SCHLUSSFOLGERUNGEN SCHLUSSFOLGERUNGEN 1.Die

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SCHLUSSFOLGERUNGEN
SCHLUSSFOLGERUNGEN
1.Die Analyse des deutschen lexikalischen Lehneinflusses am Belegkorpus der
litauischen Zeitung Ostpreußens „NAUJASIS TILŽĖS
KELEIVIS“
(1924-1940) hat ergeben, dass
die als Folge dieser Erscheinung im Preußisch-Litauischen entstandenen Nominationseinheiten
aufgrund bestimmter soziopragmatischer Mechanismen hinzugefügt oder ausgestoßen wurden
sowie
formale
und
inhaltliche
Transformationen
erlebten.
Die
sprachpflegerische
Quellenspezifik verursacht aber, dass die hier herausgearbeiteten Gesetzmäßigkeiten nur
auszugsweise die Auswirkungen des deutschen lexikalischen Lehneinflusses im PreußischLitauischen beleuchten.
2. Bei der Aufschließung der onomasiologischen Besonderheiten des deutschen
lexikalischen Einflusses sind folgende Schwerpunkte von Bedeutung: Entlehnungsweg
(Zeitpunkt und Quelle der Entlehnung), Integration in das Sprachsystem (mit Berücksichtigung
der sich daraus ergebenden strukturellen Veränderungen) und Eingang in den Sprachgebrauch
(soziolinguistisch verursachtes Ringen der Entlehnungsformen, diachronische Ersetzung und
synchronische Variation).
3. Die sozialgeschichtlichen Gegebenheiten lassen den deutschen lexikalischen
Lehninfluss im NTK chronologisch auf 2 Ebenen darstellen:
3.1. Als Ergebnis des seit dem 13. Jh. stattfindenden Lehneinflusses fungierende
Transferenzen. Der NTK gilt hier als sekundäre Erscheinungsquelle dieser alten Entlehnungen
aus deutschen Siedeldialekten Ostpreußens bzw.deutscher Schriftsprache und Standardsprache
(s. Abb 1 auf S. ), und „korrigiert“ ihren Eingang in den Sprachgebrauch. Ungefähr 845 alte
Bezeichnungen verteilen sich auf folgende Sachbereiche: ALLGEMEINE KATEGORIEN
(Bewegung, Maßeinheiten, Zeitmessen) 45, WELT UND NATUR (Bodenschätze, geographische
Objekte und Prozesse, Pflanzen, Tiere, andere Lebewesen) 90, MATERIELLE UMGEBUNG:
ALLTÄGLICHE BEDÜRFNISSE UND LEBENSRAUM (Nahrungsmittel, Getränke, Gesundheit,
Kleidung, Gebäude, Haushalt) 160, GEISTIGE BEDÜRFNISSE (Sprache, Glauben, Emotionen
und Zustansbezeichnungen, Kultur und Kunst, Freizeitgestaltung) 80, SOZIALE REALITÄT
(Mensch
als
soziales
Wesen,
administratives
System,
politische
Organisationen,
Verwaltungszusammenhänge, Ideologisches, Außenpolitisches, Polizei, Gericht und Justiz,
Bildungswesen, staatliche Dienstleistungen, unternehmerische Tätigkeit, Militärisches,
Industrialisierung und technischer Fortschritt) 470. Die Transferenzen sind ihrerseits
zweischichtig:
1.
Durch den volkssprachlichen Kontakt aus dem Ostpreußischen entlehnte
Bezeichnungen des Alltagslebens, die auch in anderen osteuropäischen Sprachen vertreten sind
(Monatsnamen, Gestein (kalkis ‚Mörtel, Kalk’), Tiere (bulius ‚Bulle, Stier’, kleperis ‚altes,
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abgetriebenes Pferd’), Pflanzen (runkelis ‚Runkelrübe’), Verwaltungstermini (landrotas
‚Landrat’, burgemistras ‚Bürgermeister’), religiöse Bezeichnungen (kunigas ‚Pfrarrer’). Ein
Teil der alten Wortentlehnungen für Gebäude (kamara, buda), Kleiderteile (mantelis), Handel
(kaßtuoti, jomarkas), Militär (žalnierius) machten einen Umweg über das Polnische.
2. Aus der neuchochdeutschen Periode übernommene Entlehnungen in den
Sachgruppen des modernen Lebens (überseeische Bezeichnungen für Nahrungsmittel, durch
amtliche Neuregelungen entlehnte Bezeichnungen für Spekulation, Begriffe des technischen
Fortschrittes und der Industrialisierung sowie der Sportsprache). Sie gelten als Fachausdrücke
(cellßtofas ‚Zellstoff’), Internationalismen französischer bzw. englischer Herkunft (lokomotyvė
‚Lokomotive’, tunnelis ‚Tunnel’, streikis ‚Streik’), internationale Kunstwörter (automobylas
‚Auto’), amtliche Verdeutschungen (schaffneris ‚Schaffner’).
3.2. Als unter Bedingungen der generellen Zweisprachigkeit sich vollziehender Prozess
der Entlehnung von neuen Nominationseinheiten aus der Reichssprache und Fachsprachen,
wobei die Zeitung als Primärquelle sie in das Sprachsystem und in den Sprachgebrauch
einführt. Die transferenzartigen Neuwörter stellen ca. 50 Bezeichnungen dar (überwiegend in
den Sachbereichen für materielle Umgebung, Maßeinheiten, objekte der natürlichen Umwelt
und soziale Realität), die ihren Entlehnungsprozess erst eingeschlagen haben.
4. Die übernommenen Nominationseinheiten beider Ebenen lassen sich formal auf die
BETZSCHE Typologie stützend in 2 Gruppen gliedern: Wortentlehnungen (übernommene
Lexeme, zerfallen in linguistische Integration durchgelaufene und früher belegte Lehnwörter
und ihre gebrauchstradition anfangenden Zitatwörter) und Lehnbildungen (Nachbildungen des
deutschen Wortes mit eigenen Sprachmitteln als unter bestimmten außersprachlichen
Bedingungen entstandene Konkurrenzformen von Wortentlehnungen).
5. Die Eingliederung ins Sprachsystem reichte von der strukturellen Anpassung bis zur
lexikalisch-semantischen Integration mit unterscheidlichen Tendenzen bei Lehnwörtern und
Zitatwörtern.
5.1. Bei phonemisch-graphemischer Anpassung näherte man sich immer mehr der
deutschen Rechtschreibung und grenzte man sich von den volkssprachlichen Formen ab: z.B.
negative Bewertung der Lehnwörter des Gesprochenen (briefdrogeris ‚Briefträger’),
Vermeidung von volksetymologischen Formen (šiktūzė ‚Zuchthaus’, dūmžėpis ‚Dampschiff‘).
Bei den Zitatwörtern lenkte die nicht adaptierte Ortographie (Umlaute, Doppelschreibung der
Konsonanten) eine bestimmte soziale Funktion erfüllend die Leser an die deutsche Seite.
5.2. Die grammatisch-flexivische Anpassung wurde bei den Lehnwörtern schon in
früheren Quellen vollzogen, z.B. es gibt nur wenige Schwankungen bei der Genuszuordnung
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und bei grammatischen Paradigmen substantivischer Entlehnungen. Die grammatische
Nichtintegration der Zitatwörter bleibt ein soziolinguistisches Problem.
5.3. Von der Eingliederung der alten Lehnwörter in das lexikalisch-semantische System
des
Preußisch-Litauischen
zeugen
Weiterungen
(Suffigierungen,
Präfigierungen,
Konversionen) Den größten Teil bilden die diminutiven Ableitungen, obwohl in Texten der
Umfang von im Gesprochenen fixierten Formen nicht erreicht wird. Bei zusammengesezten
Bezeichnungen
geht
man
dabei
in
die
Lehnbildung
über.
Die
eingebürgerten
Zusammensetzungen werden semantisch unbearbeitet im NTK als Lehnwörter verwendet
(šnipeldukas
‚Schnupftuch’),
dagegen
erweisen
sich
als
Lehnbildungen
die
Zusammensetzungen mit litauischen Grundwörtern žuvis ‚Fisch’, kiaulė ‚Schwein’, šuo
‚Hund’, vanduo ‚Wasser’, nosis ‚Nase’, širdis ‚Herz’, laivas ‚Schiff’, valstybė ‚Staat’, mokykla
‚Schule’, mit dem Bestimmungswort vyriausias ‚Ober-. Andererseits wurden besonders die
Bestimmungswörter Šiuil-, Staat-, Ober- weiter in ihrer deutschen Form verwendet
(šiuilpinigiai ‚Schulgeld’, oberburgermeisteris ‚Oberbürgermeister’).
5.4. Für die Entlehnungen beider Gruppen ist die Ergänzung der Lücken im preußischlitauischen Wortschatz durch Germanisierung und Europäisierung kennzeichnend, wodurch
sich ihre lexikalisch-semantische Integration schnell vollzog. Seit dem Anfang des
Lehneinflusses geschah die Übernahme überwiegend substantivischer Bezeichnungen. Den
diachronischen Wandel dieser Integration stellt politisch verursachte Konkurrenz von
Entlehnungen für dasselbe Denotat (Staatas-Reichas) dar. Die aus der Reichssprache
stammenden Zitatwörter werden meistens desemantisiert als Gruppen übernommen.
5. Die soziolinguistische Integration wurde mit Hilfe der Interaktionsstrategie gesteuert.
Für bestimmte eingebürgerte Lehnwörter des Alltäglichen wurden in sprachpflegerischen
Artikeln die Entsprechungen angeboten (sowohl litauische und slavische Wörter als auch
Neubildungen des Standardlitauischen), z.B. die Lehnbildungen von KURSCHAT, KELKIS,
„AUŠRA“ und „VARPAS“. Die Zeitung gab Anstöße auch für Neuwörter (fallschirmas
‚Fallschirm’, lautsprecheris ‚Lautsprecher’) die Lehnprägungen zu bilden oder sie durch
Neologismen
aus
der
litauischen
Standardsprache
zu
ersetzen.
Auf
den
Druck
extralinguistischer Faktoren, unter denen sich der deutsche Lehneinfluss aus der Reichssprache
verstärkte, reagierte die Zeitung mit einem erläuternden Sprachverhalten und zielgerichteter
Interaktionsstrategie, d.h. mit der Beifügung der Lehnübersetzung, Lehnbildung oder
beschreibenden Erläuterungen zum Zitatwort (winterhilfė - žiemos pagalba ‚Winterhilfswerk’).
Dadurch wollte man der Tatsache entgehen, dass Worttransfer direkt zum Sprachwechsel führt.
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