Dubnow und Jabotinsky

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Simon Dubnow – Mein Leben
[...]
Ich wurde in Mstislawl am zweiten Tage des Rosch-Haschanah 5621 (10. September
1860) geboren[...] Als ich, um in den Talmud eingeführt zu werden, nach anderthalb Jahren in
eine andere Schule gegeben wurde, erkannte ich, daß das Cheder-Leben für das Kind zu einer
ägyptischen {15} Sklaverei werden kann. Von neun Uhr morgens bis acht Uhr abends mit nur
einstündiger Mittagspause hielt er[der Rebbe], uns Kinder im Alter von acht und neun
Jahren,[...] in einer engen Stube eingepfercht und zermarterte unsere Köpfe [...]
Wir begannen mit dem Traktat „Beza", und noch heute lebt in meinem Gedächtnis der
niederdrückende Eindruck der ersten Seite dieses Traktats. Wir lesen von dem Streit zwischen
Beth-Schammai und Beth-Hillel, der sich darum dreht, ob es erlaubt sei, ein Ei zu essen, das
ein Huhn an einem Feiertag gelegt hat. [...] Eine unklare Frage, die ich aber meinem
furchtgebietenden Lehrer zu stellen nicht gewagt haben würde, regt sich in meinem
kindlichen Gehirn: wozu dieser ganze Streit? Was ist denn Schlechtes daran, wenn man am
Feiertage ein frisches Ei verzehrt oder einen vom Baum gefallenen Apfel aufhebt und ißt?
[...] Im zehnten Lebensjahr fiel mir zum erstenmal ein Buch der neuen
Aufklärungsliteratur in die Hände, jener verbotenen Haskalah, gegen die alle Anhänger der
jüdischen Frömmigkeit und Überlieferung wetterten.[...] In dieser Stimmung verfaßte ich
Anfang 1873, [...] ein Pamphlet gegen die Scheinheiligen und Dunkelmänner, die lediglich
am Talmud festhalten, [...] die neue Haskalah-Literatur [jedoch] anfeinden.[...] Von diesem
ganzen Wust antiker Traktate zog es mich damals mit unwiderstehlicher Macht weg zu den
aufkläririschen Bändchen, die ich in meiner Tasche oder auch unter den Talmudfolianten
verbarg [...] Das Jahr 1897 brachte in das Leben der russischen Judenheit einen neuen
Aufschwung. [...] Der junge Herzische Zionismus beherrschte die jüdische Straße, die Zirkel
und Versammlungen. Gleichzeitig entstand die Organisation der jüdischen Sozialdemokraten
„Bund", die unter dem damaligen Polizeiregime illegal zu wirken gezwungen war. Zwischen
diesen Strömungen bahnte sich die Anschauung, der ich nach und nach [...] Ausdruck verlieh.[...] Dieses Jahrfünft war für mich eine Epoche der Schaffung einer nationalhumanistischen Synthese, die sowohl meine geschichtliche Grundauffassung als auch mein
Verhältnis zu den aktuellen Problemen der Zeit endgültig bestimmte.
Ich empfand ein dringendes Bedürfnis, die jüdische Nationalidee historisch zu fundieren,
nachdem sie auf dem Baseler Kongreß in bedingter Form (das Judentum bleibe eine Nation
unter der Bedingung der Schaffung eines Zentrums in Palästina) verkündet worden war. [...]
Ich erklärte die Assimilation sowohl für einen theoretischen Irrtum als auch für einen
moralischen Fehler, sofern sie als Deckmantel für die Fahnenflucht aus dem von Feinden
belagerten Judentum dient. Gegenüber den Zionisten aber und ihrem Rufe „Heimwärts" hob
ich das historische Anrecht der jüdischen Diaspora auf europäischen Boden, mit dem sie seit
den Zeiten der Bildung europäischer {116} Staaten auf den Trümmern des römischen Weltreiches verbunden ist, hervor.[...]
Auf die Tagesordnung der nationalgesinnten jüdischen Kreise in Odessa kam [...] die
Frage der Stärkung des nationalen Faktors in der jüdischen Volksschule, die systematisch
russifiziert wurde, nicht nur der Unterrichtssprache, sondern auch dem Lehrplane nach.[...]
Mit der Erstarkung der national-jüdischen Bewegung entstand daher im Schöße der
genannten Gesellschaft eine beträchtliche Opposition, die vom Komitee eine Änderung des
Lehrplanes der betreffenden Schulen durch Erweiterung des Unterrichts der hebräischen
Sprache sowie der jüdischen Geschichte und Literatur forderte. So begann das, was ich später
den Odessaer „Kulturkampf" nannte. Es handelte sich darum, eine Einheitsfront gegen die
Assimilanten zu schaffen. Ich und Achad-Haam hielten mit den zionistischen Vertretern
Beratungen ab über die Schaffung eines „Komitees der Nationalisierung", {126} dessen
Zweck die Stärkung des nationalen Elements in jüdischen öffentlichen Institutionen überhaupt
und in den Schulen insbesondere sein würde.
Wladimir (Zeev) Zhabotinski „Die Idee des Betar“ 1934
Betar, eine jüdische Jugendbewegung, die sich im Jahre 1923 in Riga formierte. Das Weltbild von Betar befindet
sich zur Zeit (1934) noch im Prozess der Formierung. Einige Teile der Programmatik stehen im Einklang mit
den politischen Prinzipien der internationalen Vereinigung der Zionisten-Revisionisten. Die Programmatik ist
ein Versuch, Antworten auf die bestehende Problemme zu formulieren. In dieser Etappe ist es noch unklar,
welche Gestalt die Programmatik einnehmen wird. Folgende Aspekte geben einen Rahmen dafür.
1. Mission: Das Ziel des Betar ist es, einen neuen Typus des Juden zu gestalten, den die jüdische Nation dafür
braucht, einen jüdischen Staat auf eine effektive Weise zu bauen. Mit anderen Worten soll ein „normaler“ und
„gesunder“ Bürger entstehen, was das Gegenteil des heutigen Juden ist. Auch das heutige Erziehungssystem in
der Diaspora bringt diese Art vom normalen und gesunden Bürger nicht hervor.
2. Jüdischer Staat: Als Grundsatz für die Weltanschauung des Betar gilt die Schaffung eines jüdischen Staates.
Dieser Grundsatz eröffnet einen weiteren Punkt der Betar Ideologie. Betar sieht den Sinn einer Nation darin, sich
an der Gestaltung der allgemeinen menschlichen Kultur zu beteiligen. Sie soll durch ihre spirituellen Eigenheiten
einen Beitrag zur Weltkultur leisten, also mit einem lebendigen Beispiel für andere Nationen vorantreten. Ein
Staat soll als eine Art Laboratorium dafür dienen, diese Eigenheiten der Nazion zu entwickeln und
verwirklichen. Der beste Weg der Menschheit ein Beispiel zu sein ist es, diesen Weg in die Tat umzusetzten.
3. Jüdische Mehrheit: Der praktische Sinn eines jüdischen Staates ist es, dass Palästina als Name zu existieren
aufhört, und statt dessen Erez Israel genannt wird. Und dies ist nur dann realisierbar, wenn es eine jüdische
Mehrheit in Palästina gibt. Das ist die erste Bedingung für die Schaffung eines jüdischen Staates. Wenn das Ziel,
eine Mehrheit zu sein, erfüllt ist, dann ist es notwendig, eine demokratische Verwaltung einzurichten. Diese
Verwaltung soll unter anderen Bedingungen schaffen, die es jedem Juden aus der Diaspora ermöglichen werden,
in diesem Staat zu leben. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, dann wäre im nächsten Schritt eine
Vormachtstellung Israels in der Weltkultur zu erlangen.
4. Ivrit: Betar sieht als die einzige und ewige Sprache des jüdischen Volkes Ivrit an. Im Land Israel soll er zur
einzigen Sprache werden, die alle Sphären des jüdischen Lebens bestimmt. In Diaspora soll Ivrit zur Sprache der
Erziehung werden von Kindergarten bis Universität. Denn ein Kind, das kein Ivrit spricht, ist nicht ganz ein
Jude, auch wenn es ein Betar Mitglied ist. Wir respektieren alle andere Sprachen, die von unserem Volk
gesprochen werden, allen voran Jiddisch, als eine Sprache, die zum Kampf mit Assimilation beigetragen hat.
Doch die eigene Sprache, soll etwas einzigartiges sein, eine Sprache, die das Volk nicht von anderen Völkern
übernommen hat.
5. Monismus: Ein grundlegenes Prinzip des Betar ist die Schaffung eines jüdischen Staates auf beiden Seiten des
Jordan. Die Einheit der Ideen ist ein wichtiger Aspekt in der Weltanschauung des Betar. Dieses Prinzip basiert
darauf, dass alle anderen Ideen durch Betar nicht angenommen werden. Es heißt aber nicht, dass andere Ideen
abgelehnt werden. Ganz im Gegenteil soll ein Betar Mitglied offen für andere Ideen sein, doch für die
Verwirklichung eigener Ziele soll das eigene Ziel Priorität haben. Bis dieses Ziel erfüllt ist, sollen andere Ideen
zur Seite gestellt werden. Einheit der Ideale soll zum Erreichen eigener Ziele gewährleistet werden.
6. Klassenkampf: Es soll keinen klassischen Klassenkampf geben Burgouasie gegen Proletariat, sondern eine
Einheit der Gesellschaft. Die Menschen innerhalb einer Gesellschaft sollen wie Spieler in einem Orchester
funktionieren. Sie haben alle das selbe Ziel und werden diregiert. Ein Hauptdiregent ist die Idee eines jüdischen
Staates.
7. Die Struktur des Betar basiert auf der Disziplin. Das Ziel ist es, Betar in eine internationale Organisation zu
verwandeln. Die Mitglieder sollen fähig sein, eine Anweisung des Zentrums gemeinsam und gleichzeitig
auszuführen. Diese Fähigkeit haben nur freie Menschen mit einem hohen kulturellen Niveau. Die Erlösung des
jüdischen Volkes erfolgt nur dann, wenn das Volk lernt gemeinsam zu handeln. Der Sinn der Disziplin besteht
darin, dass alle einer Führungsperson untergeordnet sind. Die Struktur des Betar richtet sich nach der gesunden
Zusammensetzzung von Freiheit und Zionismus.
7. Gadar: Gadar ist ein Begriff aus dem Hebräischen und beinhaltet die äußerliche Schönheit, Stolz, Höflichkeit
und Hingabe. Vor allem soll sich dieser Verständnis auf die alltäglichen Handlungen eines Betar Mitgliedes
richten. Gadar soll das Leben jedes einzigen bestimmen. Es ist ein Element des Selbstrespektes. Die Moral des
Gadar ist großmutig zu sein, wenn es deine Prinzipien nicht verletzt. Es soll ein Tag kommen an dem ein Jude
als Lob statt „er ist ein echter Gentelman“ gesagt bekommt, sondern „er ist ein echter Betarnik“.
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