbenden Menschen erforderlichen Kriterien. Die Bewertung dieses Befundes als «Tod des Menschen» ist ein unverantwortlicher Übergriff, in dessen Folge am Ende hirntote Menschen zu allem werden herhalten müssen, was Medizintechnologie möglich macht: als Ersatzteillager für
transplantierfähige Organe, als Gebär-Apparat für Kinder, als Testkörper für pharmazeutische Experimente,
womöglich als Übungsfeld für den chirurgischen Nachwuchs;
von den Politikern eine klare Parteinahme für das elementare Menschenrecht auf Schutz des Lebens (auch
im Sterben) und eine klare Absage an jede Form eines Transplantationsgesetzes, das Organentnahmen ohne
oder gar gegen die erklärte schriftliche Zustimmung des «Spenders» ermöglichen soll;
von den christlichen Kirchen, dass sie die skandalös einseitige und die Problematik verharmlosende Parteinahme für Organspende als Christenpflicht in der Gemeinsamen Stellungnahme «Organtransplantationen»
der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland widerrufen und eine gründlichere Stellungnahme erarbeiten lassen.
- 18 Organe dürfen Muslimen sowohl von Muslimen wie auch von Nichtmuslimen eingepflanzt werden.
Nicht jedoch dürfen Muslime Nichtmuslimen Organe spenden.
Judentum
Hier kommt es drauf an, ob es sich um liberale oder orthodoxe Juden handelt. Liberale Juden bewerten
das Leben höher als die Unversehrtheit des Leichnams. Die Orthodoxen legen dagegen Wert auf einen
heilen Leichnam. Ende der 80er Jahre gab es eine Änderung in der Lehrmeinung in Bezug auf das
Hirntodkriterium. Gemäß der Halacha war bis dahin das Hirntodkriterium zur Feststellung des Todes
nicht ausreichend, denn ein Mensch gilt demnach erst als tot, wenn Atmung und Herzschlag ausgesetzt
haben. Zwar ist eines der wichtigsten Gebote des Judentums, Leben zu retten, doch nicht auf Kosten
eines anderen. Seit Israels Chefrabbinat die postmortale Organspende Ende der 80er Jahre akzeptiert
hat, sind Juden sogar durch ein religiöses Gebot dazu aufgerufen, ihre Organe zu spenden. Selbst einige ultraorthodoxe Juden tolerieren seitdem die Organtransplantation. Auch die Lebendspende, die
Blut-, Haut- oder Knochenmarksspende, ist akzeptiert, da dadurch Leben gerettet werden kann.
Buddhismus
Der Buddhismus betrachtet den menschlichen Körper als unzertrennbare Einheit aus Körper und Seele. Diese Einheit wird durch den Todesprozess aufgehoben. Gemäß dem buddhistischen Glauben dauert der Todesprozess allerdings länger als äußerlich sichtbar. Vor allem die tibetisch-buddhistischen
Anhänger stehen deshalb der Organspende kritisch gegenüber. Der Tod als prozesshafter Vorgang
steht im Widerspruch zu einem festgestellten Todeszeitpunkt bei der Hirntoddiagnostik. Dennoch ist
Lebendspende und postmortale Spende von Organen erlaubt. Denn zu den Grundsätzen des Buddhismus und zu den Voraussetzungen zur Erlangung des Nirwana gehören Mitgefühl, Geben, Teilen und
Solidarität. Betont wird dabei, dass der Mensch sich nicht mit seinem Körper identifizieren und sich
nicht an ihn klammern soll.
Hinduismus
Die Seele des Verstorbenen wird in einem anderen Lebewesen wiedergeboren. Obwohl im Hinduismus Körper und Seele klar getrennt wahrgenommen werden, herrscht die Meinung vor, dass der
Leichnam unversehrt bleiben muss. Andererseits gibt es eine große Tradition, Leidenden zu helfen. Es
gibt aber keine religiösen Bestimmungen zur Organspende. Generell ist dies eine individuelle Entscheidung.
Schintoismus
Der Schintoismus und sein zentraler Wert, die Reinheit, prägen die ethische Identität der Japaner. Organentnahmen bei Verstorbenen werden abgelehnt, da sie als Schändung des Leichnams gelten. Nur
ein unversehrter Leichnam ermöglicht die Wiedergeburt der Seele. Darüber hinaus glauben die Japaner, würde die Zustimmung zur Organentnahme der Familie Unglück bringen. Obwohl ein toter Körper Inbegriff der Unreinheit ist und schnell „entsorgt“ werden muss, wird der Geist des Toten durch
die Ahnenverehrung vergöttlicht. Bezweifelt wird außerdem, dass der Hirntod der tatsächliche Tod des
Menschen sei, da nur der Ausfall der Gehirnfunktionen gemessen werde.
Konfuzianismus
Im Konfuzianismus, der chinesischen Staatsreligion, steht die gesellschaftliche Bedeutung eines Menschen im Vordergrund. Wenn das Leben eines Menschen seine jeweilige existenzielle Bedeutung für
die Gesellschaft verliert, verliert auch der Mensch an Bedeutung. Der Nutzen einer medizinischen
Behandlung für den Einzelnen wird mit dem Nutzen für die Gemeinschaft abgewogen. Die Bereitschaft zur Organspende ist jedoch gering. Denn nach dem Tod ist die Unversehrtheit des Leichnams
anzustreben, damit er als „Ganzes“ in der Verbrennung dem Himmel übergeben werden kann. Nur bei
demjenigen, dessen Verbrechen auch durch den Tod nicht gesühnt werden können, werden Organe
entnommen.
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