1 Kultur und Praxis Urbano Ferrer, Josemaría Carabante KULTUR

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Urbano Ferrer, Josemaría Carabante
KULTUR UND PRAXIS BEI HABERMAS
1. Die Abgrenzung zwischen privatem und öffentlichem Raum bei
Habermas
In der griechischen Polis und der römischen Civitas waren die private und die
öffentliche Sphären ihren jeweiligen Funktionen nach scharf getrennt. Zugleich
fand die zweite, die öffentliche Sphäre, erst durch die private Sphäre ihre
Möglichkeit und ihren Spielraum. Nicht nur gab es innerhalb der Familie
spezifische Aufgaben, die unter die Aufsicht des Paterfamilias oder Caput
ausgeübt wurden; die tragende Funktion des Hausamtes erwies sich darin, dass
es den Hausherrn bereit für das öffentliche Amt und die Müße (otium) im Sinne
der Bildung und Formung der Seele machte. In einem ähnlichen Sinn hatte sich
H. Arendt in The human Condition erklärt.
Aber die Epoche, deren Übergang vom privaten Raum zum öffentlichen Raum
das Zentrum der einschlägigen Studien von Jürgen Habermas bildet, ist die
Epoche der beginnenden demokratischen Öffentlichkeit gewesen, wie sie
zunächst in England ihren Anfang fand. Zu dieser Zeit etablierten sich neue
Grundlagen für eine Verstärkung des öffentlichen Raums, verbunden mit der
Festigung des familiaren Bereichs auf der einen und einer Entfaltung von
Verkehr und Presse auf der anderen Seite. „Privat“ bedeutet hier im
Allgemeinen nicht mehr das, was diesseits der staatlichen Regulierung liegt; das
Private bekommt vielmehr den positiven Status eines freien Verfügenkönnen
über die Güter des Privatbesitzes und Vergnügens. Korrelativ dazu bildet die
öffentliche Sphäre durch den zunehmenden freien Verkehr im weitesten Sinn
einen neuen Raum, der dem merkantilistischen Interventionismus und der
staatlichen Zensur entzogen ist. Diese Entwicklung findet in England und
Frankreich Ende des 17. Jahrhunderts in Ausdrücken wie „public opinion“ oder
„all the world“ einen Nachhall.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts feudalisiert sich die Öffentlichkeit
jedoch wieder und verwandelt sich zu einem Organ des Staates im Dienst der
ökonomisch Schwächeren, wobei es zu einer Verschränkung neuer Art
zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen kommt. Folglich wird der Bereich
der Öffentlichkeit bedroht und die Priorität der Familie im Prozeß der
Sozialisierung ihrer Glieder abgedrängt. Es handelt sich dabei um eine Tendenz,
die auch und gerade wieder in den Jahren zunahm, in denen Habermas sein
Buch Strukturwandel der Öffentlichkeit veröffentlichte.
Zuvor hatte die Kultur ihren eigenen Ort in der kommunikativen Interaktion.
Mit der Abdrängung der prioritären Rolle der Familie in der Sozialisierung
jedoch werden nicht nur deren Aufgaben geschwächt, die zwischen dem
Privaten und dem Öffentlichen vermitteln, sondern es fehlt auch der
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angemessene Ausgangspunkt für die Profilierung des öffentlichen Raums. Je
mehr das Privatum an Wirklichkeit verliert, desto mehr entbehrt auch das
Öffentliche an Einfluss und Bestand. Mit dem Verschwinden dieser elementaren
Voraussetzungen der Kultur löst sich diese selbst psychosozial in privaten
Konsum auf. Das Otium, die Muße, verliert seinen echten Sinn als freie
Aktivität und versinkt im ökonomischen Zyklus von Produktion und Konsum
im Dienst der vitalen Bedürfnisse. Die Kultur merkantiliert sich und geht ihres
subjektiven Sinns als humanistische Bildung verlustig. Dies zeigt sich zum
Beispiel darin, dass die kulturellen Produkte anonym in Form von Werbung
angeboten werden und jede Spur einer Autorschaft an ihnen verschwunden ist.
Soweit die pessimistische Diagnose von Habermas. Heutezutage spiegelt sich
auch eine solche Diagnose im Ausdruck von G. Lipovetschki und J. Serroy
Welt-Kultur, der ihrem bekannten Buch den Titel gibt.
II. Die Kultur zwischen der Lebenswelt und dem System
In seinem berühmten Werk Theorie der kommunikativen Handlung führt
Habermas seine Ansicht über die Kultur aus, welche er neben der sozialen
Institutionen und neben den erprobten individuellen Kompetenzen als eine
Komponente betrachtet, die strukturell in die Lebenswelt eingefügt ist. Es
handelt sich dabei um eine Komponente, die in sich selbst nicht festgelegt ist,
sondern sich in demselben Ausmaß verschiebt wie die Lebenswelt, in die auch
die Sprachhandlungen eingebettet sind. Ähnlich wie die grammatische Regelung
der Sprache gehört jedoch auch die Kultur nicht ausdrücklich derjenigen Form
von Kommunikation an, durch welche man unmittelbar in der Lebenswelt
aufgeht; sie beinhaltet vielmehr eine explizite Verschiebung von einer zu einer
anderen Situation, welchen sie –die Kultur– als gemeinsamer Hintergrund
zugrunde liegt. Analog dazu ist die Lebenswelt der implizite Horizont, in dem
sich Hörender und Sprechender begegnen.
Es ist also möglich, der Kultur eine die Lebenswelt übergreifende Funktion
zuzusprechen: Nämlich die, der Kommunikation die sie legitimierenden Werte
zu verschaffen, unabhängig davon, dass sie auch dem sozialen System der
Institutionen die es legitimierenden Verhaltensnormen liefert und dem System
der Personalität die Motivationen zuführt, mittels derer die Individuen die
Kompetenzen für die Sozialisierung erwerben. Denn die Kultur ist imstande,
sich symbolisch zu reprodukzieren; auf diese Weise wirkt sie sowohl auf sich
selbst wie auf die anderen beiden Systeme zurück und trägt maßgeblich zum
Gelingen der Kommunikation bei. Die kommunikative Handlung lässt sich
somit als der Weg beschrieben, auf dem sich die drei Systeme einander öffnen
können.
Aufgrund des sie umfassenden spachlichen Mediums lassen sich den drei
angegebenen Systemen drei Prozeße der Hervorbringung –nämlich kulturelle
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Erzeugung, institutionelle Integration sowie die Sozialisierung der Individuen–
zuordnen. Die illokutionären Akte bilden das konstitutive Material der Sprache
und erst vor diesem Hintergrund treten ihre drei Komponenten –also das
lokutionäre Moment hinsichtlich eines Sachverhaltes, das perlokutionäre oder
produktive Moment sozialer Effekte und das ausdrückliche Moment angesichts
bestimmter Erlebnisse– in den Sprechenden auf. Es handelt sich um drei klar
differenzierten Schichten.
Was allerdings fehlt, ist ein Kriterium für eine gewisse Ordnung dieser
Schichten untereinander, sowohl in der systemischen Interaktion als auch in
Bezug auf die sprachliche Operativität. Das kompositive Modell des Ganzen
und der Teile beherrscht den Ansatz von Habermas bis zuletzt und verhindert so
konsequent, dass seinen Elementen eine hierarchische Stellung zugesprochen
werden kann. In der Tat klagt Habermas lediglich die systemischen
Einseitigkeiten an, zu denen es kommt, wenn man dem einen oder anderen
System auf Kosten der übrig gebliebenen die zentrale Rolle zuschreibt. Diese
Einseitigkeiten sind jeweils von A. Schütz (Übergewicht der Kultur, T. Parsons
(Übergewicht der sozialen Institutionalisierung) und G.E. Mead (Vorherrschaft
des Systems der Personalität) vertreten worden.
III.Die Kultur in der deliberativen Politik
Um solche Reduktionismen zu überwinden, ist bei Habermas zu beachten, dass
er jede Form eines funktionalen Primats innerhalb eines Systems vermeidet.
Darüber hinaus ist durch das Programm einer deliberativen Politik das
theoretische Gleichgewicht dieser drei Bereiche hergestellt; auf diese Weise
vermag er die Schwierigkeiten des Republikanismus und Liberalismus zu
umgehen, deren Defizite sich von der Einseitigkeit herleiten, zu Unrecht die
eine oder andere Dimension des sozialen Systems zu privilegieren.
Das erste Problem, das die analytische Differenzierung der Habermas’schen
Gesellschaftstheorie mit sich bringt, hat mit der politischen Macht zu tun.
Habermas hat es sorgfältig vermieden, in eine unnachgiebig kritische Haltung
gegenüber den modernen Errungenschaften zu verfallen und hat statt dessen ein
Auge für die Entstehung und Konsolidierung des systemischen Ansatzes
entwickelt. Ganz in diesem Sinne verweist Habermas auf das, was er
„administrative Macht“ nennt, durch welche die Imperative der Konsolidierung
des Systems gewährleistet werden. Diese Art der Macht ist zweifellos nicht
politisch, insofern sie offensichtlich der kommunikativen Prozesse entbehrt und
ihrer Natur nach keine Ziele verfolgt. Es handelt sich vielmehr um eine rein
technische Macht, um ein Medium der Steuerung, welches die Anforderungen
der wirtschaftlichen Subsysteme ebenso wie die praktischen Interessen der
Zivilgesellschaft zu kanalisieren vermag.
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Im Verbund mit dieser administrativen Macht erkennt Habermas jedoch das
Vorhandensein einer wirklich politischen Macht, die er als kommunikative
Macht bezeichnet und die im Umkreis der diskursiven Öffentlichkeit ihren
Ursprung hat. Die kommunikative Macht ist eminent praktische Macht insofern,
als hier die die rationale Diskussion einschließende Prozesse entstehen und die
sozialen Interessen im Vordergrund stehen. Sie basiert zugleich auf einer
bestimmten gesellschaftlichen Lebenswelt, hat also in der übergängigen Zone
zwischen Zivilgesellschaft und der Sphäre des Privaten ihren Ort. Die
kommunikative Macht ist letztlich demokratische Macht.
Diese Doppelung der Macht, die im Schema von Habermas zum Zuge kommt,
birgt jedoch Probleme in sich. Und das aus mehreren Gründen. Zunächst
entsteht eine solche Doppelung aus der Notwendigkeit, das Vorhandensein der
systemischen Macht –die zweifellos Vorteile für die moderne Gesellschaft mit
sich bringt, jedoch ungeachtet ihres reduktiven Verfahrens, unabhängig vom
praktischen und ethischen Kontext funktioniert– mit einem dezidiert praktischen
normativen Begriff von Macht zu kombinieren. Zwar steht dies in Einklang mit
dem dualen Ansatz von Habermas’ Theorie der Gesellschaft (die zwischen
Lebenswelt und System unterscheidet); die Verwendung des Begriffs ‚Macht’
jedoch sowohl in Bezug auf das Systemische als auch das Lebenspraktische ist
zweideutig und unklar. Zweitens scheint Habermas’ spekulative Entfaltung
selbst zu implizieren, dass Macht im dezidierten Sinne das ist, was seinen
Ursprung in kommunikativen Kontexten hat; in der Tat basiert die deliberative
Politik auf der Notwendigkeit, die administrative Macht unmittelbar an den der
kommunikativen Macht entsprungenen Korrekturen zu orientieren –auf diese
Weise verschwimmt die anfängliche Zweideutigkeit zugunsten einer
bestimmten Vorstellung von Macht. Drittens kann die Anerkennung beider
Mächte, die –wenn auch nicht zwingend in der Praxis– integriert werden
müssen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den entsprechenden
Verwaltungsstellen durchaus zu Verwirrungen führen. Denn trotz des
Vorhandenseins einer administrativen Macht lässt Habermas deutlich erkennen,
dass in seinem System die kommunikative Macht wichtiger ist, insofern sie eine
korrigierende Funktion ausübt.
IV.Die Politisierung der Kommunikation und die interessierte Kultur
Auf der anderen Seite erscheint die Kommunikation durch die Doppelung der
politischen Macht gewissermaßen überpolitisiert. Indem Habermas die
Entstehung der kommunikativen Macht in der gesellschaftlichen wie der
privaten Sphäre verortet, verpflichtet er dazu, die diskursiven Prozesse nicht als
uneigennützige Suche zu konstitutieren. Die gesamte Kommunikation ist daher
eine politische Aufgabe, bis zu dem Punkt, dass jeder individuelle oder
kollektive Ausdruck stets als Ausdruck einer Ideologie betrachtet wird, vor
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allem dann, wenn –wie in Habermas’ Fall– eine allmähliche Sozialisierung der
Politik stattfindet. In diesem Sinne werden ideologische Konflikte und
Spannungen von den öffentlichen Organen der Diskussion leicht in den Bereich
der Öffentlichkeit schlechthin übertragen, wo politische Parteien einige
Prominenz erhalten. Daher ziehen die verwaltungstechnisch organisierten
Bereiche zwar nicht die Macht der Kommunikation an sich, aber es scheint
doch, als würde die kommunikative Macht unter die administrative Macht
subsumiert, was gerade das war, was Habermas unter dem Begriff
„Kolonisierung der Lebenswelt“ kritisiert hatte.
Wir können feststellen, dass in dem Maße, in dem die reale politische Macht der
Kommunikation erwächst, die Politisierung aller Bereiche eine seiner
notwendigen Konsequenzen darstellt: das gesellschaftliche und das private
Leben sind dann, insofern sie Anlass zur Macht geben, immer schon Ausdruck
bestimmter ideologischer Interessen. Allerdings ist in diesem globalen Prozess
der Politisierung zu beachten, dass die konstitutiven Elemente des
gesellschaftlichen Lebens –etwa die Kultur, die Familie oder das einzelne
Individuum– gemäß ihrer Fähigkeit geschätzt werden, politische
Entscheidungen zu generieren, zu transformieren oder zu rechtfertigen.
Diese Befunde erklären das politische Interesse von Habermas an der Kultur.
Tatsächlich kann der politische, auf seine formalen Strukturen reduzierte
Prozess der Kommunikation nicht durch sich selbst aufrechterhalten werden: er
benötigt einen kulturellen und praktischen Kontext. Zunächst hatte Habermas es
noch für möglich gehalten, den Bereich der Öffentlichkeit durch
verfassungsrechtliche Grundsätze neu zu beleben. Im Laufe der Zeit erwiesen
sich diese liberalen Grundlagen aufgrund ihrer Ungenauigkeit jedoch als
ungenügend. In dem Maße, in dem –wie bereits angedeutet– als Resultat der
kapitalistischen Modernisierung die Quellen von Sinn und Solidarität
vertrocknet sind, wächst das Erfordernis, kulturell öffentliche Plätze der
Kommunikation wiederzubeleben und Beweggründe ausfindig zu machen, die
das Zusammenleben stützen können. Dies rechtfertigt zum Beispiel, dass
Habermas seine Aufmerksamkeit auf das Phänomen des Religiösen richtet.
Nun werden Religion und Kultur in Abhängigkeit von ihrem Beitrag zu den
diskursiven Prozessen der Entstehung und Rechtfertigung der politischen Macht
bewertet. Es handelt sich dabei jedoch um eine interessierte und zugleich
technifizierte Kultur, die dazu angetan ist, die Politik und ihre gemeinsamen
Räume substanziell zu begründen. Im Bereich der deliberativen Politik kommt
es auch aus diesem Grund zu einer Entstellung der kulturellen Gegebenheiten,
die so ihre praktische Wesensart verlieren. Es läuft auf eine technisch
produzierte Kultur hinaus, in der zwischen angestrebten politischen Wirkungen
und solchen, die sich nicht vorhersagen lassen, unterschieden werden kann. Eine
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Kultur, kurz gesagt, unter ideologischem Diktat. Aber eine „interessierte“ oder
politisierte Kultur hört auf, ein Bereich des menschlichen Ausdrucks zu sein, der
gerade durch einen inkommensurablen Reichtum charakterisiert ist.
IV. Die spezifische Funktion der Kultur
Unseres Erachtens nimmt jedoch die Kultur im Zusammenhang der
symbolischen Erzeugung eine einzigartige Stellung ein. Es ist daher irrig, wenn
sie als eine systemische Gesamtheit unter der Leitung der kommunikativen
Handlung behandelt wird. Denn einerseits kann die Allgemeinheit in den
Geltungsansprüchen innerhalb der Kommunikation weder die Komponente des
Ausdrucks noch die institutionelle Normativität betreffen; sie ruht deutlich in
ihren kulturellen Ressourcen, welche ausschließlich einen allgemeinen
Anspruch bezüglich ihrer argumentativen Form erheben.
Andererseits implizieren die kulturellen Symbole eine sich selbst erzeugende
und mit ihrer Gebrauch sich erweiternde Kultur des menschlichen Ausdrucks,
analog dazu, wie sich die lebendige Kultur eines Volkes oder einer beliebigen
sozialen Gruppe durch etablierte Normen des Verhaltens nährt. Die Kultur
bekundet sich hier unmittelbar und ist lebendig sowohl im Bereich der
motivierten Subjekte als auch im Raum der institutionalisierten Regeln, in
beiden Fällen jedoch ohne die Notwendigkeit einer verständigungsorientierten
Handlung. Das Prinzip der Kultur ist vielmehr kommunikativ-anthropologischer
Art, und die Sprache passt sich in ihren (institutionalisierten) Verlautbarungen
nur auf unvollkommene Weise an diese kulturelle Funktion an. So verstehen wir
z.B., dass eine ägyptische Pyramide Verehrung für die Vorfahren ausdrückt,
aber wir bringen die angemessene Wertantwort zum Ausdruck, ohne deshalb in
ein Sprachspiel eintreten zu müssen. Auch fremde Sitten und einen
entsprechenden Lebensstil eignen wir uns lange vor ihrer sprachlichen
Veräußerung an. Die Rückgewinnung der heute bedrohten kommunikativen
Räume erfordert es daher, die Solidarität innerhalb der Gruppen und die in ihnen
verkörperten Werte vor ihrer Formalisierung durch Sprechakte wach zu halten.
V. Kultur als Mittel im Rahmen der Praxis
Der der Kultur zugrunde liegende Zusammenhang der Mittel ist von sich aus
auf einen die Praxis bestimmenden Zweck geöffnet. Die Kultur unterscheidet
sich somit von der Praxis und dualisiert sich mit ihr, die vom Habitus des
Willens geleitet ist. Aber der Habitus schließt den Raum der Praxis auch nicht
ab, sondern er transformiert sich zu kulturellen Produkten, die anderweitig
aufgenommen oder in Mittel für neue Zwecke umgewandelt werden können.
Die Produkte der Handlungen fungieren dabei nicht als Grenze der
ursprünglichen Praxis, sondern bilden deren offenen Horizont. Unter den die
Kultur ausrichtenden Zwecken der Praxis nimmt die soziale Interaktion mit
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ihren vielfältigen Aspekten einen bedeutsamen Platz ein; sie reicht von der
Frage-Antwort-Struktur der Sprache bis hin zu den unterschiedlichen sozialen
Akten wie bitten, flehen, erwarten, versprechen –und dies durch die dem
Eigentum innewohnenden juristischen Ansprüche hindurch. Betrachtungen
dieser Art werden besonders in der Phänomenologie der sozialen Akte von A.
Reinach gefunden.
Darüber hinaus wird die letzte Bestimmtheit eines Werkes oder eines kulturellen
Zusammenhangs nicht kulturell vorgeschrieben, insofern das Produkt die
Prägung seines Autors beibehält. Es kommt ihm zu, in der einen oder anderen
Richtung fortgeführt oder im Gegenteil gekappt zu werden, das heißt gemäß
dem Zwecke seiner Bestimmung und nach dem freien Spiel von Angebot und
Nachfrage weitergeführt zu werden. Die Kultur ist mithin eine continuatio
naturae, weder mimetische Forsetzung der Natur noch willkürliche
konventionelle Erfindung. Von diesem Standpunkt aus ist jede Kultur einer
genealogischen Interpretation zugänglich und fügt sich so in die Geschichte der
Kulturen ein. Nicht zuletzt wird die Kette der historischen Geschehnisse durch
die Kontinuität der kulturellen Werke ermöglicht, die sie vermitteln, indem sie
sich in einer historischen Reihe zueinander verhalten.
Literaturverzeichnis
Arendt, H. (1958): The human condition, Chicago, Illinois, The University of Chicago Press
Cohen, J. and Arato, A. (1992): Civil Society and Political Theory. Cambridge, MA: M.I.T
Habermas, J. (1981): Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bände, Frankfurt, Suhrkamp.
Habermas, J. (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit, Darmstadt, Neuwied, Hermann Luchterhand
Verlag.
Habermas, J (1963): Theorie und Praxis, Frankfurt am M, Suhrkamp.
Lipovetski, G., Serroy, J: (2010): La cultura mundo. Respuesta a una sociedad desorientada, Madrid,
Anagrama
Restorf, M. (1997): Die politische Theorie von Jürgen Habermas, Marburg, Tectum.
Cohen, J. and Arato, A. (1992): Civil Society and Political Theory. Cambridge, MA: M.I.T.
Eintrag für das Autorenverzeichnis
FERRER, U, Dr.: Prof. in Ethik an der Univ. Murcia.
Forschungsschwerpunkte: Verschiedene Richtungen im Rahmen der
phänomenologischen Ethik. Veröffentlichungen: Welt und Praxis. Schritte zu
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einer phänomenologischen Handlungstheorie (2006); Para comprender a Edith
Stein (Hrsg.) (2008).
CARABANTE, J, Dr.: Studium in Jura und Philosophie. Dozent an der Univ.
Complutense.
Forschungsschwerpunkte:
Habermas,
Vögelin.
Veröffentlichungen: Übersetzungen von Habermas und zahlreiche Aufsätze.
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