Mikrokredite für alte Menschen in Vietnam Seit mehreren Jahren unterstützt medico international schweiz in Zusammenarbeit mit der vietnamesischen Organisation RECAS Programme zur Förderung der psychosozialen Gesundheit alter Menschen in Dörfern rund um die Stadt Hue in Zentralvietnam. Auch die Schaffung der Altersclubs mit Themen wie Tai Chi, Schach und andere Spiele, Lesen und Gedichte schreiben, gehört dazu. (Fotos 1 und 2) 1 2 Immer wieder taucht jedoch die Frage nach den materiellen Verhältnissen betagter Menschen auf, die unterschiedlich, oft aber noch sehr ärmlich sind. RECAS ist daher mit der Frage nach Mikrokrediten zur Verbesserung der Lebensgrundlagen an uns herangetreten. Eine erste, quasi Pilotsumme von 2’000$ wurde im März 2005 auf privater Ebene übernommen. Mit dieser Summe wurden 15 Mikrokredite erteilt - nach der Information von RECAS erstmals überhaupt an alte Menschen. Seither sind drei weitere Tranchen in der gleichen Grössenordnung dazugekommen. Mehrmals konnte ich mir vor Ort ein Bild von der Wirkung machen: Die Zahlungsmorale ist ausgesprochen hoch. Alle Kredite waren zurück bezahlt und an weitere alte Menschen vergeben worden, die ersten inzwischen bereits mehrere Male. Für jede Kreditnahme wird jeweils ein Vertrag erstellt, der von der begünstigten Person selbst und einer jüngeren, die für die Rückzahlung mitbürgt, unterzeichnet wird. Meist sind diese Zweitpersonen Familienmitglieder. So wurden verschiedene Einkommensquellen geschaffen: Einige haben den Kredit in vier Ferkel investiert; so ist eine kleine Schweinezucht entstanden <-(Foto 3). Ein paar Frauen haben Material zu Herstellung von Räucherstäbchen oder Süssigkeiten gekauft, von deren Produktion sie nun ein Einkommen generieren (Fotos 4 und 5). 4 5 6 7 Es gibt auch Grossmütter, die ihren Kredit in die Produktionsgrundlagen für die ganze Familie eingebracht haben. Eine Familie hat z.B. die Kredite beider Grossmütter und etwas eigene Mittel zusammengelegt und eine bescheidene Maniokmühle gekauft. Heute leben 10 Personen von der Verarbeitung des Manioks (Fotos 6,7,8,9). 8 9 Mit einem anderen Kredit wurden Heil- und andere Kräuter gepflanzt. Besonders originell ist jener alte Mann, der nach dem Tet-Fest, dem vietnamesischen Mondneujahr, Tet-Bäumchen in Töpfen ganz billig erworben und sie bis zum nächsten Tet-Fest gehegt und gepflegt hat. Er konnte sie dann zu einem guten Preis verkaufen, teilweise auch „vermieten“ um sie im nächsten Jahr wieder anzubieten. Seither lebt er weitgehend von und mit den Bäumchen (Foto 10). 10 Der Beispiele sind viele: Von der 2. Tranche (ebenfalls 2'000 USD), die im Herbst 2007 in Umlauf kam, profitieren alte Leute in Phu Binh. Es sind allesamt Menschen, die nach einem harten Leben in Booten auf dem Fluss mit ihren Familien ans Land zurückkehren konnten, denn was auf unzähligen Bildern so malerisch aussieht, ist bitterste Armut (Foto 11) : vor rund sechs Generationen wurde begonnen, die „überzähligen“ Kinder armer Bauernfamilien auf Hausboote auf dem Fluss zu schicken, wo sie tauchend Korb um Korb Kies von Grund des Flusses heraufholten. Nie konnten diese Schwerarbeiter auf einen gründen Zweig kommen, gegen moderne Bagger haben sie definitiv „kein Brot“. Immer aber sind diese „Bootsmenschen“ mit ihrem Dorf verbunden geblieben und haben sich das Recht erhalten, dort beerdigt zu werden. Nun werden sie im Rahmen von Sozialprogrammen nach und nach an Land zurückgeholt. Lange Wartelisten zeugen davon, dass dies einem Bedürfnis entspricht. Die Mikrokredite verwenden sie, um kleine Sachen anzuschaffen, die sie an Touristen oder einheimische Kunden verkaufen. Da alle jeden Monat ihre kleine Rate und einen Zins von 0,5% zurückzahlen, kommen jeden Monat weitere Interessierte zum Zug. Auf Foto 12 ist Mme Nguyen Thi Ngoc Trai, die Leiterin von RECAS. Alte Menschen geniessen in Vietnam traditioneller Weise Achtung und Respekt. Sie sind es zudem, welche die Last der Kriegs- und Nachkriegsjahre getragen haben. Dennoch ist es – auch angesichts der Umbrüche in Richtung Industriegesellschaft – für die Alten selbst, aber auch für arme Familien als Lebensgemeinschaft eine Belastung, wenn alte Personen ohne jegliches Einkommen sind. Die Fragen stellen sich dann in elementarer Härte: ein Schulbuch für das Kind oder Medizin für den Grossvater? Die Möglichkeit, einen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten, hat in diesem Sinne über die wirtschaftliche Ebene hinaus durchaus auch ihren psychosozialen Stellenwert, sowohl im Familieverband als auch gesamtgesellschaftlich. Anjuska Weil Präsidentin der Vereinigung Schweiz-Vietnam