3ptrin, 20 - Kreuzkirche

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Predigt von Landesbischof Jochen Bohl am 3. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juni 2010
in der Kreuzkirche Dresden
„Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu
erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein
Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe
es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade
unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist.
Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die
Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber
darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als Erstem alle
Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben.
Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein
Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.“
1. Timotheus 1, 12-17
Liebe Gemeinde,
in diesen Tagen der Weltmeisterschaft kann man dreimal am Tag fußballerisch
ungewöhnlich begabte Menschen bei der Ausübung ihres Berufs betrachten. In
meiner Jugend habe ich auch gespielt; das liegt lange zurück und spielte sich auf
einem sehr beschränkten sportlichen Niveau ab, aber das damals erworbene
Verständnis führt doch zu einem Staunen, welche Leistungen die Höchstbegabten
dieses Sportes erbringen. Man muss ja nicht gleich von „Lichtgestalten“ sprechen,
wie das für einen ehemaligen Fußballer üblich geworden ist. Jedenfalls ist es schön
anzuschauen, wenn Begabungen sich entfalten, das ist etwas Gutes – und das gilt
nicht nur für den Sport.
So ist es ein Glück, dass es Menschen mit einer positiven Ausstrahlung gibt; es kann
ein bewegendes Erlebnis sein, Persönlichkeiten zu begegnen, die ihre Gaben nicht
eigensüchtig für sich behalten, sondern gern und bereitwillig auf andere zugehen,
ihre Charismen zugunsten der Gemeinschaft einsetzen, Begeisterung für eine
gemeinsame Sache zu stiften wissen, klare Worte finden, ohne damit zu verletzen –
manche Menschen sind etwas Besonderes, und daran wird man sich freuen.
Von den Aposteln Paulus und Petrus kann man nach allem, was wir wissen, wohl
nicht bedingt sagen, dass sie in diesem Sinne besonders wertvolle, charakterstarke
Menschen waren. Petrus verleugnete Jesus in einer Situation, als es darauf ankam,
Festigkeit zu zeigen und zu der eigenen Überzeugung und zu dem Freund zu
stehen, das war ein armseliger Verrat.
Paulus hat vor seinem Bekehrungserlebnis bei Damaskus die ersten
Christenmenschen verfolgt, unnachsichtig und bedenkenlos, es wird in der
Apostelgeschichte gar angedeutet, dass er an der Vollstreckung eines Todesurteils
mitgewirkt hat, er ist ein Eiferer gewesen, der selbstgerecht denen nachjagte, die
anders waren, als sie nach seiner Meinung sein sollten. Nein, die Lebensgeschichte
des einen wie des anderen lässt nicht unbedingt Sympathieträger vermuten; eher
wird man annehmen, dass sie, die ersten großen Figuren in der Geschichte der
Kirche, nicht anders waren, als andere es auch sind; die Bibel zeichnet die
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Glaubensväter als Menschen wie du und ich, mit Stärken und Schwächen, hellen
und dunklen Anteilen in ihrer Persönlichkeit.
Und doch wurden sie zu Gestalten, die das Gesicht der Welt veränderten. Es gibt
nicht viele Menschen, deren Lebensgeschichte solch tiefe Wirkungen über solch
lange Zeiträume hinweg hatte wie die der beiden Apostel. Ob es da etwas gab, was
sie auszeichnete, unterschied von anderen?
Am Anfang des 1. Timotheusbriefes hören wir, was zu sagen ist von Paulus, was ihn
zu dem machte, der er wurde. Es geht um den Bruch, den er in seinem Leben
erlebte, und der ihn tief verändert hat; nach seinem Bekehrungserlebnis vor
Damaskus wurde alles anders.
„Ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler“ – ist er bis dahin gewesen, lesen wir:
So hat Paulus sich später gesehen, das ist ein hartes Urteil. Aus diesen Worten
spricht eine Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, zur Korrektur seines Verhaltens die es
nicht oft zu hören oder zu lesen gibt. Wann gibt es das schon, dass einer in aller
Öffentlichkeit zu eigenen Fehlern steht, dass jemand begangenes Unrecht bereut?
Gerade in dem Bemühen um die Bewältigung der DDR-Jahrzehnte beobachten wir ja
immer wieder, wie schwer es fällt, nicht der Verantwortung auszuweichen, nicht zu
leugnen, was gewesen ist. Gar nicht von dem Versuch zu reden, um Vergebung zu
bitten oder entstandenen Schaden wiedergutzumachen. Von denen, die für die
internationale Finanzkrise verantwortlich sind, hat man wenig gehört, was auf
Einsicht oder gar Reue hindeuten würde.
Das Leben des Paulus wurde durch das Erlebnis vor Damaskus verändert, wie er es
nicht erwartet und nicht gewollt hatte, er wurde ergriffen von einer Wahrheit, die er
sich nicht selbst gab, er begegnete dem auferstandenen Christus – und darauf
antwortete er mit der Haltung der Buße. Das war keine Wende, die nur taktisch
gemeint ist, sondern wahrhaftige Bereitschaft zur Umkehr. Er bereute, was er getan
hatte und schlug einen anderen Weg ein, er stellte sein Leben in den Dienst Christi,
zu dem er sich gerufen wusste. Die Folge war, dass er die Frohe Botschaft
verkündigte; weitersagte, was er selbst erlebt hatte. Er begann ein anderes Leben,
und das geflügelte Wort, dass einer vom Saulus zum Paulus wird, macht den großen
Wandel im Leben des Mannes aus Tarsus deutlich.
Liebe Gemeinde,
die Kranken brauchen den Arzt, nicht die Gesunden, sagt Jesus, als er wegen seiner
Gemeinschaft mit den Zöllnern und Sündern angegriffen wird; und im Hause des
verachteten Zachäus erklärt er, dass er gekommen ist, zu suchen und selig zu
machen, was verloren ist. Das unterscheidet ihn von den anderen Rabbis, das ist der
Kern seiner Botschaft von dem Reich Gottes, das bereits angebrochen ist – und
darin wird er kenntlich als der Sohn des barmherzigen und gnädigen Gottes, der in
diese Welt gekommen ist. Die Lebensgeschichte des Paulus ist die erste, an der wir
ablesen können, wie diese Botschaft Gestalt gewinnt: als eine Veränderung, die
einen Menschen umkehren lässt, im äußeren wie im inneren. Er war ja einer
gewesen, der keinen Zweifel daran hatte, zu den Gesunden gezählt zu werden, nie
war er auf die Idee gekommen, es könne nicht genug oder nicht das richtige sein,
was er zu tun in der Lage war und ja auch tat. Für ihn war klar, dass er jedenfalls
nicht zu den Verlorenen gehörte; und darum verfolgte er eifernd, selbstgerecht die
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ersten Christen, weil er sich auf der richtigen Seite wusste, er war sich seiner Sache
und seiner selbst sicher.
Aber als er Christus begegnet, vor Damaskus, sieht er sich in einem anderen Licht,
er gewinnt eine neue Sichtweise, erkennt, dass es ganz anders ist, als er dachte –
dass vor Gott nicht zählt, worauf er gemeint hatte, sich verlassen zu können. Ich
brauche den Arzt, ich bin verloren, ich gehöre zu den Sündern, bin der
Barmherzigkeit Gottes bedürftig! Von diesem Moment an hatte er ein anderes
Verständnis von sich selbst, seine Selbstwahrnehmung wurde erneuert in der
Begegnung mit dem Auferstandenen, er hat etwas über sich gelernt, was er zuvor
nicht gewusst hatte, nämlich: Ich lebe im Widerspruch zu Gott, ich bin ein Sünder.
Das wurde ihm zu einer bleibenden Erkenntnis, sie gilt für den ganzen Menschen, für
das ganze Leben, sie gilt für Saulus und für Paulus, sie gilt für jeden Menschen, dem
Gott begegnet.
Damaskus war ein doppeltes Lernerlebnis – eine Absage an das Selbstbild, das
Paulus so angenehm und lieb war und ihn zum Eiferer gemacht hatte;
und es war zugleich die Entdeckung der göttlichen Wahrheit in Christus, in deren
Licht er sich und sein Leben nun sah. Beides gehört zusammen, kann nicht getrennt
werden. Ein Nachfolger Christi ist ein Gerechter und ein Sünder zugleich.
„Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die
Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin.“
Das meint der Apostel, wenn er davon spricht, dass ihm Barmherzigkeit widerfahren
ist.
Man mag fragen, ob die Veränderung so sehr in die Tiefe ging, dass er darüber ein
ganz anderer geworden ist? Ob die Umkehr so radikal war, dass Paulus nicht mehr
dieselbe Person war? Das wohl nicht, auch er wird ja nicht aus seiner Haut gekonnt
haben, das kann niemand, wir können es nicht und auch sonst keiner. Wir bleiben,
wer wir geworden sind, mit unseren Stärken und Schwächen, daran ändert auch die
Verbindung zu Jesus Christus nichts. Natürlich hat Paulus seine Lebensgeschichte,
seine Gaben und Dunkelheiten, die Prägungen seiner Persönlichkeit in das neue
Leben als Nachfolger Christi mitgenommen. Das weiß er auch und macht sich
darüber keine Illusionen. Das Entscheidende sind aber nicht die Merkmale seiner
Persönlichkeit, weder seine Begabungen noch seine Fehler – das entscheidende ist
die Veränderung des Selbstbildes, die in der Begegnung mit Christus entsteht, und
die Umkehr.
Liebe Gemeinde,
wir werden nicht ein anderer Mensch durch den Glauben; aber wir entdecken, wer
wir sind und was es bedeutet ein Mensch zu sein. Neben unseren Begabungen, so
reich sie sind, tragen wir immer auch Schwächen, blinde Flecken, Unvermögen,
böses Denken und Handeln in uns. Wer Christus begegnet, lernt die Wahrheit über
sich selbst kennen, und die ist nicht unbedingt schön anzusehen. Der bekommt aber
zugleich die Zusage, mit seiner ganzen Person angenommen zu sein – das ist ein
doppeltes Geschenk Gottes in Christus. Es ist schön anzusehen, wie es das
Entfalten der Begabungen ist. Im Leben des Paulus ist es zum ersten Mal zu
betrachten. Er schreibt davon, damit wir und die ganze Kirche ein Vorbild haben, an
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dem wir uns orientieren können – vorbildlich ist aber nicht der Apostel, sondern
Christus, und was er im Leben des Paulus gewirkt hat. Ihm geht es ja nicht um sich,
sondern um den, dem er begegnet ist. Darum geht es der Kirche auch nicht um die
Apostel, sondern um den einen Auftrag, den sie als Erste empfingen: die Frohe
Botschaft von Jesus Christus zu verkündigen. Ob wir Kirche sind, entscheidet sich
allein daran, ob wir diesem Auftrag treu sind und Christus bezeugen.
Amen.
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