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Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Öffentlichkeitsarbeit
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Dokumentation Wortlaut (zu PM 03 / 2015)
Satire darf alles! Der Glaube aber auch.
Dekan Dr. Martin Mencke, Wiesbaden
(Andacht, Konferenz regionaler Öffentlichkeitsbeauftragter, 22.1.15)
Je suis Charlie. Als Christen können wir vielleicht auch sagen:
Dieu est Charlie.
Ich bin Charlie. Gott selbst ist Charlie.
Ein mörderischer Anschlag. Eine halbe Zeitungsredaktion ausgelöscht.
Und das im Namen Gottes.
Je suis Charlie. Dieu est Charlie.
Und das ist nicht nur floskelhaft gesagt, dass Gott Charlie ist: War nicht "Gotteslästerung" einer der Vorwürfe, die Jesus
ans Kreuz brachten? Wurde er nicht am Ende getötet, weil er die Institution des Tempels und das religiöse
Establishment angriff? Ich glaube: Einen Menschen töten, das ist die einzige Form der Gotteslästerung, die Gott wirklich
weh tut.
Wie aber halten wir es mit der Religion in der Öffentlichkeit?
Was dürfen / wollen wir sagen?
Wo sind die Grenzen eines guten Geschmacks? Gibt es solche?
Eines ist klar: Wir Christen sind nicht die Opfer von Paris. Die Opfer sind die Journalisten von Charlie Hebdo. Sie haben
mit ihrem Leben bezahlt für die offene Gesellschaft, die uns im Westen und in unserem Land selbstverständlich ist. Eine
Offenheit, hinter die wir nicht mehr zurück wollen und können. Viele haben jetzt das Gefühl: Die Mitarbeiter von Charlie
Hebdo haben sozusagen stellvertretend für uns alle bezahlt. Und darum stellen sich viele jetzt geschlossen hinter sie: Je
suis Charlie.
Das, was die Redakteure und Zeichner von Charlie Hebdo produziert haben, muss einem nicht gefallen. Trotzdem ist es
ein Symbol für das, was die Grundlage unseres Zusammenlebens in einem freiheitlichen Staat ist: das Recht eines
jeden zu denken und zu sagen, was er für richtig hält. Und das nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern öffentlich.
„Satire darf alles!“ hat Kurt Tucholsky mal gesagt, und meinte natürlich nicht: grenzenlos alles. Auch Satire darf nicht
töten und menschliche Existenzen vernichten. Satire darf alles, insofern es für sie kein Denk- und Sprechverbot gibt,
keine Loyalitäten. Höchstens vielleicht selbst auferlegte Rücksichten, denen sie sich freiwillig unterwirft.
Im Angesicht des aktuellen Verbrechens sollten wir laut bekennen: Wir wollen nie wieder Denk- und Redeverbote. Auch
als Christen nicht. Das liegt nicht nur daran, dass wir zur demokratischen Verfassung stehen und vernünftigem Denken
zugänglich sind. Das allein müsste zwar schon reichen.
Doch die Hochschätzung des kritischen Wortes und das Recht zur offenen Rede ist entgegen aller anders lautenden
Vorurteile, gerade auch in unserer modernen und offenen Gesellschaft auch ein biblisches Erbe.
Die Propheten des Alten Testaments waren Leute, die offen und kritisch geredet haben – und das in Gesellschaften, in
denen das nicht erwünscht war.
Deuterojesaja erscheint in manchen seiner Reden als bitterböser Satiriker und Religionskritiker, wenn er die
Götterfiguren, die viele Israeliten zu Hause hatten, als tote Pappkameraden verspottet. Bestimmt hat er damit manchen
verletzt.
Der Prophet Hesekiel macht provokantes Straßentheater am Rande der Geschmacklosigkeit. Darüber werden sich viele
aufgeregt haben.
Und von Jeremia wird in einer nachbiblischen Legende erzählt, das zornige Volk hätte ihn wegen seiner Worte
gesteinigt. Man wollte die kritische Stimme mit Gewalt zum Schweigen bringen.
Jesus steht ganz in diesem prophetischen Erbe. Die Bergpredigt enthält weitere Gründe, einem Kritiker nicht das Wort
zu verbieten.
Richard Rohr, der amerikanische Franziskaner, weist darauf hin: Jesus habe die Fähigkeit zur Selbstkritik zum
Kennzeichen einer christlichen Existenz gemacht: „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du
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Pressemitteilung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
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den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!“ (Matth. 7,5). Wie sollten sich die Nachfolger Jesu da für unfehlbar halten –
und Kritik verbieten?
Und selbst da, wo Kritik unfair, gemein und verletzend daherkommt, gilt Jesu Aufruf zur Feindesliebe: „Liebt eure
Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen …“ (Lukas
6,27).
Das sind Grund- und Ursprungsgedanken unseres christlichen Glaubens, nicht erst Zugeständnisse an die moderne
Welt. Dass Jesu Ethos der Gewaltlosigkeit in der Kirchengeschichte immer wieder verraten wurde, lässt sich nur so
erklären, dass die Menschheit eben nicht so christlich war, wie sie es von sich behauptete. Gewalt im Namen Gottes
kann aus christlicher Sicht niemals gerechtfertigt werden; und das war auch schon vor der Aufklärung so. Die
religionskritische Unterstellung, man könne mit der Bibel alles begründen, ist zumindest in dieser Hinsicht grundfalsch.
[Die Gewaltthematik ist komplexer, wenn man das Alte Testament isoliert betrachtet – doch das tun weder wir noch die
Juden, die mit Talmud und Mischna eine eigene Auslegungstradition haben.]
Kehren wir zurück zur aktuellen Situation. Und zu einem heißen Eisen. „Segnet, die euch verfolgen, bittet für die, die
euch beleidigen“ – mit diesen Jesusworten im Ohr und den Ereignissen in Frankreich vor Augen müssten wir in
Deutschland als Kirche vielleicht lauter dafür streiten, dass der sog. Blasphemie-Paragraph abgeschafft wird. Nach
Paragraph 166 StGB ist es nämlich strafbar, religiöse Bekenntnisse und Institutionen zu beschimpfen, sofern damit eine
„Störung des öffentlichen Friedens“ verbunden ist.
Ich finde: Es stünde uns als Kirche gut zu Gesicht, auf diese Art von staatlicher Protektion Gottes freiwillig zu verzichten.
Denn sie ist entweder wirkungslos oder gar kontraproduktiv. Was auch immer heute zensiert, verboten oder geschwärzt
wird, erregt ja erst recht öffentliche Aufmerksamkeit.
Ich persönlich empfinde manche Formen von Religionskritik und antireligiöser Satire durchaus als beleidigend und
geschmacklos – ob sie sich nun gegen Muslime, Christen oder sonst wen richtet. Man darf, manchmal muss man ihr
scharf widersprechen und sie aus moralischen Gründen verurteilen. Aber Religionskritik, auch plakative und
beleidigende, sollte in einer offenen Gesellschaft nicht der Gegenstand von Strafverfolgung sein – jedenfalls dann nicht,
wenn sie nicht gegen elementare Menschenrechte oder andere Gesetze verstößt. In Paris wurde in diesen Tagen eine
altersweise Dame interviewt, eine Katholikin, die bekannte, dass ihr die Zeichnungen von Charlie Hebdo, die sie am
Kiosk hängen gesehen habe, oft weh getan hätten. Sie habe dann immer ein stilles Gebet für die Karikaturisten
gesprochen. Wie viel Jesus-gemäßer ist diese Reaktion, als in einem solchen Fall nach der Polizei zu rufen!
Satire darf alles. Wenn das auch moralisch und ästhetisch nicht immer stimmt, so sollte es zumindest strafrechtlich
gelten. Der „Gotteslästerungsparagraph“ hilft niemandem. Zumal der säkulare Staat nur schwer beurteilen kann, was
wirklich blasphemisch ist. Daran ist bekanntlich schon Pontius Pilatus gescheitert.
Als Christen für die Freiheit des verletzenden, freien Wortes einzutreten, ist also das eine.
Auf eine staatliche Kontrolle der gotteskritischen Rede verzichten das andere.
Ein Drittes aber ist:
Satire darf alles. Der Glaube aber auch.
Das ist für mich notwendige Konsequenz. Wenn Satire verstörend und aggressiv auftreten darf, warum sollten nicht
auch Religionen provokant auftreten dürfen?
Und ich erinnere nur an die biblischen Propheten. In einem Land, in dem es zum freiheitlichen Selbstverständnis gehört,
dass man seine politische Überzeugung kundtun darf, darf man religiöse Überzeugungen nicht hinter verschlossene
Türen verbannen. Sonst nimmt man sie nicht ernst. Es ist ein laizistischer Irrtum, religiöse Überzeugungen hätten allein
mit dem Seelenleben zu tun und nicht auch mit dem Zusammenleben. Die offene Gesellschaft muss auch öffentlich
gelebte Religion aushalten. Natürlich nur, so lange sie sich an die Gesetze hält.
Der sichtbar gelebte Islam mag Menschen in Deutschland irritieren – doch das muss er dürfen. Wer gegen den Bau von
Moscheen oder das Tragen von Kopftüchern demonstriert; wer den „Kampf“ gegen die kulturelle Ausbreitung des Islam
fordert, untergräbt seinerseits die freiheitliche Gesellschaft - und die Freiheit, die sich dem Glauben verdankt und auf der
der Glaube wachsen kann.
Die offene Gesellschaft muss fair gegenüber allen sein – und sie muss allerdings dafür sorgen, dass ihre eigenen
Grundlagen nicht gefährdet werden. Wo Freiheitsrechte verneint werden, auch die Freiheitsrechte des Einzelnen, zum
Beispiel auf Bildung, da muss eingegriffen werden. Da liegt die Grenze.
Deshalb also noch einmal und deutlich:
Je suis Charlie. Dieu est Charlie
Deshalb müssen wir dafür streiten, auch aus religiösen Gründen aus einer öffentlichen Religion heraus dafür streiten,
dass Charlie diese Verletzungen des guten Geschmacks produzieren und verbreiten darf.
- Und wir vielleicht daran arbeiten, dass in unserer öffentlichen Religion nicht alles weichgespült wird, weil es vielleicht
nicht sofort kompatibel mit dem herrschenden Zeitgeist ist.
Daran mit zu arbeiten hat eine würzige, scharfe Öffentlichkeitsarbeit.
Und ich danke Ihnen für Ihr Engagement darin an ihren jeweiligen Stellen.
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