Freie Universität Berlin Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft HS: Kritische Theorie der Gesellschaft Dozent: Dr. Klaus Roth 08.07.10 Laura Appeltshauser, Kristina Peneva __________________________________________________________________________________________ Jürgen Habermas zählt zu den bekanntesten Vertretern der nachfolgenden Generation der Kritischen Theorie löst sich vom hegelianisch-marxistischen Ursprung der Frankfurter Schule durch die Rezeption und Integration neuerer Theorieansätze Theoretische Grundlagen Habermas als “jüngerer Vertreter” der Kritischen Theorie, bezeichnet sich selbst aber als “eine Generation jünger als die Alten” (167 f.) Gemeinsamkeiten Frankfurter Schule: - Methode von Gesellschaftstheorie; Verbindung v. philosophisch bzw. theoretisch und empirischen Motiven; praktisch orientiert an der Aufklärung und Emanzipation - Idee der Geschichtsphilosophie; Verwendung des Begriffes Philosophie in Abgrenzung zur (traditionellen) „Ursprungsphilosophie“ - starke Bezüge zu Kant (Vernunft, Ethik, Moralphilosophie) - bekräftigt die philosophische Dimension des Marxismus; „Rekonstruktion (Revision) des historischen Matrerialismus“ - Theorie des sozialen Evolution (Systemprobleme) soziale Kämpfe führen unter bestimmten Umständen zu einer neuen Form der Sozialintegration neues Entwicklungsniveau der Gesellschaft - deliberatives Demokratieverständnis - seine Kritische Theorie zielt auf eine theoretisch verallgemeinerte Geschichte Weiterentwicklung der theor. Dimension der Kritischen Theorie - begründet teleologische Lesart der Vergangenheit sowie normativ-theoret. Basis für eine geschichltich orientierte u. an der Zukunft interessierte Analyse der Gegenwart1 Abgrenzung zur Frankfurter Schule - positivere Bewertung der bürgerlichen Gesellschaft - Marx-Rezeption: Marx als politischer Theoretiker und Theoretiker der Verdinglichung (Zugang zu Marx über Kant, Hegel, Hölderlin, Lukacs => systematischer Zugang zu philosophischen Traditionen) (168 f.) - ergänzt fehlende humane Dimension in seiner Theorie - stattdessen Konzept der Krise: individuelle Bedürfnisse werden von modernen Gesellschaften nicht berücksichtigt, Manipulation von Individuen - in Theorie des Kommunikativen Handelns (1981) versucht er die Analytische Philosophie mit dem historischen Materialismus zu verbinden - Erzielung von Verständigung als Handlungsorientierung - Geltungsansprüche (Wahrheit, Richtigkeit, Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit) - bedeutende Rolle der Sprache als normative Grundlagen der Gesellschaft - H. vertritt die Konsenstheorie der Wahrheit und Diskutsethik (freier und offerner Diskurs, konsensorientiert) - keine objektive Einheitswissenschaft möglich, da verschiedene Interessen auch verschiedene Arten von Rationalität und Wissenschaft erzeugen würden - Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie fielen im Grunde zusammen Affinität zur Kritischen Theorie (170 f.) ideengeschichtlich: Anknüpfen an Junghegelianer, Lukacs systematische Aufnahme der Theorie der Verdinglichung Anwendung marxistischer Analysen auf alltägliche und kulturelle Phänomene systematischer Charakter einer Gesellschaftstheorie Kritik an der Kritischen Theorie (171 f.) “zentrale Intuition, [...] dass in sprachliche Kommunikation ein Telos von gegenseitiger Verständigung eingebaut ist” (173) normative Grundlagen Wahrheitsbegriff Unterschätzung demokratisch-rechtstaatlicher Traditionen Motive des neuen Buches (178 ff.) erstes Motiv: Theorie der Rationalität ◦ Rationalität als Schlüsselbegriff einer kritischen Gesellschaftstheorie, welcher aber eine Versöhnung der zerfallenden Moderne mit sich selbst erlauben kann zweites Motiv: Theorie des kommunikativen Handelns ◦ Begriff von kommunikativer Vernunft ◦ soziale Lebenswelt als Hintergrundwissen, welches bei Sichtbarmachen zerfällt: die Lebenswelt wird gerade nicht thematisiert ◦ Rationalisierung der Lebenswelt drittes Motiv: Dialektik der gesellschaftlichen Rationalisierung (Theorie der Moderne mit kommunikationstheoretischen Begriffen) ◦ Staat und Gesellschaft als Handlungssysteme, die über Tauschwert und Macht ausdifferenziert worden und überkomplex geworden sind ◦ Konflikte werden zwischen Medien Macht und Geld verschoben, kulturelle Moderne wird verächtlich gemacht viertes Motiv: Gesellschaftsbegriff, der System- und Handlungstheorie zusammenführt => Kommunikationstheorie ◦ Übergriff des systematischen Imperativs in Bereiche der nicht-materiellen Reproduktion, Eindringen von Macht und Geld in verständigungsorientierte Handlungen ◦ Kolonialisierung der Lebenswelt, Aushöhlung kommunikativ strukturierter Handlungsbereich ◦ Transformation der Lebenswelt durch die Bedrohung ihrer kommunikativen Infrastruktur Diskussion: zur Kritik an der Frankfurter Schule: “ Wenn man Adornos Negative Dialektik und Ästhetische Theorie ernstnimmt [...] dann muss man so etwas wie ein Poststrukturalist werden.[...] Ich glaube, dass die Kritische Theorie in ihrer konsequentesten Form sich nicht mehr beziehen kann auf irgendeine Form empirischer oder auch nur diskursiver Analyse von gesellschaftlichen Zuständen.” (172) zum kommunikationstheoretischen Begriff von Rationalität: “Intiution, dass in sprachliche Kommunikation ein Telos von gegenseitiger Verständigung eingebaut ist” (173) zu System und Lebenswelt “Lässt sich die Zerstörung von Lebenswelten durch die Imperative eines kapitalistischen Systems jeweils nur konkret historisch am geschichtlichen Material konstruieren, oder gibt es da etwas wie eine logische Folge von Schritten der Ausdifferenzierung von Lebenswelten?” (Knödler-Bunte, 201) Literatur Dubiel, Helmut: Kritische Theorie der Gesellschaft. Eine einführende Rekonstruktion von den Anfängen im Horkheimer-Kreis bis Habermas, München, 1988. Gmünder, Ulrich: Kritische Theorie. Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas, Stuttgart, 1985. Horster, Detlef: Jürgen Habermas zur Einführung, Hamburg 1999. Ladwig, Bernd: Moderne Politische Theorie. 15 Vorlesungen zur Einführung, 2009.