1 2.4 Pflegetheorien Fürsorgetheorie von Benner Patricia und Wrubel Judith Paradigma: Nach der Einteilung von Ann Marriner-Tomey, die die Pflegemodelle nach den Paradigmen anderer Wissenschaften einteilt, gehört die Fürsorgetheorie von Benner und Wrubel zu den philosophischen Theorien. Diese Pflegetheorie baut auf die Phänomenologie von Martin Heidegger auf, welcher die Person als ein „sich selbst interpretierendes Wesen“ sieht, das geprägt ist durch sein „in-der-Welt-sein“. Nach Heidegger bilden Seele und Körper eine Einheit und der Mensch kann nicht außerhalb seiner Umwelt betrachtet werden. Dieses Menschenbild übernehmen Benner und Wrubel. Sie übernehmen auch Heideggers Sorgebegriff. Die Tatsache, dass dem Menschen die Welt nicht egal ist und er an andere Menschen und Dinge gebunden ist, beschreibt er als Haltung der Sorge. Diese Haltung verbindet den Menschen mit der Welt und motiviert jegliches Handeln. Da die Sorge auch Fürsorge, im Sinne von „sich um etwas kümmern“ bedeutet, gehen Benner und Wrubel davon aus, dass diese Fürsorge Einfluss auf die Erfahrung von Gesundheit/Krankheit hat. Deshalb kommen sie zu dem Ergebnis, dass die Pflegepraxis, die auf dieser Bedeutung von Fürsorge aufbaut, den Verlauf von Krankheit positiv beeinflussen kann. Die Theorie ist Ende der 80er Jahre entstanden und grenzt sich damit deutlich von dem in der westlichen Welt bekannten positivistischem Weltbild und dem damit verbundenen Wissenschaftsverständnis ab. Mit diesem Ansatz wird ein ganz neues Licht auf die Pflege geworfen. Sie beschreiben Pflege als eine heilende Kraft, was in direktem Gegensatz zu der gängigen Auffassung, dass das Heilen eine exklusive Befähigung der Medizin sei, steht. Aufbau: Die Pflegetheorie von Benner und Wrubel baut auf Begriffen, wie Person, Situation, Stress, Bewältigung, Krankheit und Gesundheit auf. Die Bedeutung von Fürsorge steht im Mittelpunkt der Theorie. Die Person wird nach Heidegger betrachtet. Demnach ist der Mensch bedroht, sobald etwas in Gefahr gerät, was ihm in seinem Leben wichtig erscheint, ihn interessiert und beschäftigt. Die Situation wird als ein Teil des Menschen und umgekehrt betrachtet. Der Mensch befindet sich immer in einer Situation, bei allem was er tut. Gerät er jedoch in eine neue, ungewohnte Situation, wie z.B. Krankheit, kann dies Stress für ihn bedeuten. Stress entsteht nach Benner und Wrubel immer dann, wenn der Mensch Gefahr, Verlust oder Herausforderung erlebt, aber nicht spontan auf diese neue Situation reagieren kann. Bewältigung ist ein weiterer zentraler Begriff, auf den die Theorie aufbaut. Bewältigung sollte das sein, was auf Stress folgt. Benner und Wrubel betonen jedoch, dass dem Menschen nicht eine unbegrenzte Anzahl an Bewältigungsstrategien zur Verfügung steht, sondern diese von den Fertigkeiten und Fähigkeiten eines Menschen abhängt. Bewältigung ist ihrer Meinung nach besonders wichtig bei Krankheit, welche ein hohes Maß an Stress bedeutet. Krankheit unterscheiden Benner und Wrubel nach zwei Aspekten. Zum einen verwenden sie den Begriff „disease“, der die krankmachenden Prozesse im 2 Körper beschreibt. Zum anderen betonen sie den Begriff „illness“, der das subjektive Erleben von Krankheit schildert. Gesundheit dagegen untergliedern sie in „objektives Verständnis von Gesundheit“ und in „Wohlbefinden“. Wohlbefinden beschäftigt sich erneut mit dem subjektiven Empfinden einer Person. Es äußert sich dann, wenn der Mensch sich körperlich, seelisch und geistig gut fühlt, das heißt sich auf den Menschen als Ganzes bezieht. Auf diesen Begriffen baut die Theorie also auf, deshalb muss auch der Zusammenhang geklärt werden. Stress kann die Ursache für Krankheit sein. Wird Stress jedoch von einer Person richtig bewältigt, kann dies zu ihrer Gesundheit führen. Die Zusammenhänge sind aber sehr komplex, da sie immer von der subjektiven Erlebenswelt der Person abhängig sind. Inwieweit sich die Aspekte beeinflussen, kann nur erahnt werden, wenn man versucht das subjektive Erleben und die Situation der Person zu hinterfragen. „In ihrer konkreten Arbeit hat die Pflegekraft mit Gesundheit und Krankheit, mit Wachsen und mit Verlust zu tun, so wie diese Dinge erlebt und erfahren werden.“ (Benner & Wrubel) Pflegeprozess: Das Hauptanliegen einer Pflegekraft soll nach Benner und Wrubel, die optimale Unterstützung und Hilfestellung für die Patienten sein. Dies bedeutet, die Pflegekraft muss sich in die subjektive Erlebenswelt des Patienten tief einfühlen. Den Patienten soll dadurch ermöglicht werden, ihre individuelle Bewältigungsstrategie zu finden, damit sie das werden können was sie zu werden wünschen. Gesundheitsfördernde Maßnahmen im üblichen Sinne, wie zum Beispiel richtige Ernährung, werden von Benner und Wrubel abgelehnt. Auch sie sollen stattdessen auf der subjektiven Erlebenswelt des Menschen basieren und sich somit an den für ihn wichtigen Aspekten und seinen Ressourcen orientieren. Es ist für sie natürlich auch selbstverständlich, dass die sorgende pflegerische Zuwendung die instrumentelle Pflege nicht ausschließen kann, sondern auf dem Primat der Sorge aufbauen muss. Nachteile: Es lassen sich leider keine konkreten Richtlinien für die Pflegepraxis ableiten. Es bleiben dadurch Fragen offen, wie beispielsweise: Was passiert mit Menschen, die sich sprachlich nicht ausdrücken können? Ein Einblick in ihre subjektive Lebenswelt wäre nicht möglich. Die Theorie enthält keine unmittelbar umsetzbaren Handlungsweisungen. Außerdem müsste bei einer Umsetzung der Theorie in die Praxis, eine komplette organisatorische Veränderung der Institution Krankenhaus stattfinden, z.B. könnte es keinen festgeschriebenen Tagesablauf mehr geben. Die Umsetzung ist des Weiteren schwierig unter den aktuellen Rahmenbedingungen, insbesondere der immer kürzer werdenden Verweildauer der Patienten. Sich in kürzester Zeit in Patienten einfühlen zu können, ist etwas zu utopisch. Vorteile: Diese Betrachtungsweise schult den Respekt vor den verschiedenen Menschen mit ihren Eigenarten. Durch das Eingehen auf die subjektive Lebenswelt der Patienten wird Pflege flexibler und kreativer. Das intuitive Wissen der Pflegenden wird betont, welche kombiniert mit Fachwissen zu Experten werden. Außerdem hat diese Theorie ein neues Licht auf die Pflege geworfen, dadurch dass auch eine Abgrenzung zur Medizin aufgezeigt wird. Pflege kann ein heilender Faktor sein. Mit ihrer Theorie haben sie dazu beigetragen, den Nährboden für weitere Entwicklungen innerhalb der professionellen Pflege zu erweitern. Sie vermitteln ein grundlegend neues Verständnis von Pflege, das zum Denken anregt.