Den Vorsätzen Flügel verleihen

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Neujahrspredigt 2008, Johannes 14,19 „Den Vorsätzen Flügel verleihen“
Liebe Gemeinde
„Den Vorsätzen Flügel verleihen“ – Dieser Titel hat mich angesprochen, als ich
ihn vor einem Jahr über einem Zeitungsartikel zum Jahreswechsel las. „Den
Vorsätzen Flügel verleihen.“ – Das hat etwas Leichtes, Ermutigendes,
Beflügelndes am Beginn eines neuen Jahres. Ob Sie sich auch danach sehnen, so
ins Jahr hineingehen zu können?
Ganz von selbst kommt das nicht. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht mit dem
Bilanzieren und dem Fassen von Vorsätzen. Bei mir haben die Tage um den
Jahreswechsel herum einen etwas langsameren Rhythmus, der Terminkalender
ist weniger voll, der Wecker klingelt nicht so früh wie sonst. Da ergibt sich
gleichsam die Gelegenheit zu einem Etappenhalt. Ich schaue zurück auf die
Wegstrecke, die ich letztes Jahr zurückgelegt habe. Im Zeitraffer läuft manches
aus dem vergangenen Jahr nochmals als ein Film ab: Gelungenes, Höhepunkte –
aber auch Trauriges, Tiefschläge, Schmerzvolles. Es wird auch deutlich, was im
abgelaufenen Jahr auf der Strecke, wie viel unerledigt blieb. Mit welchen
Hoffnungen bin ich damals ins Jahr 2007 gestartet – und was ist davon wahr
geworden?
Beim Ausblick aufs neue Jahr könnte nun leicht ein Druck entstehen: 2008 soll
mir endlich gelingen, was bisher unerfüllt blieb. Da möchte ich endlich ein
besserer Mensch werden. Soll es denn ewig so weitergehen? Muss ich immer
wieder an den gleichen Punkten anstehen? Jetzt will ich mehr Ordnung, mehr
Disziplin in mein Leben bringen, mehr Sport treiben, mehr schlafen – oder was
auch immer. – Solche Gedanken mögen uns am Neujahr durch den Kopf gehen.
Das sind wohl urmenschliche Regungen. Tiere fassen sich keine Vorsätze, sie
leben instinktiv richtig. Wir Menschen müssen uns etwas vornehmen. Nichts
gegen Vorsätze darum. Nur wer sich für ganz und gar rechtschaffen hält, braucht
keine Vorsätze. Aber Vorsätze bekommen leicht etwas Verkrampftes,
Verbissenes. Und doch brauchen wir, die wir immer wieder straucheln und
stürzen, etwas, woran wir uns hochziehen können, was uns motiviert
weiterzugehen. Vielleicht kann es ein Stern sein, zu dem wir aufblicken und der
uns den Weg weist.
Es hat seinen Sinn, dass Neujahr zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag
liegt.
Nicht nur die Weisen aus dem Morgenland folgen da dem Stern, der sie zu
Christus führt. Auch uns mag, nicht nur am Neujahr, der Stern begleiten, der uns
zu ihm weist. Christus zu suchen, unterwegs im Leben, auch in den Nächten und
auf Wüstenstrecken, das mag auch für uns verheissungsvoll sein – bevor wir an
die Umsetzung unserer Vorsätze gehen und tun, was wir im neuen Jahr
anpacken wollen, oder uns zu vermeiden befleissigen, was wir als schlecht
ansehen.
Christus mag uns an diesem Neujahrsmorgen in der Jahreslosung, einem
starken, kraftvollen Wort von ihm aus dem 14. Kapitel des
Johannesevangeliums, entgegenkommen:
„Ich lebe und auch ihr werdet leben.“ (Johannes 14,19)
Das tut doch gut, ein solches Wort zu Beginn des neuen Jahres zu hören und es
in die Tage, die vor uns liegen, mitzunehmen! Es setzt ein hoffnungsvolles
Gegengewicht dazu, dass wir unser Leben oft als eingeschränkt erfahren – durch
andere Menschen, durch die gesundheitliche Situation und sonstige Umstände
dadurch, dass wir uns manchmal selbst im Weg sind und das Leben nicht
wagen. Hier sagt uns also Gott, der Geber unseres Lebens, durch Christus: Ihr
werdet leben.
Ich verstehe das als Einladung, als Zuspruch: Du kannst leben, trotz allen
Einschränkungen, trotz allen Lasten, die du zu tragen hast. Und es ist mehr als
ein frommer Wunsch – weil du mit allem, was du bist, in der Verbindung stehst
und bleibst mit dem göttlichen Vater. Als Jesus dieses Wort ausspricht, sieht er
schon seinen Weg ans Kreuz vor sich. Welch tiefgründiges Vertrauen spricht
darum aus seinem Wort! Selbst in den Abgründen des Daseins, selbst im
Ausblick auf den Tod weiss er sich mit der umfassenden und bleibenden
Lebendigkeit Gottes verbunden. Und auch uns will er diese Zuversicht
schenken.
Das mag uns freier und mutiger in die Tage dieses neuen Jahres hinausschreiten
lassen, was auch immer sie bringen mögen, ja womöglich sogar mit einer
gewissen Leichtigkeit ausziehen lassen. Nicht dass unsere Lasten auf einmal
nicht mehr da wären. Aber wir geben dem Erdenschweren weniger Gewicht,
weil wir unsere Energie nicht mehr vor allem dafür brauchen, wogegen wir uns
wehren, abstrampeln, abgrenzen. Sondern weil wir erkennen: Gott hat uns
unsere Lebenskräfte gegeben, damit wir sie einsetzen dafür, dass anderen der
Reichtum und die Fülle des Lebens zuteil wird und wir selbst mit dem Leben ins
Spiel kommen. Glaube gibt guten Bildern von Leben Raum.
Und das mag unseren Vorsätzen, das mag dem, was wir anstreben und tun,
Flügel verleihen. Ermutigende Bilder von Leben sehe ich vor mir: Menschen,
die – trotz mancherlei Einschränkungen oder gesundheitlichen Beschwerden –
sich daran freuen, was ihnen weiterhin möglich ist, dies auch auskosten und
dabei eine starke, frohe Ausstrahlung geschenkt bekommen. Ob das nicht etwas
von jenem „Leben trotz allem“ ist, wie es uns Gott schenken kann und will?
Und ob dies nicht auch meine Vorsätze und Pläne beflügeln kann? Ich erkenne:
Vor Gott darf ich mit leeren Händen hintreten, weil er sie mir zu füllen
verspricht. So wende ich den Blick dem Leben zu, das Gott in anderen, das er in
mir selbst angelegt hat und das ich zu fördern, anzuregen, zu ermutigen vermag.
Wo dies gelingt, kann ich mich dankbar freuen. Und wo ich Grenzen spüre oder
scheitere, versuche ich dies getrost in Gottes Hände legen.
Wie das gelingen kann, das von Christus verheissene Leben aufzunehmen und
sich davon beflügeln zu lassen? Vielleicht in einem Dreischritt: Ich sehe genau
und aufmerksam hin. Ich erkenne Gott selbst im Gesicht des anderen. Und ich
schenke ihm meine Liebe, lasse die Liebe Gottes durch mich hindurch
weiterströmen.
Zwei Dinge sind freilich nicht gemeint, wenn davon die Rede ist, den Vorsätzen
Flügel zu verleihen:
- Sie sollen nicht auf nimmer Wiedersehen auf und davon fliegen, nicht
verflattern.
- Und sie sollen nicht abgehoben werden, nicht die Bodenhaftung verlieren.
„Blick auf zu den Sternen und gibt acht auf die Gassen“ – in dieser doppelten
Ausrichtung hat Jörg Zink einmal prägnant und treffend zusammengefasst, was
Leben in der Grundhaltung des Glaubens heisst.
Und auch wenn wir Elia, den Propheten, ansehen, wie er von neuem Flügel
bekam, ist da nichts eigentlich nichts Spektakuläres, Abgehobenes dabei:
Zunächst können wir uns verstanden wissen in der Stimmung von
Lebensüberdruss, wie die eine oder der andere sie womöglich auch schon
kennengelernt hat. Es kommt bisweilen vor, und die biblische Geschichte spricht
dies auch offen an, dass jemand nicht mehr weiter mag. Doch dann berührt
Gottes Bote, sein Engel, den mutlos gewordenen Propheten – und zwar auf ganz
einfache Weise: Er traut ihm zu, aufzustehen, und spricht ihm das zu; er bringt
ihm Brot und Wasser; er hat Geduld, als Elia noch nicht zum Aufbrechen fähig
ist; er kommt ein zweites Mal; und er gibt ihm, was er braucht für seinen Weg.
So kommt Elia wieder zu Kräften, so kommt sein Leben wieder in Bewegung.
Manchmal mag dies einfacher sein, als wir denken, auch für uns, und Gott
begegnet auch uns in einem Menschen, welcher uns anbietet, was uns nährt an
Leib und Seele; in einem Menschen, der uns an seinen Tisch einlädt, uns zuhört,
uns etwas zutraut und uns ermutigt, unseren Weg zu weiterzugehen.
So bleiben wir zwar mit unseren Füssen am Boden, gehen voran, Schritt für
Schritt. Und doch sind wir beflügelt unterwegs, weil wir vertrauen, auf gutem
Weg zu sein.
Dass Sie im neuen Jahr solches erfahren dürfen, wünsche ich Ihnen mit Worten,
die auf dem Januarblatt eines Kalenders zu finden sind, welchen ich kürzlich
geschenkt bekommen habe:
Ich wünsche dir Zeit,
dich zu freuen und zu lachen.
Ich wünsche dir Zeit für dein Tun und Denken,
auch zum Verschenken.
Ich wünsche dir Zeit
für das Staunen und Zeit zum Vertrauen.
Ich wünsche dir Zeit,
zu den Sternen aufzublicken,
und Zeit, um zu wachsen, zu reifen.
Ich wünsche dir Zeit,
neu zu hoffen, zu lieben.
Ich wünsche dir Zeit,
auch um Schuld zu vergeben
- Zeit, um zu leben.
Wie Christus spricht:
„Ich lebe und ihr werdet leben.“
Amen.
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