Mit dem Gesicht nach vorne gewandt Judentum und Schoah im

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Mit dem Gesicht nach vorne gewandt
Judentum und Schoah im Denken der jüdischen Studenten Europas
JULIAN VOLOJ
Erinnerungskultur
Im Mythos über den Verlauf des Titanenkrieges entmannt Kronos, Sohn von Uranos
(Himmel) und Gaia (Erde), seinen Vater und bemächtigt sich der Weltherrschaft. Aus Angst,
ihm könne das gleiche Schicksal widerfahren, verschlingt Kronos seine eigenen Kinder bis
auf Zeus, der von seiner Mutter versteckt wird. Als Erwachsener fordert Zeus seinen Vater
zum Kampf auf und zwingt ihn, die Geschwister wieder auszuspeien.
Mit Zeus tritt ein neues Zeitalter ein. Kronos’ Versuch, die Nachfahren zu verschlingen, steht
symbolisch für den Versuch der Überwindung eines chronologischen Zeitverlaufes. Zeus
zeugt mit Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung, die neun Musen und führt somit in das
Zeitalter der Erinnerung ein.
Die Erinnerungskultur ist ein universales Phänomen und zentraler Bestandteil des
europäischen Erbes und hat im Judentum einen zentralen Stellenwert. Der Imperativ „zachor“
‫„( זחור‬Gedenke!“, „Erinnere dich!“) findet sich mehrfach im Zusammenhang mit der AmalekEpisode des Auszuges aus Ägypten im Buch ‫( שׁמוֹת‬Exodus). Die damals vertriebenen Juden
werden als Hebräer bezeichnet, wobei das Wort Hebräer ‫„( איברי‬Iwri“) im etymologischen
Zusammenhang mit „leawor“ ‫„( לאבור‬überqueren“, „passieren“) und „awar“ ‫אבר‬
(„Vergangenheit“) zu sehen ist. Ein Hebräer ist somit ein Passant beziehungsweise
Vorüberschreitender, der sich seiner Vergangenheit bewusst ist. Mit der Zerstörung des
zweiten Tempels im Jahre 70 der christlichen Zeitrechnung beginnt dieses Vorüberschreiten,
das im allgemeinen mit dem griechischen Wort für Zerstreuung, „Diaspora“, bezeichnet wird.
Das Volk Israel hat sich unter dem Imperativ ‫„ זחור‬zachor“, der im Pentateuch manifestiert ist,
konstituiert und kontinuiert.1 Der Grundzyklus des hebräischen und später jüdischen Lebens,
der im Ritus seinen nachhaltigen Niederschlag findet, kommt deutlich in dieser ersten
Wocheneinheit zum Ausdruck: Die sechs Tage der Schöpfung entsprechen der Geschichte,
1
Vgl. JAN ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen
Hochkulturen, München 1997, S. 30.
der siebte dient der Reflexion durch Erinnerung. Über Generationen hinweg bildete dieser
temporale Zyklus von Vergegenwärtigung und Reflexion eines der Fundamente der jüdischen
Kultur.
Während in der griechischen Mythologie die Genealogie durch die Überwindung der
Generationen, der Väter, entsteht – Kronos bezwingt seinen Vater Uranos und wird von
seinem Sohn Zeus entmachtet –, gründet die hebräische, später jüdische Geschichtsauffassung
auf der Sukzessivität, auf der Übergabe des geschichtlich-kulturellen Vermächtnisses von
einer Generation an die nächste.
In der jüdischen Kultur bleiben alle Zeitdimensionen präsent, daher stellt der Modus
Vergangenheit keine Ansammlung gewesener Ereignisse dar, sondern bildet eine
gegenwärtige Vergangenheit. Gewesenes wird in der Bibel häufig mit dem Verb „lefanim“
‫ לפנים‬eingeleitet, das wörtlich übersetzt „mit dem Gesicht nach vorne gewandt“, zugleich
aber „vorher“, „in früheren Zeiten“ bedeutet. In die Zukunft zu schauen, impliziert im
Judentum immer das Bewusstsein der Vergangenheit.
Die wöchentlichen Thoralesungen und die narrativ-geschichtliche Form nahezu aller
jüdischen Feiertage reflektierten das Verhältnis der Vergangenheit zur Gegenwart immer neu.
Der kollektiven Vergangenheit wurde die zyklische Qualität liturgischer Zeit verliehen, doch
glich Geschichte nicht dem Schicksal, sondern dient zur Reflexion der Gegenwart.
Ein zentrales Moment des geschichtsdurchdrängten jüdischen Ritus stellt der Seder-Abend am
Pessachfest dar. Der Auszug aus Ägypten wird Jahr für Jahr von neuem nicht nur erzählt,
sondern auch als ein Schlüsselprozess in der jüdischen Kollektivgeschichte und im geistigen
Wesen jedes einzelnen Teilnehmers an der Lektüre gedeutet. Vergangenheit und Gegenwart
verschmelzen zu einer Einheit.
Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ist in allen Segmenten der jüdischen Kultur eine neue
Dimension akuten historischen Bewusstseins spürbar. Die Schoa und die Folgen dieses
modernen Vernichtungszuges, der das ganze jüdische Volk zum Ziel hatte, hinterließen
unzählige Spuren im Leben jedes einzelnen Juden.
Sehnsucht nach Heimat
Die Schoa war die bisher extremste Form des Genozids, da dieser systematische Massenmord
im Unterschied zu anderen universell und total sein sollte. Der Mord war antipragmatisch und
rein ideologisch motiviert und steht in einer langen Tradition christlicher Judenfeindschaft.2
Die Schoa ist daher auch der gescheiterte Integrationsversuch einer nicht-christlichen
Minderheit in ein christliches Europa. Die Schoa zerstörte eine Sehnsucht nach Heimat.
In der deutschen Sprache ist kaum ein Begriff so gefühlsbeladen sind wie das Wort „Heimat“,
das ursprünglich ein Neutrum, also das Heimat, war und mit seiner Mutation zu einem
Femininum emotional aufgeladen wurde. Etymologisch ist „Heimat“ mit dem Wort „Heim“
verbunden und bezeichnet einen positiven Aspekt der Sesshaftigkeit. Der Begriff gehört zur
Sprache der neolithischen Revolution der Ackerbauern und ist eng verbunden mit dem
agrarischen Patriotismus für den Heimvorteil des eigenen Raumes, zugleich wird der
Anspruch einer Verbundenheit mit einem geographischen Ort erhoben.3
Alle Hochkultursprachen sind imstande, das Konzept „Heimat“ mit ihren spezifischen Mitteln
auszudrücken. Das lateinische Wort patria bezeichnet eine nationale Gesamtheit und hat die
Konnotation von Vaterland. Diese Etymologie findet sich in allen romanischen Sprachen. Im
slawischen Sprachraum finden wir verschiedene Interpretationsmöglichkeiten des Begriffs
„Heimat“. So entspricht der polnische Begriff ojczyzna der romanischen Interpretation des
Vaterlands, im Tschechischen hängt das Wort vlast mit dem Wort für Eigenschaft (vlastnost)
zusammen, was als Definition des Heimvorteils des eigenen Raumes zu interpretieren wäre,
im Kroatischen finden sich dòmovina, in dem das Wort dôm („Heim, Haus“) steckt, und
zävicaj, das von zävézati („verbinden“) abgeleitet wird und die Verbundenheit mit einem Ort
unterstreicht. Im Russischen entspricht Heimat dem Femininum родина (rodina), abgeleitet
von родить (rodit’), „gebären“: die Heimat als Mutterfigur, die den Menschen gebärt. Eine
ebenso simple wie einleuchtende Definition findet sich – neben der fatherland Variante – im
Englischen, home. „Heimat“ ist immer ein „Zuhause“.
2
Zum Einfluss christlicher antijüdischer Literatur seit dem Mittelalter vgl. ARNE DOMRÖS, THOMAS
BARTOLDUS, JULIAN VOLOJ (Hg.), Judentum und Antijudaismus in der deutschen Literatur im Mittelalter und an
der Wende zur Neuzeit. Ein Studienbuch, Berlin 2002.
3
Vgl. PETER SLOTERDIJK, Der gesprengte Behälter, Notiz über die Krise des Heimatbegriffs in der globalisierten
Welt, in: Sehnsucht nach Heimat, Spiegel Spezial 6/1999, S. 24-29, hier: S. 24.
Traditionell stellte das Diasporajudentum ein Volk ohne „Grund“ dar. Heinrich Heine sprach
davon, dass das Judentum ein „portatives Vaterland“ besäße und meinte damit, dass das
jüdische Volk nicht in einem Land, sondern in einem Buch, der Thora, zuhause sei. Religion
und Geschichte bildeten traditionell die Grundlage für die jüdische Identität.
Ein Volk ohne Land kann nicht dem Trugschluss erliegen, das Land selbst als Volksbehälter
zu verstehen und den eigenen Boden als Prinzip des Lebenssinns oder der Identität
aufzufassen. Der Denkfehler der territorialen Vernunft ist eine obsessive Gleichsetzung von
Ort und Selbst. Wenn man daher von einer ‚Provokation’ des Judentums im Galut, der
Exilperiode, reden kann, so bestand diese darin, dass das Judentum das Paradoxon eines
faktisch existierenden Selbst ohne Ort vor Augen hielt.4
Altneuland?
Die Schoa und der Zweite Weltkrieg haben Europa und seine Realitäten verändert. Der
Nationalstaat, als bisher größtes politisches Wohnverhältnis, wird zunehmend zur Disposition
gestellt und die Hoffnung auf ein neues „Europa der Minderheiten“ geprägt, in dem religiöse,
ethnische, nationale, ideologische, kulturelle oder linguistische Identitäten Teil einer breiteren
europäischen Identität sind.
Der Hoffnung nach einer Heimat in Europa steht die Erinnerung an die Schoa und eine
jahrhundertealte Tradition des europäischen Judenhasses gegenüber. Der Glauben an ein
neues Europa, das auch eine Zukunft für die jüdische Diaspora darstellt, manifestierte sich
erst sehr langsam. Mit der Gründung der European Union of Jewish Students (EUJS) wurde
diesem Glauben an eine Zukunft 1978 ein bedeutendes Zeichen gesetzt.
Jüdische Identität nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich verändert. Auch wenn die Mehrheit
der jüdischen Studenten heutzutage ihr Judentum primär als kulturelle Identität auffasst, so
gehört nach wie vor die Kenntnis von Religion und Geschichte zur eigenen Identität. Eine
moderne jüdische Identität hat jedoch zwei weitere zentrale Bestandteile: Die Erinnerung an
die Schoa als Negativfaktor und der Staat Israel als Positivfaktor. Wurde der Zionismus
4
Vgl. ebd., S. 26.
Anfang des 19. Jahrhunderts überwiegend von den westeuropäischen Juden abgelehnt, so
gehört er heutzutage fast selbstverständlich zur jüdischen Identität.
Die Gründung der European Union of Jewish Students negierte dies nicht, jedoch setzte sie
der zionistischen Erziehung einen Glauben an eine Zukunft in der Diaspora entgegen. Nicht
Alija, die Immigration nach Israel, sollte als Ziel angestrebt werden, sondern die
Unterstützung von jüdischen Studenten überall in Europa.
Heutzutage ist EUJS ein Dachverband von 34 nationalen Organisationen mit europaweit etwa
200.000 Mitgliedern. So verschieden wie Europa sind auch die Realitäten von jüdischen
Studierenden, selbst wenn die Grundfragen nach Heimat, Integration, Identität und dem
Verhältnis zu Israel in allein Gemeinden vorhanden sind.
Besonders seit dem Fall der Berliner Mauer ist in Europa eine Renaissance jüdischen Lebens
zu spüren. Wegbereiter dieser Bewegung sind oftmals Jugendliche und Studenten, die sich auf
die eigenen Wurzeln zurückbesinnen und eine positive jüdische Identität anstreben, in der
zwar die Schoa ebenso wie Israel zur Identität gehören, jedoch auch der Glauben an eine
Zukunft in der Diaspora. Im März 2002 organisierte beispielsweise EUJS in Zusammenarbeit
mit jugoslawischen Studenten das erste internationale jüdische Seminar seit 1988 (!) in
Belgrad. Nach mehr als einem Jahrzehnt, das von Krieg, Isolation und Diktatur geprägt war,
sollte dieses vollkommen von Studierenden für Studierende organisierte Seminar ein Zeichen
für eine friedliche Koexistenz im Balkan setzen, zu der die sefardisch-jüdische Kultur wie
selbstverständlich gehört.
Dieser offensichtlichen Renaissance steht jedoch eine nicht bewältigte Identitätskrise
gegenüber. Die Frage nach dem eigenen Judentum als halachische oder kulturelle Identität
findet ebenso wie die zum Verhältnis zu Israel je nach Region verschiedene Antworten. Der
Nahostkonflikt ist jedoch Grund dafür, dass der nötige innerkulturelle und innerreligiöse
Dialog nicht stattfindet. Die antiisraelische und antijüdische Stimmung in Europa wird
zurecht als starke Bedrohung empfunden und sorgt für eine allgemeine Verunsicherung, von
der gerade Studierende, die sich im allgemeinen in einer Orientierungsphase befinden,
betroffen sind.
Die gegenwärtige Vergangenheit wird als Reflexion der Gegenwart gesehen und trägt zu der
aktuellen Krise bei. Der schwierige Spagat zwischen einerseits aktiv gegen Antizionismus,
Antiisraelismus und Antisemitismus zu kämpfen und andererseits unabhängig vom Konflikt
im Nahen Osten eine positive europäisch-jüdische Identität zu fördern, scheint von
nichtjüdischer Seite nicht verstanden zu werden.
Ein anderes Phänomen „jüdischer“ Identität hat sich erst in den letzten Jahrzehnten
herausgebildet und muss an dieser Stelle auch Erwähnung finden: Die israelische Diaspora.
Den als „Klein-Jerusalem“5 bezeichneten Zentren jüdischer Kultur des 19. Jahrhunderts
können im 21. Jahrhundert die kleinen Tel Avivs der israelischen Diaspora gegenübergestellt
werden, die in ihrer Selbstdefinition keineswegs „jüdisch“ sind. Säkulare Israelis sehen ihre
Identität als primär national israelisch und erst sekundär kulturell jüdisch. Falls überhaupt, hat
die israelische Diaspora in Amsterdam, Berlin, Prag oder New York nur kaum Kontakt zu den
jeweils ansässigen jüdischen Gemeinden. Seit dem Ausbruch der zweiten Intifada wächst die
israelische Diaspora in Europa und trägt zu einer neuen Selbstdefinition der jüdischen
Diaspora bei. Bereits jetzt scheint sich abzuzeichnen, dass gerade Studenten hierbei ein
wichtiger Integrationsfaktor sein können, auch wenn sich noch keine nachhaltigen Tendenzen
erkennen lassen.
Europäische Utopien?
Der momentanen Krise zum Trotz überwiegt der Glauben an eine Zukunft in Europa. Im
Hebräischen sind die Worte „kadima“ ‫‚( קדימה‬vorwärts’) und „kodma“ ‫‚( קודמה‬rückwärts’)
etymologisch verbunden, was impliziert, dass keine Zukunft ohne Vergangenheit existieren
kann. Entscheidend ist daher, welche Schlüsse wir aus der Vergangenheit ziehen, um ein
neues Europa aufzubauen, das Heimat aller seiner Bürger ist.
Selbst wenn eine Trennung von Kirche und Staat existiert, darf die Dominanz der etablierten
Mehrheitsreligion im Alltag nicht unterschätzt werden. Die Gesellschaften sind im Wandel
und auch das kollektive Identitätskonstrukt bleibt davon nicht unberührt. Trotz der
zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft basieren zahlreiche institutionelle Kontexte
auf einer christlichen Tradition wie etwa die staatliche Sanktion religiöser Feiertage. Die
5
Beispielsweise wurde Thessaloniki als „Jerusalem des Balkans“, Wilna als „Jerusalem des Baltikums“ und
Odessa „Jerusalem am Schwarzen Meer“ bezeichnet.
scheinbare
Homogenität
einer
christlich
abendländischen
Gemeinschaft
produziert
gleichzeitig eine integrative wie exklusive Identität. Integrationsmechanismen einer solchen
Gemeinschaft
sind
Konfliktpotentiale.
zugleich
Soziologisch
Exklusionsmechanismen
gesehen
kann
und
Religion
implizieren
zur
Formierung
latente
von
Zivilgesellschaften beitragen und diese stabilisieren, jedoch auch nationalistisch oder ethnisch
motivierte Abgrenzungen fördern. Der Kosovokrieg als ethnoreligiöser Konflikt ist hierfür ein
Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist.
Erweist sich eine Gesellschaft gegenüber Minderheitsreligionen latent oder offen feindlich,
fördert dies fundamentalistische Tendenzen. Die Selbstgettoisierung kann auf den
Erfahrungen einer nicht-integrativen, egozentrischen und im extremen Fall feindlich
gesinnten Umwelt basieren. Eine Form der Ausgrenzung ist Desinteresse oder Ignoranz. Das
Interesse und Wissen an der jüdischen und islamischen Kultur und Religion ist nach wie vor
erschreckend gering. Durch diese desinteressierte und ignorante Toleranz werden Nachbarn
zu Fremden stilisiert. Die christlich ausgeprägte Identitätslegitimierung Europas formiert und
uniformiert die europäische Gesellschaft und führt zwangsläufig zur Ausgrenzung aller, die
sich nicht in dieser fortwährend reproduzierten Identität wiederfinden.
Franz Kafkas Erzählung „Das Schloss“ dient als Parabel für die aktuelle Situation. Ein
Fremder versucht anerkannt und integriert zu werden, doch scheitert am herrschenden
System. Er wird als Fremder geduldet, jedoch nicht als Teil der Gesellschaft akzeptiert. Viele
Menschen in Europa können Kafkas Erzählung als Metapher ihrer eigenen Existenz
verstehen.
Eine religiös pluralistische Gesellschaft muss sich der Dominanz und Partikularität einer
Religion bewusst sein und Solidarität zum Ziel haben. Von religiöser Überheblichkeit muss
hin zu ethischer Moralerziehung und Toleranz aus dem Bewusstsein der eigenen Relativität
erzogen werden.
Ein neues Europa muss sich auf sein eigenes kulturelles Erbe zurückbesinnen. Das Judentum
ist ebenso wie die griechische und römische Kultur Teil dieses europäischen Erbes, doch
leider wird Judentum heutzutage fast ausschließlich mit Antisemitismus und Schoa assoziiert.
Natürlich ist ein kritisches Geschichtsbewusstsein wichtig, jedoch ohne ein tieferes
Verständnis des Judentums als Teil der europäischen Kultur werden Juden immer als
„Fremde“ entfunden.
So wichtig es für jüdische Studenten heutzutage ist, eine positive jüdische Identität zu haben,
so wichtig ist es auch für das nichtjüdische Europa das Judentum als Teil des eigenen
kulturellen Erbes zu verstehen. Der Schlüssel zu all dem liegt in der Erziehung. Das
lateinische Wort educare bedeutet wörtlich übersetzt „herausführen“. Bleibt zu hoffen, dass
Erziehung den Weg zu einer offenen und toleranten Gesellschaft ebnen wird, die Heimat für
alle Kulturen wird.
In: HANS ERLER (Hg.), Erinnern und Verstehen. Der Völkermord an den Juden im politischen
Gedächtnis der Deutschen, Frankfurt a.M. 2003, S. 145-151.
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