Psychoanalyse der Lebensbewegungen

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Psychoanalyse der Lebensbewegungen
Zum körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie
Ein Lehrbuch
Peter Geissler, Günter Heiserkamp (Hrsg.)
Springer WienNewYork 2007, 675 S.
Psychoanalyse als Beruf und Berufung mit Leib und Seele erleben können. Es ist für mich immer
wieder gut, diese Einsicht auch leiblich zu spüren. Die heutigen Praktiker und Praktikerinnen der
Psychoanalyse in Wien, wollen und können die Leiblichkeit der Seele wieder in ihre Alltags-Praxis
einbeziehen. Dieses schön gemachte Springer-Lehrbuch findet sich in bester Tradition der Theorie
und Praxis von Wilhelm Reich, Georg Groddeck und Karen Horney wieder. Die beiden
Herausgeber bemühen sich, zusammen mit ihren sechs Mitautorinnen und elf Mitautoren, uns eine
wunderbare Überschau zu dem zu geben, was von ihnen, als PsychoanalytikerInnen der
Lebensbewegungen, gelernt werden könnte. Mit von der Partie sind aus der Schweiz die
Kolleginnen Dagmar Hoffmann-Axthelm und Maria Steiner Fahrni. Bekannte für SPV KollegInnen
sind sicher George Downing, der eine von der Schweizer Charta für Psychotherapie anerkannte
Weiterbildung betreibt, sowie der vielschreibende Tilmann Moser, welcher meiner Generation
schon 1973, mit seinem Schlager «Lehrjahre auf der Couch», Mut gemacht hat, frech, vorlaut und
wild die eigene Seele zu erkunden. Der Arzt und Psychologe Peter Geissler zeigt sich als ein
gewagter und engagierter Innovator und hat, mit seinem Wiener Kreis für körperorientiertes
psychoanalytisches Schaffen, viele KollegInnen mit seinen Büchern und Tagungen inspirieren
können. Seine Zeitschrift «Psychoanalyse & Körper» im 6. Jahrgang, bringt uns immer das Neuste
aus dem nachfreudianischen Wien. Im 11. Heft 2007 ist u.a. eine mich berührende Fallstudie von
Margit Koemeda-Lutz, Psychotherapeutin SPV, publiziert: «Rückkehr in einen verlassenen
Körper? Welchen Beitrag kann eine bioenergetische analytische Therapie dazu leisten?» Es sind
genau solche Reflektionen über das eigene leibeinbeziehenden therapeutische Schaffen und
verweilende Dabei-Sein mit einer Patientin, deren Mitteilung mir wichtig erscheint, damit unsere
Heilkunst weiter verfeinert und kultiviert werden kann. Das ist eines der Ziele dieses Lehrbuches,
welches aus vielen Federn und Erfahrungssichtweisen geschrieben wurde. Es zu lesen ist daher
nicht einfach, die oft komplizierte Sprache stellt Anforderungen an die Aufnahmefähigkeit, doch
das Dranbleiben lohnt sich. Die AutorInnen dieses Lehrbuches setzten sich das Ziel, die
körperliche Dimension im Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut psychoanalytisch
und psychotherapeutisch zu erschliessen.
Die verschiedenen vorgestellten Behandlungstechniken, zusammen mit der Passung der
Lebensbewegungen zwischen PatientIn und PsychotherapeutIn, bilden das thematischen Zentrum
dieses Buches. Hier und Jetzt geht es um die Mitteilung der Erfahrung und Praxis von
KlinikerInnen verschiedener körperorientierten psychoanalytischer Verfahren. Diese
Erfahrungsbeschreibungen werden zur Basis für immer neue theoretische Überlegungen und
Lehrmeinungen. Ausgehend von D. W. Winnicott’s Konzept der vorübergehenden Wirklichkeit, die
sich im vorübergehenden Objekt (transitional object) zeigt, suchen die AutorInnen nach
Beschreibungen der erlebten Bedeutung vom Übergangsraum in ihren Sprechzimmern. So wird
eine psychoanalytische Behandlung eine Übergangswirklichkeit innerhalb einer
psychoanalytischen Stunde. Die Übergangsformen des eigenen Seelenhungers werden genau so
geschildert, wie die Bildung und Umbildung der sozialen und kulturellen Lebensbewegungen durch
therapeutische Beziehungserfahrungen.
Das Buch wurde in fünf Bereiche gegliedert. Kapitel 1: Grundlagen und neuere psychoanalytische
Konzepte. Hier werden die Themen der körperlichen Übertragungs- und GegenübertragungsAnalyse beschrieben. Die Körperbild-Diagnostik (wo frage ich mich, ist Melitta Mitscherlichs
Forschung dazu geblieben) wird vorgestellt und ein breiter Überblick zu entwicklungspsychologisch
relevanten Konzepten gegeben. Was passiert, wenn eine Interaktion inszeniert wird? Wo und was
sind die feinen Unterschiede, die einen Unterschied machen zwischen Psychoanalyse und
Psychodramatik? Die Fragenden AutorInnen scheuen es nicht, uns direkt zu antworten und laden
so den Leser, die Leserin zum Widerspruch ein.
Im Kapitel 2: Psychoanalyse und Lebensbewegungen, wird beschrieben, wie das
leibeinbeziehende psychotherapeutische setting plötzlich eine «Werkstatt» wird, in der mit
Handlungsdialogen in der therapeutischen Beziehung umgegangen wird. Unsere Körper lügen
nicht. Das ist ein postuliertes Kern-Prinzip, welches für beide Beteiligten in einer Psychoanalyse
gilt und seelische Lebensbewegungen hervorbringen kann. Eine Analyse der Lebensbewegungen,
kann auch in der Gruppe gemacht werden.
Dieser gesundheitspolitisch wichtigen Praxis der Gruppentherapie wird ein eigenes Kapitel – das
3. – gewidmet. Hier gibt es Berichte zur analytischen Körperpsychotherapie der Magersucht, zur
Bühne für die Seele und was diese Art der Seelenheilkunst für die Gegenübertragung der
GruppentherapeutInnen, welche im gesteigerten intersubjektiven gespielten Weltbereich der
Bühnenbretter mitinszenieren, bedeutet. Die begleitenden Werkstattberichte aus der
vorübergehenden therapeutischen konstruierten Wirklichkeit, sind etwas vom
leserInnenfreundlichsten in diesem ganzen Buch.
Das 4. Kapitel ist fast ein SPV PsychotherapeutInnen Heimspiel. Darin werden die Spezielle
Anwendungen der Psychoanalyse der Lebensbewegungen beschrieben. Die Kunst des Liebens
genau so wie das Thema Eros und Sexualität, welche die innige Lebendigkeit im Spielraum der
therapeutischen Beziehung bewegen, werden zuerst abgehandelt. Danach folgt ein einfühlsamer
Bericht über die Langzeitbehandlung von Borderline-Störungen und das implizierte
Beziehungswissen im Träumen von Erwachsenen. Die Tipps, wie Mann oder Frau die
Psychotherapie mit schwierigen PatientInnen in Gang setzten kann, sind hilfreich.
Zuletzt werden wir eingeladen, den Ausblick aus der hier geöffneten Werkstatt-Türe zu geniessen.
Was wir mit Hilfe einer phänomenologischen Brille zu sehen bekommen, ist der sogenannte
unsichtbare Leib, welcher im affektiv schimmernden Fleisch des Körpers die Erfassung des
körperlichen Geschehens in der Weiterbildung zum Psychoanalytiker und zur Psychoanalytikerin
möglich macht. Dazu kann ich nur sagen: Kommt heraus und spielt mit uns! rufen die AutorInnen
Eine praktische Einladung, welche über das Lesen hinausgeht. Ein bewegender Effort, der sich für
unsere eigene Lebendigkeit lohnt. Insgesamt ist dieses Buch, trotz des Lesewegs über Stock und
Stein, ein wertvoller Beitrag zur Entwicklung der Psychoanalyse und Psychotherapie als
eigenständige Wissenschaft.
Zum Nachschlagen gibt es 45 Seiten Literaturangaben. Leider kommen Pioniere wie Karen Horney
und Georg Groddeck im Autorenverzeichnis nicht vor. Die 107 Fallbeispiele sind in einem eigenen
Verzeichnis praktisch aufgelistet. Ein gelungenes Nachschlagewerk für jede Bibliothek
Theodor Itten
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