Die Seuche Semesterarbeit zum Roman von Lukas Hartmann Roman Fischer, Stefan Rufer Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -2- INHALTSVERZEICHNIS 1. Abstract / persönliche Beurteilung ................................................................................................................... 3 2. Gesamtheitliche Darstellung des Werks ........................................................................................................... 4 2.1. Chronologie, Überblick und Bezug zur Aktualität ....................................................................................... 4 2.2. Erzählformen und sprachliche Besonderheiten ............................................................................................ 4 2.3. Bezug zum Autor .......................................................................................................................................... 5 3. Kritik der Sprache ............................................................................................................................................. 6 3.1. Wortfelder .................................................................................................................................................... 6 3.2. Analyse ......................................................................................................................................................... 6 4. Inhaltsdarstellung .............................................................................................................................................. 8 5. Individuelle Themenbearbeitung ...................................................................................................................... 9 5.1. Seuchenkrankheiten gestern und heute (S. Rufer) ........................................................................................ 9 5.2. Der Tod (R. Fischer) .................................................................................................................................. 12 Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -3- 1. Abstract / persönliche Beurteilung Die Seuche präsentiert sich als sehr leserfreundliches Buch. Fasziniert von der Geschichte kann man sich kaum davon losreissen und übersieht dabei die vielen interessanten Details. Erst bei der genauen Bearbeitung stellt man fest, wieviel vom Autor in dieses Werk gepackt wurde. Sich so intensiv mit einem literarischen Stück zu beschäftigen, war für uns beide eine neue Erfahrung. Obwohl wir anfangs etwas skeptisch waren, ob dies nun die Erfüllung des Deutschunterrichtes sein könne, stellte sich heraus, dass sich alle Mühen gelohnt haben. Gegenseitig von den persönlichen Bearbeitungen überrascht, sahen wir je noch eine Facette mehr, welche die Geschichte in sich birgt. Was bleibt dem Leser zu empfehlen? Verschlingen Sie die Geschichte zuerst einmal! Die Spannung soll nicht durch vorzeitige Analysen zerstört werden. Wenn Sie dann in einem zweiten Anlauf in einen der dunklen, ja schwarzen Themenbereiche eintauchen wollen: Tanken Sie zuerst genug Wärme und gönnen Sie sich einen scharfen Glennfiddich, denn die aktive Auseinandersetzung mit “Tod” und “Seuche” birgt unter der beschönigten Oberfläche genung schauerliches in sich. Lassen Sie sich vielleicht von einem Kapitel der Semesterarbeit an das Sujet heranführen, um dann auf eigene Faust weiter zu forschen. Viel Glück und viel Spass! R. Fischer, S. Rufer Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -4- 2. Gesamtheitliche Darstellung des Werks 2.1. Chronologie, Überblick und Bezug zur Aktualität Der zeitliche Raum des Romans ist das 14. Jahrhundert, kurz vor der Renaissance. Genau spielt er im Frühling 1349 in Rüeggisberg, einem kleinen Weiler zwischen Schwarzenburg und Riggisberg, eventuell bekannt vom Aussichtspunkt Rüeggisberg-Egg mit seinem heimeligen Restaurant. Die Hauptdarstellerin Hanna wohnt mit ihrer Grossmutter am Dorfrand, ihr Bruder besucht die Klosterschule. Das ehemalige Kloster Rüeggisberg ist noch heute als Ruine am Strassenrand zu sehen, nur einige hundert Meter vom Dorfkern entfernt. Im weiteren Verlauf der Geschichte wandern die Geschwister über den Längenberg nach Belp. Bei Muri setzen sie mit der Bodenackerfähre über die Aare und erreichen über den „Stalden“ (Muristalden) die Untertorbrücke und damit Bern. Der rote Faden des Buches sind die Seuchenkrankheiten Beulenpest und Aids. Am Beispiel von Hanna wird ein Ausschnitt aus der unvorstellbaren Pestepidemie um 1350 erzählt. Immer wieder prallen ihre Meinung und damit die Überlieferungen der Grossmutter mit den geistlichen Ansichten ihres Bruders zusammen. Vom 6. bis zum 8. Jahrhundert wurde Europa von den ersten Pandemien (Epidemien grossen Ausmasses) überrollt; die verheerendste, grösste Pandemie suchte von 1347 bis 1352 ganz Europa heim. Die Epidemie hatte 1347 von Nordafrika auf Sizilien übergegriffen und sich im Lauf der folgenden drei Jahre über ganz Europa bis nach Island ausgebreitet. Der „Schwarze Tod“, wie man diese Epidemie im nachhinein bezeichnete, forderte schätzungsweise 25 Millionen Todesopfer, d.h. etwa ein Drittel der Bevölkerung, entvölkerte ganze Ortschaften und Landstriche und hatte tiefgreifende Auswirkungen auf das Weltbild der mittelalterlichen Menschen und auf das Wirtschaftsleben. 1 Der Bezug zur Aktualität muss speziell betont werden. Hartmann verwendet dieses Mittel in seinem Roman als zentrale Gestaltung und Erweiterung. Er stellt laufend mit Zitaten aus verschiedenen Medien die Verbindung zum Thema Aids her. Dies angefangen bei Aidsfällen in Uganda bis hin zur Berner Drogenszene 1991. 2.2. Erzählformen und sprachliche Besonderheiten Der Text ist grösstenteils in der Erzählform verfasst. Direkte Rede kommt oft vor, wird aber nie als solche hervorgehoben (kein Doppelpunkt, keine Anführungszeichen). Hannas Träume werden als normale Erzählung mit eingeschlossener direkter Rede beschrieben. Aufbau und Gliederung des Buches sind einerseits sehr einfach, andererseits eigentümlich. Der Roman ist nicht in Kapitel unterteilt, er liest sich aber so flüssig und lebendig, dass dies gar nicht nötig ist. Deutliche Absätze genügen, um die unterschiedlichen Phasen der Geschichte abzutrennen. Hingegen werden die Einschübe mit dem Bezug zu Aids von Hartmann unbarmherzig mitten in Abschnitte gepflanzt, sogar Sätze werden durch die 1"Pest," Microsoft® Encarta® 97 Enzyklopädie. © 1993-1996 Microsoft Corporation. Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -5- Parallelgeschichte zerschnitten. Dies macht das Lesen nicht einfach, aber interessant. Die Sprache ist den jeweiligen Verhältnissen angepasst. Das einfache Deutsch in Hannas Erzählung steht im Gegensatz zu den Einschüben. Anfangs sind diese in einem wiederholenden Rhythmus formuliert, Sätze oder Satzteile werden repetiert. In klaren Sätzen wird der Leser mit den brutalen Tatsachen und Problemen des zentralafrikanischen Landes konfrontiert. wenn jedes dritte kind an der suche sterbe, sagten die seropositiven frauen zur frauenärztin marleen temmerman, müssten sie um so mehr kinder bekommen, um die todesrate auszugleichen (S. 92) Beim Wechsel zur Drogenszene Bern werden die Einschübe teils umgangssprachlich und stellenweise gar in Mundart geschrieben. Die zu diesem Slang gehörenden neudeutschen Ausdrücke fallen darin nicht einmal mehr speziell auf. dass mr hie, gopfridstutz, wenigschtens e schyssi überchämte, sagt billy, der die kalten nächte in der nähe des zugesperrten parks verbringt (S. 201) 2.3. Bezug zum Autor Lukas Hartmanns Reisen durch Afrika haben ihn an das Thema Aids herangeführt. Wenn man nicht gerade im Club Med sitzenbleibt wird man nicht über dieses Problem hinwegsehen können. Er hält uns bei seiner Abhandlung über die Seuchen den Spiegel vor, denn die Problematik ist ja nicht neu. Schon im 13. Jahrhundert verbreiteten sich die Krankheiten durch undiszipliniertes Verhalten, was bis heute nicht viel geändert hat. Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche 3. -6- Kritik der Sprache Anhand des folgendes Abschnittes wird eine Textanalyse durchgeführt (S. 138-139): 1 Plötzlich erkannte Hanna take your dying elsewhere den Meister wieder, er stand am Ufer, nicht weit von den Booten, um ihn hatte sich ein freier, von Fackeln erhellter Raum gebildet. Man führte drei 5 Judenkinder zu ihm. Sie gingen geduckt, schützten mit den Händen das Gesicht. Der Meister liess sie vor sich niederknien, löste, indem er begütigend auf sie einredete, die Hände von ihren Gesichtern, tätschelte ihre Wangen. Er netzte die Finger im Weihwasserbecken, das ihm ein Gehilfe hinhielt, und machte das Kreuzzeichen auf der Stirn der Kinder, 10 Ich taufe euch im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Peter, Paul und Magdalena werdet ihr fortan heissen, euch wird nichts mangeln, denn gute Christen werden euch aufziehen. Er betete, die Zuhörer fielen auf die Knie, in ihrem Rücken brannte der Himmel. Dann hob der Meister die Faust: Büsst! Büsst! Die Beifallsrufe 15 schwollen zum Freudengeheul, nur zwei, drei Fackeln brauchte es, bis der polizeikommandant und der fürsorgedirektor übereinstimmend zu protokoll geben, man werde das möglichste tun, um das problem zu entschärfen um Stroh und Holz auf den Booten in Brand zu setzen, man kappte die 20 Taue, die rasche Strömung trug die brennenden Boote davon, hinter den Flammen, dem Rauch verschwanden die Juden. Eine Zeitlang roch’s nach verbranntem Haar. Fahrt zur Hölle, sagte einer, der neben Hanna kauerte. Die Feuerhöfe, die flussabwärts trieben, spiegelten sich im Wasser. Aus Menschenglut wird Asche, graue Asche, mit der ich das 25 Gesicht einreibe, damit mich keiner mehr sieht. JESUS, DURCH DEINE NAMEN DREI, begann der Nachbar zu singen, MACH, HERRE, UNS VON DEN SÜNDEN FREI! JESUS DURCH DEINE WUNDEN ROT, fuhren andere fort, BEHÜT UNS VOR DEM JÄHEN TOD! Wie gesättigte Tiere standen sie am Ufer, während die Feuerboote hinter der Flussbiegung verschwanden. 3.1. Wortfelder MYSTISCH Das gefühlsbetonte, fast romantische in diesen Wörtern steht im krassen Gegensatz zum Grauen der Pest und der Judenhetze. RACHE Symbolisiert den Racheakt der Bevölkerung. Nach der Vollendung der Verzweiflungstat, zu der die Menschen in ihrer Ohnmacht gegenüber der Seuche angestiftet wurden, schlägt die Stimmung in eine gewisse Befriedigung um, in der Hoffnung, alles werde besser. Wenn im zweiten Einschub das Wort “entschärfen” in der Meinung der Quartierbürger geschrieben worden wäre, hiesse es wohl eher “lösen” (Endlösung...). RECHTFERTIGUNG Christliche Ausdrücke verleihen dem Text einen scheinheiligen Anstrich. Die Pilger und das Stadtvolk versuchen sich damit für ihr Verbrechen an den Sündenböcken, den Juden, zu rechtfertigen. 3.2. Analyse Obwohl die Sätze teilweise sehr lang und mit Kommas gespickt sind, bilden sie einen sehr homogenen Text, der sich in einen Zug lesen lässt. Hartmann bietet dem Leser die Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -7- Möglichkeit den Text flüssig zu lesen, indem er alle Satzteile exakt chronologisch anordnet. Damit werden Stolpersteine wie Nebensätze oder Einschübe vermieden. Der Leser wird vielmehr zum verschlingen des Textes motiviert, denn zu weiterführenden Überlegungen. Die ganze Textstruktur wird hingegen durch die Einschübe der verschiedenen Aids-Schicksale abrupt unterbrochen. Es wird der Eindruck erweckt, dass der Autor plötzlich auftauchende Gedanken an persönliche Erinnerungen von Aidsfällen unmittelbar niederschreibt, ohne Rücksicht auf den restlichen Text. Bei einer genauen Betrachtung fällt aber auf, wie die Einschübe zur Geschichte sowie untereinander verknüpft sind. Der zweite Einschub ist die eindeutige Fortsetzung einer vorangegangenen Warnung, man werde eine Bürgerwehr im drogengeplagten Quartier Kocherpark bilden. In der Hauptgeschichte ist dies soeben passiert, die Bürger haben Selbstjustiz geübt. Als Angelpunkt ist der Textausschnitt von ziemlich hohem Stellenwert. Hanna verliert an dieser Stelle den Kontakt zu ihrem Bruder Mathis. Dies leitet eine Wende der Geschichte ein, denn von nun an ist sie auf sich selber gestellt. Aus Menschenglut wird Asche, graue Asche, mit der ich das Gesicht einreibe, damit mich keiner mehr sieht. (Zeile 24) Dieser von Hanna gedachte Satz ist typisch. Sie verbindet Geschehnisse intensiv mit ihrer Phantasie, denn viel Erlebtes kann sie noch nicht verarbeiten. Meist tritt da auch die starke Beziehung Hannas zur Grossmutter zum Vorschein. Diese hat ihr als Ziehmutter viele Weisheiten auf den Lebensweg mitgegeben, womit Hanna unerwartete oder für sie unbegreifliche Situationen zu meistern versucht. Dies gelingt ihr mit den Überlieferungen meist besser als dem Novizen Mathis mit seinem blinden Vertrauen in Kirchenweisheiten. Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche 4. -8- Inhaltsdarstellung Wie in ganz Europa wütete die Pest in jenem Frühling auch in Rüeggisberg. Viele Leute flohen, noch mehr starben; auch das nahegelegene Kloster wurde nicht verschont. Die junge, waise Hanna pflegte ihre fiebernde Grossmutter. Kurz bevor die alte Frau starb, holte Hanna ihren Bruder Mathis, der sich den Mönchen angeschlossen hatte, aus dem fast ausgestorbenen Kloster. Nach dem Tod ihrer Ziehmutter verliessen auch die beiden Geschwister ihren Geburtsort. Im Wald suchten sie Zuflucht vor dem schwarzen Übel. Sie bauten einen Unterstand, wurden aber bald von Gleichgesinnten, die eine Blockhütte im Wald errichtet hatten, entdeckt und aufgenommen. Als Hanna ein Kind der Blockhüttenbewohner, welches krank und daraufhin ausgesetzt wurde, pflegte, schickten sie die beiden aus Angst vor der Übertragung der Pest wieder weg. Bald darauf stiessen Hanna und Mathis auf eine Prozession von zirka 160 Bussgängern, die singend und betend auf dem Weg nach Bern waren. Morgens und abends geisselten sich die Männer als Busse. Die Stadt Bern verwehrte den Geisslern den Zutritt, doch die Prozession drängte sich einfach durch das Stadttor. Nach einer Messe hetzte der Meister seine Bussgänger und die Stadtbewohner gegen die Juden auf. Hanna, die mit der Schuldzuschiebung auf die Juden wie auch mit der ganzen Bussgängerei nicht einverstanden war, versuchte zu fliehen, wurde aber gefasst und an den Handgelenken gefesselt. Die sogenannten Verursacher des schwarzen Übels wurden zusammengetrieben, in Boote mit Stroh und Reisig gesetzt, welche dann angezüntet und vom Ufer losgebunden wurden. Bei diesem Volksauflauf gelang es Hanna doch noch zu fliehen, sie verlor aber dabei ihren Bruder Mathis aus den Augen. Sie fand bei einem Fischerpaar etwas Arbeit, indem sie am Fischmarkt die Fische ausnahm. Eine Magd kaufte regelmässig Fisch, mit dabei hatte sie stets ein kleines Mädchen. Hanna war ganz fasziniert von dessen Gesicht und wollte das Kind kennenlernen. Eines Tages rannte das Mädchen beim Einkaufen davon, die Magd hinterher. Hanna liess den Fischern ausrichten, sie komme nicht mehr zurück und brachte am Abend den bezahlten und liegen gelassenen Fisch zur Adresse der Magd. Der Hausherr, Junker von Gysenstein, bat Hanna zu bleiben, denn seine Frau sei krank. Nun lernte Hanna das Mädchen namens Hildi näher kennen. Doch im Haus starben die Mutter und der Sohn von Gysenstein an der Pest. Nach dem Begraben der Toten sprang der wahnsinnig gewordene Junker über die Mauer des Hinterhofs in die Tiefe. In der Geschichte über das Wüten der Pest ist eine Art Reportage über verschiedene Schicksale von AIDS eingeflochten. So wird die 68 jährige Josephine aus Uganda mit ihren 22 Waisenkindern von an AIDS verstorbenen Söhnen, Töchtern und Nachbarn beschrieben. Auch die Sorgen und Gedanken der Fixerin Wanda H. oder der Umgang des jungen Bluters Klaus mit seiner HIV-Infiszierung werden wiedergeben. Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -9- 5. Individuelle Themenbearbeitung 5.1. Seuchenkrankheiten gestern und heute Das Buch bietet sich zur Bearbeitung dieses Themas geradezu an. Dennoch fiel die Wahl des Themas zur persönlichen Bearbeitung vor allem aus eigenen Interessen. Zur Einleitung einige Fakten über die Pest und Aids2 Die Pest trat schon vor Christus auf. Eigentliche Epidemien überrollten Europa aber erst um das Jahr 800 das erste Mal, 1350 schwappte die schlimmste Pestwelle auf den Kontinent über. Die verbreitetste Form der Pest ist die auch im Buch beschriebene Beulenpest, daneben existieren Lungenpest und Pestsepsis. Die Beulenpest wird durch Insektenstiche auf den Menschen übertragen, vornehmlich von Flöhen die Ratten als Wirtstiere benutzen. Unbehandelt verlaufen über die Hälfte der Beulenpestfälle nach vier bis fünf Tagen tödlich, mit gezielter Therapie nur knapp zehn Prozent. Der Name der Beulenpest rührt von den Symptomen im fortgeschrittenen Stadium - den bis auf Eiergrösse angeschwollenen Lymphknoten unter den Achseln und in der Leiste. Aids (acquired immune deficiency syndrome) ist eine erworbene (nicht angeborene!) Immunschwächekrankheit. Sie wurde erstmals 1979 in den USA registriert. Aufgrund des häufigen Vorkommens und einer ähnlichen Krankheit bei Affen wird angenommen, dass die „neue Seuche“ aus Afrika stammt. Mitte der achtziger Jahren gelang es, ein sicheres Diagnoseverfahren zu entwickeln. Die sich genetisch fortlaufend verändernden HIV-Viren erschweren eine Bekämpfung ausserordentlich. Nach der Ansteckung können bis zu zehn Jahre vergehen bis die Erregerzellen ihre Wirtszellen zu stören beginnen und so das Immunsystem des Menschen lähmen. Die Krankheit verläuft bis dato mangels Behandlungsmethoden fast immer tödlich. Die Übertragung erfolgt vor allem durch sexuelle Kontakte und Blut. Die Gegenüberstellung von Pest und Aids im Buch „Die Seuche“: Die Doppelgeschichte mit ihren subtilen Parallelen wurde in dieser Arbeit hinlänglich beschrieben. Von Interesse sind jetzt die damit verknüpften und verwobenen Gebiete, die erstaunliche Gemeinsamkeiten der Zeit Hanna’s und Heute zu Tage fördern. Im 13. Jahrhundert war eine tiefgreifende Endzeitstimmung und Ohnmacht gegenüber der Pest in der Bevölkerung verbreitet. Dies tritt im Buch sowohl versteckt als auch ganz offen auf (S.9 Ende erster Abschnitt, S. 13 Beginn letzter Abschnitt). Mathis hat gesagt, ganze Landstriche und Städte gebe es, die das Übel verwüstet habe, leere Häuser, das Korn verfaule die Tiere irrten herum. Was gelten noch Gesetze? Heute verfallen die wenigsten Leute gerade in eine Endzeitstimmung, wenn von Aids gesprochen wird, der Beschrieb von Sam Ssenyonjas Tod (S. 13 Einschub) halb verhungert und qualvoll, auf einer bastmatte unter dem bild von papst paul dem sechsten trifft jedoch recht deutlich, wie die moderne Ohnmacht auftritt: Man versucht sich an etwas festzuhalten - im Beispiel das Bild des Papstes - da ansonsten keine Lösung parat steht; Was in unserer Zeit vielfach (fälschlicherweise?) als selbstverständlich vorausgesetzt wird. 2"Pest, AIDS," Microsoft® Encarta® 97 Enzyklopädie. © 1993-1996 Microsoft Corporation. Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -10- Auslöser beider Krankheiten ist - um es kurz zu fassen - mangelnde Hygiene. Aus dem Wörterbuch: Hygiene 1 Sauberkeit, Reinlichkeit 2 (med.) Gesundheitslehre, Lehre von der Aufrechterhaltung und Förderung der Gesundheit Die desolaten Wohnverhältnisse im 13. Jahrhundert führten zu einer Verbreitung der Ratten und damit zu einem optimalen Nährboden für die pestübertragenden Ungeziefer. Enge Wohnverhältnisse in Städten, Unratkanäle quer durch Dörfer derweil menschliche Hygiene noch ein Fremdwort war, all das begünstigte die Parasitenentwicklung ungemein (S. 25 oben, S. 153 zweiter Abschnitt). Auch Schafe fielen um im Pferch, Kühe legten sich mit aufgedunsenem Bauch auf die Seite, die Hunde balgten sich um die Kadaver, Aasgeruch hing über dem Dorf, die Wachholderfeuer, die überall brannten, vertrieben ihn nicht. Hanna hatte die Fische auszunehmen, wenn jemand es wünschte. Sie tat es mit Widerwillen, warf die Innereien in den Bach, der voller Unrat war, Schleim und Blut an den Händen, Fischgeruch der sich mit der höhersteigenden Sonne verstärkte. Da diese Zustände jedoch alles andere als abnormal waren, wurden die Auslöser von der Bevölkerung anderswo gesucht - doch dazu später mehr. Aids verbreitet sich in einem für die Krankheit typischen Milieu ähnlich. Durch Repression werden Drogenabhängigen die meisten Möglichkeiten verwehrt, in befriedigenden hygienischen Verhältnissen zu leben (ganz zu schweigen vom Sterben). Mehrfachgebrauch von Spritzen sei hier als schauerliches Paradebeispiel aufgeführt (S. 201 Einschub). dass mr hie, gopfridstutz, wenigschtens e schyssi überchämte, sagt billy, der die kalten nächte in der nähe des zugesperrten parks verbringt Verantwortungsloser Umgang mit wechselnden Sexualpartnern dürfte gegenwärtig die grösste Verbreitungsquelle von Aids sein. Meiner Ansicht nach hat dies sehr viel mit Hygiene zu tun. Gemäss der Definition ist die Aufrechterhaltung der Gesundheit keineswegs gewährleistet, wenn man sich ungeschützt in kürzeste (bezahlte) und kurze Abenteuer stürzt (S. 58 Einschub, S. 132 Einschub). fucking: das vergnügen der armen (kein tv, keine tennis-clubs) für diesen kitzel, sagt wanda, nehmen sie in kauf, infiziert zu werden und ihre frau zu infizieren Minimale Hygiene hat hier einen Namen: Verstand. Und wem dies zuwenig einfach ist: Kondom. Die Bekämpfung oder Abwehr gegen die Pest war mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und Informationen aus heutiger Sicht lächerlich (S. 23 Mitte, S. 47 Mitte). Ich habe eine Arznei gemischt aus Aloe, Myrrhe, und Safran, ich habe den Bruder Prior zur Ader gelassen, ihn geschröpft, und trotzdem gewinnt die Krankheit von Stunde zu Stunde an Boden. Mit Essigwickeln versuchte Hanna die Krämpfe zu lindern; auf die Beulen, die bläulich zu schillern begannen, legte sie junge Kohlblätter, strich Eidotter, mit Salz vermischt, darüber, obgleich sie wusste, dass es nichts nützen würde; die letzten Eier, die sie hatten, brauchte sie dafür. Man versuchte sich von den potentiellen Auslösern zu schützen, das heisst man liess an Pilgern und Juden kein gutes Haar mehr (siehe auch Textanalyse). Zum Eigenschutz ging man erst über, wenn bereits die ersten Toten zu beklagen waren; Vorausdenken war nicht die Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -11- Stärke der damals lebenden Bevölkerung (und der heutigen?). Auswandern aus den befallenen Städten und Dörfern in kleine Sippschaften war manchmal ein Ausweg, beim kleinsten Fehler aber das gesicherte Todesurteil durch die unvermeidliche Nähe in der Sippe (S. 88). Die Männer banden sich in Weinessig getränkte Tücher um Mund und Nase und trugen den Kranken, der schon nach Fäulnis roch, hinaus auf die Lichtung... Mit ähnlichen Mitteln reagiert selbst der gebildete Mensch im 20. Jahrhundert: Ausstoss von Aidskranken aus der Gesellschaft gehört zu den übelsten geduldeten Tatsachen (S. 145 Einschub, S. 161 Einschub). klaus, den in der schule viele meiden, seit man weiss, dass er mit hoher wahrscheinlichkeit an aids sterben wird wohin sollen wir denn? fragt wanda, neunundzwanzig, bei der erste anzeichen darauf hindeuten, dass der virus aktiv geworden ist Dass damit auch ganze Familien an den sozialen Abgrund getrieben werden können, wird kaum registriert (S. 133 Einschub). an der quartierversammlung die feindseligen gesichter, als die mutter einer aidskranken drogensüchtigen das wort ergreift Abschieben der Aidsgefährdung auf Schwule und Randgruppen tönt nicht schlecht, es ist selbstverständlich toleriert. Firmen oder Vermieter haben in der Regel nichts gegen HIVpositive Menschen einzuwenden, bis diese an ihre Türe klopfen. Der Tod bedeutete für die unheilbar pestkranken die Erlösung nach fast einer Woche des Leidens. Das körperliche Leiden dürfte die eine schmerzhafte Seite der Krankheit gewesen sein. Was aber geschieht in einem Ausgestossenen, um den sich gerade noch die Fliegen kümmern (S. 90 oben)? Gegen die Fliegen, die sich allmählich zu einer schwirrenden Wolke verdichteten, war sie machtlos. In Aidshospitzen wird vielerorts versucht, den Kranken im „Endstadium“ (was für ein denunzierender Ausdruck!) einen gefassten und unterstützten Weg zum Tod zu ermöglichen. Ein erster Schritt, die Menschen trotz ihrer unheilbaren Krankheit noch als Menschen integriert zu halten, bis sie aus unserer Gesellschaft scheiden. Der Autor zu diesem Thema Ich bin nicht ganz sicher, vermute aber sehr, dass der Autor die genannten Probleme und viele mehr ansprechen wollte. Bei einiger Beschäftigung mit dem Buch geschieht dies ganz automatisch, man kommt nicht mehr um die anprangernden Worte herum, und Sätze wie die oben zitierten stechen in die Augen. Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -12- “ Der Tod 5.2 ist in der Stadt und reitet durch die Gassen auf dem Untier, für das es keinen Namen gibt, auf dem Untier, das die Menschen mästen mit ihren Sünden.” (auf Seite 172 in ‘Die Seuche’ von Lukas Hartmann) Gewiss ist die ‘Die Seuche’ von Lukas Hartmann schon dem Titel nach keine fröhliche Lektüre. Doch erst als ich sein Werk ein zweites Mal las, und dies mit der Absicht mehr über Hartmanns Ansichten und Ausführungen zum Thema Tod zu erfahren, merkte ich, welch trister Inhalt sich dem Leser darbietet. Kaum zwei, drei Seiten ohne den Tod. Lukas Hartmann bediente sich auch vieler typischen Sinnbilder und Redewendungen (“... Schwung einer Sense ...”, “... beim Jüngsten Gericht.” oder “... über den Jordan ...”), um den Leser mit dem Tod zu konfrontieren. Dieses Werk bildet eine Art Schocktherapie. Nach sovielem Schwarzen und Grauen wird der Leser unweigerlich auf schönere Gedanken kommen wollen, und dieses Thema etwas farbenfroher zu sehen versuchen. Oder aber er stürzt ganz ab und wird depressiv ..... Es scheint, als habe dieser Schriftsteller überhaupt keine Berührungsängste mit diesem für viele doch eher unangenehmen Thema. Folgende drei Passagen scheinen mir Aufschluss zu geben, wie er sich dem Thema stellt: 1. “Fromm zu sein, rettet niemandem vor dem Tod.”: Die Religion wird ihm wohl keine Stütze oder Hilfe sein, wenn er sich mit dem Tod auseinandersetzen muss. Vielleicht geht er darum sehr nüchtern mit diesem Thema um. Er muss sich nicht an irgendein eingetrichtertes, religiöses Bild halten, wenn er den Tod beschreibt. Aber er kann sich auch nicht an kirchliche Vorstellungen klammern, sollte er einmal direkt betroffen sein. Inwiefern seine Erziehung oder aber seine Reiseerfahrungen ihn in seiner Einstellung zum Tod beeinflussten, bleibt zwar offen, aber die nächste Zeile gibt etwas mehr Aufschluss. 2. “..., dass die Afrikaner ein anderes Verhältnis zum Tod hätten als wir Europäer.”: Gewisse Begegnungen mit dem Sterben während seinen Reisen (Südamerika, Indien und Afrika) werden ihn wahrscheinlich schon beinflusst haben, denn ohne Hintergrund wird er diesen Teil des Satzes nicht geschrieben haben. 3. “..., lieber der goldene Schuss, wenn’s dem Ende zugeht !”: Eine Entscheidung (nicht zu verwechseln mit einer “Kurzschluss”-Handlung), wann es Zeit wäre, den Freitod zu wählen, setzt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Sterben voraus. Dieser Ausspruch wird der Kirche überhaupt nicht passen. Denn der Freitod ist immer noch eines der Tabus der Christenheit. Der Autor bricht also ganz bewusst mit der Kirche, indem er diesen Weg aus dem Leben in gewissen Situationen zu billigen scheint. Schritt auf Tritt taucht der Tod und seine Auswirkungen im Buch auf. Der Autor stellt den Tod auch meistens als Person dar. Eine Versuchung, der viele erlegen, um dieses Phänomen überhaupt erfassen zu können. Der Tod kann fliegen, reiten, eilen, schleichen, anklopfen oder niedermähen. Viele negative oder bedrohliche Eigenschaften wie Macht, Grausamkeit oder Ungerechtigkeit werden ihm zugeschrieben. Ja, er soll sogar Gefühle haben (“..., der Tod kennt keine Scham.” oder “..., dich wird der Tod verschonen.”). Hartmann hat fast keine Todesarten oder -ursachen ausgelassen: Verhungern, verseuchen, verenden, verbrennen, erwürgen, erschlagen, kreuzigen, ausrotten, zusammenbrechen oder entschlafen lässt er seine Opfer. Selbst einen Freitod beschreibt er. Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997 Die Seuche -13- Aber auch Lukas Hartmann scheint kein Rezept für den Umgang mit diesem Thema zu wissen (oder wissen zu wollen). Er beschreibt viele Situationen, wie die Menschen mit dem nahenden Ende umgehen. Viele reagieren mit Verdrängung (“Take your dying elsewhere.”, “Ich kann es nicht glauben, dass sie tot ist.”, “ Nur ihr Leib ist tot.”, “Sterben und Tod wurden nur erwähnt, wenn es nicht anders ging.” usw.), einige flüchten sich in die haltbietende Religion und flehen den Herrgott an (“... behüt uns vor dem ... Tod”, “Lieber Gott, lass Grossmutter nicht sterben.” oder “Wenn Gott will, überlebt ...”) und wenige sehnen den Tod herbei (“... zurückgekehrt ..., um zu sterben ...” oder “... wünsche, es möge bald zu Ende gehen.”). Über Menschen, die sich mit dem Tod auseinandergesetzt haben und den Lauf des Lebens akzeptieren, wie es ist und kommen wird, verliert Hartmann kein Wort. Ob Hartmann den Leser damit erziehen will ? - Schreibt er absichtlich nur über jene “negativen” Verarbeitungsarten, wie Verdrängung, Flucht oder Resignation ? - Ist es eine bewusste Provokation ? - Spielt er mit unserer natürlichen Trotzreaktion auf negative Einstellungen und mit der grundsätzlich positiven Haltung eines gesunden Menschen ? Mir jedenfalls scheint, als lenke er den Leser auf den Gedanken, dieses Thema unter “positiven” Aspekten zu betrachten und das Thema ohne Furcht anzugehen. Er motiviert den Leser sich sein eigenes Bild über den Tod zu machen. Das wird wohl Hartmanns Rezept für den Umgang mit diesem Thema sein. Jede und jeder muss sich ihren bzw. seinen individuellen Weg suchen, um mit dem Ende des Lebens umgehen zu können. Die einen sind durch persönliche Erfahrungen geprägt, andere suchen in der Religion halt (was Hartmann wohl nicht beabsichtigt) oder eben Verdrängung und Aufschiebung der Auseinandersetzung ist auch ein Weg, wohl aber keine Lösung. Semesterarbeit von Roman Fischer und Stefan Rufer, Ingenieurschule Biel, 1997