„NAUJASIS TILŽĖS KELEIVIS“ ALS FOLGE DES DEUTSCH

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Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Teil I. DEUTSCHER LEXIKALISCHER LEHNEINFLUSS IM „NAUJASIS TILŽĖS
KELEIVIS“ ALS FOLGE DES DEUTSCH-LITAUISCHEN SPRACHKONTAKTES IN
OSTPREUSSEN
Beim
Erschließen
des
lexikalischen
Lehneinflusses
bezüglich
seiner
Nominationsbesonderheiten im NTK gelten zwei Fragen als grundlegend: Welche
lexikalischen Elemente in der Zeitung belegen dieses Phänomen? Welche Gesetzmäßigkeiten
haben es gesteuert (gehindert bzw. gefördert)? Demzufolge wird im theoretischen Teil die
Analyse der historischen, soziopragmatischen und linguistischen Tatbestände unternommen,
die erschließt, wie sehr der Lehnwortschatz einer Sprache von der außersprachlichen
Wirklichkeit bestimmt wird.
1. Quellenbedingte Aspekte des deutschen lexikalischen Lehneinflusses im NTK
1.1. Kultur- und sprachpflegerische Vorhaben der Zeitung
Die Zeitung „NAUJASIS TILŽĖS
KELEIVIS“
(1924-1940) gilt als die letzte litauische
periodische Druckschrift in Ostpreußen. Sie wurde im Verlag „Lituania“ 2mal wöchentlich im
Umfang von 4 Seiten herausgegeben27. Fast vollständig (fehlen ca.12% der herausgegebenen
Zeitungsnummern) ist sie heutzutage in der litauischen Nationalbibliothek Mažvydas
vorhanden, in einigen anderen Kreis- bzw. Universitätsbibiblioteken Litauens ist diese
Druckschrift aber mit viel größeren Mängeln zu finden (s. KS 1993: 555f).
Obwohl es keine auflagestarke Zeitung war (1925 wurden bis zu 644 Exemplare
abonniert, 1932 nur 325 (KAUNAS 1996: 548)), hatte sie eine große Bedeutung für den Verlag
‚Lituania’ selbst, der durch diese Zeitung kulturelle und kommerzielle Kontakte mit der
preußisch-litauischen Sprachgemeinschaft pflegte.
Der NTK beabsichtigte vor allem über politisches, soziales und kulturelles Leben zu
informieren:
...apraßo trumpai wisus politißkus Atsitikimus, talpina graǮius Apraßymus ir Nu∫idawimus,
Eiles ir Eilēraßcзius, praneßa iß mu∫u Kraßto ir iß Karaliaucзiaus ir Berlyno wi∫us Turgus,
∫kelbia Piewu Par∫amdymus, pa∫ergēs kiekwieną ∫awo Skaitytoją, kad jis neturētų tokių ir
panaßių Ißkadų, praneß Mokējimo Termynus Financamto (1924-2-1) 28.
Die periodischen Rubriken29 (auch wenn die Überschriften mit den Jahren einander
ersetzten) berichteten über Politik (Naujauſios Ǯínios, Wiſokios Ǯínios, Iß wiſo Swieto, Trumpai
naujauſios Ǯínios, Politikos ApǮwalga, Wisokiu Naujienu ApǮwalga, Puſę Nedēlēs ApǮwalga,
Politißkos Ǯínutēs), Regionales (Iß mu∫u Kraßto, Naujienos iß Pruſų Lietuwos, Iß Klaipēdos
27
Es gab nur eine längere Unterbrechungen der Herausgabe (von Mitte Februar bis Mitte April 1936). Auch im Jahre 1930 von
Nummer 19 bis 90 sank ihr Umfang aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten des Verlegers auf 2 Seiten.
28 [NTK]... beschreibt kurz alle politischen Geschehnisse, nimmt schöne Beschreibungen und Ereignisse, Verse und Gedichte
auf, kündet alle Märkte in unserem Kreis, in Berlin und Königsberg an, zeigt Wiesenpächten an, sorgt für jeden Leser, damit
er keine Verluste hätte, teilt Termine des Finanzamtes mit (Werbung 1924)
29 Die Rubriken sowie die anderen Überschriften der Artikel werden im Anhang bei den Belegen angeführt.
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Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Kraßto ir Lietuwos, Iß Lietuvos, Kas naujo Lietuwoje?, Iß MaǮosios Lietuvos, Naujienos iß
Pamario, Iß Sziaurnemunio krašto, Iß Pietnemunio Krašto, Waldißki Praneßimai),
Wirtschaftlich-Praktisches (Gaſpadoryſtēs ApǮwalga, Turgai, Mu∫u Ga∫padoriams, Ukißkos
Ǯínios),
Kulturelles (Moterų Kampelis, Jaunimo Kampelis), Religiöses (BaǮnytißkos Ǯínos),
Wetter (Koks bus Oras?), Unterhaltsames (Apie Sweikata, Naudingi Pamokinimai, Sзis bei tas,
Margumynai, Paſijůk, Jůkai, Ar Ǯínai, kad). Dort wurden auch Werbeanzeigen abgedruckt
(Wiſokie Garſinimai, Sзeimynißkos Ǯínios), über die kulturellen Geschehnisse anonciert und
manchmal auch Dialog mit den Lesern über die landeskundlichen Themen geführt (Nauj.
TilǮēs Keleivis kalba ſu Skaitytojais).
Andererseits wurden im NTK direkt auch die sprachpflegerischen Absichten30
deklariert. Vermutlich stand die Zeitung ganz stark in der kulturpflegerischen Tradition des
Verlages ‚Lituania’ und seines Besitzers ENZYS JAGOMAST. ENZYS JAGOMAST galt als Verleger
von litauischen Schriften in Ostpreußen, die sowohl für Preußisch-Litauen, als auch für Litauen
bestimmt waren, er zeichnete sich durch aktive Mitwirkung im kulturellen Leben PreußischLitauens aus. Seine seltenen Artikel, eigentlich Anregungen zur kulturellen Aktivität oder
Dialog mit den Lesern im NTK, werden mit E.J.unterzeichnet. Neben der oft betonten
Tatsache, dass diese Zeitung die einzige ist, die noch im verständlichen Preußisch-Litauischen
schreibt, werden die landeskundlichen Tätigkeiten gefördert: der Verleger regt an,
altertümliche Wörter zu fixieren (1927-17-Pr, Dēl Ǯemaitißkų ǮodǮių „Keleiwyje“ E. J.),
litauischen Lesesaal in Tilsit zu besuchen (1936-73-1, Lankykime lietuwißką Skaityklą!, 193710-3, Atidaryta “Wok. Lietuwių Suſiwienyjimo Skaitykla”), genauso vermittelt er aktuelle
Nachrichten über deutsch-litauische Wörterbücher, z.B. über litauisch-deutsches Wörterbuch
von A. KURSCHAT31. In der Zeitung wird die Frage behandelt, ob man die sprachpflegerische
Tätigkeit treiben soll (Ar welytina Pruſų Lietuwiams ſawo kalbą pratobulinti, walyti nů
Wokißkumų bei Slawißkumų? (1929-9-2).
Es ist anzunehmen, dass der Verleger die Abdrücke von schöngeistiger Literatur der
litauischen Schriftsteller (z.B., MAIRONIS, P. CVIRKA, ŠATRIJOS RAGANA) im NTK initiert hat.
Genauso wurde durch die Artikel aus der litauischen Zeitung ‚TRIMITAS‘ das PreußischLitauische von der litauischen Allgemein- und Fachsprache gespeist.
Maßgeblichen Beitrag zur kulturpflegerischen Tätigkeit durch ihre Artikel haben auch
andere Autoren geleistet, die bekannte Persönlichkeiten im kulturellen Leben PreußischIm NTK gibt es ständig Anregungen die Zeitung zu abonnieren, ‚kad jis ir toliau gywůtų ir Lietuwiams jų Kalboje ir
Dwasioje tarnautų‘ (“damit sie weiter lebe und den Litauern in ihrer Sprache und ihrem Geist diene”) (1930-24-1), die
einzige litauische Zeitschrift nicht zu vergessen, die für die Erhaltung der Muttersprache sorgt (1939-72-2).
31 Prof. (Aleksandras – d.Verf.) Kurßatis, kurſai yra Brolwaikis Lietuwininkams paǮįſtamojo Kunigo Kurßacзio ir ſenojo
Keleiwio Ißleidējo, ir dar ßiandien gywai intereſůjaſi Lietuwių Kalbos Reikalais. Jis paraßē naują Lietuwių-Wokiecзių Kalbos
Ǯodyną, kurſai dar nēra ißleiſtas (1937-81-3,Iß muſų Kraßto). Das Wörterbuch dient in dieser Forschung als lexikographischce
Quelle von deutschem Lehngut.
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Litauens waren. Einige Jahre war ANNA MECKLENBURGER-VILMANTIENĖ für die Schriftleitung
der Zeitung verantwortlich, die zur Mitarbeiterin des Lituanistischen Institutes für PreußischLitauen ausgewählt wurde (von ihrer Hand stammende Zeitungsartikel wurden mit
O.Wilmantiene unterschrieben). In der Zeitung wirkte Schriftsteller und Philosoph VYDŪNAS
mit, der periodisch die Identitätsfragen32 der Preußisch-Litauer behandelte und seine Artikel
mit Wydunas, Wyd., Wd., Vîdûnas unterschrieb. (Sein Buch “SIEBEN HUNDERT JAHRE
DEUTSCH-LITAUISCHER
BEZIEHUNGEN” gab auch derselbe Verlag 1932 heraus). ENZYS
JAGOMAST hat nicht nur formal seine Familie in die Herausgabe der Zeitung miteinbezogen:
die Artikel unter dem Pseudonym –O-, -tė sind von seiner Tochter ONA JAGOMASTAITĖ
verfasst, deren landeskundliche Studie über Preußisch-Litauen ‚Lituania‘ herausgab. Von der
kulturpflegerischen Tätigkeit zeugen auch die nicht periodischen Beilagen der Zeitung, z.B.
MITTEILUNGEN DER PREUSSIſCHEN LITAUER, PRUſŲ LIETUWININKŲ DRAUGAS, PRUſŲ LIETUWIŲ
JAUNIMAS. Die Anstöße zu Kulturpflege sollte es schon von der Seite Litauens gegeben haben,
weil nach KAUNAS (1996: 548) die Herausgabe der Zeitung von der litauischen Regierung
mitfinanziert wurde.
Der Frage von der Wahrnehmung der entlehnten Bezeichnungseinheiten nachzugehen
helfen die Tendenzen zum Erhalt des Preußisch-Litauischen im NTK. Vor allem wird dort das
Verhältnis zur Muttersprache bezüglich einigen Schwerpunkten aufgedeckt.
1. Die Muttersprache wird als Teil der Identität hervorgehoben, wovon die Anregung
das Preußisch-Litauische als Muttersprache offiziel während der Volksaufzählung zu
deklarieren zeugt. Dabei besteht die Loyalität dem preußischen Staat immer noch fest:
Mes Prūſų Lietuwininkai niekad nebuwome ir dabar neeſame nei jokie Walſtybēs Prießininkai!
Mūſų wienintelis Rūpeſtis tēra tikrai ißlaikyti ir brangint mūſų ſenąją lietuwißką Kalbą ir
Kultūrą! (1938-94-1, Nereikia bijoti lietuwißką Laikraßtį ſkaityti!)33.
2. Es wird versucht das komplizierte Verhältnis mit Litauern nördlich des
Memelstromes zu verbessern und die negativen Einstellungen zur schemaitischen Sprache zu
neutralisieren. Dazu tragen sachliche Erläuterungen bei, dass das Preußisch-Litauische
historisch mit dem Schemaitischen zusammenhängt:
tai nebuwo ſwetimi ǮodǮei, kuriůs muſų Tēwų Tēwai yra wartoję, tiktai mes eſame jůs uǮſimirßę!
(1927-17-Pr, Dēl Ǯemaitißkų ǮodǮių „Keleiwyje“E. J.)34.
3. Es wird empfohlen, an die litauische Standardsprache näher zu kommen, indem mit
neuen Entsprechungen des Standardlitauischen bekannt gemacht wird:
z.B., wurden 1924 seine Artikeln auf Deutsch und Litauisch abgedruckt, z.B.: Nr. 1 Tėviškės žemė/Heimaterde, Nr. 2
Tikrasis lietuvių gymis/Das wahre litauische Gesicht, Nr. 8 Klaipėdos krašto bažnyčia/Die Kirche im Memelgebiet, Nr. 21
Vokiečiai ir Lietuviai/Deutsche und Litauer, Nr.37 Lūkesčiai/Erwartungen, Nr. 43 Kaip mums pasielgt reikėtų/Wie wir uns
verhalten sollten.
33 Wir Preußisch-Litauer waren nie und sind auch jetzt keine Gegner des Staates. Unsere einzige Sorge ist unsere alte
litauische Sprache und Kultur zu erhalten und zu hegen
34 das waren keine fremden Wörter, sondern von unseren Eltern verwendet, wir aber haben sie vergessen
32
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Prūſų Lietuwoje Ǯmonēs menkai tepaǮįſta naujowißkų lietuwißkų ǮodǮių, wartojamų Lietuwoje
ir ßiaip Raßliawos (Literatūros) Kalboje. Kas nenorētų būti Atſilikēlis, turētų ků daugiau tokių
naujowißkų ǮodǮių paſimokinti. Sзtai keleta tokių ǮodǮių pirmam Kartui: Sąſkaita – tas, kas
ſuſkaityta, t. y. Rokundas, wok. Rechnung, Paſkaita – Praneßimas, wok. Vorleſung, Vortrag,
UǮdawinys – UǮdawimas, wok. Aufgabe, Tikſlas – Mieris, wok. Зiel, Sutartis – kas ſutarta, t. y.
Derējimas, wokißkai: Vertrag, Sawaitē – Nedēlē, wok. Woche, Karůmenē - Waiſkas, wok. das
Heer (1936-16-3 Jaunimo Kampelis) 35.
Mit den neuen litauischen Termini kam man direkt in Berührung durch die Vermittlung
von politischen und kulturellen Nachrichten aus Litauen.
Die ostpreußischen Behörden versuchten aber diese kultur- und sprachpflegerische
Tätigkeit der Zeitung zu unterdrücken: JAGOMAST, wie auch VYDŪNAS, waren von der
deutschen Regierung verfolgt. Der NTK sollte in den 1920er und 1930er Jahren einen
Abwehrkampf führen, den Intrigen der deutschen Zeitungen (besonders der örtlichen „TILSITER
ALLGEMEINE ZEITUNG”36) und der aktiven Tätigkeit des deutschen Memelbundes (die aktivste
Abteilung wurde in Tilsit eingesetzt) widerstehen. Nach 1933 verfolgten die Nazis ständig den
Verlag und den NTK, bis 1940 der Verlag geschlossen und die Herausgabe der Zeitung
abgebrochen wurde, 1941 wurde JAGOMAST mit der Familie verhaftet und erschossen.
Dabei wären noch einige Überlegungen zu den Vorgängern der Zeitung anzuführen,
obwohl die Zusammenhänge mit dem ‚KELEIVIS‘(1849-1880) von F. KURSCHAT nur imaginär
sind. Den ‚KELEIVIS‘ von F. KURSCHAT kaufte EINARAS und erneute seine Herausgabe erst
1883, in dieser Zwischenzeit (April 1880 bis Mai 1883) verlegte er ‚NAUJASIS KELEIVIS‘. Seit
dem Jahre 1883 unternahm die Redaktion von ‚KELEIVIS‘ J.F.KELKIS, der im denselben Jahr
ihn in ‚TILŽĖS KELEIVIS‘ umbenannt, aber die Nummerierung fortsetzend 2-3 mal wöchentlich
bis zum Jahre 1924 herausgab. Eindeutig ist, dass NTK statt ‚TILŽĖS
KELEIVIS‘
gegründet
wurde (TAMOŠIŪNAS 1991: 181, 325, 353, 531; KS 1993: 555; URBONAS 1995: 20) vgl.: Mete
1924 Wietoje ſuſtojuſio Rehlenderio “Keleiwio”, TilǮēs Lietuwiai pradējo leiſti NTK (1932-973). Im
LKŽ werden allen obengenannten Zeitungen unter der Abkürzung
Kel
zusammengefasst, was auch von ihrem historischen Zusammenhang zeugt.
1.2. Pragmatische Aspekte: Subjektivität und Interaktionsstrategie der Autoren
Durch Darstellung von wirklichkeitsbezogenen Sachverhalten gelangten in den NTK
neben den schon im Preußisch-Litauischen transferierten deutschen Entlehnungen die
interferierten Bezeichnungen von turbulenten Änderungen der Epoche. Bei der Analyse des
35
Die Leute in Preußisch-Litauen kennen nur wenige neue litauische Wörter, die in Litauen und allgemein im Geschriebenen
verwendet werden. Wer aber kein Außenseiter werden will, der sollte möglichst viele solche Wörter lernen. Hier einige davon:
Sąſkaita - das, was zusammengerechnet ist, deutsch: Rechnung, Paſkaita- deutsch: Vorlesung, Uždawinys - deutsch: Aufgabe,
Tikſlas - deutsch: Ziel, Sutartis – was abgemacht ist, deutsch: Vertrag, Sawaitē – Woche, Heer – deutsch Heer (1936-16-3)
36 Schon seit langem ist der Redakteuer der “TILSITER ALLGEMEINEN ZEITUNG”
FRITZ KARL ESCHMANN durch seine
Feindschaft bekannt (VYDŪNAS 2001: 523) “... der Wunsch von Litauern, ihre Lage offen zu diskutieren, wird immer
beschimpft. Z. B. im Artikel „Was soll das bedeuten?“ von 16.02.1928 steht: “In der letzten Zeit begannen die litauischen
Fanatiker in Tilsit wieder gegen die preußische Regierung zu werben“ (VYDŪNAS 2001: 510-511) “Tilsiter Allgemeine
Zeitung” verfasste seit der Mitte der 20er Jahre Artikel, deren Hauptgedanke war, dass man die Kulturtätigkeit der Litauer
schon lange als staatsfeindliche verbieten sollte.
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lexikalischen Lehneinflusses im Text sind die quellenbedingte subjektive Aspekte nicht
auszuschließen, die grundsätzlich die Aufnahme von Lehnelementen und ihre Verankerung
steuern.
1. Subjektivität bei der Aufnahme. Obwohl die sprachpflegerischen Vorhaben der
Zeitung eindeutig sind, wird bei der Untersuchung auch GROSSES (2002: 257) Hinweis in Acht
genommen, dass die Zeitung doch eine mosaikartige Gemeinschaftsarbeit der Autoren ist,
wobei die Gefahr der subjektiven Spracherscheinungen entsteht.
Da die Zeitung bei den eingebürgerten Entlehnungen als sekundärer Verwendungstext
zu verstehen ist, sollen hier bestimmte Begrenzungen eingeführt werden, z. B. hinsichtlich der
Verwendungsursachen37, die häufig auch personenbezogen sind. ALMINAUSKIS (1935: 14)
bemerkt, dass die Zeitungsschreiber am Anfang des 20. Jhs. im Preußisch-Litauischen ganz oft
zu deutschem Wort greifen, wenn ihnen das litauische nicht mehr einfällt: armekoras
‚Armeechor“, haubitsas ‚Haubitze‘. Nach PALIONIS (1995: 175) gab es aufgrund der
Subjektivität von F. KURSCHAT in seiner Zeitung „KELEIVIS“ (bis 1880) „entbehrliche
Entlehnungen“ festungas ‚Festung‘, kurbas ‚Korb‘. RANGE (1994: 214) legt Beispiele vor, wie
individuell bei der Einführung der christlichen Terminologie in den baltischen Sprachen
vorgegangen wurde: für Luthers Schöpfer (lat. Creator) wurde in den altpreußischen
Katechismen kein Nomen agentis gebildet, sondern Schöpfer wurde durch einen Relativsatz
wiedergegeben. Bei den NTK-Texten geht man davon aus, dass ein Teil der Transferenzen
schon Bestandteil des Preußisch-Litauischen waren (nicht nur deutsche Intereuropeme wie
bulius ‚Bulle’, runkelis ‚Runkel’, sondern auch Regionalismen (briunas ‚braun’, rotas ‚Rat’,
šėpis ‚Schiff’), die sich im Sprachgebrauch durch Ableitungen und Lehnbildungen
eingebürgert haben und später als Grundwörter in amtsprachlichen Ausdrücken wiederbelebt
wurden,
z.B.
giriktas,
giriktė
‚Gericht‘:
Amtsgeriktė
‚Amtsgericht‘,
Erbhofgeriktė
‚Erbhofgericht‘.
Besonders bei unter Bedingungen der Zweisprachigkeit stattfindenden Entlehnung sind
solche Fälle der subjektiven Verwendung von Interferenzen zu vermuten, z. B. besonders im
Falle der von Kontext bedingten Erläuterung der litauischen Neuwörter, wie das häufig in
abgedruckten aus den Litauen stammenden Texten geschieht. So wurde die individuelle
Verwendung (z.B. wenn die neue Entlehnung nur einmal vorkommt) als Sonderfall behandelt,
der nichts über seine tatsächliche Verwendungsfrequenz besagt.
2. Interaktionsstrategie der Autoren. Der NTK erweist sich als mehr oder weniger
absichtliches korpusplanerisches Instrument des Lehngutes. Die sprachplanerischen Aktivitäten
37
Schon JONIKAS (1986: 397) hat bemerkt, dass die Charakteristik und das Maßstab des deutschen Einflusses auch von
Funktion der Schrift abhängen. Am größten war der deutsche Einfluss in der Publizistik, in der Zeitungssprache, in
Übersetzungen mit spezialisierter Terminologie und in Schriften, die für Kultur- und Zivilisationssphäre bestimmt waren.
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im Falle des Preußisch-Litauischen bewegten sich schon immer primär im Rahmen der
Korpusplanung (Diskussionen über das preußische Schriftbild, die Wahrnehmung der
Fremdwörter, z.B im NTK wurden flüchtige Bekanntmachung mit korrekten Entsprechungen
aus der lit. Schriftsprache angeführt, s.). Die Mehrheit der Aktivitäten ging traditionell auf die
Initiative einzelner Personen(gruppen) zurück, die fester Überzeugung waren, ihre Sprache
gelte es zu erhalten (s. Artikel von VYDŪNAS, O. JAGOMASTAITĖ u. A.). Nach
VAICEKAUSKIENĖ (2004: 72) gilt in der sprachwissenschaftlichen Literatur natürlich die
Statusplanung als wichtiger, d. h. die Frage nach den Sprachdomänen und nicht die
Normierung der einzelnen Lehnelemente. Die Sprache bleibt erhalten, indem man sie
verwendet und nicht indem man sie reinigt.
Die Interaktionsstrategie ist im NTK für Entlehnungen beider Ebenen kennzeichnend,
auch wenn in unterschiedlicher Qualität. Dabei erscheint der Terminus Entsprechung38
(Ersatzwort/Äquivalent) von Bedeutung, weil die in Texten vorkommenden Paralellformen
überwiegend auf Slavismen, Äquivalenten aus dem Standardlitauischen (Neuwörter und
Kanonwörter) oder preußisch-litauische Regionalismen stützen bzw. auf den anderen
Entlehnungsformen basieren.
Die deutschen Transferenzen hatten im Sprachgebrauch ihren Eingliederungsprozess
meist schon hinter sich, aber die Interaktionsstrategie in der Zeitung ist als Ausdruck der
Überprüfung ihrer soziolinguistischen Integration zu verstehen. Bei den alten Entlehnungen
wird dadurch das Verhältnis zum Standardlitauischen (Brangwynas (Degtinė) bzw. Slavischen
(Brangwynas (Wodka), Fanė, Flaga (Karūna) hergestellt.
Bei den Neuwörtern geht es hauptsächlich um das Ringen der Entlehnungsformen bei
ihrer Einführung („Eintopfgericht“ – wienpuodißkas Walgis). Solche Tatsachen unterstützen
das Vorhaben dieser Untersuchung auch die Interaktionsstrategien der Autoren in die Analyse
des empirischen Teils einzubeziehen, die entweder den Entlehnungsprozess der neuen
Elemente darstellen oder die sprachpflegerische Tätigkeit bei den alten Entlehnungen
aufschließen (s.S..
2. Historischer Überblick über den deutschen lexikalischen Lehneinfluss auf das
Preußisch-Litauische
Der deutsche lexikalische Lehneinfluss reicht selbst im Preußisch-Litauischen
varietätenspezifisch von deutschen Siedeldialekten bis zum Hochdeutschen, wobei diese
Sprachvarietäten im unterschiedlichen Umfang als Entlehnungsquellen gelten. Im vorliegenden
38
Seit der Entstehung der ersten litauischen Schriften kann man zwei hauptsächliche Quellen für die Entstehung von
Äquivalenten erwähnen: die Benutzung den lexikalisches Fonds der lebendigen Sprache und Entwurf von neuen Wörtern. Die
Entstehung von Dubletten kann man kaum mit dem Wunsch, besser verstanden zu werden verbinden, häufig sind das
subjektive Faktoren (GIRČIENĖ 2003a: 393-394).
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Abschnitt werden onomasiologische Gliederung, diatopische Besonderheiten der Entlehnungen
sowie ihr Eingang in den Sprachgebrauch behandelt. Wichtig scheint dabei die
Repräsentativität der ausgewählten Referenzwörterbücher (K, KŽ, Alm) zu erschließen.
2.1. Wege der Transferenzen in den NTK
Bei den Transferenzen wird sehr allgemein als Entlehnungsquelle (als Mundart
verstandene gesprochene Sprache in ihrer spezifischen regionalen Ausprägung) das in ehem.
Preußisch-Litauen
hauptsächlich
verbreitete
lokale
Dialekt
Niederpreußisch
(auch:
Ostpreußisch) verstanden, zu ihm fungiert das Niederdeutsche39 als Oberbegriff. Die
preußisch-litauischen Mundarten mögen als litauische Vermittlungsvarietäten für die
volkssprachlichen Entlehnungen gelten, genauso wie die späteren schriftlichen Quellen des
Preußisch-Litauischen. Natürlich werden dazu auch aus geschriebenen deutschen Texten
(Zeitungen, Büchern) stammende Transferenzen zugeordnet, die die ehem. deutsche
Schriftsprache vertreten, welche das Niederpreußische aus den Schriften jagend den Weg der
deutschen Hochsprache bereitete. Diese Periode erstreckt sich von den Anfängen des
Lehneinflusses bis zum Anfang des 20.Jhs.
Bei ihrer Charakteristik ist die diatopische Gliederung vorzunehmen (direkte vs.
indirekte Entlehnungen (TESCH 1978: 62)) mit der Herausarbeitung der Übernahmenwege
(schriftliche vs. mündliche (PALIONIS 1999: 204)). Die volkssprachlichen Entlehnungsformen
(diese Bezeichnung lässt sich in hohem Maße mit dem Begriff der mündlichen Entlehnung
gleichzusetzen, aber schließt auch den Begriff der schriftlichen Entlehnung nicht aus) umfassen
alltägliche Bereiche des Wortschatzes. In den schriftlichen Quellen aber vermischen sich je
nach Absicht des Verfassers die beiden Formen (mündliche und schriftliche). Bei der
Darstellung der preußisch-litauischen Vermittlungsvarietäten wird auch behandelt, inwieweit
die sprachpflegerischen Tendenzen zum Gebrauch der Entlehnungen und Verteilung der
Entlehnungsformen eingesetzt wurden.
Gelegentlich wird auch der diachrone Wandel (vgl. DROTVINAS 1986: 126, PALIONIS
1999: 216) dargestellt: Öfters kommt es zu Konkurrenzen zwischen den aus verschiedenen
Kontaktvarietäten40 übernommenen Elementen, die durch die Neuwörter verdrängt werden und
zu Archaismen oder Historismen geworden sind.
39
Niederdeutsch (auch Plattdeutsch) ist eine Bezeichnung für die Gesamtheit aller von der zweiten Lautverschiebung
unberührt gebliebenen norddeutschen Dialekte. Der östliche Dialektverband des Niederdeutschen zerfällt in folgende Dialekte:
Mecklenburgisch-Vorpommersch, Branderburgisch, Ostpommersch, Niederpreußisch, sowie das in den baltischen Gebieten
bis zum Schreib- und Sprechsprachwechsel anzutreffende Niederdeutsch. Das sind Siedeldialekte, die erst im Zuge der
deutschen Ostkolonisation des 12. und des 13. Jhs. auf slawischen und baltischen Substraten entstanden sind (BUSSMANN 2002,
RÖSLER 2003: 2700). Heute ist Niederdeutsch eine Sammelbezeichnung für norddeutsche Dialekte (HARTUNG 1997: 1756)
40 So z.B. zwischen niederdeutscher und hochdeutscher Form des Lehnwortes für ,Meister’ unterscheidet man älteres pr.-lit.
Mistras (möglicherweise mit polnischem Einfluss), jüngeres pr.-lit. Meisteris.
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2.1.1. Aus deutschen Siedeldialekten entlehnte Allgemeinlexik und ihre preußischlitauische Vermittlung
Diatopische Gliederung. Für die volkssprachlichen Entlehnungen aus preußischen
Siedeldialekten gelten seit dem Anfang des 13. Jhs. als primäre Verwendungsquelle die
litauischen Dialekte Ostpreußens. Neben den überwiegend aus dem Niederdeutschen
stammenden Entlehnungen (piningas ‚Geldstück‘, amatas ‚Handwerk‘, stinta ‚Stint‘, balkis
‚Balken‘, jėgėrė ‚Jäger‘, pandyti ‚pfänden‘, die man nach ALMINAUSKIS (1935: 12-13) im
großen und ganzen an 50 zusammenzählen kann, stammen einige auch aus hochdeutschen
Dialekten (kunigas ‚Pfarrer‘, mučė ‚Mütze‘ (ČEPIENĖ 1998b: 96, 2000:
463)). Bei der
Übersetzung von (religiösen) Schriften gelangten alte Entlehnungen wie psalteras ‚Psalter‘ ins
Preußisch-Litauische.
Aber bei den alten Wortentlehnungen sind solche Fälle nicht selten, dass die Lexeme
durch den Sprachkontakt mit dem Polnischen (und allgemein mit dem Slavischen) zu
„mehrfachen Etymologien“ führen können und nur noch als indirekte deutsche Entlehnungen
bezeichnen lassen. Solche Formen der Lehnwörter stimmen in ihrer Bedeutung überein, in der
Ausdrucksform weichen sie oft nur wenig voneinander ab (z.B. lota/lotas ‚Lotte, Holzstange‘:
lotà < poln.lata, latas ‚Latte‘< ostpr. lat, lot, lett.luote < mnd.lôt) und der Nachweis, aus
welcher Sprache konkret entlehnt wurde, ist nicht immer zu führen. Zu solchen
problematischen Wortentlehnungen werden mūras ‚Mauer’, tricas ‚Trize’ (ALMINAUSKIS 1935:
13), stelvoga/števoga ‚Stellwagen’ (HINDERLING/HASSELBLATT 2004: 3274) zugeordnet.
Bei Untersuchung von konkreten Schriftquellen sind autorengebundene Tatbestände
vorzulegen. Z.B. ČEPIENĖ (1998a: 31-32) bemerkt bei der Untersuchung der Schriften von
MIKALOJUS DAUKŠA, dass gruntas ‚Grund’, jarmarkas ‚Jahrmarkt’, laterna ‚Laterne’, šturmas
‚Sturm’ von vielen Sprachforschern für über slavische Völker übernommenes Lehngut
gehalten werden (tatsächlich konnten sie wegen der Übersetzungen aus dem Polnischen
gelangen), in der Untersuchung von BRETKES Bibelübersetzung (1998b: 91-96) ist sie der
Ansicht, dass z.B. gruntas ohne Vermittlung der slavischen Sprachen gelangen könnte
(vermutlich wurden bei dieser Übersetzung deutsche Ausgangsquellen benutzt).
Wenn aber allgemeiner vom Preußisch-Litauischen die Rede ist, sollen bei
Problemfällen die Formenanalyse vollzogen und die geographische Verbreitung beachtet
werden.
Bei deutschem Lehngut im Preußisch-Litauischen ist es anzunehmen, dass ein Großteil
direkt aus dem Niederdeutschen (Ostpreußischen) übernommen wurde, wie das ALMINAUSKIS
anhand des Wörterbuches von PRELLWITZ anführt und auch andere Autoren (FRAENKEL,
URBUTIS) bestätigen. Ins Lettische kamen diese Vokalbeln (paralell) durch das Baltendeutsche,
28
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
so sind sie auch in Nordlitauen belegt, z.B. rapsas ‚Raps‘, budelis ‚Buddel‘, plosteris
‚Pflaster‘, rungas ‚Wagenrunge‘, kėdelis ‚Kittel‘. Nach ČEPIENĖ (2000b: 37) sind einige von
entlehnten alten deutschen Bezeichnungen für Haushaltsgegenstände für das Litauische,
Lettische und Estnische gemeinsam (dekis, kurbas), so sind sie über das Deutsche gekommene
Intereuropäismen (Kulturwörter).
Wenn die deutschen Entlehnungen aber über das Slavische gekommen sind, so gelten
sie als Slavismen (z.B. kloßtorius, kamara, buda) und sind häufig auf dem ganzen Territorium
Litauens belegt. Es lässt sich eine Reihe von späteren Lehnwörtern anführen, wobei die
Formen deutlichere Unterschiede weisen: vanė (d.)/vana (p.) „Wanne‘, modė (d.)/moda (p.)
‚Mode‘, cinas (d.)/cina (p.) ‚Zinn‘, cypresas (d.)/ciprisas (p.) ‚Zypresse‘, bumbūlė
(d.)/bawelna (p.) ‚Baumwolle‘, ingweris (d.)/imbieras (p.) ‚Ingwer‘, majestėtas (d.)/majestotas
(d.) ‚Majestät, pabrikė (d.)/ fabrika (p.) ‚Fabrik‘.
Onomasiologische Verteilung. Zum ausgehenden Mittelalter sind viele deutsche
Siedler nachzuweisen, deswegen ist es sehr natürlich, dass solche Wortentlehnungen das
alltägliche Leben darstellen: Haushaltsgegenstände (kurbas ‚Korb’<ostpr. korb, korv, dekis
‚die Decke‘< ostpr. dęk), Kleidung (kedelis ‚Frauenkittel‘< ostpr. kêdel, ceikis ‚Zeug‘< ostpr.
zeik), Gebäude und Gebäudeteile (staldas ‚Stall‘< mnd. stall, stuba ‚Stube‘< ahd. stuba),
Baumaterial (balkis ‚Balken, Sparren‘<mnd. balke, planka ‚Planke‘< ostpr. planke),
Verwaltungswortschatz (vaktmistras ‚Wachtmeister‘< ostpr.wachmêster), Essen (šmanta
‚Sahne, Schmand‘< ostpr. šmant,
plume/pliume Pflaume‘
< ostpr.plume).
Solche
substantivische Entlehnungen decken einige Aspekte der osteuropäischen Sozialgeschichte auf
(ČEPIENĖ 1993, KARALIŪNAS 1997: 350, vgl. im Polnischen WIKTOROWICZ 2002: 337, 1997:
159841).
Eingang in den Sprachgebrauch. In der Volkssprache der Preußisch-Litauer wurden
solche klare und bequeme Bezeichnungen aus deutschen Mundarten verwendet, obwohl es
auch indigene Bezeichnungen (Entsprechungen) dafür gab: kragas – indas, kurbas - pintinė
(KARALIŪNAS 1997: 350). Es wäre möglich, solche alten Entlehnungen bereits als Bestandteil
des preußisch-litauischen Dialekts im 20.Jh. anzusehen (SCHILLER 1999: 226), viele solche
Entlehnungen sind in den dialektologischen Forschungen der westlitauischen Mundarten des
20 Jhs. fixiert. Aus dem gesprochenen Preußisch-Litauischen (in manchen Fällen auch direkt)
gelang das deutsche Lehngut in die geschriebene Variante (religiöse Schriften, Wörterbücher,
später auch in die Pressesprache).
41
Hier folgt chronologische Abweichung, die meisten auf Handel, Handwerk, Bauwesen, Verwaltung, Militärwesen und
Seefahrt bezogenen deutschen Entlehnungen im Polnischen stammen aus der frühneuhochdeutschen und neuhochdeutschen
Zeit.
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Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
In der Tat stehen im NTK Wortentlehnungen volkssprachlichen Ursprungs, die in den
Schriften des 16.-17. Jhs. verwendet wurden, z.B. stunda ‚Stunde‘, stukis ‚Stück‘ (vgl. ČEPIENĖ
1998a, 1998b, 2000b).
Wahrnehmung der Entlehnungen in der preußisch-litauischen Schriftsprache. Die
allgemeine litauische Schriftsprache Ostpreußens befestigte sich auf der Grundlage des
westaukschtaitischen Dialektes und wurde von DANIEL KLEIN in seinen Grammatiken von
1653 und 1654 kodifiziert (RIMŠA 1972: 75, PALIONIS 1995: 39). Die sprachpflegerischen
Ideen hinsichtlich der Entlehnungen in Preußisch-Litauen wurden nur in bescheidenem Maße
in die Sprachpraxis umgesetzt. Im 18. Jh. verbreiteten sich die Ideen der Reinigung und der
breiteren Verwendung des Preußisch-Litauischen neben den Reinigungsideen der deutschen
Sprache. MICHAEL MÖRLINS Traktat „BEDENCKEN ÜBER DAS PRINCIPIUM PRIMARIUM IN LINGVA
LITHVANICA“
(1706) war ein Projekt42 zur Reformierung der Volkssprachen (GIRČIENĖ 2003a:
397, dazu auch: ALEKNAVIČIENĖ/SCHILLER 2002: 91-97, PALIONIS 1995: 125). Dieses Traktat
veranlasste philologische Diskussionen zur Sprachreinigung, z.B. MÖRLIN sah kein
Kompromiss zur Verwendung von Wörtern nichtlitauischer Herkunft, PERKUHN warf ihm die
umschreibende Übersetzung vor (ALEKNAVIČIENĖ/SCHILLER 2003: 36-47). MÖRLINS Ideen
hinsichtlich der Entlehnung wurden hauptsächlich von JOHANNES SCHULZE, PHILIPP RUHIG,
LUDWIG RHESA fortgesetzt. Aber in den Schriften herrschte die Unsicherheit bei der
Verwendung von Entlehnungen.
Im 16.-17. Jh. verwendeten die Textverfasser für denselben Begriff an einer Stelle die
deutsche Entlehnung, an einer anderen schon die litauische Entsprechung (PALIONIS 1995: 8488). Nicht alle Textverfasser hatten ausreichende linguistische Kenntnisse: z.B. L.RHESA
schlug vor, manche deutsche Entlehnungen durch Wörter slavischer Herkunft zu ersetzen
(JONIKAS 1987: 402, GIRČIENĖ 2003a: 393). Deutsche Entlehnungen waren bei manchen
Autoren schon Bestandteil der Sprache und wurden in Wörterbüchern nicht irgendwie
markiert, z.B. P.RUHIG betrachtete sie als einheimische Wörter und gab keine
Randbemerkungen dazu (GIRČIENĖ 2003a: 398). Als die litauische Schriftsprache in
Ostpreußen seit Mitte des 19. Jhs. wegen der äußerst restriktiven sprachpolitischen Gesetze
einem starken Assimilationseinfluss des Deutschen ausgesetzt wurde und stufenweise
zurückzugehen begann, vermieden nur bestimmte Einzelgänger in ihren Schriften die
deutschen Entlehnungen, z.B. L.RHESA empfahl cuktūžė ‚Zuchthaus‘, jėgėrė ‚Jäger‘, bekeris
42
Das Traktat forderte, Polonismen und Germanismen zu vermeiden (alles, was deutsch ist soll man nicht verwenden, wenn
man dafür andere Redensart finden kann) und der Volkssprache nicht so viel zu vertrauen, weil sie durch Germanismen
vedorben ist. Die unverständlichen Begriffe sollen Umschreibungen erhalten, keine engen Dialektismen dürfen verwendet
verwenden. Das Ziel der Schriftsprache sei es, die erfolgreiche Kommunikation zu gewährleisten (JONIKAS 1986: 391-395).
30
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
‚Bäcker‘, gruntas ‚Grundlage‘, skūnė ‚Scheune‘ durch apkalimas, medėjas, kepėjas, tvirtumas,
kluonas zu ersetzen (PALIONIS 1995: 174).
Die Grammatiken und Wörterbücher in Ostpreußen konnten wegen der nicht
ausgebauten Lesefähigkleit der Preußisch-Litauer nicht praktisch zur Sprachpflege dienen. Als
vorteilhaft erweist sich nur die Tatsache, dass der Gebrauch der Schriftsprache in Ostpreußen
durch die Grammatiken und Wörterbücher im 18. Jh. standartisiert wurde (PALIONIS 1995:
169). Die lexikographische Arbeit in Ostpreußen wurde von Wörtebüchern des 18. Jhs.
ausgehend (F.W.HAACK, P. RUHIG, CH.H. MIELCKE) ausgehend auch in der zweiten Hälfte des
19. Jhs. fortgesetzt43.
Es ist hervorzuheben, dass die Zahl und varietätenspezifische Markierung (Aufnahme)
von deutschen Entlehnungen in Schriften und Wörterbüchern sehr autorengebunden ist. In
Katechismus von MASVIDIUS (1547) gibt es nur 15 Germanismen (5 davon sind die
Familiennamen, vgl. URBAS 1996). Die meisten deutschen Entlehnungen dieser Etappe sind im
deutsch-litauischen Wörterbuch von FRIEDRICH KURSCHAT und im Wörterbuch von
ALEXANDER KURSCHAT44 zu treffen (vgl. ALMINAUSKIS 1935: 14, ČEPIENĖ 2000a: 463). Die
Verfasser von Wörterbüchern sind immer der Überlegung ausgesetzt, welche Vorlagen sie
benutzen werden45, wie sie das Schriftliche vom Mündlichen, das Bekannte vom Unbekannten
trennen werden und geographische Differenzierung vollziehen. Z.B. Bei F. KURSCHAT werden
neben der rein linguistischen Information (Angabe der Betonung) auch die lexikalischen
Beziehungen ersichtlich: eingebürgerte volkssprachliche Entlehnungen werden in Gruppen
dargestellt (z.B. akselis), Konfixe erläutert (z.B. draug-), die Bemerkungen über die
Formenveränderung angeführt (z.B. kurfürstas statt kurpirštas) und diachronische Ersetzungen
im Wortschatz dargelegt (z.B. afikotas, jetzt Rechtsanwalt).
Das Germanismenverzeichnis von ALMINAUSKIS lässt behaupten, dass im NTK die
Formenvielfalt des volkssprachlichen Lehngutes nicht erreicht wird, z. B. ‚Schürze‘: *šarcas,
šurcas < ostpr. šart, šorts; šiuršė, šiuršis‘ < ostpr. šorz, šerts; * šiurštas < ostpr. šoršt, šęršt‘;
žiurštas, ziurštas < ostpr. šoršt, šęršt; *žiurštokas < ostpr.šorštuch‘. Auch die synonymischen
Bezeichnungen der Entlehnungen waren im Gesprochenen viel ausgebauter: valcas-blukis,
Das Wörterbuch von Kurschat („Wörterbuch der littauischen Sprache: Deutsch-littauisches Wörterbuch I Teil 1870, II Teil
1874, Littauisch-deutsches Wörterbuch 1883) enthält viel litauischer Lexik, die in Umgebungen von Tilsit und Ragnit
gesammelt wurde. Die unklaren Wörter stehen dort in Klammern, man unterscheidet die authentischen Wörter, die „nicht
völlig bekannte Wörter“ werden in eckige Klammern gesetzt, das hatte auch durch die Verwendung in den für Großlitauen
bestimmten Zeitungen „AUŠRA“ und „VARPAS“ praktische Bedeutung (PALIONIS 1995: 195-198)
44 Im Vorwort dieses schon um 1930 von A. Kurschat zusammengestellten Lexikons wird behauptet, dass es „die litauische
Sprache der Vergangenheit und der Gegenwart – interpretiert durch das Deutsche – vereint. (...) Außer der örtlichen wird nach
Möglichkeit auch die zeitliche Festlegung gegeben“. Bestimmende Merkmale des Lexikons sind die Angabe der Betonung,
Dokumentation eines wesentlichen Teils des Vokabulars, Hinweise auf Sprachverwandschaft, Aufnahme von botanischen und
zoologischen Namen.
45 Friedrich KURSCHAT (1883: X): Nesselmann nahm in sein Wörterbuch teils ganz, teils halb litauische Wörter auf. ... ich
beschloss, in mein Wörtebuch hauptsächlich nur mein rein Preussisches Litauisch aufzunehmen, den übrigen Nesselmanschen
teils unsicheren teils falschen Vorrat aber gänzlich fallen zu lassen.
43
31
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
bruišė-brantūzė, šiktūzė-kaliūzė, žekė-štrėplė, cimtas-kanėlas, kurbas-kiocas. In Einzelfällen
werden bei Alminauskis die Veränderungen der Laute/Aussprache vorgelegt (bosas, perkšmas,
akselis) und Wortgeschichte beschrieben (kunigas).
2.1.2. Das Lehngut der neuhochdeutschen Periode und seine preußisch-litauische
Vermittlung
Das Ausmaß an Entlehnungen der neuhochdeutschen Periode im 18-19. Jh. wurde
durch Veränderungen der natürlichen, politischen und sozialen Wirklichkeit hervorgerufen. Im
17.-18.
Jh.
sanken
die
Gebrauchssphären
des
Niederdeutschen
bis
zur
Haushaltskommunikation, Anfang des 17. Jhs. war auch die niederdeutsche Schreibsprache
verdrängt worden. Während der ganzen neuhochdeutschen Periode wird an der Normierung der
Sprache gearbeitet, aber erst um 1900 wird eine Einheitlichkeit erreicht. Zum Ende der Periode
lassen sich Merkmale der grundlegenden Tatbestände sehen: JACOB GRIMM argumentiert in
seiner Einleitung zum deutschen Wörterbuch gegen die Frakturschrift46 und die
Großschreibung der Substantive47.
Die diatopische Gliederung erhält andere Maßstäbe: die deutschen Entlehnungen
mögen größtenteils aus anderen Kultursprachen stammen oder selbst die internationale
Anwendung finden. Die neuen Entlehnungen (z. B. im Verkehrswesen Chaufeur, Monteur,
Bezeichnungen für Kolonialwaren sind auch selber Entlehnungen im Deutschen, wurden in
vielen europäischen Sprachen übernommen und können als Internationalismen eingestuft
werden. (vgl. KUKONNEN (1980: 97) hält in Ostsee-finnischen Dialekten solche Gegenstände
des Alltagsgebrauchs wie Schokolade eine Art Internationalismus).
Die Zahl der über das Deutsche vermittelten Internationalismen im PreußischLitauischen hat zugenommen, weil im 17.-18. Jh. selbst das Deutsche einem massiven Einfluss
von anderen Sprachen ausgesetzt wurde. Nachdem die niederdeutsche Hanse ihre
Vormachtstellung im Handel verloren hatte, übernahm man Entlehnungen niederländischer
Herkunft (šleuzė ‚Schleuse’, apfelsynė ‚Apfelsine’). In der absolutistischen Zeit sind die
Ergebnisse des französischen Einflusses deutlich (kostymas ‚Kostüm’, tortė ‚Torte’, hotelė
‚Hotel’, gardynai ‚Gardinen’). Im 19. Jh. - 20. Jh. nahm der englische Einfluss zu, durch
direkte Kontakte über Politik, Wissenschaft und Handel vermehrten sich die Wortübernahmen
(sztreikis ‚Streik’, lokomotyvė ‚Lokomotive’). Daneben wurde im NTK das erforderliche
entlehnte Fachvocabular verwendet, das zum großen Teil aus lateinischen und griechischen
„Es versteht sich von selbst, dass die ungestaltete und häszliche schrift, die noch immer unsere meisten bücher gegenüber
denen aller übrigen gebildeten völker von auszen barbarisch erscheinen läszt, und einer sonst allgemeinen üblen übung
untheilhaftig macht, beseitigt bleiben musste (..) sie besteht gegenwärtig nur, auszerhalb Deutschland, in bömischen und
schwedischen zeitungen, in Dänemark, Liefland, Littauen (?), Estland und Finnland, wo doch alle schriftsteller geneigt sind,
zur reinen lateinischen schrift überzutreten, auch meistens schon übergertenen sind (STEDJE 1989:154). Die Frakturschrift –
und die deutsche Schreibschrift – wurde aber erst 1941 abgeschaft (STEDJE 1989: 154, MÜLLER 1994: 94, DOERR 2002: 28).
47 Die viel diskutierte Großschreibung war durch Gottsched zur Norm erhoben worden (STEDJE 1989:162).
46
32
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Wortstämmen
gebildet
war
(z.B.
Automobylas
‚Auto‘)
oder
auch
innovative
Internationalismen von anderen periodischen Druckschriften Ostpreußens (z.B. deputiertas
‚Deputierter‘, teateris ‚Theater‘).
So war für die Zunahme des deutschen Wortanteils und über das Deutsche vermittelten
Internationalismen im geschriebenen Preußisch-Litauischen nicht nur die damalige politische
Situation und Akkulturation verantwortlich, sondern auch die übergreifende zivilisatorische
Entwicklung der Industriestaaten. Nach dem 1. Weltkrieg begann weltweit eine technische
Evolution, die die beträchtliche Erweiterung fachsprachlicher Vokabelstände zur Folge hatte,
Spezialwortschatz in Form von entlehnten Internationalismen (deutscher Herkunft oder
Vermittlung) ging auch in die Texte und das Gesprochene des Preußisch-Litauischen ein. Ende
des 19. Jh.- Anfang des 20. Jhs. wurde die preußisch-litauische Sprache und Kultur durch die
deutschen Einflüsse europäisiert.
Onomasiologische Verteilung. Das fremde Fachvokabular des Amtsstils ging im 18.
Jh. wegen der häufigeren Nachdrücken der Gesetze in die preußisch-litauische Schriftsprache
als Lehngut ein. Im NTK finden sich viele wirtschaftliche und rechtliche Termini als
Wortentlehnungen, die nach PALIONIS (1995: 152-154) schon in „PRŪSIJOS
GROMATOS, PAGRAUDENIMAI IR APSAKYMAI LIETUVIAMS VALSTIEČIAMS“
VALDŽIOS
erschienen, z.B.
landrotas ‚Landrat‘, urlaubas ‚Urlaub‘. Im NTK belegte jüngere Transferenzen („innovative
Germanismen“) umfassten auch andere Lebensbereiche: ceitunga ‚Zeitung‘, pistolė ‚Pistole‘,
šiepis ‚Schiff‘. Besonders viele von solchen Germanismen gab es in ostpreußischen Zeitungen,
für deren Herausgeber die Sprachreinigung nicht aktuell war. In religiösen Texten wurden viele
Entlehnungen verwendet (PALIONIS 1995: 175): in der Zeitung „NUSIDAWIMAI...“ finden sich
drukas ‚Druck‘, išbukštavėroti ‚buchstabieren‘, mercas ‚März‘, die in bisherigen Schriften
selten waren.
Wahrnehmung der Entlehnung in der preußisch-litauischen Schriftsprache. Die
Analyse bedarf auch für Russisch-Litauen bestimmte Schriften zu überblicken, die in
Preußisch-Litauen verlegt wurden, weil die den preußisch-litauischen Kulturpflegern bekannt
waren. Ende des 19. Jhs. konnte man in Fragen zur Verwendung von Entlehnungen keine
eindeutige Richtung finden. Die Herausgeber von „AUŠRA“ (1883-1886) konnten weder
theoretisch die Nichtverwendung von Fremdwörtern begründen noch praktisch denen
ausweichen. Dabei hinderte sie ihre nicht ausreichende linguistische Vorbereitung und
romantische Einstellungen zu der litauischen Sprache. Eine viel größere Rolle spielte die
Zeitung „VARPAS“ mit ihrer bescheiden-puristischen Position, besonders als J.JABLONSKIS dort
seine Sprachartikel und Rezensionen nachdruckte. Für die Reinigung der Schriftsprache sorgte
auch V.KUDIRKA. Im „VARPAS“ gab es viele lexikalische Nebenformen beim Versuch die nicht
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Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
litauischen
Wörter
zu
ersetzen
oder
durch
die
Bildung
von
neuen
Termini:
ligonbutis/ligongulis/ligongulta/ligonnamis ‚Krankenhaus‘ (PALIONIS 1995: 233-234). Die
Redakteure von den Zeitungen „VARPAS“ und „ŪKININKAS“ waren mehr zurückhaltend als
„AUŠRA“-Herausgeber bei der Bildung von Neuwörtern.
Im NTK werden auch Lehnprägungen verwendet, die in der ostpreußischen Presse des
19. Jh. als neue religiöse und soziale Termini gebildet wurden, z.B. die von F. KURSCHAT
stammenden ligonbutis ‚Krankenhaus‘, draugbrolis ‚Mitbruder‘, gelžkeltrūkis ‚Eisenbahnzug‘,
vom Zeitungsherausgeber F. KELKIS entworfener gelžkelis ‚Bahn‘ (PALIONIS 1995: 218-220).
Die Variation von neuen Termini in verschiedenen ostpreußischen Zeitungen lässt sich
teilweise durch das Bestreben, verstanden zu sein, erklären, z. B. in der Zeitung „KELEIVIS“
hieß telegrafas ‚Telegraph‘ vielu pustas, vielinis pustas, žaibinis pustas, in der Zeitung
„AUŠRA“ – tolrašis. Die Interaktionsstrategie wird eingesetzt: es gab Gewohnheit, neben der
litauischen Entsprechung die Entlehnung in Klammern anzuführen (GIRČIENĖ 2003: 403).
Die Mehrheit der amtssprachlichen Termini (z.B. amtsrotas, justycrotas, kreizas,
provincas) den Einfluss der anderen Kultursprachen zeugenden Entlehnungen (apfelsynė,
gardynai, lokomotyvė) fanden Eingang in die ausgwählten Referenzwörtebücher, weil sie im
Gesprochenen und in preußisch-litauischen Schriften verbreitet waren. Aber z.B. die
Tendenzen zur Verlitauischung
von Termini des Eisenbahnwesens in der Schriftsprache
lassen sich kaum beobachten: bei F. KURSCHAT hatte es zeitlich in seinem Wörterbuch nicht
geschafft, aber auch ALMINAUSKIS hat diese Tendenz in seinem Germanismenverzeichnis nicht
beleuchtet. In dieser Hinsicht wurde die Rechnung nur von A. KURSCHAT und LKŽ getragen.
K. ALMINAUSKIS markiert mit Stern die nur für Preußisch-Litauische typischen
Regionalismen (s. Kritik dazu von ČEPIENĖ (1995: 4) und RANGE (1994: 22448), er gibt
Anmerkungen zur geographischen Verbreitung (z. B. koperas in der Opposition zum
Schemaitischen) und zeitlicher Differenzierung (z.B. šteirė).
Bei A. KURSCHAT werden
größtenteils die litauischen Entsprechungen angeführt (afisieras - karininkas, feldwebelis
viršila).
2.1.3. Soziokultureller Hintergrund für die Entlehnung aus der deutschen
Hochsprache
Für den Entlehnungsvorgang in der Schriftsprache Ostpreußens Ende des 19.-Anfang
des 20. Jhs. ist die Herausbildung der deutschen Hochsprache von besonderem Interesse. Nach
48
ALMINAUSKIS gibt z.B. Quellen nur an, wenn ein Lehnwort allein an der genannten Stelle oder nur beim genannten Autor
vorkommt. Dadurch ist es unmöglich, eine chronologische Übersicht über den Umfang und die Art der Entlehnung vom ersten
alit. Text bis in die Dialekte des 20 Jhs. zu gewinnen, und somit ist es auch nicht möglich, die Veränderungen im lexikalischen
System, die sich durch die Aufnahme des entsprechenden Lehngutes ergeben haben, zu bestimmen.
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Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
der Reichsgründung 1871 nahm das Hochwerten der deutschen Sprache aggressive Züge an,
Preußen war zu offener kultureller Assimilationspolitik der Minderheiten übergegangen
(PALIONIS 1995: 256, POLENZ 1998: 9), was natürlich Auswirkungen im Lehnwortschatz des
Preußisch-Litauischen hatte. Zur nationalen deutschen Hochsprache führte die Verbreitung
einer standardsprachlichen Norm und neues Interesse für Purismus (z. B. Ende des 19. Jhs.
wird die Terminologie der Eisenbahn und des Postwesens schon früh planmäßig gedeutscht
(Bahnsteig steht für Perron, Fahrkarte für Billet, Briefumschlag für Kuvert). Der 1885
gegründete allgemeine deutsche Sprachverein arbeitet für Sprachpflege, Sprachreinigung und
Nationalbewusstsein (STEDJE 1989: 148-151). Diesen Ideen folgend wurden neue Begriffe und
Verdeutschungen in den Bereichen Turnwesen entworfen, die auch im NTK als
Wortentlehnungen verwendet wurden: marßůti ‚marschieren‘, turnůti ‚turnen‘.
Bei der Erläuterung dieser Etappe und solcher leichten Übernahme wäre die
Darstellung der soziolinguistischen Situation von Nutzen, die sich als massiver Druck mithilfe
soziopolitischen- bzw. ökonomischen Faktoren und Akkulturation beschreiben lässt und als
Vorbereitungsetappe
für
die
Zweisprachigkeit
gilt.
Die
preußisch-litauische
Sprachgemeinschaft ist im Sinne von LÜDI (1996: 238) als historische Minderheit zu
bezeichnen, entstanden aufgrund von Inkongruenz zwischen litauischem und deutschem
Sprachraum. Die varietätenspezifische Analyse nutzt CRYSTAL‘s (2005: 82-84) Modell bei der
Erschließung des Sprachbewusstseins in der preußisch-litauischen Sprachgemeinschaft, wobei
sich das Maßstab des Lehneinflusses in Etappen der kulturell-sprachlichen Assimilation
verfolgen lässt.
Die Verdrängung der Minderheitensprachen nach 1871 in Preußen wurde gleichmäßig
gegenüber den politischoppositionellen Polen und Dänen wie gegenüber als staatsloyal
geltenden Litauer, Masuren und Wallonen ausgeübt (PABST 1980: 193, 195, JONIKAS 1987:
389). Neben der starken Germanisierungspolitik der Zentralregierung, die durch die
öffentlichen Institutionen wirkte49, trug dazu der Mobilitätsschub in die Städte50 bei. Die
Germanisierungspolitik löste die negativen Einstellungen von deutschen Intelligenten aus und
hinderte die Herausbildung der litauischen Intelligenz51, was im NTK dargestellt ist:
49
Parallel zum Geschäftssprachengesetz 1876 stellten die preußischen Behörden seit 1872-73 auch den Volksschulunterricht
stufenweise auf die deutsche Unterrichtssprache um (PABST 1980: 195), die litauische Sprache wurde aus der Kirche und aus
dem öffentlichen Leben ausgerottet (ZINKEVIČIUS 1992: 248). Ihren Wehrdienst sollten die Preußisch-Litauer in weiteren
Gebieten Ostpreußens ableisten (MAST 2001).
50 In Ostpreußen wurden von dem Mobilitätsschub sowohl Deutsche, als auch Kaschuben, Litauer und Polen erfasst, die seit
der Mitte des 19. Jhs. in die ostdeutschen Städte zogen (zwischen 1816 und 1840 stieg die Stadtbevölkerung absolut von 2,9
auf 4,1 Mio) (TEBARTH 1991: 31).
51 Schon KURSCHAT war der Ansicht, dass wegen dieser Konstellationen die litauische Sprache verschwinden wird (ČEPĖNAS
1992: 74). Nur einige Intelligenten (K.G. Milkus, V. Gaigalat) hatten noch die Vision des einheitlichen litauischen Volkes
(HERMANN 2000: 73). Unter den Bauern Ostpreußens gab es keine Tradition ihre Kinder in den höheren Schulen ausbilden zu
lassen. Es bildete sich keine litauische Intelligenz aus, auch keine Schicht von Wirtschaftsleuten, für welche die nationale
Bewegung ökonomisch profitabel wäre (BAGDONAVIČIUS 2001: 10).
35
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
..bet kur yra tie Kunigai, Daktarai, Adwokatai, InǮenierai, Mokytojai ir t.t.- Tiktai palyginkime
DidǮ.Lietuwos Lietuwius. NeǮiurint maskolißkos Priespaudos Laikų ten at∫irado wi∫a Eilē
mokytų Wyrų, kurie ∫ekmingai pa∫idarbawo del ∫awo Tautos Reikalų. Taigi mes ∫u jais tů
AtǮwilgiu ir wi∫ai ∫u∫ilyginti negalime, mes po ißdidǮiosios Wokiecзių Kulturos Įtekme likome
lig akli (1924-60-2)52.
Das verursachte zugleich das Verlieren der litauischen Indentität und führte zur
Akkulturation53 (POCYTĖ 2002), die als Anstoß zum Druck von innen gilt. Im NTK wird die
Akkulturation negativ betrachtet:
kaip Pru∫ų Lietuwiai patys pirm Karo pa∫ielgē ∫u ∫awo kalba. Jie ∫awe patys taip toli paǮemino,
kad jie ∫awo prigimtąją Kalbą ne tik wien nu∫lēpē ir niekam negirdint wartojo, jie ∫awo
Lietuwißkumą bandē nudobti dargi tů, kad jie patys wokißkai nemokēdami, ∫awo Kudikiams
Priewarta įkwēpē Wokißkumą. (1925-23-2, Kalbos Reikšmė) 54
Die Germanisierung und Akkulturation verstärkten den Lehneinfluss, der sich
besonders in bestimmten mit gesellschaftlichem Leben zusammenhängenden Sachbereichen
des Preußisch-Litauischen ausprägte. In der analysierten Epoche erreichte der technische
Fortschritt (Industrie, Eisenbahnwesen, Kraftfahrwesen, Flugwesen) allmählich nicht mehr nur
die Schicht der Gebildeten, sondern auch durch Presse und Unterricht zunehmend breite Teile
der Bevölkerung (SCHMIDT 2000: 148-49). Die Städte waren die Vermittler der neuen
Lebensrealität, die Merkmale des technischen Fortschritts und die Tendenzen zur moderneren
Gesellschaft hatten ihren Wirkungsplatz dort: z.B. die Kreisstadt Tilsit wurde recht früh (1865)
in das entstehende preußische Schienennetz einbezogen. 1855 entstanden bedeutende
„Dampffabrikanlagen“ für Papier, Zucker und Öl (CAUMANNS/ESCH 1996: 51).
Die
Abwehrfaktoren
(CRYSTAL
2005:
136-148)
der
preußisch-litauischen
Sprachminderheit blieben auch ohne Erfolg: die Litauischsprechenden hatten kein Ansehen in
der Öffentlichkeit55, Petitionen von 1873, 1878 und 1888 zur Wiederaufführung der
Muttersprache in die öffentlichen Schulen wurden kaum jemal berücksichtigt (PABST 1980:
195). Die litauische Presse wurde auch nicht als wichtiges Abwehrfaktor eingesetzt. Die
Wochenzeitung „KELEIVIS“ (1849-1880) von F. KURSCHAT wird als passiv in dieser Hinsicht
eingestuft (ZINKEVIČIUS 1992: 73, ČEPĖNAS 1992: 715), weil sie dem preußischen Staat loyal56
Aber wo sind diese Priester, Ärzte, Rechtsanwälte, Ingeneure, Lehrer usw. – Vergleichen wir nun die Litauer in Großlitauen.
Ungeachtet Zeiten der russischer Unterdrückung wirkte dort eine Reihe von gebildeten Männern, die erfolgreich an
Bedürfnissen ihres Volkes gearbeitet haben. Wir können in dieser Hinsicht ihnen überhaupt nicht nahekommen, unter dem
Einfluss der hochmutigen deutschen Kultur sind wir wie blind geblieben.
53 DITTMAR (1972: 389) bezeichnet die Akkulturation als den Erwerb einer fremden Kultur durch die Träger einer gegebenen
Kultur. Nur die ältere Generation der Preußisch-Litauer unterlag schwer der Germanisierung, das Leben in entfernten Dörfern
half noch für einige Zeit die litauischen Traditionen zu pflegen, aber hinderte die Herausbildung des modernen Volkes, das alle
Gesellschaftsschichten umfasste (HERMANN 2000: 50).
54 ...wie sich Preußisch-Litauer vor dem Krieg zu ihrer Sprache verhalten haben. Sie haben sich selbst soweit erniedrigt, dass
sie ihre angeborene Sprache nicht nur verheimlicht haben, sondern sie haben auch versucht, ihr Litauertum dadurch zu
ermorden, dass sie selber, Deutsch nicht gut könnend, ihren Kindern zwangsweise Deutschtum beigebracht haben..
55 Im NTK lassen sich Diskussionen für die Verspottung von litauischsprechenden Schülern finden. Dazu sieht man eine
parallele Situation der walischen Sprache in Vels im 19. Jh.: Holztafel mit der Inschrift WN (Walisch not) musste solcher
Schüler am Hals tragen, der beim Walisch-Sprechen erwischt wurde (CRYSTAL 2005: 91). Preußisch-Litauer, die in
Deutschland ihren Kriegsdienst leisten sollten, wenn sie kaum Deutsch konnten, wurden erniedrigt, sogar ihre Familiennamen
wurden ausgelacht (ŠNEIDERATAS 1989: 248).
56 Im Gegenteil bewertet Vydūnas das als Zurückhaltung: „Wenn man die Gelegenheit hat, neben den deutschen Zeitungen
auch die litauischen zu lesen, merkt man einen großen Unterschied: in den deutschen herrscht eine große Aufregung, in den
52
36
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
blieb und nur für die Verbreitung des Protestantismus sorgte. Als ihre vorteilhafte Wirkung
lässt sich nur das einschätzen, dass sie sich durch schöne, reibungslose Sprache [s. dazu Kritik
von JONIKAS – d. Verf.] sorgfältig überprüftes, gut vorbereitetes, technisch bearbeitetes und
interessant vorgelegtes Material kennzeichnete (URBONAS 1995: 20).
Vom Rückgang der Zahl von Litauischsprechenden57 in der zweiten Hälfte des 19. Jhs.
zeugen die Daten von evangelischen Priestern (ČEPĖNAS 1992: 739-740, ŽOSTAUTAITĖ 1992:
59, ZINKEVIČIUS 1992: 75). Der Anteil der litauischen Bevölkerung im Regierungsbezirk
Gumbinnen, der lange Zeit den Namen „preußisches Littauen“ trug, nahm sukzessiv ab,
obwohl keine staatlich gelenkten Kolonisationsmaßnahmen durchgeführt wurden: im Jahre
1890 gab es 118000 Litauer, 1920 nur 94000. Schon um 1900 machten die Litauer selbst in
ihren Hauptwohngebieten nur noch etwa 30% der Bevölkerung aus, so TEBARTH (1991: 139141). In Tilsit war die Landbevölkerung um diese Zeit mit 47,35% zum großen Prozent
litauischsprachig (CAUMANNS/ESCH 1996: 51). Nach MATULEVIČIUS (1996: 112, 211) konnten
vor dem Ersten Weltkrieg nur noch 20 Prozent der einst Litauischsprechenden amtlich belegt
werden.
So kann die prototypische Situation58 anhand Erinnerungen von J. GERULLIS
(KARALIŪNAS 1997: 318-320, KLEIN 2002) für diese Etappe herausgearbeitet werden: bis zum
1. Weltkrieg galten auf dem Lande (und auch in den Städten) Litauisch und Niederdeutsch als
gesprochene Sprachen. Die ältere Generation verstand auch Hochdeutsch, aber konnte nicht
gut sprechen, während die jüngere aufgrund der Schulbildung, Wehrdienstes mehr oder
weniger gut diese Sprache beherrschte. Z. B. in Privatschriften von V.GAIGALAT werden
sowohl frühere Entlehnungen (Staldas ‚Stall‘, Knypkis ‚Knopf‘, Negilukis ‚Unglück‘), als auch
schriftsprachliche (Übunga ‚Übung‘, Ausstellunga ‚Ausstellung‘) verwendet (KAUKIENĖ 1997:
53).
2.2. Der Lehneinfluss unter Bedingungen der sozialen Zweisprachigkeit der
preußisch-litauischen Sprachminderheit am Anfang des 20. Jhs.
Bei den Interferenzen lässt sich überwiegend als Entlehnungsvarietät deutsche
Standardsprache (so wie sie in Wörterbüchern und Grammatiken gesammelt und normiert am
Anfang des 20. Jhs. vorlag) oder Hochdeutsch (dieser Begriff gilt hier als Gegensatz zu
Niederdeutsch, obwohl er in der Gegenwart mehrdeutig geworden ist (WEISGERBER 1996: 260litauischen Bescheidenheit und natürliche Ruhe” (VYDŪNAS 2001: 523). POCYTĖ (2002: 7) versteht diese Loyalität auch als
natürliche Haltung der litauischen Minderheit, dieselbe Position findet man im NTK.
57 Die offizielle deutsche Statistik war hinsichtlich der Litauer nicht objektiv, als Deutsche wurden auch Litauer betrachtet, die
Deutsch sprechen konnten.
58 J. Gerullis beschreibt die Sprachsituation in seinem Geburtsdorf Jogaudai (in der Nähe von Vilkyškiai), welche als
prototypisch für Preußisch-Litauische nur bis zum Jahre 1923 galt, weil diese Ortschaft nach der Einteilung im späteren
Memelgebiet lokalisiert wurde.
37
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
261)) bestimmen. Als eine besonders ausgeprägte Varietät beim Lehneinfluss wird darunter die
Reichssprache59 ausgesondert. Aus historischen Gründen lässt sich dabei keine preußischlitauische Sprachvarietät als Übermittlervarietät anführen.
Soziokultureller Hintergrund. Das Ergebnis von äußerem und innerem Druck war die
soziale Zweisprachigkeit, weil die Preußisch-Litauer in den 1920er und 1930er Jahren immer
häufiger das Hochdeutsche als im öffentlichen Leben dominierende Sprache verwenden
sollten, wobei sie auch das dem deutschen Lehneinfluss ausgesetzte Preußisch-Litauische als
Muttersprache in der Alltagskommunikation verwendeten. Die prototypische Situation von J.
GERULLIS (KARALIŪNAS 1997: 318-320) zeugt von der verbreiteten Zweisprachigkeit der
mittleren Generation. Untereinander und mit den Kindern sprachen seine Eltern nur Litauisch,
aber sie verstanden schon ganz gut Deutsch und sprachen Hochdeutsch mit wenigen Fehlern
und mit litauischem Akzent, auch etwas Niederdeutsch. Die Eltern haben schon deutschen
Unterricht besucht, so bedienten sie sich meistens der deutschen Frakturschrift und
Schreibweise (z.B. langes /i/ gab man als <ie> wieder, dem kurzen /i/ folgten Geminaten etc.),
lasen litauische Bücher, aber wenn man Fachtermini (z. B. die Termini für Addition,
Multiplizieren beim Rechnen, die im Litauischen fehlten) brauchte, so zog man schon das
Deutsche zur Hilfe. Die Kinder waren auch zweisprachig, aber beim Sprachverhalten hielten
sie sich fest an die Konventionen dieser Sprachgemeinschaft. Die Situation verschlechterte sich
nach dem 1. Weltkrieg, als viele Männer nicht mehr aus dem Krieg zurückkamen (vgl.
KARALIŪNAS 1997: 396).
Theoretisch gesehen bietet die Zweisprachigkeit das Zusammenleben von zwei
Sprachen ohne Konfrontation60, weil die Ursachen für die Existenz von zwei Sprachen völlig
unterschiedlich sind: die dominierende Sprache (Hochdeutsch) erlaubte nach neuen Standards
zu leben, die dominierte Sprache (Preußisch-Litauisch) drückte dagegen die Identität der
Sprecher aus. In dieser Etappe bestehende Möglichkeit, den Fortschritt Richtung Erhalten der
dominierten Sprache zu machen (CRYSTAL 2005: 86), kam im Preußisch-Litauischen wegen
der fehlenden Abwehrfaktoren nicht zustande. Als loyal geltende preußisch-litauische
Sprachgemeinschaft (PABST 1980: 191-201) konzentrierte sich auf den friedlichen Erhalt der
Muttersprache, dabei erlebte sie im inneren einen Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen
Sprachwertsystemen: jenem der Minderheitsgruppe selbst und jenem der größeren deutschen
Gesellschaft, innerhalb welcher sie eingebettet war. Obwohl Tilsit Ende des 19.- Anfang des
59
Unter Reichssprache wird eine politisierte Varietät der deutschen Standardsprache verstanden, die synonym Nazi-Sprache
genannt wird, sie umfasste den Zeitraum der Weimarer Republik und des Dritten Reiches.
60 Im NTK wird diese Sprachsituation ähnlich bewertet: „Man soll sich vor der Zweisprachigkeit nicht so fürchten [...] Goethe
sagt: Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von der eigenen [...] Und das Wichtigste ist, dass die Muttersprache die
Sprache unseres Herzens ist“ (1928-62-2).
38
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
20. Jhs. als Zentrum der litauischen Kultur und Presse61 galt (nach ZINKEVIČIUS (1992: 249)
bezeichneten bis 1933 selbst die Deutschen Tilsit als „litauische Hauptstadt“), wurde aber in
den 1920er und 1930er Jahren die Pflege des Litauertums durch Initiative einzelnen
Persönlichkeiten getrieben. Im NTK stehen dafür zahlreiche Anregungen:
Lietuwiais budami, ißmokykite ir ſawo Kudikius popirmiauſiai lietuwißkos Kalbos (1930-20-1
Ißminties Keliais), … kad kiekwiena Motina ſawo Kudikius pirmiauſiai mokintų lietuwiβkai, ne
wokiβkai, nes Motinos Kalbą pirmiau iβmokę, jiems ir wokiβkai mokinties bus lengwiau ir jie
wiſame kame daug gabeſni bus ir daugiau atſieks (1928-19-2, Moteru Kampelis)62
Es ist sehr natürlich, dass in bestimmten Sachbereichen der Lehneinfluss vorwiegend
durch Akkulturation und aus Prestigegründen sein Ausmaß erhöhte. So erweist sich in dieser
Etappe die von TESCH (1978: 74) angebotene funktionale Herangehensweise als Erläuterung:
sozialer Bilingualismus in Preußisch-Litauen ist als eine notwendige Reaktion auf extralingual
bedingte spezifische sprachliche Aufgabenstellungen zu verstehen, die sich empirisch als
lebensnotwendig erweisen können (KARALIŪNAS 1997: 317, vgl. WEINREICH 1976: 258,
HARTUNG 1997: 1762). Das Preußisch-Litauische unterlag immer stärker dem lexikalischen
Lehneinfluss,
weil
die
Zweisprachigkeit
ihrer
Form
nach
kulturelle
und
Bildungszweisprachigkeit war (TESCH 1978: 76), nicht mehr die natürliche, spontane. Die
visuelle Verstärkung im Gebrauch des Deutschen, die die Zweisprachigen erhielten, indem sie
auf Deutsch lasen und schrieben, brachte diese Sprache in eine dominante Stellung gegenüber
der im alltäglichen Leben hauptsächlich gesprochen gebrauchten Preußisch-Litauischen. Die
Entwicklung des Preußisch-Litauischen (vor allem des Fachwortschatzes) wurde dadurch
gehindert: Lehnprägung findet seltener als Wortentlehnung statt, Lehnprägung und
Kodeumschaltung sind nur als individuelle Strategieen zur Wortschatzentwicklung anzusehen,
gesellschaftliche Strategien (Schulunterricht, Befestigung in der Presse) kamen nicht zustande
(vgl. CAMPBELL 1996: 662, COULMAS 1994: 172). Vgl. im Polnischen wurde nach dem 1.
Weltkrieg durch das Wiedererrichten des Staates die Statusplanung ermöglicht: deutsche
Lehnwörter wurden entweder durch direkte Lehnübersetzungenn oder durch Neubildungen des
20. Jhs. ersetzt (WIKTOROWICZ 2002: 343). Die Zahl der Litauischsprechenden ging rasch
zurück. Nach Matulevičiaus (ŠNEIDERATAS 1989: 319) sind zum 1. Weltkrieg in Ostpreußen
von solchen 150000 (!) geblieben (nach anderen Angaben 120000). Nach dem 1. Weltkrieg
sprachen in vielen Gebieten dieses Landes noch 50-70 Prozent der Einwohner Litauisch. Nach
ZINKEVIČIUS (1992: 248) gab es 1925 etwa 78 000 Litauischsprechenden in Preußisch-Litauen.
Schon im großem Maße verkleinerte Angaben der offiziellen Statistik zählten ca. 20000
61
In Tilsit erschienen die ersten periodische Pressedruckwerke (die ersten periodischen für Großlitauen bestimmten
Druckschriften „AUŠRA”(bis zur 6 Nummer in Ragnit) und „VARPAS” (einige Zeit in Ragnit) später auch andere Zeitungen
wurden hier verlegt), entstanden litauische Verbände, die von der Regierung geduldet waren (ŠNEIDERATAS 1989: 248).
62 Als Litauer bringen sie ihren Kindern vor allem das Litauische bei.Dass jede Mutter ihre Kinder zuerst litauisch, nicht
deutsch lehrte, weil wenn sie die Muttersprache zuerst beherrschen, werden sie leichter das Deutsche erlernen und für alles
begabter sein und in allem mehr erreichen (1928-19-2)
39
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Litauer in Ostpreußen (BAGDONAVIČIUS 2001: 31). Der statistische Ausdruck von dieser
Situation in den 1920er Jahren wurde von der deutschen Seite aber völlig anders geschildert:
„Nach der Volkszählung 1925 gab es in Ostpreußen 2200 Litauer, die nur Litauisch sprachen,
und 5800, die Deutsch und Litauisch sprachen. Die Germanisierung verstärkte sich in Tilsiter,
Ragniter, Gumbinner und anderen Gebieten (...) besonders in der Nazizeit (ŠNEIDERATAS 1989:
248). Die Deutschsprachigen dagegen benötigten litauische Sprachkennnisse höchstens für
spezielle haushaltliche Tätigkeiten63.
WEINREICH (1976: 133) hebt hervor, dass die Preußisch-Litauer sich um Sprache und
nicht um politische Organisation sammelten und ist der Meinung (1976: 395), dass der
Wunsch, sich mit einer anderen Kultur zu identifizieren, nicht nur von kulturellen 64,
konfessionell-ideologischen, politischen und ökonomisch-materiellen65 Bedingungen, sondern
auch von der Einstellung der Gruppe zu sich selbst abhängt. Die Wurzeln der Sprachloyalität
lassen sich als von Natur aus innewohnendender Ansatz, die affektive Bindung an die eigene
Muttersprache, wie man sie in seiner Kindheit erlernt hat, verstehen (WEINREICH 1976: 133,
vgl. TESCH 1978: 111):
Nereikia mums gēdēties kalbēti mums dar ißlikuſią Kalbą, kuri mums brangiauſias Palikimas
muſų Tēwų yra. (1927-4-3, Atſiuſta , Klaidinga Nůmonē ) 66 .
Die Ursachen lassen sich durch die Sprachbewusstseinsgeschichte aufschließen. In
dieser Etappe beherrschte vor allem die junge Generation immer besser das Hochdeutsche und
fand, dass die Muttersprache nur weniger ihren Bedürfnissen entsprach, die Benutzung der
Muttersprache wurde introvertiert. Die junge Generation kannte nicht immer die Hauptwörter,
der Wortschatz war nach Generationen spezialisiert67, die älteren Menschen betrachteten
negativ die Entlehnungen, die die einheimischen Wörter ersetzen (vgl. CRYSTAL 2005: 30-31).
Die Abwehrfaktoren wirkten auch nicht systematisch: die Pfleger des Litauertums verfolgten
die Idee, dass sie doch ein fest in Einsprachigkeit gegründetes Hinterland (Litauen) haben, das
als kultureller Hintegrund dient, die Bevölkerung akzeptiert diese Idee aus vielerlei Gründen
nicht ganz. Wegen der besseren landwirtschaftlichen Lage und anderen materiellen
Bedingungen fühlten sich die Preußisch-Litauer den Litauern überlegen, wollten sich mit ihnen
63
Es gibt einige Untersuchungen zu litauischen volkssprachlichen Entlehnungen in deutschen Mundarten in den Bezirken
Smalininkai-Pagėgiai (GRINAVECKIENĖ 1975), die von den spezifischen Lituanismen in deutschen Mundarten zeugen. Die
meisten von diesen mit der alltäglichen Tätigkeit verbundenen Begriffen (ausnahmslos Substantiven) entsprechen völlig ihrer
Form nach der litauischen Form. Das zeigt, dass die Sprachkontakte von zwei Sprachsystemen auf diesem Territorium nicht
sehr intensiv waren.
64 Nach dem 1. WK wurde gegen Litauertum auch wissenschaftlich angegangen: deutsche Geschichteforscher G. HeinrichMortensen, H. Mortensen, P. Karge u.a. hielten die Preußisch-Litauer nicht für Einheimischen (ČEPĖNAS 1992: 724,
ŠILAS/SAMBORA 1990: 26).
65
Die Regierung unterstützte ökonomisch-materiell nur die Deutschen (z. B. durch „Osthilfe“ von 1928) (MAST
2001).
66Wir
sollten uns nicht schämen, die uns gebliebene Sprache zu sprechen, die für uns das teuerste Erbe unsererEltern ist
(1927-4-3)
67 Davon zeugen zahlreiche Artikel im NTK, besonders in den Jahren 1936-1940, wo z.B. für die jüngere Generation, die in
deutschen Schulen ausgebildet wurde, die Information über die litauische Sprache auf Deutsch vorgelegt wird (1936-5-2) oder
die ältere Generation engagiert wird, diese Kenntnisse den Jugendlichen beizubringen (1936-7-2).
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Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
nicht identifizieren, schämten sich der litauischen Sprache (KARALIŪNAS 1997). Unter der
litauischen Bevölkerung Ostpreußens wird die Kenntnis des Deutschen als wesentlicher Zug
kultureller Anpasung und als eine Bedingung des sozialen Aufstiegs behandelt. Diese
Sprachgemeinschaft verstand sich als Preußisch-Litauer, aber laut POCYTĖ, nur die Sprache
trennte die meisten Preußisch-Litauer noch von den Deutschen. Der sich als Deutscher
verstellte Litauer wurde nicht mehr ausgelacht. Die Anregung sich zu litauischer Muttersprache
und litauischer Nationalität (Volkstum) zu bekennen fanden nur wenig Anklang. So sind in
dieser Etappe die Termini zur Bezeichnung der Nationalität wenig behilflich: der eindeutige
Unterschied zwischen den Termini lietuvis und lietuvininkas ist im NTK nicht vorhanden, dort
werden sie synonym verwendet68.
In der Nazizeit wurde der Druck von außen noch gewaltiger: das Litauische wurde in
den Schulen und mehreren Kirchen verboten, auf dem Friedhof wurden die Grabsteine mit
litauischen Inschriften vernichtet. Die Kinder sollten nur noch mit deutschen Namen getauft
werden (KAIRIŪKŠTYTĖ 1996: 79, KOSSERT 2005). Seit 1933 wurden litauische Behörden,
letzte litauische Organisationen verfolgt, Museen wurden verboten. Der Verein „Birutė“, der
Sängerchor, die von Deutschen gegründete Litauische Literaturgesellschaft verschwanden
(ZINKEVIČIUS 1992:
248-249). In den Jahren 1935-36 wurden in Ostpreußen ca. 57%
baltischer Ortsnamen in deutsche umgeändert
(KAIRIŪKŠTYTĖ 1996: 79, MATULEVIČIUS
(1996: 112, 211). Von der zwanghaften Interferenz im Bereich der Eigennamen zeugt das
Zeitungsmaterial69. Aus politischen Gründen benötigte man Mut, Litauisch öffentlich zu
sprechen oder sich als Litauer zu bekennen (KAIRIŪKŠTYTĖ 1996: 79). Sogar die Eltern wollten
die Kinder von den Repressionen beschützen und empfahlen ihnen Deutsch zu lernen, obwohl
selber diese Sprache nur wenig kannten (ŠNEIDEREITAS 1989: 248). Nach MATULEVIČIUS
(1996: 112, 211) blieb in der Nazizeit (1933-1944) die Mehrheit nicht germanisierten
Preußisch-Litauer in Umgebungen von Memel, Heydekrug, Pogegen, Tilsit und Ragnit. In der
Stadt Tilsit gab es mehr Deutsche, aber die Umgebungen blieben immer noch litauisch
(ŠILAS/SAMBORA 1990: 287). Nach ZINKEVIČIUS (1992: 248-249) wurde in der Universität
Königsberg das Litauische bis zum 1943 unterrichtet. Deswegen bezeichnen ŠILAS/SAMBORA
Im Vorwort von 1924/1 steht “lesen alle Preußisch-Litauer”, 1939/72 “die Zeitung ist wertvoll für jeden Preußisch-Litauer”,
1930/24 “damit sie weiter lebe und für lietuvininkai dieses Landes in ihrer Sprache und Geist diene”, die Beilage von 1929 m.
wird als “Prūsų lietuvininkų draugas” bezeichnet, seit 1933 führt die Zeitung den Untertitel Prūsų lietuvių tautinės mažumos
laikraštis. KAUKIENĖ (2000: 9,11) bezeichnet als lietuvininkas patriotisch eingestellten Litauer (und auch Nichtlitauer), die
aktiv für das Erhalten der litauischen Sprache und Kultur kämpften.
69 1938-47-1 Tilžēs – Ragainēs Kraßte pakeitē 242 Kiemų Wardus, 1938-50-2 Tilžēs-Pakalnēs Apygardyje pakeiſti Kiemų
wardai, 1938-70-1 Ir Sзeßupē gawo kitą Wardą, 1938-49-2 Ragainēs ir Pakalnēs Apygardyje pakeiſti Kiemų wardai, 1939-3-1
Pakeicзiami dar keli lietuwißki Pakalnēs Kraßto Upių Wardai). Wegen der Naziverfolgungen und nach dem Kriegsausbruch
trägt seit 6. September 1939 der Verlagsort deutsche Form Tilsit (früher litauisch Tilžė), seit 1939 schreibt man auch in den
Überschriften die deutschen Formen: Apygardis Ragnit (früher: iš Ragainės apygardžio), apygardis Memel (früher: iš
Klaipėdos apygardžio).
68
41
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
(1990: 28) den NTK und den litauischen Gottesdienst, der bis 1944 in der litauischen Kirche in
Tilsit stattfand als “die letzten Quellen des Litauertums in Klein-Litauen”.
Die Anpassung an die dominante Sprache erreichte ihren Höhepunkt, als das Deutsche
auch wenn nicht korrekt beherrscht, aber als Zielsprache akzeptiert wurde (vgl. KARALIŪNAS
1997: 390), was grundlegende Veränderungen im Wortschatz des Preußisch-Litauischen
verursachte und dessen Entwicklung verlangsamte, wenn auch nicht ganz stoppte. Durch den
intensiven
Kontakt
mit
der
Prestigesprache
droht
der
dominierten
Sprache
der
Sprachselbstmord oder die Sprachermordung. Der Sprachselbstmord geschieht, wenn die
Sprache zu viele Entlehnungen hat, aber das wird durch die typologischen Besonderheiten der
Sprache eingeschränkt, deswegen sind solche Fälle sehr selten. Die Sprachermordung ist eben
mit dem Verlust von Domänen verbunden. Die Sprache stirbt, wenn sie die sozialen
Bedürfnisse der Sprachgemeinschaft nicht mehr befriedigt (MCMAHON 1994: 308), darauf
wird im empirischen Teil bei der Analyse nach Sachbereichen eingegangen. Bei stärker
ausgeprägtem und länger andauerndem Kontakt, also bei verbreiteter Zweisprachigkeit, tritt
man zu den lexikalischen Entlehnungen, die dann auch in den Grundwortschatz eingreifen.
WEINREICH (1976: 143) bemerkt, dass der Sprachenwechsel durch Worttransfer charakterisiert
ist, während Lehnübersetzungen typisches Zeichen für stabile Zweisprachigkeit ohne Wechsel
sind. Schließlich kann von normaler Weitergabe der Erstsprache nicht mehr die Rede sein, die
Grammatik der Zweitsprache, einschließlich ihrer Morphologie, tritt weitgehend an die Stelle
der Erstsprache, die entweder ausstirbt und der Zweitsprache das Feld überlässt oder nur noch
anhand einer Minderheit von Elemeneten des Grundwortschatzes und struktureller Züge
identifizierbar und von der Zweitsprache unterscheidbar ist (BECHERT/WILDGEN 1991: 100).
Nach CRYSTAL (2005: 85) kann im Laufe von einer Generation70 oder sogar in einem
Jahrzehnt die gedeihende Zweisprachigkeit zu den bewusstvollen Halbsprachigkeit werden,
und später wechselt sie in die Einsprachigkeit, weswegen die dominierte Sprache immer mehr
an die Grenze der Verschwindung kommt. Man sollte noch eingehender untersuchen,
inwieweit sich die Lage des Preußisch-Litauischen in den 1930er Jahren der KRAUSSCHEN
Defintion „sterbende Sprache“71 nähert, und mit welchen Einschränkungen sich dieser
Sprachzustand nach Wurm als „verschwindende Sprache“ bezeichnen lässt, die die Stufe von
„potentiell verschwindender Sprache“ schon durchgelaufen hat72.
70
Dieser Prozess ist immer situationsgebunden, z.B. KARALIŪNAS (1997) ist der Meinung, dass das nur über drei Generationen
geschehen kann.
71 Michael Krauss kam zu einem Begriff, der heutzutage eine breite Verwendung findet: Sprache, die von Kindern nicht mehr
als Muttersprache gelernt wird, nennt er sterbende (moribund). Solche Sprache wird nicht mehr von einer Generation der
anderen übergegeben (CRYSTAL 2005: 28)
72 Der Etappe der potentiell verschwindenden Sprache (soziale und wirtschaftliche Bedingungen sind ungünstig, die Kinder
werden immer weniger in ihnen unterrichtet) folgt der Zustand der verschwindenden Sprache (es gibt keine Kinder, die sie
sprachen oder sie erlernten, die jüngsten Sprecher sind schon erwachsen), was sich in schnell verschwindende Sprachen (nur
die Fünfzigjährigen und ältere beherrschen sie gut) etwickelt (CRYSTAL 2005:29-30).
42
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Onomasiologische Verteilung: Entlehnungen aus der Reichssprache. Das
nationalsozialistische Fachwortgut setzte sich vorwiegend aus altbekanntem Vokabular
zusammen, das teilweise eine Umwertung oder Umdeutung erfuhr, deutlich war die Neigung
zu Schlagwörtern und Abkürzungen (vgl.WOLF 1991, MÜLLER 1994: 57, DOERR 2002: 32).
Zwei Gruppen von Neubildungen der Reichssprache lassen sich im NTK erkennen:
1. als Funktionswörter dienende Neuprägungen, die häufig durch Halbaffixe
gekennzeichnet
„Reichswehr“),
sind,
z.B.
-karte
Reich-
(Reichskancleris
(Lebensmitelkartė
„Reichskanzler“,
„Lebensmittelkarte“,
Reichswehras
Nährmittelkarte
„Nährmittelkarte“, Grenzkarte „Genzkarte“).
2. die Neubildungen mit propagandistischen Qualitäten, die als Tarnwörter und
Euphemismen funktionieren, z.B. Winterhilfē ‚Winterhilfswerk’ (s. dazu auch DOERR 2002:
38), im NTK neigt man daraus Lehnübersetzungen (Žiemos pagalba) zu machen, der richtige
Inhalt bleibt doch aber versteckt73. Viele dieser Begriffe besitzen in der Zeitung nicht selten
zwei
Formen:
Wortentlehnung
(mit
geringer
linguistischer
Eingliederung)
Lehnübersetzung (Beispiel für die literarische Entlehnungsform).
und
In der Nazizeit
übernommenen Klischees sollten als entlehnte Schlüsselwörter verstanden werden (HERBERG
1998: 334), sie erfüllten auch die referentielle Funktion. Von den Schlüsselwörtern kommen
nur die Zusammensetzungen mit Volk (Volksgenossas ‚Volksgenosse’, Volksverräteris
‚Volksverräter‘). ganz häufig vor. Durch Lehnbildungen im Preußisch-Litauischen wird die
unentbehrliche semantische Klarheit verschafft. Dabei bleibt es nicht immer klar, ob sie nur
allein
aus
Bestimmungsursachen
in
Texten
vorkommen,
hier
könnten
auch
soziopsychologische Gründe im Spiel sein.
Normungstendenzen. Selbst in deutschem Reich wurde in der Zeit um den 1.
Weltkrieg die Sprachpflege stärker in den Dienst des Nationalismus gestellt und der
Fremdwortgebrauch als geistiger Landesverrat bezeichnet (STEDJE 1989: 164, MÜLLER 1994:
95-96). HITLER dagegen betrachtet die Fremdwörter positiv: die Mehrheit des Volkes, welche
die fremden Ausdrücke nicht oder nur ungenau versteht, soll durch deren Verwendung
beeindruckt werden (MÜLLER 1994: 54). Der NTK erweist sich bei vielen diesen Entlehnungen
als primäre Verwendungsquelle im Preußisch-Litauischen, die Textverfasser bemühen sich,
diese Flut vom neuen politischen Lehngut aufzunehmen und dem Leser in Texten vorzulegen,
obwohl es kaum diskutiert wird, welche Form (Wortentlehnung oder Lehnbildung) die
passende sei.
73
Winterhilfswerk (Abkürzung Winterhilfe) wurde vordergründig als Funktionswort ausgelegt, das ist ein Tarnwort für Steuer
und Kriegsfinanzierung.
43
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Es ist zu bemerken, dass viele von diesern Historismen, die im Preußisch-Litauischen
als neue Entlehnungen galten, nur einen begrenzten Eingang in die Wörterbücher gefunden
haben. Bei der Darstellung diese Etappe scheint das Wörterbuch von A. KURSCHAT
repräsentativ zu sein, während z.B. im LKŽ solche Lehnwörter wie reickskancleris
‚Reickskanzler’,
hakenkroicas
‚Hakenkreuz’
abwesend
sind.
Sie
werden
als
Teil
Internationalismen verstanden und stehen im TŽ.
2.3. Verallgemeinerung
Der deutsche lexikalische Lehneinfluss repräsentiert sich im NTK an 2 Gruppen von
seinen Wirkungen: Transferenzen, deren Entlehnungswege und Integration im PreußischLitauischen sich verfolgen lassen und neue Übernahmen, die für die die Zeitung als
Primärquelle der Erscheinung und Spielplatz der Integration gilt.
Die alten volkssprachlichen Wortentlehnungen im NTK mögen nicht direkt von
deutschen Siedeldialekten entlehnt sein, sondern durch das gesprochene Preußisch-Litauische
und besonders preußisch-litauische Schriftsprache vermittelt worden sein, wo sie schon früher
ihre linguistische Anpassung gefunden haben. Viele von diesen Wortentlehnungen wurden
schon im 17.-18. Jh. diskutiert und hatten treffende litauische Entsprechungen, trotzdem haben
sie sich im Preußisch-Litauischen (vor allem im Gesprochenen) eingebürgert. In der preußischlitauischen Schriftsprache (Bibelübersetzungen, Zeitungen) wurde die literarische Entlehnung
unternommen, d.h. viele individuelle Lehnprägungen entworfen, die später Eingang in die
Texte von NTK fanden (vgl. Abb 1.).
Bei Entlehnungen der neuhochdeutschen Periode kommen neben deutschen Wörtern
auch die über das Deutsche übernommenen Internationalismen, welche soziale, wirtschaftliche
und politische Änderungen darstellen.
Die deutsche Hochsprache, die größtenteils unter Bedingungen der Zweisprachigkeit
ihren Einfluss übte, lieferte immer mehr spezialisierte Lexik des öffentlichen Lebens. Die
Zeitung galt bei den Neuwörtern aus ihrer politisierten Varietät (Reichssprache) in vielen
Fällen als primäre Erscheinungsquelle.
Im praktischen Teil der Analyse wird versucht herauszufinden, wie die chronologische
Verteilung im Inneren der Sachgruppen geschieht. Daneben wird ggf. auf die Schwierigkeiten
der chronologischen Einstufung gedeutet, Belege der geographischen Verteilung analysiert und
fachspezifischen Zuordnung besprochen.
44
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Deutsche Siedeldialekte
(Niederpreußisch/Ostpreußisch)
Deutsche Entlehnungen im
gesprochenen PreußischLitauischen (in den
Mundarten)
(z.B.: kurbas ‚Korb’, staldas
‚Stall‘, šmanta ‚Sahne,
Schmand‘)
Deutsche Entlehnungen in preußischlitauischer Schriftsprache
(z.B.: stundas ‚Stunde’, urlaubas ‚Urlaub’,
landrotas ‘Landrat’)
Relig. Bücher
Wörterbücher
Presse
(z.B. gardynai ‚Gardinen‘, hotelė ‚Hotel‘,
profeseris ‚Professor‘, automobylas ‚Auto‘,
štreikis ‚Streik‘, draugbrolis ‚Mitbruder‘,
gelžkeltrukis ‚Eisenbahnzug‘)
Deutsche Entlehnungen im
„Naujasis Tilžės keleivis“
(1924-1940)
Deutsche Hochsprache
Reichssprache
(z.B. Winterhilfe/Žiemos
Pagalba
‚Winterhilfswerk‘)
Abb. 1. Wege der deutschen Entlehnungen in den NTK
3. Der Eingang von Auswirkungen des Lehneinflusses im NTK
Bei der Aufnahme der fremdsprachigen Bezeichnung in die Sprache lassen sich zwei
Etappen aussondern. Mit den Termini Adaptation bzw. Anpassung wird eine äußere
(formale) oder primäre Adaptation bezeichnet, die sich an graphemischen und flexivischen
Merkmalen aufschließen lässt. Dagegen wird eine tiefere oder sekundäre Adaptation, wenn die
lexikalischen Beziehungen zum Sprachsystem entstehen, Integration bzw. Eingliederung
genannt. Aber die Grenze ist immer noch fließend, auch die Termini in den Forschungsarbeiten
wirken etwas verwirrend, z. B. PALIONIS nennt die Entlehnung adaptiert, wenn daraus schon
Wortbildungen gemacht
werden (1999:
205),
POLENZ spricht
von phonemischer,
morphemischer etc. Integration (1991: 46).
45
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Die als zentrale Form der Entlehnung geltende Wortentlehnung wird durch die
sprachpflegerischen Initiativen in Konkurrenz zu anderen Entlehnungsformen gestellt, wie es
schon aus dem geschichtlichen Überblick ersichtlich wurde. Im vorliegenden Abschnitt wird
verfolgt, wie die Entlehnungsformen wahrgenommen werden und sich terminologisch gliedern
lassen, sowie wird der Konkurrenz von Entlehnungsformen im NTK nachgegangen.
3.1. Wahrnehmung der Wortentlehnungen und Merkmale ihrer Adaptation im
NTK
Der bis jetzt verwendete Begriff der Wortentlehnung belegt allein den Vorgang bzw.
sehr allgemein das Ergebnis der Übernahme eines Lexems, sagt aber nichts über den Grad
seiner Integration. Die traditionelle terminologische Gliederung bezeichet die Ergebnisse der
Wortentlehnung aufgrund ihrer phonologischen, graphemischen und morphologischen
Integration als Lehnwort und Fremdwort74, aber der vorgeschlagene Gliederungsgrund mag
keine Allgemeingültigkeit beanspruchen, weil er vor allem sprachpuristisch zu sein scheint.
Wenn man aber von den langfritigen Sprachkontakten ausgeht, werden auch die
sprachsoziologischen Erscheinungen in Verbindung angeführt. HINDERLING (1981: 80) sieht
Parallelen zwischen dem Integrationsgrad und dem sprachsoziologischen Entlehnungsweg:
„Fremdwörter sind Entlehnungen, die von einer kulturellführenden Schicht im direkten
fremdsprachlichen Kontakt oder – häufiger – indirektliterarischen übernommen werden,
Lehnwörter dagegen werden im „Volk“ durch Händler, Handwerker, Seeleute, Bauern und
Dienstboten, also von Leuten, die oft ohne tiefere Kenntnis der fremden Sprache jedenfalls
ohne Kenntnis der fremden Schriftsprache sind, aufgenommen.“ Laut HENGST sind
Fremdwörter Elemente, die „mindestens hinsichtlich zweier Sprachebenen potentiell nicht
integriert sind“ (zit. nach: TESCH 1978: 48).
Bei den Kategorisierungen werden verschiedene Kriterien durcheinandergebracht, z.B.
Sprachgefühl, Aussprache-Schreibweise und Sprachgebrauch, daher ist es verständlich, dass
Vorschläge gemacht werden, die Unterscheidung zwischen Fremdwort und Lehnwort
gänzlich aufzugeben (OKSAAR 2004: 3165). Die neuere Sprachwissenschaft hat aus dem
potentiell abwertenden Charakter der Kategorisierung Fremdwort die Konsequenz gezogen,
ganz auf den Begriff zu verzichten75, aber stößt auf Gegenargumente für ihre Beibehaltung76.
Hier wird eher RANGES Auffasung (1994: 218) in Acht genommen, dass sich das
Mit denselben Argumenten bezeichnet auch Alminauskis *kabiar ‚Kaviar’ als Fremdwort im Preußisch-Litauischen, ‚das
sogar ohne Endung gebraucht wird’ und zuerst bei Doneleitis vorkommt
75 POLENZ meint, dass der vorwissenschaftliche Begriff Fremdwort sprachwissenschaftlich unbrauchbar ist, heute wird den
semantischen und sprachsoziologischen Kriterien Gewicht gegeben, nicht nur den grammatikalischen und plädiet für die
Darstellung der einzelnen Stufen der Eingliederung (1991: 46-47).
76 TESCH (1978: 42-43) betrachtet die soziolinguistische Lösung des Fremdwort-Lehnwort Problems kritisch.
74
46
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
formalgrammatische Prinzip nicht anwenden ließe, weil das Preußisch-Litauische als baltische
Sprache die Fähigkeit besaß, Lehnwörter sofort bei ihrer Übernahme lautlich und flexivisch zu
assimilieren.
Die
terminologische
auf
den
grammatischen
Prinzipien
basierende
Unterscheidung von Lehn- und Fremdwort ist für das Baltische nicht sinnvoll.
Wenn der Begriff Lehnwort für (sozio)linguistisch eingegliederte deutsche
Wortentlehnungen im Preußisch-Litauischen akzeptabel zu sein scheint, so wird auf die
Bezeichnung Fremdwort hier verzichtet. Das Fremdwort beschreibt nicht die Fremdheit,
sondern die Andersheit und ist terminologisch unbefriedigend. Was fremd ist, wird nicht oder
nur ansatzweise verstanden und nicht in den produktiven Wortschatz aufgenommen, für den
zweisprachigen Benutzer dagegen konnten diese Wörter nicht fremd sein, weil sie zum
Alltagsgebrauch gehörten, von der Volkssprache wurde diese Fremdheit offenbar nicht gespürt.
Solche Wahrnehmung des Fremdwortes bezieht sich ganz eng auf die einzelsprachbezogene
Position, z.B. wird meistens bei Klassifizierung der deutschen Entlehnungen im
Standardlitauischem ausgegangen (vgl. DROTVINAS 1986: 11277, 2002, PALIONIS 1999). Laut
POLANSKA ist dieser Begriff in größeren geschichtlichen Zeitrahmen unbrauchbar: jedes
Fremdwort kann irgendwann zum Lehnwort werden und ein Lehnwort kann wieder als
„verfremdet“ empfunden werden. Die Lösung dieser terminologischen Zweiteilung soll hier in
der Benennung des Übernahmeprozesses für Neuwörter liegen, wo sie im NTK zuerst zitiert
werden.
Infolgedessen sind zwei Gruppen von Wortentlehnungen im NTK terminologisch
festzulegen: Zitatwörter und Lehnwörter.
In der Situation der Zweisprachigkeit setzt der Lehneinfluss für die langfristigen
Erscheinungen
(Transferenzen)
immer
kurzfristige
(Zitatwörter78
als
Ergebnis
der
Kodeumschaltung und Interaktionsstrategie der Autoren) voraus. Für Zitatwörter werden hier
solche Wortentlehnungen gehalten, die ihre Gebrauchstradition als Neuwörter anfangen.
VAICEKAUSKIENĖ (2004: 130) wählt dafür den Begriff neue Zitatwörter (die Entlehnungen
mit nicht adaptierter Ortographie), die ihrerseits in 2 Typen zerfallen: 1. einmalige,
okkasionelle
Einsprengsel
(codewechselartige
Zitatwörter)
2.
entlehnungsartige
77
Die Germanismen werden in alte Lehnwörter (lit. tikrieji skoliniai), Fremdwörter (lit. svetimybes) und Internationalismen
gegliedert. Fremdwörter sind nicht die einzigsten Bennennungen von Gegenständen oder Sachverhalten, sie sind eher
Dubletten von in den Mundarten oder in der Standardsparche vorhandenen Benennungen (DROTVINAS 1986: 116). Als Norm
gelten dt. Wortentlehnungen amatas, luomas, bulius, in die Hochsprache dringen Fremdwörter abzacas, balkis etc.
78 Von TESCH geht die Tendenz aus, neu übernommene Wörter, die sich nur auf Sachverhalte im Herkunftsland beziehen, als
Zitat zu bezeichnen (1978: 55), die von POLENZ (2000: 41) zu Zitat-Wort präzisiert wurde. Auch die gegenwärtige litauische
Sprachkontaktforschung scheint dieser Tendenz zu folgen (vgl. VAICEKAUSKIENĖ 2004). Nach ihren Gebrauchsfrequenz
können Zitatwörter einmalige, individuelle Innovationen bleiben (Gelegenheitsentlehnungen nach POLENZ (1991: 45), ad hoc
Entlehnungen nach WEINREICH oder Spontanentlehnungen, codewechselartige Zitatwörter nach VAICEKAUSKIENĖ (2004: 121)
oder zu entlehnungsartigen Zitatwörtern werden.
47
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Zitatwörter, die ihre Gebrauchstradition anfangen und authentische bzw. gemischte
Rechtschreibung weisen.
Um den Forschungsvorhaben treu zu bleiben werden hier Einchränkungen hinsichtlich
solcher Einsprengsel eingeführt. In Anlehnung an LÜDI (1996: 242), GRUMADIENĖ (1996: 195)
werden hier hauptsächlich diejenigen Wortentlehnungen zur Untersuchung gezogen, die vor
allem nicht einmalig, nicht okkasionell79 sind, weil die Phänomene der Rede im Rahmen eines
Performanz-
bzw.
Äußerungsmodells
erklärt
werden
müssen.
Solche
Sprachwechselerscheinungen werden als Darstellung der Vorgeschichte für eine Entlehnung
analysiert, die längerfristige Veränderungen nach sich gezogen hat und zu neuer
interferenzartiger Wortentlehnung (entlehnungsartigem Zitatwort) geworden ist, z.B. das
im NTK übernommene Wort für Sprachrohr80 wurde zuerst in Texten als codewechselartiges
Zitatwort verwendet (pasigirsta per „Sprachrohr“), später aber wurde es etwas adaptiert
(Sprachrohras)
oder
mit
Hilfe
der
Interaktionsstrategie
verwendet
(Sprachroras
(Garsiakalbis)). Im Moment ihrer Erscheinung haben die Zitatwörter noch kein Verhältnis zum
Sprachsystem (sie kann erst nach mehrmaliger Verwendung (mit/ohne Hilfe von
Interaktionsstrategie) entstehen). Das Durchlaufen und die Motive für ihre Integration wird bei
TESCH (1978: 128-129) skizziert: Im integrativen Stadium werden die durch Interferenz
entstandenen lexikalischen Dubletten auf verschiedene Art und Weise zum Teil wieder
aufgehoben. Die übernommenen Lexikoneinheiten können integriert werden, da sie den Kode
erweitern oder Stilwert (Expressivität) erhöhen. Indem das sekundär substituierte Lexem den
zuvor identischen Zeicheninhalt repräsentiert, stabilisiert sich die Interferenz. Das Ergebnis
dieser Enddublettisierung sind also integrierte Lexeme, die den Lehnwörtern entsprechen81.
In der Vorstufe der Entlehnung stehende Zitatwörter und ihre Erläuterung durch die
Interaktionsstrategie entsprechen häufig im NTK rein terminologisch dem Begriff des
Xenismus82, wenn er als rein deskriptiver Oberbegriff für Einsprengsel aus dem Deutschen
dient, deren Andersheit objektiv identifizierbar ist. Hinzu kommen Kontextsignale
(Anführungsstriche und -zeichen). Xenismen dienen im NTK nicht zur Übermittlung eines
konzeptuellen Inhaltes, sondern zur primären Evozierung der Andersheit. Termini, häufige
Wörter der öffentlichen Sprache (besonders Sprachgut der Reichssprache seit 1933) wurden
79
In den Forschungen von Neuwörtern der litauischen Standardsprache gibt es auch andere Meinungen: MIKELIONIENĖ (2000:
4) bezeichnet mit Neuwort nicht nur solches Element, das Merkmale der Systemhaftigkeit und hohe Gebrauchsfrequenz hat,
aber in den Wörterbüchern noch nicht fixiert ist, sondern auch einmalige, okkasionelle Bildung.
80 Alminauskis aber hat šprokrors ‚Sprachrohr‘ schon als Lehnwort in sein Verzeichnis aufgenenommen.
81 In der litauischen Standardsprache gelten laut GIRČIENĖ (2003b) als neue Entlehnungen „fremde Wörter oder ihre
lexikalisierten Wortverbindungen, die in der zweiten Unabhängigkeitsperiode ins Litauische übernommen sind, meistens ist
ihre Form in das grammatische System des Litauischen integriert. Darunter gibt es auch solche, die in früheren Wörterbücher
fixiert sind, aber nur in diesem Zeitabschnitt im Gebrauch verbreitet wurden“.
82 Vgl. GIRČIENĖ (2000:10), MCMAHON (1994: 209): „...at first, loans are xenismes, foreign words normaly italicised or
enclosed in quotes in a text, and generaly translated“.
48
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
mit authentischer Schreibung wiedergegeben, weil der Leser sie vielleicht schon aus den
deutschen Zeitungen kannte, somit fällt ihm ihre Identifizierung leichter: taip wadinamą
„Aufenthaltsgenehmigung”. Die so aufgefasste Kategorie des Xenismus führt über
Einzelwörter hinaus, da z.B. auch Orts- und Personennamen eingeschlossen sind: bei der
intensiver Verdeutschung von Ortsnamen in Ostpreußen werden die deutschen Ortsnamen von
der litauischen Sprachgemeinschaft als fremd empfunden.
Für Lehnwörter werden hier solche Wortentlehnungen gehalten, die nicht nur
graphologische und morphologische Anpassung haben, sondern auch Merkmale des Eingangs
in den Sprachgebrauch weisen. Sie sind fast ausnahmslos in der Gruppe der Transferenzen zu
finden: ihrer phonemisch-graphemischen und grammatisch-flexivischen83 Adaptation folgt eine
weitere Stabilisierungsfunktion, die sich an der Bildung eines semantischen Systems mittels
Weiterungen und Lehnbildungen erkennen lässt. Weiter folgt die sprachsoziologische
Integration (Normung, kommunikationsbezogene Begleiterscheinungen in der Zeitung). Durch
die Interaktionsstrategie ihnen zugefügte Wörter können Kanonwörter (litauische und
slavische) bzw. Neuwörter des Standardlitauischen sein. WEINREICH (1976: 76) behauptet, dass
Lehnwörter von einer Sprache angeeignete Wörter sind, die einen ganz neuen Inhalt haben.
Dabei ist vor allem an den neuen Wortentlehnungen der Prozess des Lehneinflusses
erkennbar, wobei besonders deutlich die Unterschiede zwischen den Tendenzen der lingualen
Eingliederung von alten Entlehnungen und von neuen Entlehnungen zum Vorschein kommen:
die letzten weisen keine systematischen Verhältnisse zu je einer Sprachebene und bilden
separate Gruppen untereinander.
1. Die phonemisch-graphemische Anpassung behandelt phonologische und
ortographische Gestalt von Wortentlehnungen, sowie ermittelt die phonetischen Varianten. Die
graphische Adaptation in Texten des NTK nimmt Bezug auf phonologische Adaptation des
gesprochenen
und
geschriebenen
Preußisch-Litauischen.
Aufgrund
des
mündlichen
Übernahmeweges besaßen die alten Lehnwörter phonemische Adaptation: gerundete
Vordervokale werden gewöhnlich entrundet, kurzes o, das im Litauischen fehlt, wird durch a
oder u substituiert (Kurbas ‚Korb‘). Beim Konsonantismus ist vor allem die Substituierung der
Spiranten f, x und der Schwund des Hochlauts h zu bemerken (ČEPIENĖ 1995,
HINDERLING/HASSELBLATT 2004: 3274). Viele Angaben über die phonetische Adaptation
liefern die Untersuchungen der dialektalen Lexik: GIRIŪNIENĖ (1975: 83–94) untersuchte die
Adaptation der Vokale bei Germanismen in ostpreußischen Schriften des 16. und 17. Jhs.,
ČEPIENĖ (1995) untersuchte die phonetische Adaptation von Germanismen in litauischen
Mundarten und Schriften des 16.-20 Jhs. Die Autorinnen behaupten, dass die Schreibung nicht
83
In Einzelfällen fehlt bei den Lehnwörter die grammatische Adaptation, z.B Kakao.
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in Ostpreußen
immer die Aussprache wiedergab, es gaben viele Variationen. Z. B. Solche Varianten wie p
und b (planka/blanka ‘dickes Brett’) entstanden aus unterschiedlichen Dialekten des Deutschen
(ČEPIENĖ 1995: 8). In der Zeitung sind nur Einzelfälle der Varianz in alten Wortentlehnungen
zu sehen: z.B. für das Litauische fremd scheinendes <ch> wird nur in seltenen Fällen durch
<k> ersetzt (Wachtmiſtras - Waktmi∫tras ‚Wachtmeister‘). Die graphische (auch phonetische)
Varianz ist häufig bei der Wiedergabe des deutschen Suffixes, z.B. neben dem häufigen
Gebrauch Gerichtsvollcyras ‚Gerichtsvollzieher‘ sind Gerichtsvollзyras, Gerichtsvollcieras
und auch authentische Wiedergabe des Suffixes in Gerichtsvollзieheris, Gerichtsvollзiehrui
präsent. Solche Varianz kann sich auf die Deklination der Substantive beziehen. Graphische
Varianz
des
Suffixes
zeigen
auch
Internationalismenen,
z.B.
InǮinieras/InǮeneuras/InǮingēras/InǮinieris/InǮenieras/IngǮengėras.
Aber beim genaueren Betrachten und Vergleichen mit fixierten mundartlichen Formen
im ALMINAUSKIS Germanismenverzeichnis (1935) zeigen auch die alten Lehnwörter in der
Zeitung ihre fremde Herkunft deutlicher als in der gesprochenen Sprache: im Gesprochenen
sieht man Verstellung der Laute (tramyna ‚(Gerichts)termin‘, in NTK Termynas) oder ihre
Auslassung (elpantas ‚Elefant‘, in NTK Elefantas). Im NTK finden sich ca. 40 Lehnwörter,
deren neuhochdeutsche Formen statt der im Preußisch-Litauischen belegten volkssprachlichen
Form bevorzugt werden, z. B.: klupsas-klopsas ‚Klops‘, tamabylius-automobylas ‚Auto‘,
kamsarija, kumsorija – kommissaras ‚Kommissar‘, kamudė-komodė ‚Kommode‘ etc. Die
Zeitungsbeispiele bringen die Annahme heran, dass im NTK vielmehr die in anderen
preußisch-litauischen Schriftstücken verbreiteten Schriftformen von volkssprachlichen
Entlehnungen verwendet wurden, z.B. für ‚Gefängnis, Zuchthaus‘ steht im NTK nicht die
volksetymologisch veränderte Form šiktūzė, sondern CuktuǮē, die mehr der Ursprungsgestalt
zuxthûs entspricht.
Die Zeitung war mehr auf ältere Leser eingestellt (NTK, 1937–5-2, 1937–7-2; KAUNAS
1996: 548), die mehr phonologisch adaptierte Varianten bevorzugen sollten, aber die
Bevorzugung von deutschem Original gleichenden Formen ist vielleicht auf die anderen
Ursachen zurückzuführen. Gute Deutschkenntnisse der Mitarbeiter verursachten, dass in der
Zeitung die standarddeutschen und nicht die volkssprachlichen Entlehnungsformen in hohem
Anteil vorkommen. Die Variation von graphologischen Varianten ist sowohl für die früheren
als auch für die späteren Wortentlehnungen kennzeichnend, dasselbe war auch am Ende des
19. Jhs. für Schriften des Litauischen typisch: deputiertas ir deputatas, gešeftas ir gišeftas
(PALIONIS 1999: 205, Alm 43).
Die deutsche Frakturschrift hat sich in preußisch-litauischen Schriften von ihren
Anfängen durchgesetzt, welcher man sich auch im NTK bediente. Das als Vorlage dienende
50
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
preußische Schriftbild84 genoss bei der litauischen Sprachgemeinschaft einen vertrauten
Charakter, es unterstützen auch die außersprachlichen Faktoren (deutsche Schreibtradition in
ostpreußischen Zeitungen und anderen Schriften, Lernbarkeit durch Schulunterricht etc.). In der
Wiedergabe von Wortentlehnungen werden die Merkmale der ostpreußischen Schreibweise
erhalten, z.B. Doppelschreibung bei Konsonanten, Großschreibung der Substantive,
Distribution von rundem s <s> am Wortende, und schaft-s <ſ> am Wortanfang und in der
Mitte (Taſikē ‚kleine Tasse‘), vgl. schaft-s <ſ> verschwand aus den Antiquaschriften in der
Mitte des 19. Jhs. (SUBAČIUS 2004: 239–240).
Andererseits wurden für die Laute des Litauischen besondere Grapheme schon seit D.
Kleins Zeiten eingesetzt, z.B. diakritisches Schriftzeichen zur Bezeichnung von ė. In der
Zeitung werden die Traditionen für Wiedergabe von deutschen Entlehnungen in anderen
Schriften befolgt und auch die neueren Tendenzen übernommen: im 17. Jh. schrieb man noch
diſſere ‘Tischler’ (Lex), in späteren Schriften (auch NTK) Dißerē. Im NTK sind auch die
Tendenzen der Rechtschreibung aus Großlitauen zu beobachten, z.B. die von JABLONSKIS
initierte Distrubution von u-ū. Dabei ist die Variation anzuführen, neben der häufigsten
Variante Sзtulē ‘Stuhl’ stehen Sзtūhlē.
Häufig wurden die Schwankungen in der Kennzeichnung von einzelnen Phonemen
zulässig: Phonem /š/ wurde meistens durch deutsches <sch>, in seltenen Fällen durch <ss>,
<sz>, <s> widergegeben. Die Variation entstand auch aufgrund von technischen
Druckmöglichkeiten, z.B. durch die Verwendung von tschechischen Vorlagen gelang das
Graphem <ů> in preußisch-litauische Schriften (PALIONIS 1995: 24-25). Im NTK wird ziemlich
folgerichtig mit dem Graphem <ů> das Phonem /uo/ bezeichnet, mit der Graphem <Ǯ> wurde
das Phonem /ž/ wiedergegeben; für /š/ steht am Wortanfang <sз> (Sзpykērē, ‘Speicher’), in der
Wortmitte <ß> (Geßeftas ‘Geschäft’), aber in Zitatwörtern wird auch gegebenenfalls deutsches
<sch> geschrieben.
Selbst das Schriftbild im NTK kann in Anlehnung an JERGER (2003: 242-248) als
Bestandteil der soziokulturellen Identität der litauischen Sprachminderheit in Ostpreußen
behandelt werden. COULMAS (1996: 104) bemerkt, dass Antiqua als katholische Schrift
empfunden wird, während Fraktur als evangelisch gilt, so werden die religiösen bzw.
politischen Differenzierungen suggeriert: im Preußisch-Litauischen wird die kulturelle
(historisch verursachte) Nähe zum deutschen und die Distanz zum litauischen Schriftbild
hergestellt. Aber im NTK gibt es Anregungen, das litauische Schriftbild zu lesen, sich an die
84
In Ostpreußen wurden die gotischen Buchstaben (in Frakturschrift oder in Schwabacher) in litauischen Schriftstücken bis
zum 2. Weltkrieg benutzt (nach DINI (2000: 316) bis zum 1. WK (!)). Es festigte sich das Alphabet von Daniel Klein, das
weiterhin von vielen Autoren befolgt wurde, aber z. B. Schleicher folgte in der Ortographie nur teilweise dieser Tradition,
indem er nicht alle Vokale er phonetisch schrieb (PALIONIS 1995: 222).
51
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
standardlitauische Rechtschreibung zu gewöhnen, was die Presse in Litauen zugänglich
gemacht hätte:
Juk Pruſų Lietuwiai ir Wyduno ſawotiβką Raβtą be didelių Sunkenybių paſkaito. Lotyniβkas
Skaitytines mes iβmokome jau Mokykloje arba Sзuilēje skaityti. Belieka dar Ǯinoti, kad č, š, v
reiβkia cз, β, w ir dar keletą kitų Raβto Skirtumēlių, tai mes DidǮioſios Lietuwos Raβto jau ir
mokēſime paſkaityti. Ypacз Jaunieji, kurie dar papratę mokytis, βito raβto greitai iβmokſta.
(1927-45-4, Lietuwiβkos Knygos)85.
VAICEKAUSKIENĖ (2004: 121) meint, dass die Lehnelemente mit nichtadaptierter
Ortographie eine bestimmte soziale Funktion erfüllen, die auch auf die fonologischen Gründe
zurückzuführen ist: die Wörter nehmen so eine besser erkennbare Gestalt an, vielleicht sind sie
dem Leser schon aus den anderen schriftlichen Quellen (deutschen Zeitungen) bekannt. Zu
einem ähnlichen Ergebnis kommt KUKKONEN (1980: 106) bei der Auswertung von
Sowjetismen in Ostsee-finnischen Dialekten: bei den Entlehnungen der sowjetischen Periode
wird die Rechtschreibung der russischen Sprache erhalten (s. dazu MCMAHON 1994: 205)86.
Bei den Zitatwörtern wird ohne irgendeiner Schreibtradition folgend zu können möglichst nah
dem
deutschen
Original
geblieben.
Davon
zeugen
Umlaute
(Führeris
„Führer“),
Doppelschreibung der Konsonanten (Gruppenleiteris ‘Gruppenleiter“).
2. Grammatisch-flexivische Anpassung ist nach WEINREICH (1976: 66) der weitaus
gewöhnlichste
Vorgang
von
Wortentlehnungen.
Sie
fungiert
darauf,
dass
die
Wortentlehnungen die grammatischen Kategorien der entlehnenden Sprache übernehmen und
sich erst dann vollständig anpassen (TESCH 1978: 181). Deswegen versteht POLENZ (1991: 45)
die morphologische Adaptation einfach als flexivische Integration. Als Merkmale der
grammatisch-flexivischen Adaptation bei deutschen Wortentlehnungen werden grammatische
Morpheme87, z.B. Flexien verstanden.
Auch in den jüngeren Forschungen des Litauischen (LKE 1999: 239, GIRČIENĖ 2003b)
gelten als Wortentlehnungen solche Wörter, bei denen die litauischen Affixe nur die Funktion
von Flexion und morphologischer Integration erfüllen (z. B. -as, -is bei Berufsbezeichnungen).
Ein Lehnwort wird dadurch, dass es die Flexionsendung der neuen Sprache annimmt, noch
nicht zur Hybridbildung. Im Gegenteil, es ist in den Sprachen mit einem ausgebauten
Flexionssystem (wie im Falle des Preußisch-Litauischen) die Regel, dass Lehnwörter die
Formen einer bestimmten Flexionsklasse annehmen. Für diese Forschung sind die Fälle der
Genusschwankung, Wahl des grammatischen Paradigmas von Bedeutung, weil dadurch diese
85
Preußisch-Litauer lesen ja auch die eigenartige Schreibweise von Vydunas ohne größeren Schwierigkeiten. Lateinische
Buchstaben haben wir in der Schule gelernt, es bleibt nur zu wissen, dass č, š, v für cз, β, w stehen und noch einige
Unterschiede in der Schrift, so können wir die großlitauischen Schriften lesen. Besonders die jungen Leute, die zum Lernen
gewöhnt sind, beherrschen schnell diese Schrift (1927-45-4)
86 The degree of adaptation also depends on the quantity of loans from the same source already in the recipient language, ant
the degree of bilingualism: if the speakers of the recipient language are familiar with the donor language, they are less likely to
adapt words borrowed from it.
87 Der traditionellen Wortbildungsterminologie folgend werden hier die Morpheme in Basismorpheme (Grundmorpheme),
Wortbildungsmorpheme und grammatische Morpheme gegliedert (FLEISCHER/BARZ 1995: 63).
52
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
chemische Mischung von Fremdem und Eigenem ersichtlich wird (BECHERT/WILDGEN 1991:
3).
Die den größten Anteil bildenden Substantive erhalten bei ihrer morphologischen
Adaptation Kategorien des Genus, der Zahl und des Kasus, wie das im Preußisch-Litauischen
üblich war. Bei der Genuszuordnung von Substantiven (WEINREICH 1976: 67; TESCH 1978:
184; VAICEKAUSKIENĖ 2004: 117–121) wird neben den anderen Prinzipien88 häufig die
Analogie mit der deutschen Sprache eingesetzt: Uniwersitēta
‚Universität‘, dt. die
Universität), Komētas ‚Komet‘, dt. der Komet).
HINDERLING/HASSELBLATT (2004: 3275) bemerken, dass bei der morphologischen
„Interpretation“ im Preußisch-Litauischen das fehlende Neutrum in das vorhandene zwei
Genus-System eingefügt werden musste, neutrale Substantive werden darum bald als feminina,
bald als maskulina übernommen, z.B. lit. špykis, kleinlit. špykė ‚Speicher‘. Im NTK ist nur
seltene Variation der Genuskategorie bei der Deklination anzuführen, z.B. Gewerkßafta
‘Gewerkschaft’ als übliche Form und Einzelfall Gewerkßaftai (nom. pl.). In vielen Fällen ist es
schwierig eindeutig das Genus zu rekonstruieren, weil Beispiele im Gen. Pl. stehen. Die
Flexionselemente können also ersetzt werden, ohne an dem wesentlichen Charakter der
Wortentlehnung etwas zu ändern (z.B. citronas-citrona). Die Adjektive erhalten die Endungen
-as (liů∫as „los, frei‘), -is, als Infinitivendung bei Verben gilt meistens –uoti (marßůti
‚marschieren‘). POLANSKA (2002: 155) ist der Ansicht, dass die Integration von Verben und
Adjektiven offensichtlich durch die Kombination der nativen und fremden Morpheme schon
bei der Kodeumschaltung geschieht.
Das Fehlen der Systemhaftigkeit bei der flexivisch-grammatischen Anpassung kommt
bei neuen Wortentlehnungen vor. Die morphologisch nicht adaptierte Form erfüllt im Text
stilistische oder metasprachliche Funktion und ist selbst die Grundlage der Entlehnung, z.B.
pasigirsta per „Sprachrohr“ ‚Sprachrohr‘). Hier ist POLENZ (1991: 47) zuzustimmen, dass die
grammatikalische Nichtintegration oder Integrationsbehinderung
dennoch auch ein
soziolinguistisches Problem bleibt.
3.2. Besonderheiten der lexikalisch-semantischer Eingliederung
Die sekundäre Eingliederung bestimmt den Eingang ins lexikalisch-semantische
System bzw. den Sprachgebrauch und verlangt die Wahrnehmung des entlehnten Lexems.
88
So behauptet WEINREICH (1976: 67) mit Recht, dass bei der Zuordnung eines grammatischen Geschlechts zu entlehnten
Substantiven mehrere Kriterien im Spiel sind. Z. B. bei Substantiven für Unbelebtes kann die Form des Wortes den Vorrang
haben. Generell ist U. Baranows summarischer Feststellung zuzustimmen: Genuswahl geschieht nach dem natürlichen
Geschlecht, aufgrund der Wortform oder nach der Bedeutung der verdrängten Synonymie, sie kann der häufigsten Klasse der
Empfängersprache folgen. In etlichen Fällen ist keine eindeutige Begründung möglich - auch solche Fälle sind zu
berücksichtigen (TESCH 1978: 184) (s. auch VAICEKAUSKIENĖ 2004: 117-121).
53
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Nach POLENZ (1994: 84) ist bei der lexikalischen Integration immer mit semantischen und
soziopragmatischen Fragen zu rechnen, die eng mit Ursachen, Bedingungen und Folgen der
Entlehnung zusammenhängen.
WEINREICH (1976: 75) ist der Ansicht, dass man nur die ganz konkreten Lehnwörter
wie etwa Bezeichnungen für gerade erst erfundene Gegenstände sich als bloße Hinzufühung
zum Vokabular vorstellen darf und annehmen kann, dass das Lehnwort nicht weggestoßen
wird. Die Lehnwörter stehen in Konkurrenz mit schon vorhandenen Einheiten des
Wortschatzes, ihr Einfluss ist das Wegstoßen des alten Lehnwortes (JONIKAS 1987: 392),
ČEPIENĖ (2000: 34-38)89 oder die Spezialisierung des Inhaltes des litauischen Wortes. Z.B.
F.KURSCHAT bezeichnet kiaultwartis als ‚Einzäunung für Schweine’, während die Lehnbildung
kiaulstaldis er als ‚Schweinestall’ anführt.
Vom entlehnten Lexem aus folgt der Zugriff auf das Konzept. Jedes Lexem aktiviert
mindestens eine konzeptuelle Einheit, Synonyme aktivieren dieselbe konzeptuelle Einheit,
deswegen ist bei Untersuchung des Lehnwortschatzes die Frage der Synonymie von
Wortentlehnungen anzuschneiden.
Diachronische Untersuchung zeigt, dass auch unter den Entlehnungen selbst die
Synonymie entsteht. Sowohl absolute (Republikė/Freißtatas ‚Republik’, šlipsas/kravatė
‚Krawatte’) als auch partielle (Kynematografas/Kino-teatras ‚Kino’) Synonyme verlangen
Kenntnis der betreffenden Kultur. Im Preueßisch-Litauischen besteht z.B. ausgebaute
Synonymie unter deutschen Lehnwörtern für Spekulation (s.S.), synonymischen Lehnwörter
werden durch verschiedene Sprachstufen verursacht (z.B. bei den Bezeichnungen der
Landwirte s.S.
Die Behauptung von GRUMADIENĖ (2004: 213), dass die Zusammenwirkung von
Sprachen nicht nur ihre Systeme (oder Strukturen) verändert, sondern auch nach der SaphirWhorf-Hypothese die Auswirkung auf das Weltbild der Sprache macht, wurde schon früher in
der deutschen Sprachwissenschaft verneint, z.B. TESCH (1978: 217) bemerkt, dass aus der
Tatsache der Interferenz nicht die Verschiedenheit des Weltbildes folgt. Eine Vielzahl
verschiedenartigsten Entlehnungen ergänzt und modiffiziert das Weltbild, verstanden als
sprachliche Stellungnahme zur Selektion der Realität, nicht als Weltanschauung, verändert aber
nicht die Struktur der Denkprozesse.
Im Sprachgebrauch befestigtes Lehnwort wurde fremd nur in historischer oder
etymologischer Hinsicht, für den Sprecher wurde es eigen. Die soziolinguistische Integration
von alten Wortentlehnungen im Gesprochenen konnte dadurch verursacht werden, dass sie sich
ČEPIENĖ (2000b: 34-38) bemerkt bei der Untersuchung von Bezeichnungen für Haushaltsgegenstände in Wörterbüchern
von Haack, Ruhig und Mielke, dass nicht selten die deutsche Entsprechung (Synonym) das indigene Wort ersetzte.
89
54
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
leichter an die phonetischen Formen des Litauischen angepasst haben und litauische Formanten
erhielten:
kleidė
‚Kleid‘,
šleprokas
‚Nachthemd‘,
mučikė
‚kleine
Mütze‘
(BUKANTYTĖ/BUKANTIS 1997: 81).
3.2.1. Eingliederung der Entlehnungen durch Weiterungen
Bei der lexikalisch-semantischen Integration ist die Ebene der Morphologie
hervorzuheben. Die morphologische Integration ist durch die Kombination vom entlehnten
Lexem und indigenen Wortbildungselementen darzustellen (POLENZ 1991: 46), nach dem
Ergebnis der morphologischen Bearbeitung werden folgende Arten unterschieden: Ableitungen
(Suffixableitung und Präfixableitung), Konversion (vgl. SMETONA 2005: 83-89), die
Zusammensetzung (Kompositum) tendiert aber der Lehnbildung zu gehören.
Durch die morphologische Integration der Wortentlehnungen werden häufig die
notwendigsten weiteren fehlenden Wortschatzlücken ergänzt: neben den entlehnten
Denotatsbezeichnungen werden Bezeichnungen für Handlung, Vorgang, Täter, Werkzeug, Ort
(vgl. MILIŪNAITĖ 2000, EICHINGER 2000: 21) kreiert, wodurch Worbildungsneste90 ersichtlich
werden (JAKAITIENĖ 1988: 86).
Die Lehnwörter (vor allem aus den früheren Stufen) wurden in das Wortbildungssystem
des Preußisch-Litauischen mit Hilfe von litauischen Wortbildungsmitteln integriert, z.B.
substantivische Ableitungen mit litauischen Diminutivsuffixen (Sзnapſelis ‚Schnäpschen’,
Jumprawelė ‚Jungfrau‘, Kedelukas ‚kleiner Frauenkittel’, Stubelė ‚kleine Stube‘), mit Präfixen
(UǮkakalis ‚Hinterofen‘, Apſsteliavimas
‚Abbestellung‘). Mit der Erweiterung des
Wortbildungsnestes entstehen Wortfamilien in bestimmten semantischen Gruppen, z.B.,
maldůties ‚sich melden‘ (Primaldavimas ‚Anmeldung‘), Kiaulstaldis ‚Schweinestall‘,
Wißtstaldis ‚Hühnerstall‘ nach Staldas ‚Stall‘ (diese Zusammensetzungen können als Ergebnis
der Lehnformung betrachtet werden).
In der sprachwissenschaftlichen Terminologie werden diese Ergebnisse mit dem
Verständnis der Hybridität in Verbindung gebracht. ČEPIENĖ (2000: 464, 1995: 5) bezeichnet
mit litauischen Suffixen (für Diminutiva, Personenbezeichnungen, Abstrakta) und Präfixen
versehene deutsche Wortentlehnungen als hybride Bildungen: liktelė, liktužė, liktužis; vertystė,
vertybė;
apruliuoti,
užruliuoti.
DROTVINAS
(1986:
125-126)
ordnet
die
hybriden
Wortbildungen (entlehntes Wort und litauisches Affix) neben den hybriden Übersetzungen und
hybriden Entlehnungen allgemein zu Hybriden. Diese Vorgehensweise hebt aber nicht hervor,
dass solche Wortbildungen von der etymologischen Sicht hybrid seien, während der
90
Als Glieder des Wortbildungsnestes werden Wortbildungsprodukte bezeichnet, die in ihrer Struktur über ein formal oder
semantisch identisches Grundmorphem verfügen, das das Kernwort des Nestes darstellt (FLEICHER/BARZ 1995: 71).
55
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Wortbildung nach sind sie nicht als Hybriden zu verstehen. Folgend RANGES Auffasung (1994:
221) wäre es terminologisch besser, sie als Weiterungen im Preußisch-Litauischen zu
verstehen. Es gibt Fälle, wenn die Wortentlehnung als Ableitung im Deutschen übernommen
wird, zu der auch eine Ableitung mit deutschem Basismorphem und pr.-litauischem
Wortbildungsmorphem entworfen wird (Künstleris vs. Kunstininkas ‚Künstler‘
Besonders bei substantivischen und adjektivischen Komposita wird meist ein
Fremdelement mit einem semantische Merkmale des Fremdworts enthaltenden indigenen Wort
verbunden. Solche Bildungen werden schon als Lehnbildungen und nicht mehr als
Weiterungen von Wortentlehnungen wahrgenommen (z.B. Kiaulstaldis ‚Schweinestall’).
Obwohl es chronologische Unterschiede bestehen: kiaulstaldis konnte zuerst
als
Zusammensetzung gebildet werden, später aber als Lehnübersetzung vorliegen.
Die Zusammensetzung ist nicht immer alleine als Lehnübersetzung oder Lehnbildung
zu vertsehen, häufig spielt dabei die Volksetymologie mit (vgl. žogspiros ‚Sägespäne‘,
brangvynas ‚Branntwein‘, dumžėpis ‚Dampschiff‘, šnipeldūkas ‚Schnupftuch‘).
Die Zitatwörter zeigen keine Merkmale der morphologischen Integration, sie wurden
als Gruppen zur Bezeichnung von neuen Denotaten entlehnt. Die Neubildungen der Epoche
des Nationalsozialismus sind teilweise desemantisiert (CHROLENKO/BONDALETOV 2004: 325),
z.B. Amtsbezeichnungen:
Kiekwieno Kiemo Ortshofberateriai<...> ſawo Kiemui priwalo ißrinkti dar po kelis
Hofberaterius <....> PradǮios Laikui bus įſtatyti waldißki, taigi Algą gaunantiejie
„Hilfshofberateriai“ <...> Sзale minētų Patarējų Ukininkams be to dar bus įſtatyti
„Speзialberateriai“ ypatißkiems Reikalams <...> (1937–26-3), <...> koǮnam tokiam Skyriui
įtaiſys po ypatißką „Abſchnittshofberaterį“, Ǯemiau ßito Patarējo ſtowēs „Ortshofberateriai“
(1937–28-3).
3.2.2. Eingliederung durch Lehnbildung
An dieser Stelle ist zu bemerken, dass z.B. POLENZ (1999: 61) den Integrationsprozess
von lautlicher Anpassung bis zur Lehnübersetzung versteht, d.h. man kann die fremde
Bezeichnung wiedergeben, ohne die fremde Form zu benutzen. RANGE (1994: 211) ist der
Meinung, dass sich die sprachliche Interferenz beim Preußisch-Litauischen sowohl als Folge
des direkten Sprachkontakts (volkssprachliche Entlehnungen) als auch auf dem Wege der
literarischen Entlehnung91 ergab, wovon die Beispiele des geschichtlichen Überblickes zeugen.
Sogar in der Forschung werden die verschiedenen Entlehnungsformen durcheinander
dargelegt, z.B. ALMINAUSKIS schreibt über sein Wörterverzeichnis der deutschen
91
J. RANGE (1994: 213) betont, dass die späte Christianisierung der baltischen Völker erlaubt, den Prozess der Ausbildung
einer eigensprachlichen christlichen (Übersetzungs)literatur, in der und für die eine christliche Terminologie, an der Lehnwort
und Lehnprägung entscheidenden Anteil haben sollten, erst geschaffen werden musste. Immer mussten neue Inhalte
(Sachverhalte) sprachlich bewältigt werden und das Ringen um eine neue sprachliche Form wird auch in der religiösen
Übersetzungsliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts deutlich.
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Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
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Entlehnungen: „Nicht alle in dem Wörterverzeichnis angeführten Lehnwörter sind
gleichwertig. Die einen sind fest in der Sprache verankert und haben keine Entsprechungen im
Litauischen, die anderen sind nur als Modewörter aufgekommen und haben auch echt
litauische Entsprechungen: z.B. angeltė (Pr. lit.) ‚Handgeld‘ lit. rankpinigiai ‚Handgeld‘ und
sieht hier nicht, das rankpinigiai nicht echt litauisch, sondern ebenso Lehngut, d.h.
Lehnübersetzung ist (RANGE 1994: 224).
Die als Sammelbegriff geltende Bezeichnung Lehnbildungen wird in der
Sprachwissenschaft in weitere Formen gegliedert. BETZ fasst Lehnübersetzung (eine genaue
Glied für Glied-Übersetzung eines fremden Vorbildes (RANGE 1994: 218), z.B. pr.-lit. Pussalis
nach d. Halbinsel,
pr.-lit. Tolkalbis, lett. tālrunis nach d. Fernsprecher)) und
Lehnübertragung (freiere Teilübertragung, z.B. lit. degtinė nach dt. Weinbrand, lit. ligoninė
nach dt. Krankenhaus (RANGE 1994: 218) wegen der formalen Abhängigkeit vom Vorbild
unter dem Begriff Lehnformung92 zusammen und stellt diesen dem Vorbild formal
unabhängiger Lehnschöpfung gegenüber, die immer aus dem Bedürfnis entsteht, ein fremdes
Wort durch ein einheimisches zu ersetzen, z.B.im Versailler Vertrag wurde den deutschen
Weinbrennereien der Markenname Kognak verboten, weshalb das deutsche Erzeugnis seit
1921 Weinbrand heißt (STEDJE 1989: 24).
Von den erwähnten Lehnbildungen scheint der Lehneinfluss seinen Ausdruck
überwiegend als Lehnübersetzung im Preußisch-Litauischen gefunden zu haben, wobei aber
ihre genauere Beurteilung in Referenzwörterbüchern fehlt. Z.B. ALMINAUSKIS markiert als
Lehnübersetzungen folgende Belege: pantpinigiai, budelbernis, biliarkulkė, deputirtbutis,
garšėpis, kamarponis, gromiatbogis, pustpiningiai, dabei behandelt er weder ihre Adequatheit
noch die Herkunft der Bestandteile. Vom Standpunkt des Litauischen aus betrachtet der LKŽ
folgende Lehnübersetzungen sprachpuristisch als Hybride: tamsbrūnis, kiaulstaldis, ligonstubė,
liktaukiai, pustpinigiai.
Um das fremde Kulturgut und die Begriffsbildung so effektiv wie möglich eindringen
zu lassen, werden „durchsichtige“ Lexeme der Muttersprache zur Hilfe genommen und mit
ihnen sowohl auf der Ebene der Wortbildung als auch auf der Syntagmatik neue Kopplungen
eingeführt (JUHÁSZ 1980: 648). Die übersetzten Wörter sind Hybride in Hinsicht auf ihre
Wortbildung: bei der Übersetzung übernimmt man die fremde Struktur und Bedeutung, aber
dazu werden die einheimischen Wortbildungsmittel verwendet. In der litauischen
Sprachwissenschaft sieht man prinzipielle Übereinstimmungen mit der Betzschen Typologie:
92
Man könnte das Ergebnis des Lehnformungsvorganges (Lehnübersetzung und Lehnübertragung) mit H. J. Simon (1971)
calques nennen. So wird auch in der litauischen, lettischen, russischen Sprachforschung gemacht (vgl. PALIONIS 1999, LAUA
1981, KUKONNEN 1980). Besonders aktuell für die Untersuchung erscheinen durch die Epoche bedingte Termini-Kalken und
semantische Kalken (vgl. KUKKONEN 1980: 95-97).
57
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Lehnübersetzungen (lit. vertiniai, kalkės) werden nach dem Grad der Adäquatheit (adäquate:
dt. Ausnahme > lit. išimtis,
dt. Umzug > pr.-lit. Aplinktraukimas, nicht adäquate:
neakivaizdininkas, vgl. PALIONIS, 1999, DROTVINAS, 1986), nach der Art der Motivation (mit
relativer Motivation pr.-lit.Trukis), nach semantischer Motivation etc. (DROTVINAS 1987: 19)
gegliedert.
Dabei ist nicht zu übersehen, dass bei neuen Termini die Entsprechung häufig in Form
von als Wortverbindung dargelegter Lehnübersetzung absichtlich im Text angeführt wird, z. B.
Eintopfgericht (Wieno Puodo Walgis). Betz beweist anhand der ahd. Benediktinerregel, dass
der Prozess der Interferenz in erster Linie durch Lehnprägungen und nur sekundär durch
Lehnwörter zur Geltung kommt. Als Material für die Konkurrenz zwischen verschiedenen
Übernahmeformen werden solche Fälle in dieser Arbeit behandelt (vgl. GIRČIENĖ (2003b: 619) untersucht die Entstehung der Entsprechungen, ihre Struktur etc. im Standardlitauischen).
RUDAITIENĖ (1998: 26) hält diese Vorgehensweise, wenn neben der litauischer Entsprechung
(meist Lehnübersetzung) in Klammern noch das fremde Wort steht (in Anführungszeichen
oder schon etwas adaptiert) im kommunikativen Sinne für gut geeignet zur Widergabe einer
neuen Entlehnung.
Die auf die Betzsche Typologie zurückgehende Gliederung der Lehnbildung erschließt
nicht explizit die etymologische Mischbildung: bei der Lehnübersetzung von Komposita sollte
die mechanische Ersetzung (eine ziemlich strenge Form) der fremden Morpheme durch
heimische geschehen, aber die Sprecher bestreben auch eine freiere Form der Übersetzung, die
Mischbildungen,
Hybridkomposita,
hybride
Zusammensetzungen
(Weinreich)
als
Ergebnis hat, z.B.: tamsbrunas ‚dunkelbraun’, Pusmastis ‚Halbmast’. In den Texten des 16.17.Jhs gibt aber Fälle, wenn nur der erste Teil übersetzt wird: rankžogis, vynmedis, fygmedis.
TESCH bezeichnet das als Lehnprägungsmischtyp mit Fremdelement (1978: 121-122): bei
einer Lehnübersetzung wird nur der bekannte Teil übersetzt, der unbekannte Teil (das
Fremdelement) wird direkt übernommen. Einer vollständigen Übersetzung oder einer
vollständigen Wortentlehnung wird ein Lehnübersetzungsteil zugefügt: z. B. pr.-lit. Wasaros
Mantelis dt. Sommermantel, kanarjės paukštelis dt. Kanarienvogel, Pancer-laiwis dt.
Panzerschiff. In dieser Arbeit werden sie als Teil-Lehnübersetzungen bezeichnet. Bei der
Vielfalt der Entlehnungsformen für ein Denotat wird vom onomasiologischen Schwerpunkt
ausgegangen, das bezieht sich auf die Tatsache, dass es im Preußisch-Litauischen mehrere
strukturelle Möglichkeiten zur Wiedergabe von Komposita gibt93. Nach POLENZ (1999: 368)
93
Bei der Untersuchung der Wiedergabe von deutschen Komposita im Englischen ergab sich, dass dort anstelle dt. Komposita
zumeist ebenfalls Zusammensetzungen, Syntagmen Adjektiv-Substantiv, Genitivgruppen, präpositionale Wortgruppen oder
einfache Substantive erscheinen. Im englischen Sprachsystem waren die Veränderungen tiefgreifender, als Wandelprozesse im
Deutschen. Das verursachte, dass das Englische Wortbildungsmittel zur Verfügung hat, die im Deutschem nicht im gleichen
Unfang existieren (ERMLICH 2000: 206-212) (vgl. ADAMZIK 2001: 147).
58
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
wurden selbst im Deutschen die mehrgliedrigen Zusammensetzungen im 19. Jh. noch vielfach
mit Bindestrich, im 20. Jh. meist ohne Bindestrich geschrieben. TSCHIRCH (1989: 214) erläutert
das dadurch, dass die Zusammensetzungen im Volksbewusstsein nur allmählich zu einer
Einheit zusammengewachsen sind. Auch A. KURSCHAT schwankt bei der Schreibung von
Zusammensetzungen (pus-vokietis, aber puslietuvis). So werden in dieser Arbeit solche
Wortverbindungen behandelt, die aus zwei und mehreren Wörtern bestehen und nach PALIONIS
(1999: 208) zu phraseologischen Einheiten gezählt werden sollen. Es wird aber ihre mögliche
Entwicklung verfolgt, wenn sie zu einem zusammengesetzten hybriden Lexem werden oder als
Syntagma vorkommen.
Im Bereich der Sprachgeschichte wird die Schwierigkeit der Klassifizierung durch den
Umstand erhöht, dass das Material in einer diachronischen Perspektive vorliegt und die
Interferenzerscheinungen meistens von der Sprache aufgenommen worden sind. Bei der
Übernahmeform von zusammengesetzten Wörtern im Preußisch-Litauischen ist die
chronologische Grenze zu sehen (vgl. WEINREICH 1976: 75), z. B. vaktmistras ist alte
Wortentlehnung ohne jener morphologischen Analyse als Einheit übernommen. In einem
nächsten Schritt konnte das eine Glied eines Kompositums übersetzt werden, so z.B. knypskylė
‚Knopfloch‘. Die entwicklungsgeschichtlich nächste Stufe stellen vollübersetzte Komposita
dar, z.B. lit. geležinkelis (nach d. Eisenbahn).
Besonders wird der Grad der Lehnübersetzung bei der Einführung der neuen
Zusammensetzungen erforscht: die Aufschließung von Konstituenten einer Zusammensetzung
führt sowohl zur Lehnübersetzung (Orlaiwis ‚Luftschiff’) als auch zu Teil-Lehnübersetzung
(Oršėpis ‚Luftschiff‘), wodurch das dynamische Modell der Sprachkontakte aufgeschlossen
wird (vgl. BECHERT/WILDGEN 1991:154, VAICEKAUSKIENĖ 2004: 124, WEINREICH 1976). Bei
der Teil-Lehnübersetzung kann es sogar zu Tautologie als Sonderform kommen (TESCH 1978:
125), die darauf beruht, dass der Sprecher die genaue Bedeutung des Fremdwortes nicht kennt
(z.B. Reichsautobahn Kelias ‚Reichsautobahn’).
In dieser Forschung wird diese Klassifikation der Lehnbildungen aufgrund des
Untersuchungsmaterials und wegen nicht immer durchschaubaren Terminologie94 etwas
vereinfacht: Lehnbildung umfasst grundsätzlich die Lehnübersetzung, wo durch die
Bearbeitung von mehrgliedrigen Elementen die Teil-Lehnübersetzungen und entstehen.
94
Es ist aber häufig schwer, eine scharfe Grenze zwischen Lehnübersetzung und Lehnbedeutung (OKSAAR 2004: 3163 , vgl.
STEDJE 1989: 24) zu ziehen, bei Lehnübersetzung und Lehnübertragung ist die Grenze nicht klar genug. Die Kategorie der
Lehnschöpfung bleibt umstritten (TESCH 1978: 115) und wird wegen mangelnden Materials nicht analysiert. BUSSMANN
(2002: 444) versteht Lehnschöpfung als semantische Entlehnung, sie ähnelt in diesem Sinne der Bedeutungsentlehnung.
59
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
3.3. Steuerung der sprachsoziologischen Eingliederung von Entlehnungen im NTK
Es wird deutlich, dass bei der strukturellen und semantischen Integration von
Wortentlehnungen immer noch ihre Verwendung in der Sprachgemeinschaft ins Spiel kommt,
deswegen unterscheidet POLENZ (1991: 46) noch die sprachsoziologische Integration von
Wortentlehnungen. TESCH (1978: 38–39) weist darauf hin, dass strukturell und semantisch in
die Sprache integrierte Wortentlehnungen soziolinguistisch nicht integriert bleiben können.
Sprachsoziologisch stärker integriert sind Wörter der allgemeinen, fachübergreifenden
Bildungssprache, die Leute mit Allgemeinbildung beherrschen. Dabei entsteht der ganze
Komplex von Ursachen, der mit der Sprachsoziologie und Funktionen der Wortentlehnung
zusammenhängt.
Bestimmte neue Wortentlehnungen (Bezeichnungen des sozialen und politischen
Lebens) auch wenn sie z. B. keine graphologische Adaptation aufweisen, sollten wegen ihrer
Gebrauchsfrequenz sprachsoziologisch stark integriert sein, z. B. Führeris. Die anderen neuen
Entlehnungen fristeten dagegen in Zeitungstexten nur ihr passives Dasein. TESCH (1978: 3839) ist auch der Ansicht, dass lingual integriertes Lehngut soziolingual nicht integriert sein
kann, soziolinguale Integrationsprozesse sind an einen zeitlichen Ablauf gebunden
(Konkurrenz zwischen den Übernahmenformen, Enddubletisierung), während rein linguale
durch individual – einmalige Leistung erfolgen können (z. B. orthograpische Anpassung).
Die Interaktionsstrategie wird absichtlich in Texten bei alten deutschen Entlehnungen
eingesetzt, wo sie einige Aufgaben erfüllt.
1. Die deutschen Entlehnungen werden als Entsprechungen für litauische Wörter der
Standardsprache angeführt (meistens in Abdrucken von Werken der Schriftsteller (z.B. im
Roman „AUKŠTUJŲ ŠIMONIŲ
LIKIMAS“
von IEVA SIMONAITYTĖ95). Hier wird ihr Gebrauch
sozial motiviert: dadurch wird Zugehörigkeit zu der litauischen Sprachgmeinschaft
Ostpreußens ausgedrückt und die Fremdheit von der Entsprechungen (aus der lit.
Standardsprache) hervorgehoben.
2. Vielmehr steht bei der Interaktionsstrategie die litauische Entsprechung in
Klammern.
Der Schriftleiter E. JAGOMAST plädiert für die parallele Schreibung des deutschen und
des litauischen Lexems, weil die Leser solchen Wunsch ausgedrückt haben (Bedürfnis von
unten): Innungos (Suſiwienijimai), Rabattas (Papiginimas).
Im abgedruckten Roman sind solche Belege dafür zu finden: Spalwa (Parwas), Maißą (Žaką), Degtinē (Brangwynas),
Raides (Literas), Paßtininkas (Puſtininkas), Sijonuką (Kedeliuką), Kroſnies (Kakalio), Stotyj (Gelžkeldwaryj) , Kambarį
(Stubą) (1938 Nr.58-77).
95
60
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Solche Vorgehensweise bietet eine gute Gelegenheit zur Bekanntmachung mit dem
Wort aus der litauischen Standardsprache96, von welcher die Äquivalenten für die im
Preußisch-Litauischen eingebürgerten alten deutschen Entlehnungen angeführt97 werden,
wobei häufig nicht die linguistische Begründung folgt, sondern die Gefühle angesprochen
werden:
Daugiau nebegalime ſakyti „Sзpygelis“ arba „Зerkolas“, nes wienas žodis yra wokißkas, kitas
lenkißkas, bet mes turime gražiai ſakyti „Weidrodis“, tai yra tas Daiktas, kuris Weidą rodo,
Kēdē reikia ſakyt Wietoj negražaus žodžio “Sзtūlē”, kuris imtas iß wokißkoſios Kalbos. Taip
pat netinka wartoti ir žodį “Kraſē”, nes tai yra ſlawißkoſios Kalbos žodis. Laikrodis –
gražeſnis žodis negu Pawadinimas “Зēgorius“, kuris paſidarē iß wok. Žodžio “Зeiger” arba
platt-wokißkojo “Зēger, Sēger” 98.
Das Verhältnis zwischen der Schriftsprache in Großlitauen und in Preußisch-Litauen
scheint paradoxal zu sein: Obwohl selbst die preußische Abzweigung der litauischen
Schriftsprache in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. wesentlich zurückging und
aus soziopolitischen Gründen nie das Niveau der Hochsprache für die preußisch-litauische
Sprachgemeinschaft erreichte, diente sie aber als Grundlage bei der Herausbildung der
gegenwärtigen litauischen Standardsprache. Andererseits, obwohl in den Jahren der
Unabhängigkeit (1918-1940) das Litauische zu Staatssprache wurde, konnte es bei der
Entlehnung im Preußisch-Litauischen nur einen indirekten Einfluss haben, weil diese Sprachen
zwei unterschiedliche soziale, politische Lebensrealitäten darstellten. Obwohl ihre Grundlagen
ostpreußisch waren99, wurde sie in hohem Maße von starken litauischen Autoritäten der
Sprachnormung beeinflusst, die sie nach moderneren Bedürfnissen lenkten, z.B. die
Rechtschreibung in „VARPAS“ beeinflussten die Artikel von Jablonskis, das gegenwärtige
Alphabet des Litauischen wurde 1899 in AVIŽONIS „LIETUVIŠKA
endgültig 1901
in
Grammatik
von
JABLONSKIS
befestigt,
GRAMATIKĖLĖ“
die
fixiert und
Stabilisierung der
Rechtschreibprinzipien war viel langsamer (PALIONIS 1995: 241-242).
Im NTK wurden einige sprachpflegerischen Ideen doch von Litauen übernommen. In
Litauen wurden 1918-1940 die grundlegenden Prinzipien zur Normung von Entlehnungen
formuliert (basieren auf theoretischen Arbeiten von BŪGA, Slavismenforschungen von
SKARDŽIUS und Germanismenforschungen von ALMINAUSKIS). Die Reinigung und
96
Auf der Grundlage der Mundart von im Süden des Königsberger Gebiets ansässigen Litauer bildete sich in der Mitte des 17.
Jhs. die hochlitauische Schriftsprache heraus (ZINKEVIČIUS 1994: 213). Der Begriff litauische Allgemeinsprache kam erst
1927 in Gebrauch (SKARDŽIUS 1998: 945).
97 Medžiaga – wokißkai būtų Material arba Stoff, dēl to nereikia wartoti nelietuwißką žodį “Ceikis”, o ſakyti “Medžiaga”
Rūbams, Maißas yra tas pats kaip „žakas“, bet žodis „žakas“ (wok. Sack) liet. Raßto Kalboje newartojamas (1936-71-2).
Kroſnis – tai yra lietuwißkaſis Pawadinimas Wietoje žodžių “Kakalis” arba “Pecзius”, Kakalis iß wok. “Kachel-Ofen” (193623-4, Jaunimo Kampelis)
98 Wir können nicht mehr weiter sagen „Sзpygelis“oder „Зerkolas“,weil das erste Wort deutsch, das andere polnisch ist, aber
wir sollen schön sagen „Weidrodis“, das ist dieses Ding, das Gesicht zeigt, Kēdē sollen wir statt des nicht schönen
wortes“Sзtūlē” sagen, der aus der deutschen Sprache genommen ist. Genauso passt es nicht das Wort “Kraſē”zu verwenden,
weil das ein Wort aus der slavischen Sprache ist. Laikrodis ist ein schöneres Wort als “Зēgorius“, der aus dem deutschen
Wort “Зeiger”oder platt-deutschem “Зēger, Sēger”entstanden ist. (1936-23-4)
99Z. B. in „Aušra“ wurde mehr an die schleicherische Rechtschreibung gehalten (š wurde durch sz wiedergegeben, č durch cz),
später kam es zu Modifizieurngen š,č (PALIONIS 1995: 238)
61
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Bereicherung der Lexik der litauischen Standardsprache in der Zwischenkriegszeit basierte auf
den Angaben der Volkssprache (Mundarten) (PALIONIS 1995: 252-256), dieses Prinzip konnte
leider in der Zwischenkriegszeit nicht mehr praktisch in Ostpreußen eingesetzt werden, da dort
die litauische Sprachminderheit schon in hohem Maße zweisprachig war.
Im NTK werden als Entsprechungen auch die Neuwörter aus der litauischen
Standardsprache angeführt, es wird hingewiesen, dass manche davon als Ersetzungen für
deutsche Lehnwörter dienen könnten100. In der Rubrik für junge Leser in den Jahren 1936 und
1937 wird absichtlich eine Art Wörterbuch vorgelegt, wo für deutsche Entlehnungen die
litauischen Entsprechungen aus der damaligen litauischen Schriftsprache stehen. Aber in den
Zeitungstexten werden Entlehnungen mit dem Lexem Bund weiter verwendet (z.B.
Susibuntawojimas
‚Verband‘,
Buntas
‚Bund‘,
Heimatbuntininkas
‚Mitglied
des
Heimatbundes‘).
Durch die Interaktionsstrategie werden in Texten reine Formentsprechungen aus dem
Standardlitauischen genommen, z.B. Kawa für Kapija/Kafija, Arbata für Tija.
Die Interaktionsstrategie wird in Artikeln von VYDŪNAS101 für Abstrakta eingesetzt,
wodurch eine schon in der litauischen Sprache vorhandene Entsprechung vorgelegt wird
(GIRČIENĖ bezeichnet die Entsprechung als Kanonwort). Hier ist das Bestreben (von oben) zu
sehen, die breiteren Schichten der Sprachgemeinschaft mit litauischem Kanonwort
bekanntzumachen. Schon Ruigys hat behauptet, dass solche abstrakten Begriffe im Litauischen
sehr mangelhaft seien (GINEITIS 1995: 134).
Wichtig wird das Verhältnis vor der Wertschätzung der Entlehnung und ihrer
litauischen Entsprechung (vgl. MILIŪNAITĖ 2004: 32).
Tik būtų gerai, kad ſeneſniejie Žmonēs nors mažumą pripraſtų prie mūſų Kalbos Walymo, jos
Tobūlinimo, ir ſtengtųſi bent pora negražiai ſkambancзių nelietuwißkų Žodžių iß kaſdienißkos
ſawo kalbos ißmeſti naujowißkeſniais, grynai lietuwißkais. Tikra Paikyſtē yra ſakyti (kaip
kelintas tą yra daręs), jog tie naujieji Žodžiai yra “Žemaitißki” ar ſwetimi, nelietuwißki. (193673-1 Gimtoji Kalba kiekwienam turi buti brangi) .102.
Im NTK werden negativ solche Lehnwörter des Gesprochenen bewertet, die auch
Entsprechungen haben, auch wenn diese nicht litauisch sind. Im Preußisch-Litauischen konnten
viele von solchen Wörtern nicht Modewörter, sondern Kulturentlehnungen sein, die keine
Entsprechungen hatten oder die neu geschaffenen Lehnübersetzungen nicht allgemein bekannt
wurden. Das nahm NTK in Sicht: z.B. stehen hier in Konkurrenz Lehnübersetzung
Z. B. sąjunga, paskaita, uždavinys (1936-16-3), menas, įvykis, gamta (1936-18-3), padermė, tauta (1940-13-3) u.a.
In Texten von Vydūnas stehen häufig solche Abstrakta: “Treue” (Tikimybē), Sąlygas (Bedingungen), Santykiai
(Beziehungen), Unabhängigkeit (Nepriklausomybe) etc.
102 Es wäre gut, dass sich die alten Menschen zur Sprachreinigung gewöhnen und versuchten auch wenn einige unschön
klingende nichtlitauische Wörter aus ihrer Sprache zu verjagen und sie durch modernere, rein litauische zu ersetzen. Es ist
unverantwortlich zu sagen (wie auch einige das taten), dass diese moderne Wörter „schemaitisch“ oder fremd und nicht
litauisch sind
100
101
62
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
GelǮkeldwaris ‚Bahnhof‘ mit der Wortentlehnung Stacijonas, Lehnübersetzung Trukis ‚Zug‘
stößt die Wortentlehnung Cūgas aus dem Gebrauch aus.
Aber die sprachpflegerischen Absichten der Zeitungsherausgeber werden durch die
bilinguale Sprachnorm der preußisch-litauischen Minderheit korrigiert. Der Begriff der
bilingualen Sprachnorm im Preußisch-Litauischen bleibt ein erläuterungsbedürftiges Problem
(vgl. SCHILLER 2000: 200). Der bilingule Sprecher übernimmt ständig aus der jeweils anderen
Sprache Elemente und Muster oder die Sprachen abwechselnd benutzt, was zu verschiedenen
Arten von Sprachmischung führt. In Anlehnung an TESCH (1978: 76) werden hier die neuen
Wortentlehnungen nicht als Verfalls- oder Zersetzungserscheinungen betrachtet, sondern als
Folgen eines unmittelbaren Aufeinanderprallens verschiedener Sprachstrukturen im Rahmen
des Kontaktvorganges. Im Falle des Preußisch-Litauischen als nicht kodifizierten
Minderheitensprache versteht man unter Norm den realen Sprachgebrauch und nicht die
Kodifikation, wobei die Kriterien der Zielgerichtetheit und der Systemhaftigkeit bestimmend
sind (die Sprachelemente werden danach bewertet, wie sie ihre kommunikativen Funktionen
und Ziele erfüllen (vgl. KNIŪKŠTA 2001: 63-65)). Das Vorkommen von neuen Entlehnungen
hatte fast nie nur rein sprachliche Ursachen, sondern wurde von psychischen, sozialen und
kulturellen Faktoren mitbestimmt. Unter Bedingungen der Zweisprachigkeit wird neben der
negativen Bewertung103 von Entlehnungen vorgeschlagen, die Entlehnungen als organische
Sprachelemente der zweisprachigen Gesellschaft zu betrachten, als Notwendigkeit, damit die
Nehmersprache weiter im Gebrauch bliebe (SCHILLER 2000: 200; REICHMANN 2001: 29).
Erläuterungen für solche Vorgehensweise liefern psycholinguistische Ansätze. Nach
WEINREICH (1976: 112) steht die Funktionsüberlappung der Sprachen im alltäglichen
Gebrauch in Verbindung mit dem Faktum, dass beide Sprachen so früh erlernt werden, und
neigt zur Verwischung von Unterscheidung zwischen Muttersprache und Zweitsprache.
Neufeld erarbeitet etwa das Ergebnis, dass ein bilingualer Sprecher nicht zwei getrennte
Wortschatzlisten, sondern nur eine Liste internalisiert hat, in der die Wörter von beiden
Sprachen gemischt gespeichert sind (TESCH 1978: 79-81, ALBERT 1998). Daher sind die
Vorgänge der Kodeumschaltung als normale Erscheinungsformen und Ausprägungen innerhalb
eines zweisprachigen Handlungsrahmens zu bewerten, die aber in dieser Forschung als
kommunikationsbezogene Begleiterscheinungen verstanden werden.
In der bilingualen Norm steht die Korrektheit einfach mit Bekanntheit und
Akzeptabilität im Bunde: Ist das neue Wort entsprechend
den Wortbildungsmustern der
betreffenden Sprache gebildet in einer Weise, dass die Bedeutungen der Teile so verträglich
„Die schwächer werdende litauische Sprache in Ostpreußen degradierte stark. Hier verwurzelten sich deutsche
Konstruktionen, fremde Lexik. Hier verschwanden nicht (wie im unabhängigen Litauen) aus den früheren Jahrhunderten
entlehnte Slavismen” (ZINKEVIČIUS 1992: 253).
103
63
Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
sind, dass sie entsprechend dem semantischen Wert des morphologischen Konstruktionstyps
der Zusammenstellung verträglich sind. In dem Moment, in dem ein neues Wort in die Praxis
gebracht ist, hat es Korrektheitsmaßstäbe bekommen (BARTSCH 1987: 11). Dabei werden
andere wesentliche Prinzipien nicht befolgt: z.B. Rationalität und Zielgerichtetheit.
Von den zwei Interaktionsmodellen der Zweisprachigen (OKSAAR 2004: 3167-3168)
wird im NTK bei den Interferenzen absichtlich das normative eingesetzt: Lehnformungen
werden gebildet wodurch Distanz und Formalität signalisiert werden. Im rationalen Modell ist
der Sprecher bemüht, sich inhaltlich sehr exakt auszudrücken, das Modell kennzeichnet sich
durch lexikalische Interferenzen in der Form von vorwiegend integrierten morphosemantischen
Transfers, durch Kodeumschaltungen und bedeutet mehr Nähe und Vertrautheit.
Unter den Bedingungen der generellen Zweisprachigkeit spürt der zweisprachige
Sprachbenutzer den Unterschied zwischen der Entsprechung in der Muttersprache und der
Entlehnung und es gibt prototypische Möglichkeiten, wie die Wortentlehnung und die
Lehnbildung untereinander konkurrieren können.
Bei der Einführung von Entsprechung (in Form von Lehnbildung) ist die Wiedergabe
vom Inhalt am wichtigsten. Dabei weisen die Lehnbildungen in Zeitungstexten starke Bezüge
zur metalinguistischen Funktion, d. h. zur lexikographischen Erläuterung, die für den Anfang
des Lehnprozesses kennzeichnend ist. Zu den Zitatwörtern mit neuem Inhalt wird in Texten
meistens die litauische Entsprechung (Lehnübersetzung) beigefügt (Kas Mēneſį po wieną Kartą
bus įweſtas “Eintopfgericht”, wieno Půdo Walgis), das ist im Grunde genommen die
Interaktionsstrategie des Autors.
Diese Konkurrenzerscheinung kann an Sachentlehnungen aus dem technischen Bereich
belegt werden, wo auch die litauischen Entsprechungen nicht vorhanden waren und spontan
geschaffen werden sollten, z. B. für ‚Fallschirm’. Als litauische Entsprechung dient nicht nur
die adäquate Entsprechung (Kritimo Skėtis), sondern auch Beschreibungen der Funktionen von
Fallschirm Nuſileidimo Prietaiſu (Fallſchirm), Nuſileidimo Įtaiſymas. Mit der Zeit wurde die
neue als Wortentlehnung übernommene Bezeichnungsform terminologisiert und hat weiter
allein die Funktionen des neuen Zitatwortes im Text erfüllt (nußoko ſu Fallſchirmu, wirß
Galwos ißſiſkēcзia Fallſchirmas). Bei dem durch metalinguistische und semantische Ursachen
gestützten Gebrauch vom Lehngut in Texten wurden die Verständnislücken im Wortschatz
ergänzt.
In Zeitungstexten kann man auf bestimmte Gesetzmäßigkeiten von Gebrauch der
Wortentlehnung und der Lehnbildung stößen. WEINREICH (1976: 85-87) bemerkt, dass im
Kommentarteil einer jüdischen Zeitung weniger Entlehnungen transferiert wird, als im Teil der
Meldungen. (Beim Kommentieren kann man auch absichtlich Interaktionsstrategie einsetzen,
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Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
die Meldungen sollen die Information genau weitergeben, dort steht man unter dem Zeitdruck).
Das interferierte Lexem (Wortentlehnung) wird meistens spontan übernommen und nur selten
abgewiesen. Die Integration wird durch Objektmotivation, Situations- auch Kultur- bzw.
Kontextmotivation,
Wortentlehnung
Frequenzmotivation
von
Interferenz
bis
verstärkt
zum
(TESCH
Transfer
1978:
132-134),
weiterleiten.
die
Wegen
die
des
Standartisierungsprozesses der Sprache werden leichter und einfacher die Neuwörter mit
klarer Wortbildungsstruktur, spezialisierten Affixen, typischer Wortbildungsbedeutung
verstanden (KNIŪKŠTA 2001: 88).
Nach BECHERT/WILDGEN (1991:76) sind Lehnbildungen und Lehnbedeutungen stärker
in das System der aufnehmenden Sprache integriert als Lehnwörter, das ist auch häufig ein
Motiv für ihre Einführung. Der Bevorzugung von Lehnprägungen liegt das Bestreben
zugrunde, die eigensprachliche Geschlossenheit zu wahren. Entsprechend werden sie wohl
auch von Puristen als weniger gefährlich bewertet (TESCH 1978: 215). MILIŪNAITĖ (2004: 3243) führt die Kriterien für Verhältnis von Entlehnung und ihrer Entsprechung (Lehnbildung) an
(z. B. Herkunft der Entlehnung, Systemhaftigkeit). Alle Kriterien sind dem Prinzip der
Zielgerichtetheit unterworfen.
WEINREICH (1976: 84) meint, dass die unterschiedlichen Grade von Resistenz gegen
Wortentlehnung und die Bevorzugung von Lehnübersetzung das Ergebnis vielschichtiger
soziokultureller Faktoren sind. Für die Lehnübersetzung sollte diese Konkurrenz schwieriger
fallen, weil sie später als entlehntes Wort gekommen ist. Soziopsychologische Ursachen für
den Gebrauch von Lehnbildungen stützen auf die soziale Identität, die in der
Sprachgemeinschaft durch den variablen Gebrauch von verschiedenen Übernahmeformen
ausgedrückt wurde. Dabei sind die Einstellungen der NTK zum Lehnvorgang zu betrachten,
Versuche die mündliche Varietät des Preußisch-Litauischen zu korrigieren: statt „Turiu ant
Зugo eiti” wird korrigiert “Tai ką, Dēde, ar ne į Stotį ketinai eiti?” (1927-6-3). Auch im
Wörterbuch von K. Alminauskis in der gesprochenen Sprache fixiertes Modewort cūgas wird
in Texten als Lehnübersetzung Trukis wiedergegeben. Hier ist vielleicht die Tendenz zu
beobachten, dass gegen die transformierten fremden Elemente nicht so stark angegangen wird,
wie gegen die übernommenen Lexeme.
3.4 Verallgemeinerung
Bei der Analyse des lexikalischen Lehneinflusses werden im empirischen Teil nur
onomasiologischbezogene
repräsentative
Entlehnungsformen
untersucht:
bei
der
Wortentlehnung (Transfer vom Inhalt und von der Form) werden die Ergebnisse Lehnwörter
und entlehnungsartige Zitatwörter analysiert, bei der Lehnprägung überwiegend
Lehnübersetzungen
(mit
Teil-Lehnübersetzungen)
und
Lehnübertragungen.
die
In
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Teil I. Deutscher lexikalischer Lehneinfluss im „Naujasis Tilžės keleivis“ als Folge des deutsch-litauischen Sptrachkontaktes
in Ostpreußen
Sachbereichen wird die Konkurrenz von verschiedenen Übernahmeformen hervorgehoben (Z.
B.
Führeris:
Wortentlehnung
Landersbauernführeris,
Obersturmbannführeris,
aber:
Lehnbildung Lokomotywes Wedejas (deutsch: Lokführer)).
DEUTSCHER LEXIKALISCHER LEHNEINFLUSS
Lehnwendung
Wortentlehnung
(äußeres Lehngut)
Lehnprägung
(inneres Lehngut)
Lehnsyntax
Lehnwort
wort
Zitatwort
ortwort
Lehnbildung
Lehnformung
Lehnübersetzung
Lehnbedeutung
Lehnschöpfung
Lehnübertragung
Abb 2. Ausgewählte für die Forschung relevante Entlehnungsformen im Kontext der
ganzen Betzschen Lehngutstypologie
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