M. Moch: 1 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster M. Moch Hauptsache flexibel – Tagesgruppen in der Sackgasse? – Eine differenzierte Betrachtung (Abbildungen zum Vortrag hier) 1 Einleitung Bevor ich nun versuchen werde, einzelne Aspekte der Entwicklung und des Profils von Tagesgruppen zur Diskussion zu stellen, möchte ich – gewissermaßen als übergreifende „theoretische Klammer“ - zwei konzeptionelle Grundlagen der sozialpädagogischen Arbeit in Tagesgruppen anführen: Die erste Ausgangsbedingung lautet: Teilstationäre Maßnahmen nach § 32 KJHG sind ein Kind der Heimerziehung, d.h. sie greifen auf Fachlichkeit und Ressourcen zurück, die im Bereich der stationären Hilfen entwickelt wurden (Späth 1994). Bereits in ihren Anfängen war die Tagesgruppe mit dem Anspruch verbunden, dass für viele Heranwachsende eine stationäre Unterbringung verkürzbar oder gar vermeidbar ist. Der Trend zu einer differenzierten Heimerziehung hielt auch in der Folgezeit an: In der Bestandsaufnahme der Planungsgruppe Petra aus dem Jahr 1992 zu Tagesgruppen wird nachgewiesen, dass seinerzeit noch zwischen 70 und 80% der Tagesgruppen an eine Heimeinrichtung angeschlossen waren. Eine zweite Ausgangsbedingung von Tagesgruppen ist ihre Bezugnahme zur Lebenswelt der betroffenen Familien. Tagesgruppe orientiert sich ihrem Anspruch nach - weit stärker als die stationäre Arbeit - an Gegebenheiten, Bedürfnissen und Notwendigkeiten, wie sie sich individuell verschieden - in den Familien und Umfeldern von Heranwachsenden zeigen. Was dies inhaltlich konkret bedeutet, haben in der Gründerzeit die zentralen Themen auf etlichen Bundestagungen deutlich gemacht (IGfH 1983-87): Einbeziehung von Eltern in der Tagesgruppen-Alltag, ein enges Kontakthalten mit Schule und Lehrern, eine Beteiligung von Freunden und Geschwistern an einzelnen Maßnahmen, um nur einige grundlegende Beispiele zu nennen. M. Moch: 2 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Diese beiden Ausgangsbedingungen, die historische Verwurzelung in der Heimerziehung und die Orientierung an den je eigenen Relevanzen familialer Lebenswelten sollen gewissermaßen die Koordinaten sein, an denen sich die vorliegende Standortbestimmung ausrichtet. 2 Entwicklungen und Bestandsaufnahme Wenn man versuchen will, Entwicklungen in groben Zügen zu beschreiben, greift man am ehesten wohl auf vorliegende numerische Daten zurück. Dies kann in unserem Fall insofern hilfreich sein, um allein erst einmal den quantitativen Stellenwert der Hilfen in Tagesgruppen in Relation zu anderen Hilfen darzustellen. 2.1 Entwicklungen der HzE außerhalb des Elternhauses seit 1991 In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hat sich in Deutschland die Inanspruchnahme der Erziehungshilfen außerhalb des Elternhauses – also Heimerziehung, Vollzeitpflege, Tagesgruppe und Intensive sozialpädagogische Einzelhilfe - folgendermaßen verändert: In der stationären Heimerziehung war bis 1995 ein sehr deutlicher Anstieg der jährlich begonnenen Hilfen zu verzeichnen. Dieser Trend hat sich ab Mitte der 90er Jahre deutlich abgeschwächt. Seit 1995 hat sich die Anzahl dieser Hilfen auf einem Niveau um 28 000 jährliche neue Hilfen eingependelt. In den letzten Jahren ist aber immer noch eine stetige Steigerung von jährlich ca. 2 % zu verzeichnen. Demgegenüber nahmen die begonnenen Hilfen in Pflegefamilien langsam aber kontinuierlich ab. War 1991 noch ca. jede 3. begonnene stationäre Fremdunterbringung eine Vollzeitpflege, so war es 2002 nur noch jede 4. Hilfen zur Erziehung in Tagesgruppen haben hierzu im Vergleich ein deutlich untergeordnetes Gewicht. Allerdings haben sie seit ihrer „Erfindung“ Ende der 70er Jahre bis etwa zum Jahr 2000 eine sehr beträchtliche und kontinuierliche Erweiterung erfahren. Allein in den letzten 14 Jahren hat sich bundesweit die Zahl der begonnenen Hilfen in Tagesgruppen mehr als verdoppelt. Ab 2000 beobachten wir nur noch eine geringe jährliche Steigerung von ca. 1%. Heute ist ca. jede 4. Erziehungshilfe außerhalb des Elternhauses eine Tagesgruppenerziehung. M. Moch: 3 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Auch die ISE nahm – allerdings auf einem unteren Level, kontinuierlich zu. Über die Hintergründe einer forcierten Zunahme von Heimunterbringungen in den letzten 10 Jahren ist vielfach spekuliert worden. Eine Ursachenanalyse gestaltet sich schwierig. Eine bundesweite Betrachtung verschleiert allerdings die sehr erheblichen regionalen Unterschiede, und diese können ein Licht auf die gesuchten Hintergründe werfen: Der Bedarf an Unterbringungen junger Menschen in Heimen geht unmittelbar einher mit ökonomischen und sozio-ökologischen Problemlagen der Bevölkerung in unterschiedlichen Regionen. Ulrich Bürger vom Kommunalverband Jugend und Soziales Baden-Württemberg konnte wiederholt zeigen, dass die Quote der Heimunterbringungen pro 1000 junger Menschen unter 21 Jahren (rote Balken) zwischen 7 in den südlichen Flächenländern und 22 in den Ballungsräumen streut. Dabei korreliert diese Quote nahezu vollständig mit der Quote der minderjährigen Empfänger zum Lebensunterhalt (blaue Balken). In all jenen geografischen Räumen Deutschlands, in denen die ökonomischen und sozialen Belastungen der Bevölkerung hoch sind, in denen viele Menschen arbeitslos sind, in denen die Quote der Sozialhilfeempfänger gravierend ist, zeigt sich eine erhöhte Nachfrage nach stationärer Fremdunterbringung. Hier wurde in der Fläche nachgewiesen, was im Einzelfall meist unabweisbar, in seiner generellen Gültigkeit vielfach immer vermutet worden war: Dass belastete Lebenslagen von Familien unmittelbar verknüpft sind mit der Notwendigkeit, Kindern und Jugendlichen ein neues Zuhause neben oder anstatt ihres Elternhauses anzubieten. 2.2 Entwicklungen der Erziehungshilfen in Tagesgruppen seit 1991 Bisher haben wir uns auf verschiedene Erziehungshilfen außerhalb des Elternhauses, zuletzt nur auf die stationäre Erziehung bezogen. Im Folgenden soll die Entwicklung der Tagesgruppen im Mittelpunkt stehen. Wie bereits angedeutet, hat die Betreuung junger Menschen in Tagesgruppen im Verlauf der 90er Jahre wie keine andere Erziehungshilfe an Umfang zugenommen. Hier einzelne Entwicklungsaspekte im Überblick: Bezogen auf 100 000 junge Menschen unter 18 Jahren hat sich der Anteil von TGKindern zwischen 1991 und 2004 von 15 auf 46 verdreifacht (beendete Hilfen). M. Moch: 4 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Der Anteil der bestehenden Hilfen in TGs an allen Hilfen außerhalb des Elternhauses (HE, Vollz.Pflege, ISE und TG) steigerte sich in der BRD von 5% im Jahr 1991 auf 12% im Jahr 2001. In Bezug auf alle im Jahr 2003 begonnenen Hilfen zur Erziehung außerhalb des Elternhauses betrug der Anteil der Hilfen in Tagesgruppen 23%. Diese sehr klare Entwicklung ist einerseits Teil eines generellen Ausbaus nichtstationärer Hilfen mit dem Ziel, die Strukturmaximen der lebensweltorientierten Jugendhilfe konsequent in der Praxis der Erziehungshilfen umzusetzen. Sie zeigt andererseits aber auch, dass die Tagesgruppe in zunehmendem Maße als zwingend notwendige Hilfe vor dem Hintergrund sehr prekärer Lebenslageneingeschätzt wird. Der Anteil derjenigen, die vor der Tagesgruppe eine andere Hilfe zur Erziehung empfingen, erhöhte sich von 58% im Jahr 1991 auf 75% im Jahr 2001. Dies lässt sich unter anderem daran erkennen, dass der Anteil derjenigen, die vor der Tagesgruppe eine andere Hilfe zur Erziehung empfingen, sich von 58% im Jahr 1991 auf 75% im Jahr 2001 erhöhte. 2.3 Regionale Unterschiede in Verbreitung und Nutzung Die Entwicklung zum Ausbau und zur Intensivierung präventiver, niedrigschwelliger und ambulanter Erziehungshilfen ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich verlaufen. Dies hat dazu geführt, dass die Verfügbarkeit der Angebote für junge Menschen von Bundesland zu Bundesland heute sehr unterschiedlich ist. Betrachten wir nur einmal die Relation der Anzahl stationärer Maßnahmen zur Anzahl teilstationärer Maßnahmen, so ergibt sich folgendes Bild: Bundesweit kamen im Jahr 2003 rein rechnerisch auf eine Maßnahme der Heimerziehung 0,25 teilstationäre Maßnahmen oder auf vier Heimunterbringungen eine Tagesgruppenunterbringung. An der Spitze der Flächenländer in Bezug auf den Ausbau des Angebots an Tagesgruppen liegen Baden-Württemberg und das Saarland. Auf 100 Heimunterbringungen kommen hier 44 bzw. 43 Maßnahmen in Tagesgruppen. NordrheinWestfalen bildet zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachen mit Abstand das M. Moch: 5 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Schlusslicht beim Angebot Tagesgruppe. Dies gilt übrigens auch für die Relation von Heimerziehung zu den ambulanten Hilfen generell. Nun ist es keineswegs so, dass innerhalb der hier gut ausgestatteten Bundesländer jeweils flächendeckende Angebote vorhanden wären. Vielmehr gibt es gerade auch zwischen einzelnen Landkreisen sehr große Unterschiede in der Nutzung teilstationärer Erziehungshilfen.1 Das bedeutet: Je nach Wohnort haben Heranwachsende in Deutschland ganz unterschiedliche Chancen, im Vorfeld der Fremdunterbringung eine intensive familienergänzende Hilfe zu erhalten. 3 Beziehungen in der Entwicklung teilstationärer und stationärer Erziehungshilfen Wir hatten eingangs die besondere Beziehung erwähnt, die aus historischen Gründen zwischen Heimerziehung und Tagesgruppenerziehung besteht. Tagesgruppe war und ist vielfach noch heute eine Betreuungsform, die an stationäre Hilfe anschließt oder aber eine solche vorbereitet.2 In diesem Zusammenhang bestand der Anspruch der Tagesgruppe auch immer darin, stationäre Unterbringung durch ein Hilfesetting zu ergänzen, welches die Trennung von der Herkunftsfamilie vermeiden hilft. Angesichts der fachlichen Entwicklung in der Folge des 8. Jugendberichts, aber auch angesichts der sich zuspitzenden Finanzlage vieler Städte und Landkreise stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen Tagesgruppe und Heimerziehung wieder mit größerer Dringlichkeit. Wenn man die neueren Zahlen zur Entwicklung der Heimerziehung betrachtet, so zeigt sich – wie wir gesehen haben - dass der vor 10 Jahren noch hohe Zuwachs an begonnenen stationären Maßnahmen für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren inzwischen erheblich gebremst ist. In 1 WüHo insgesamt EW = 1,6; Alb-Donau-Kreis: 0,7; Stadt Ulm: 2,57; Rems-Murr: 1,14; Göppingen : 2,05; 2 voherige Hilfen: insges. 70%; Beratung: 305; SPFH: 15%; Heim: 4,5%. nachfolgende Hilfen: insges.: 21%; Heimerziehung: 8%; Erziehungsbeistandschaft: 4%. M. Moch: 6 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster den vergangenen 6 Jahren Betrug der jährliche Zuwachs insgesamt unter 2%.3 Eine bemerkenswerte Beobachtung aber ist es, dass für die Altersgruppe der 0-12 jährigen ist die Anzahl der begonnenen Heimerziehungen sein einigen Jahren rückläufig ist (Bürger 2000). Welchen Beitrag die Tagesgruppe zu dieser Entwicklung leistet, ist nur schwer nachzuweisen. Dennoch ist klar, dass der Rückgang der stationären Unterbringung von unter 12jährigen zeitlich einhergeht mit einem Ausbau der Betreuung in Tagesgruppen und ambulanten Hilfen (LWV 2002, Stat. Bundesamt 1995, 2002). Bei den 6- <9jährigen haben Maßnahmen nach § 34 zwischen 1991 und 2004 etwa um ein Viertel abgenommen (zeigen). Parallel dazu nahm die Zahl der Unterbringungen in Tagesgruppen um mehr als das Doppelte zu. Im vergangenen Jahr begannen in dieser Altergruppe bundesweit bedeutend mehr Tagesgruppen-Betreuungen als stationäre Unterbringungen in Heimen. (zeigen) Was für die unter 9jährigen angesichts fachlicher Forderungen nicht so sehr erstaunen mag, ist jedoch bei den 9- unter 12jährigen umso bemerkenswerter: Erstmals überstieg im vergangenen Jahr auch hier die Zahl der begonnenen Tagesgruppen-Betreuungen die Zahl der Heimunterbringungen. Blickt man auf das Jahr 1991 zurück, so wird deutlich, dass sich die Nutzung des Angebots Tagesgruppe in dieser Altersgruppe verdreifacht hat. In dieser Zeit hat die Zahl der begonnenen Heimunterbringungen keine Steigerung mehr erfahren. Sie ist sogar leicht rückläufig. Aus diesen Befunden können folgende Schlüsse gezogen werden: 1. Die Differenzierung der Erziehungshilfen ermöglicht infolge der Umsetzung des KJHG vielen Kindern einen Verbleib im Elternhaus und dies auch dann, wenn ein erheblicher Bedarf an Versorgung, Orientierung und Förderung besteht. Daran hat die TG einen wesentlichen Anteil. 3 Es ist aufschlussreich, sich einmal die Relation von stationären (§34) zu teilstationären (§32) Maßnahmen näher anzuschauen: Bundesweit kamen im Jahr 1991 noch nahezu 8 Heimkinder auf ein Tagesgruppenkind. Zwölf Jahre später kamen nur noch 4 Heimunterbringungen auf eine Tagesgruppen-Unterbringung. Das rein numerische Gewicht der Tagesgruppe gegenüber der Heimerziehung hat sich also seit Anfang der 90er Jahre verdoppelt. M. Moch: 7 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster 2. Viele Kinder, die bei gegebener Problemlage noch vor Jahren stationär untergebracht worden wären, kommen heute in eine Tagesgruppe. Das bedeutet aber auch, dass Tagesgruppen immer häufiger mit verschärften Problemen konfrontiert werden, die noch vor Jahren eher Anlass für eine stationäre Unterbringung gewesen wären. Diese beiden Schlussfolgerungen werden von zahlreichen Fall- und Institutionsberichten zur Tagesgruppenarbeit gestützt. Hierbei steht außer Frage, dass durch die Möglichkeit intensiver teilstationärer Betreuung für den Einzelfall Chancen entstehen können, die durch andere Hilfeformen nicht gegeben sind. Genauso wenig, wie im Einzelfall die Angemessenheit und der Gewinn einer stationären Unterbringung mit dem Generalargument der "Lebensweltferne" geschmälert werden können, lässt sich eine teilstationäre Erziehungshilfe pauschal als stigmatisierende Sonderbehandlung abstempeln. Professionalität macht sich hier wie dort an einer fachlich begründeten Bedarfsangemessenheit der Hilfe fest. Daher steht außer Frage, dass teilstationäre Maßnahmen die stationären weder ersetzen könnten noch nach vergleichbaren Konzepten arbeiten. Jedoch: Es bleibt das Problem von Tagesgruppe und Heim, dass sie – entgegen der ursprünglichen Absicht – heute vielfach weitgehend unverbunden und isoliert nebeneinander stehen. Flexibilisierung wird meist in einem Zusammenhang diskutiert, in dem unterstellt wird, dass eine zu starre, zu einengende Hilfe und wenig ressourcenbezogene Hilfe erfolgt. Es kann aber auch sein, dass eine teilstationäre Hilfe zeitweise zu wenig Stütze bietet. Dies ist insbesondere in Krisensituationen der Familie der Fall, in denen der Heranwachsende – vielleicht auch nur vorübergehend - nicht mehr zuhause wohnen kann. Die meisten Tagesgruppen scheitern an diesem Problem. Nach wie vor bestehen zwischen stationärer und teilstationärer Hilfe relativ starre institutionelle Grenzen, die meistens nicht fachlich begründet sind. In dieser Sichtweise ist eine Flexibilisierung der Hilfe zu fordern, die einen fließenden Übergang von und zur stationären Unterbringung ermöglicht, ohne dass sich damit das gesamte Betreuungssetting verändern muss. Zunehmend mehr Konzepte sehen daher eine enge Kooperation beider M. Moch: Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Unterbringungformen vor, oft in einem Haus, mit einem gemeinsamen Team, mit Formen fließender Übergange, auch mit unterschiedlichen Betreuungsintensitäten innerhalb einer Gruppe. Teilstationäre Arbeit wird dann wieder so verstanden, wie sie ursprünglich gemeint war: gewissermaßen als komplementäres Element der stationären Arbeit, um Heimaufenthalte zu verkürzen, auf Krisenzeiten zu beschränken oder ganz zu vermeiden. Zusammenfassung 1. Teil Es ist eine große Diskrepanz erkennen zwischen den nachgewiesenen Leistungen von Tagesgruppen einerseits und deren Würdigung und Weiterentwicklung in der allgemeinen Fachdiskussion. Diese verengt sich vielfach auf eine Dichotomisierung zwischen den Kategorien Spezialeinrichtung einerseits und Regeleinrichtung andererseits. Auf der Strecke bleibt eine differenzierte Untersuchung der notwendigen Bedingungen, unter denen ein gelingenderer Alltag für die betroffenen jungen Menschen gestaltet werden kann. 4 Angestammte Leistungsfelder von Tagesgruppen Dazu gehören: - eine Rückzugsmöglichkeit; zugleich Entlastung und erweiterter Handlungsspielraum - Gruppenarbeit zum Aufbau sozialer Kompetenzen - Unmittelbarer Zugang zur Familie als primärer Bezugsgruppe - Arbeit mit der Schule - aufsuchende Arbeit; Einbeziehung von Peers - individuelle Begleitung; Anschlusswege eröffnen - fachliche Autorität der MitarbeiterInnen von TGs im institutionellen Umfeld Tagesgruppenarbeit profitiert dabei von ihren beiden Traditionslinien. Ganz gleich in welcher organisatorischen Form bleiben diese inhaltlichen Leistungsaspekte im Zentrum der HzE nach §32. Was von all diesem leistet die Tagesgruppe? Wo bestehen Notwendigkeiten zur Weiterentwicklung? 8 M. Moch: 9 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster 5 Kritische Analyse der Leistungsprofile von Tagesgruppen 5.1 Allgemeine Leistungsnachweise (Petra; JULE, JES) Wie bereits erwähnt, sind neben den unzähligen Erfahrungsberichten im engeren Sinne wissenschaftliche Befunde zur Tagesgruppenarbeit sehr rar. Bereits vor 13 Jahren hat die Planungsgruppe Petra eine Studie zu Tagesgruppen vorgelegt, bisher die einzige spezifische TG-Studie mit sehr breiter Datengrundlage, zum heutigen Stand aber nicht mehr ganz aktuell. In zwei weiteren bundesweiten Studien, die um die Jahrtausendwende erschienen sind, war die Tagesgruppe eine von mehreren untersuchten Erziehungshilfe-Maßnahmen. Diese beiden, vom Bundesministerium für Familie geförderten und veröffentlichten Arbeiten, die JULE-, und die JES-Studie (Baur et al. 1998, Schmidt et al. 2002), bezogen innerhalb einer Gesamtstichprobe von über 200 Fällen jeweils 62 bzw. 51 dokumentierten Fälle von Betreuungen in Tagesgruppen mit ein. Ich nehme im Folgenden auf einzelne Ergebnisse dieser Arbeiten Bezug, insbesondere hinsichtlich jener Aspekte, in denen beide Studien zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt sind. Über 80% der Kinder und Jugendlichen in Tagesgruppen zeigen im Verlauf der Maßnahme deutliche oder zumindest tendenzielle Verbesserungen ihrer Gesamtproblematik (Baur et al, 1998, S. 183). Mit diesem Ergebnis liegt die Tagesgruppe laut JULE-Studie deutlich über dem Durchschnitt aller untersuchten Jugendhilfemaßnahmen. Eine quantifizierende Betrachtungsweise zu einzelnen Störungsbereichen versucht die "Jugendhilfe-Effekte-Studie" (JES) (Schmidt et al. 2002). Vorausgesetzt, man akzeptiert die dort verwendeten numerische Maße für die Einschätzung von Problemveränderungen, dann können Tagesgruppen das zu Beginn einer Hilfe beobachtete Problemausmaß durchschnittlich um etwa die Hälfte verringern (Schmidt et al. 2002, 264). Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Hilfen geplant beendet wurden und auch in diesem Fall nicht für alle Problembereiche in vergleichbarer Weise. Nach diesen Ergebnissen schneidet die TG in Bezug auf die kindbezogenen Kriterien durchschnittlich ab. M. Moch: 10 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Soweit zunächst die globalen Einschätzungen zu den Wirkungen von Tagesgruppenerziehung. Schauen wir uns einzelne Indikationen an, die jeweils vorrangig zu einer Aufnahme in eine Tagesgruppe führen, so sind in erster Linie zu nennen: Probleme des Kindes mit Motivation und Konzentration, Entwicklungsdefizite; Schul- und Leistungsprobleme, aggressives Verhalten des Kindes aber auch ein schwieriges familiales Umfeld. Eher seltener finden wir bei den Problemanzeigen etwa Störungen in der Eltern-KindBeziehung oder auch Gewalterfahrung in der Familie. In der Regel zeigt das Kind erhebliche Belastungsreaktionen auf familiale Problemlagen, häufig handelt es sich um eine Überforderung der Eltern oder eines allein erziehenden Elternteils. Dennoch werden in der Familie Ressourcen und Bindungen gesehen, welche ein Verbleiben in der Herkunftsfamilie rechtfertigen. 5.2 Sehr stark kindzentrierte Handlungskonzepte In Bezug auf die kindbezogenen Aspekte und Gründe für die Maßnahmen sind Veränderungen sehr deutlich nachweisbar. Generell gesprochen profitieren die Kinder und Jugendlichen in Tagesgruppen erheblich von der Hilfe, indem sie deutlich ihre Verhaltensauffälligkeiten reduzieren (Schmidt et al. 2002, S. 147-157). Zusätzlich erweist sich, dass die Tagesgruppe wesentlich dazu beiträgt, dass Kinder autonomer werden, alltagspraktische Fähigkeiten entwickeln und mit Gleichaltrigen besser zurecht kommen. Sie können sich in der Schule besser anpassen und entwickeln befriedigendere Freizeitbeschäftigungen. Auf der anderen Seite legen die vorliegenden Befunde nahe, dass die Maßnahmen im sozialen Umfeld der Kinder und insbesondere in ihren Familien – ähnlich wie die Heimerziehung - nur wenig Wirkungen zeigen (S. 158, 201). Bei aller methodischen Kritik an der JES-Studie trifft dieses letzte Ergebnis die Tagesgruppe vor dem Hintergrund ihres Anspruchs einerseits sehr hart. In zum Teil deutlichem Kontrast zu anderen ambulanten Hilfearten sind die erhofften Veränderungen im Verhalten der Eltern oft nur gering. Belastende Bedingungen im familialen Umfeld, was Erziehungspraktiken, M. Moch: 11 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Elternabwesenheit, soziale Schwierigkeiten in der Schule anbelangt, zeigen sich diese gegenüber den Bemühungen vieler Tagesgruppen als weitgehend resistent. In vielen Fällen gelingt es dem realisierten Setting offenbar nicht, über die institutionellen Grenzen hinweg in das alltägliche Lebensfeld der Kinder hineinzuwirken. Andererseits muss gesehen werden, dass Veränderungen und Entwicklungen in diesen Kontexten nur sehr schwer nachweisbar sind. Außerdem bildet gewiss ein Spektrum von 51 Fällen nicht die Spezifika einzelner Tagesgruppen-Settings ab, die durchaus erheblichen Einfluss auf die Umfelder der Kinder haben können. Insgesamt aber bleibt festzuhalten: Im Ansatz hat die Arbeit in Tagesgruppen den stationären Hilfen in Sachen Lebensweltbezug vieles voraus. Sie bleibt jedoch innerhalb der Traditionen der Heimerziehung, indem sich die Hilfen durch ein sehr stark kindzentriertes Vorgehen auszeichnen. Viele Tagesgruppen zielen in einem eher klinischen Sinne erfolgreich auf die Abnahme problematischen Verhaltens des Kindes. Hierbei fördern sie positive Entwicklungen in ihrem Verhalten und bilden besonders ihre sozialen Fähigkeiten aus. Aber auch dieser Focus wird nicht überall konsequent verfolgt: 5.3 Differenz zwischen Problemanzeigen und Hilfeplanung Einerseits sind – wie wir gesehen haben - die Problemanzeigen bei der Aufnahme gravierend, Andererseits fehlt es immer noch in etlichen Fällen an klaren Zielperspektiven für das Kind. Aktenanalysen (Baur et al. 1998) haben ergeben, dass nur bei etwa der Hälfte aller Fälle in den Hilfen zur Erziehung (nahezu 46%) in den Niederschriften explizite Entwicklungsziele der Maßnahme genannt sind. Dies trifft für Unterbringungen in Tagesgruppen zwar nur auf 26% zu. Dennoch sind dies immer noch ein Viertel aller Betreuungen, die ohne Benennung konkreter Entwicklungsziele auskommen. Diese Problematik verschärft sich dort, wo die Tagesgruppe eine von mehreren Maßnahmen ist, d.h. in jenen Fällen, in denen – in der Regel - die teilstationäre einer stationären Maßnahme vorangeht. Gerade jene Fälle, bei denen man eine beginnende "Karriere" durch mehrere Institutionen beobachten kann, zeichnen sich dadurch aus, dass in 50 % von ihnen der TG- M. Moch: 12 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Betreuung keine spezifischen Entwicklungsziele vorgegeben werden. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine spezifischere Herausarbeitung des individuellen Bedarfs dringend notwendig ist. Dazu kommt noch, dass dort, wo Entwicklungsaufgaben genannt sind, diese sich auf das Kind konzentrieren, obwohl oftmals die Problematik der Familie bei der Entscheidung für die Maßnahme im Mittelpunkt stand. Die Autoren der Tübinger Studie zu den Leistungen und Grenzen der Heimerziehung schreiben dazu: - hier Abbildung 12: Zitat - "Bei den Entwicklungsaufgaben zeigt sich, dass sich der Blick ... auf das Kind verengt, obwohl in den Diagnosen und Begründungen für die Hilfe die Familie in weitaus stärkerem Maß Auslöser ... der erzieherischen Hilfe war. Es hat den Anschein, dass hier entgegen aller Programmatik alte Sichtweisen und Denkmuster vorherrschen. (Baur et al, 1998, 180)"...d.h. es ist das Kind/der Jugendliche, nicht die Familie, welches/r die Hilfe bekommt.4 Herbert Colla berichtet in seinem berühmten „Fall Frank“ von einer der ersten tagesgruppenähnlichen Einrichtungen in Deutschland. In der Jugendschutzstätte Bühl in Göttingen konnten 1961 Jugendliche ihren Alltag verbringen, erhielten Mahlzeiten, Unterstützung und Rat (Colla: Der Fall Frank, 1973). Colla zitiert den rückblickenden Bericht eines Jugendlichen mit folgenden Worten: „ Die Nachteile des Bühl liegen auf der Hand. Wurde der Laden abends zugemacht, dann ging es heim, heim in die Löcher der Parkstraße oder in den Clinch mit seinen Alten. Man war geschockt. Eben noch konnte man klönen, gammeln, diskutieren, spielen, und jetzt war man wieder draußen. Mit der Ahnung, dass alles ganz anders sein könnte, bewegte unsere grauen „Eine Hilfeplanung vor der Aufnahme würde eine klarere Entscheidung darüber ermöglichen, ob die ausgewählte Betreuungsform eines Förderzentrums die angemessene Hilfe darstellt und zudem von Beginn der Hilfe an eine bessere Zuordnung der neu aufgenommenen Kinder und Jugendlichen zu bestimmten Förderprogrammen ermöglichen.“ (Adler & Holzwarth 1996) 4 M. Moch: 13 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster (Hirn-)Zellen. Die Impotenz des Bühl lag darin, dass sie unsere Alten nicht verändern konnte, machtlos gegenüber den Meistern war.“ (zit. in Colla, 1999). Ist es nach wie vor das Los von Kindern und Jugendlichen in nicht-stationären Einrichtungen, dass sie einerseits einen Entwicklungsraum für sich entdecken und nutzen, der für sie zuvor nicht vorstellbar gewesen war, andererseits aber täglich mit familiären Verhältnissen konfrontiert werden, welche sie in ihrer Entwicklung zurückwerfen? Diese Frage erfordert eine Untersuchung der Bemühungen, welche Tagesgruppen in der Elternarbeit nachweisen können. 5.4 Elternarbeit / Umfeldarbeit Elternarbeit gehört gewiss zum „Kerngeschäft“ von Tagesgruppen. Sie gelingt allerdings nicht überall gleich gut. Unterstützt wird die Interpretation einer nur eingeschränkten Zusammenarbeit mit den Eltern durch Beobachtungen, wie sie in den Akten der Jugendämter dokumentiert sind. Auch diese Ergebnisse stammen wieder größtenteils aus der 1998 erschienenen JULE-Studie: In Bezug auf alle dort untersuchten Betreuungen in Tagesgruppen wurde in knapp drei Vierteln Elternarbeit dokumentiert. Von einem Hospitationsbesuch der Mitarbeiter im Elternhaus berichten zwei Drittel der befragten Einrichtungen (Petra, S 261). Demgegenüber werden Besuche der Eltern in der Einrichtung erheblich seltener erwähnt, und nur in 6,5% der Fälle gehören mehr oder weniger regelmäßige Hausbesuche der MitarbeiterInnen zum Repertoire von Elternarbeit (JULE, S. 182). Unterstützende Angebote für die Eltern werden in 16% aller Fälle zur Verfügung gestellt. Diese Befunde sind deswegen besonders bedenklich, weil nachgewiesen wurde, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der Hilfe deutlich erhöht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die TG eine von mehreren Hilfen ist, (d.h. in der Regel, einer HE vorangeht). M. Moch: 14 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Es zeigt sich also: Formen und Intensität der Zusammenarbeit mit den Eltern bedürfen – gerade auch im teilstationären Setting – dringend einer stärkeren Professionalisierung. - hier Abbildung 14: These 1 - Ich versuche, die bisherigen Erkenntnisse in einer ersten These zu bündeln: Das Klinische Dilemma (These 1) These 1: Die Tagesgruppe bleibt ihren Traditionen in der Heimerziehung dort verhaftet, wo sie sich in ihrer erfolgreichen Arbeit einseitig auf das Kind konzentriert. Es bestehen erhebliche Entwicklungspotenziale der Tagesgruppe, ihren Erkenntnissen und ihrem Auftrag entsprechend bestehende Umfelder (Familie und Freundeskreis) aktiver als bisher miteinzubeziehen. 5.5 Ungeplante Beendigungen Ein nächster Blick auf die Position teilstationärer Hilfen gilt dem Hilfeverlauf und den Bedingungen der Beendigung einer Hilfe. Die Untersuchung von Beendigungsgründen gestaltet sich schwierig, zwischen einem fachlich begleiteten Abschluss und einem ungewollten Abbruch einer Maßnahme gibt es eine bereite Grauzone von Bedingungen. Unter rein fachlichen Gesichtspunkten werden viele Hilfen nicht befriedigend abgeschlossen: Nur etwas mehr als die Hälfte aller Tagesgruppen-Fälle (54%) gelten aus der Sicht des Jugendamtes als erfolgreich beendet (Baur et al. 1998, S. 184). Im Vergleich zur stationären Unterbringung ist dieser Prozentsatz allerdings recht hoch (Jule S. 223: HE 39%) Betrachten wir die in den Akten genannte Gründe im einzelnen: Bei knapp 40% der in der JULE-Studie untersuchten Fälle wird die Maßnahme nicht aus fachlichen Gründen beendet. Bei weit über einem Drittel hätte sie aus fachlicher Sicht weitergeführt werden müssen. Wenn es zu einem Abbruch kommt, erfolgt dieser meistens im M. Moch: 15 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster ersten Betreuungsjahr und damit nach weniger als der Hälfte (42%) der ermittelten regulären Betreuungszeit (107 Wochen). Einer der häufigsten Gründe, die zu einem Abbruch führen, - und hier sich die Ergebnisse verschiedener Studien einig - ist eine einseitige Beendigung der Zusammenarbeit durch die Eltern. In der Tübinger JULE-Studie (Baur et al. 1998) wird berichtet, dass ein Fünftel aller Maßnahmen in Tagesgruppen auf Wunsch der Eltern vorzeitig abgebrochen werden (zeigen). Wenn die TG eine von mehreren Maßnahmen ist, beträgt dieser Anteil sogar 42%. Hinter dieser letztgenannten Zahl verbergen sich etliche Fallverläufe, in denen einem Abbruch der Tagesgruppe durch die Eltern später eine vollstationäre Unterbringung gefolgt ist. Untersucht man die Abbrüche durch einseitige Intervention der Eltern näher, so kann man grundsätzlich zwischen zwei Verlaufsmustern unterscheiden: Im ersten Fall handelt es sich meist um sehr bedürftige, sehr instabile Familienverhältnisse, die im Verlauf der Tagesgruppenzeit sich weiter destabilisieren (s. etwa das Fallbeispiel bei Baur et al. 1998, S. 196). Möglicherweise wurde im Hilfeplanungsprozess die Angemessenheit der Hilfe nicht richtig eingeschätzt. Die sich zuspitzende negative Familiendynamik (Trennung der Eltern, Gewaltexzesse) agiert das Kind in der Tagesgruppe aus. Dies verhindert seine weitere Integration der Gruppe. Die Tagesgruppe kann ihrerseits die Familiendynamik nicht beeinflussen und steht dem Abbruch schließlich hilflos gegenüber. Im anderen Fall erscheint der Handlungsspielraum der Tagesgruppe größer zu sein: Wenn sich das Kind vor dem Hintergrund desolater Familienbeziehungen gut in die Tagesgruppe einfindet, Beziehungen schätzt und die Fürsprache der MitarbeiterInnen genießt, dann ist es möglich, dass die Hilfe vom Familiensystem als bedrohlich erlebt wird (vgl. Moch, 1990, S. **). Die Eltern wehren Entwicklungen ab und versuchen, durch den Abbruch der Hilfe die prekäre Stabilität der Familie aufzurechterhalten (vgl. das Fallbeispiel bei Baur et al. 1998, S. 181-182.). In zahlreichen Fallstudien (vgl. 2.1) ist belegt, dass die Betreuung eines jungen Menschen in der Tagesgruppe für viele Eltern eine enorme Herausforderung darstellt. Einerseits deswegen, weil sie dort Bedingungen und Bezugspersonen vorfinden, die für sie sehr attraktiv sind, manchmal sogar attraktiver als die eigenen Eltern (vgl. Bauer et al, 1998, S. 471/472). M. Moch: 16 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Andererseits aber auch deshalb, weil die Familienarbeit der Tagesgruppe – gemäß ihren Auftrag - viele Selbstverständlichkeiten des Familienlebens in Frage stellen kann. Es muss bezweifelt werden, ob dieses Problem in der momentanen Arbeit von Tagesgruppen aktiv bewältigt wird.5 Hier wäre zweierlei genauer zu untersuchen 1. Inwieweit haben diese Abbrüche damit zu tun, dass Heranwachsende in der Tagesgruppe verlässlichere Beziehungen vorfinden als in der Herkunftsfamilie und es den MitarbeiterInnen in der Zusammenarbeit mit den Eltern nicht gelungen ist, dieses Problem zu bewältigen.6 2. Inwieweit wurde versäumt, eine negative Familiendynamik zu Beginn der Hilfe hinreichend zu diagnostizieren und von vorne herein nach gezielten und die TG ergänzenden Interventionsmöglichkeiten in und mit der Familie zu suchen. Das Loyalitätsdilemma (These 2) Die 4. Bundestagung THG in Königstein im Jahr 1986 stand unter dem fragenden Titel: "THG – Partner oder Konkurrent der Familie?" Heute können wir diese Frage so beantworten: Wir wissen, dass die Betreuung eines Kindes in der Tagesgruppe für viele Eltern eine enorme Herausforderung darstellt. Einerseits deswegen, weil die Kinder dort Bedingungen und Bezugspersonen vorfinden, die für sie sehr attraktiv sind.7 Andererseits aber auch deshalb, weil die Familienarbeit der Tagesgruppe – gemäß ihren Auftrag - viele Selbstverständlichkeiten des Familienlebens in Frage stellen kann. 5 Dies ist deswegen besonders bedenklich, weil nachgewiesen wurde, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der Hilfe deutlich erhöht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die TG eine von mehreren Hilfen ist, (d.h. in der Regel, einer Heimerziehung vorangeht) (Baur et al. 1998, 179-185). 6 Wäre dies der Fall, so zeigte sich in einem erheblichen Teil der Fälle eine große Nähe zu ähnlichen Problemen in der stationären Heimerziehung und damit die Parallelität der Problemlagen. 7 "Die Struktur von Einrichtungen mit hohen Abbruchraten fällt dadurch auf, dass sie sich sehr an die Bedarfslagen der Adressaten anpassen" (Schmidt, 200, S. 27). (z.B. intensivere Beteiligung von Kindern an der Planung) M. Moch: 17 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster In diesem Zusammenhang stimmen die von den Eltern einseitig initiierten Abbrüche besonders nachdenklich: Inwieweit sind sie darauf zurückzuführen, dass Heranwachsende in der Tagesgruppe verlässlichere Beziehungen vorfinden als in der Herkunftsfamilie, und dass die Eltern darin eine Bedrohung ihrer eigenen Position und der in ihrer Familie etablierten Regeln erkennen? These 2: In der Konfrontation mit verstrickten Familienbeziehungen scheitert die Tagesgruppe immer wieder an ihrem eigenen Erfolg: Je klarer und erfolgreicher sie dem Kind (und seinen Eltern) Wege eines gelingenderen Alltags in der TG aufzeigt, desto mehr verstärkt sie möglicherweise – unmittelbarer noch als die Heimerziehung - den Loyalitätskonflikt zwischen Kind und Elternhaus. 5.6 Bestimmte Zielgruppen werden besser erreicht als andere Im Folgenden möchte ich einen Blick auf die Zielgruppen werfen, welche von dem Angebot der Tagesgruppen erreicht werden. Normalisierung in den Hilfen zur Erziehung bedeutet zunächst allgemein, dass jedem Heranwachsenden eine ihm entsprechende Hilfe zur Verfügung gestellt wird. Das heißt: Hilfeformen sollten sich nicht auf Indikationen oder bestimmte Zielgruppen beschränken. Dementsprechend wäre zu wünschen, das die generellen Leistungen einer intensiven, teilstationären, familienergänzenden Betreuung einer breiten Gruppe von jungen Menschen zur Verfügung steht, gewiss mit spezifischem Zuschnitt im Einzelfall. Es lässt sich aber feststellen, dass in Tagesgruppen bestimmte Zielgruppen erheblich überrepräsentiert sind. Mädchen Das deutlichste Ungleichgewicht in den Zielgruppen der Tagegruppe betrifft die Geschlechterverteilung. Weniger als ein Viertel der Heranwachsenden in allen Tagesgruppen sind Mädchen (Bürger 2002). Hier sind beispielhaft die Anteile von Mädchen in verschiedenen Hilfen zur Erziehung in Nordrhein-Westfalen dargestellt: M. Moch: 18 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Während in der Summe aller stationären Hilfen nahezu eine Gleichverteilung der Geschlechter gegeben ist, beträgt der Mädchenanteil in allen ambulanten Hilfen deutlich weniger als ein Drittel. Demgegenüber ist die Tagesgruppe (auch bundesweit) die Hilfe, die am wenigsten Mädchen einbezieht. Ihr Anteil liegt deutlich unter einem Viertel. Diese Einseitigkeit hat sich in den vergangenen 10 Jahren - ganz im Gegensatz zu anderen Erziehungshilfen - noch verstärkt (Stat. Bundesamt 2003).8 Sie verweist darauf, dass bei der Maßnahmenempfehlung Tagesgruppe bestimmte jungenspezifische Auffälligkeiten im Focus stehen, die in der Schule und im öffentlichen Raum mehr zur Geltung kommen. Der Situation von Mädchen in ihren Familien wird in durch diese Hilfsmaßnahme bisher wenig Rechnung getragen. Altersgruppen Ein zweites Spezifikum der Zielgruppe teilstationärer Erziehung ist das Alter der Heranwachsenden in Tagesgruppen. Fast drei Viertel von ihnen sind zwischen 6 und 12 Jahren alt (zeigen), im Kontrast zu allen HZE-Maßnahmen, wo diese Altersgruppe nur etwas mehr als ein Drittel ausmacht. Demgegenüber werden Vorschulkinder und Jugendliche deutlich seltener in Tagesgruppen gefördert und betreut (jeweils 5% bzw. 25 in Relation zu 17 bzw. 40%). Gewiss zeigt sich hier, dass teilstationäre Erziehung insbesondere für die Bewältigung von Schwierigkeiten ab der Einschulung bis zum Beginn des Jugendalters als geeignet angesehen wird (71%). Dennoch wäre zu fragen, ob ein professionelles Setting zur Förderung und Integration, wie es die Tagesgruppe bietet, nicht auch verstärkt in allen Altergruppen seine Berechtigung hätte. 8 Fächert man die Mädchen in Tagesgruppen nach Alter auf, so zeigt sich dass jüngere Mädchen eher die Chance einer teilstationären Maßnahme erhalten als ältere und dass ab dem Alter von 15 Jahren ihr Anteil nur noch weniger als ein Fünftel beträgt, d.h. dass einem Mädchen in der Tagesgruppe 4 Jungen gegenüberstehen. M. Moch: 19 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Die Beschränkung der Tagegruppe auf Kinder wird besonders deutlich, wenn man teilstationäre und stationäre Maßnahmen vergleicht, die Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren erhalten. Wie wir bereits gesehen haben, hat die Anzahl der begonnenen Hilfen in Tagesgruppen bei den 9-<12jährigen im vergangenen Jahr die Zahl der begonnenen Hilfen in Heimen bereits knapp überschritten. Demgegenüber liegt diese Relation bei den 12-15jährigen bei 1:4. Gewiss kann es im Einzelfall viele Gründe geben, warum ein teilstationäres Setting für einen 14-jährigen nicht angezeigt ist. Jedoch angesichts der vielen erfolgversprechenden Berichte und Projekte mit Tagesgruppen für Jugendliche erstaunt dieses Ergebnis doch sehr. Mir scheint dafür nicht so sehr die mangelnde Eignung der Tagesgruppe für Jugendliche das Problem zu sein, sondern vielmehr ein Verhaftetbleiben vieler Tagesgruppen in Strukturen, die für Jugendliche unangemessen sind. Denn ganz prinzipiell ist die Frage bisher nicht beantwortet, warum teilstationäre Angebote mit starkem Lebensfeldbezug nicht auch zur Erziehung und Integration von Jugendlichen geeignet sein sollten (vgl. Maier 1994, Müller et al. 2001)? Insgesamt wird deutlich, dass die Zugänge zum Angebot Tagesgruppen offenbar nicht für alle Bedürftigen in gleicher Weise bestehen. Daher ist zu fragen, ob eine auf Normalisierung hin orientierte, alltagsnahe und sehr intensive Hilfe besonderen Zielgruppen vorbehalten bleiben soll. 5.7 Standardisierte Arbeitsweisen und Abläufe Manche Träger versuchen, dem Mangel an Plätzen in Tagesgruppen dadurch zu begegnen, dass sie Kinder und Jugendliche in einem weitgehend individualisierten Setting betreuen. Diese "mobile Betreuung" hat wohl auf den ersten Blick am wenigsten mit traditioneller Tagesgruppen-Arbeit zu tun. Aber eben nur auf den ersten Blick. Lebensfeldorientierte Tagesgruppen haben schon lange der Tatsache Rechnung getragen, dass sich das Alltagsleben eines Kindes oder eines Jugendlichen nicht in der Institution abspielen kann. Ihre Arbeitsformen umfassen daher auch immer schon intensive nachgehende Arbeit im Stadtteil sowie Arbeit mit der Familie zuhause. Jedoch ist die traditionelle Tagesgruppe von solchen Arbeitsformen noch weit entfernt. M. Moch: 20 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster In einer Fallanalyse der JULE-Studie wird die Mutter eines ehemaligen TG-Kindes mit folgenden Worten zitiert: „Er war in der Schule unter Bewachung, dann kam er in die therapeutische Tagesstätte, war er wieder unter Bewachung und abends musste er ja, also er war er wieder unter Bewachung. So hat er sich damals ausgedrückt, das sind nicht meine Worte.“ (Baur et al, 1998, S. 481) Individualisierung ist eine Zeiterscheinung, welche die Jugendhilfe – wie auch die Tagesgruppe - in ein Dilemma bringt: Sie muss einerseits ihrem Auftrag diesen Bedürfnissen entsprechen. Andererseits liegt ein Teil ihrer nachgewiesenen Erfolge ja gerade im Bereich der Gruppenerziehung. Angesichts der beschränkten Zielgruppen der Tagesgruppe erscheit jedoch eine Öffnung für individualisierte Methoden und Betreuungsformen dringend erforderlich. Entsprechend formuliere ich meine nächste These: (vorgezogene These 4) - hier Abbildung 21: These 4 - Das Individualisierungsdilemma (These 4) These 4: Tagesgruppen haben lange eine systematische Weiterentwicklung individuell differenzierter Betreuungsformen vernachlässigt. Darin liegt der wesentliche Grund für ihren Mangel an Attraktivität für jene Kinder und Jugendlichen, die nicht zu den Standard-Zielgruppen der Tagesgruppe gehören. 5.8 Tagesgruppe und Schule Die aktuelle Diskussion um Qualität und Stellenwert der Erziehungsarbeit in Tagesgruppen ist geprägt durch Erlasse der Kultusbehörden zugunsten verstärkter Ganztagsangebote an Schulen.9 Viele Vertreter der Kinder- und Jugendhilfe sehen darin einen Versuch, den Auftrag 9 12 – 63 Nr. 4 Offene Ganztagsschule im Primarbereich RdErl. d. Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder v. 12. 2. 2003 (ABl. NRW. S. 45) M. Moch: 21 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster von Erziehungshilfen überflüssig zu machen, indem Kinder nachmittags an schulische Angebote gebunden werden. Gewiss handelt es sich hier um ein sehr komplexes Thema, das keineswegs in meiner verbleibenden Redezeit gründlich bearbeitet werden kann. Ich möchte mich daher auf vier Kernaspekte des Problems konzentrieren. Vorab jedoch eine kurze Zwischenbemerkung: Schule und Jugendhilfe haben in unserer Gesellschaft sehr unterschiedliche Stellenwerte, insbesondere was die Ausstattung mit politischer Macht betrifft. Dies macht die Diskussion schwierig und lässt den Terminus „Zusammenarbeit“ manchmal als Farce erscheinen. Jugendhilfe sollte sich jedoch davor hüten, sich hier von Anbeginn an in eine Verteidigungsposition drängen zu lassen. Hilfreich ist dabei allein schon der Gedanke, dass Erziehungshilfen in ihrer bisherigen Praxis nachweisbare Beiträge zur Verwirklichung des Sozialstaatsgebots zur Chancengleichheit im Leben junger Menschen beigetragen haben. Was diesbezüglich die Schulsysteme in der Bundesrepublik leisten, dazu haben uns die PisaErgebnisse hinreichend in Kenntnis gesetzt. Nun aber zu den versprochenen Argumenten. 1. Zunächst stellt sich die Frage nach den genuinen Aufträgen, die Erziehungshilfen einerseits und Schule andererseits haben. Zweifellos definiert das Kinder- und Jugendhilfegesetz weit umfassendere Ansprüche von jungen Menschen als die Schulgesetzgebung. Im Schulgesetz von Nordrhein-Westfalen ist in § 1 von „schulischer Bildung und Erziehung“ sowie von „Lernbereitschaft“ und „Leistungsfähigkeit“ die Rede. Neben der allgemeinen Bildungsförderung besteht somit der explizite Auftrag der Schule in leistungsbezogener Selektion. Demgegenüber obliegt der Jugendhilfe die Aufgabe, im Rahmen einer umfassenden Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung die Voraussetzungen für den Schulbesuch erst einmal herzustellen. Lern- und Leistungsbereitschaft werden in der Schule vorausgesetzt, und diese sind wiederum an Bedingungen des Aufwachsens gebunden, die viele Familien nicht (mehr) gewährleisten können. Das bedeutet konkret, dass Erziehungshilfen in den ihr anvertrauten Fällen das kompensieren müssen, was die Herkunftsfamilien der Heranwachsenden aus eigener Kraft nicht vermögen. M. Moch: 22 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Der Auftrag der Schule umfasst aber nicht Dinge wie etwa Grundversorgung, elementare emotionale Sicherheit, Schutz vor Gewalt, Grundorientierung im Alltag, Verstehen und Verständigung als Basis für Geborgenheit …Vielmehr setzt Schule diese Erfahrungen voraus als Vorbedingung von „Neigungen und Leistungsbereitschaft“ (Schulgesetz NRW). Und eben diese Voraussetzungen für schulisches Lernen zu schaffen, gehört neben anderen zu den Aufgaben von Erziehungshilfen. 2. Nun hat sich die Tagesgruppe ihrerseits schon seit ihren Anfängen eng mit der Schule zusammengetan und sich oft mit ihren Aufgaben identifiziert. Dies kann man verschiedenen Beobachtungen festmachen: Da sind zum einen die bereits genannten Häufigkeiten schulbezogener Indikationen für die Tagesgruppenbetreuung, zum anderen das hohe Gewicht der Lernzeit in der Nachmittagsgestaltung, des Weiteren aber auch die intensiven Bemühungen von Tagesgruppen um Zusammenarbeit mit Schulen. Die Konzentration der Tagesgruppe auf Schulprobleme hat verschiedene Ursachen und Quellen, die nicht nur der Tagesgruppe anzulasten sind. Im Einzelnen: In vielen Fällen stimmen Eltern nur dann einer Tagesgruppen-Betreuung zu, wenn ihnen von Jugendamt und Einrichtung der Wert der Tagesgruppe für den Schulerfolg ihres Kindes nahe gebracht wird. Dabei wissen Jugendamt und Einrichtung oftmals nur zu gut, dass die „Schulprobleme“ des Heranwachsenden nur als Folge massiver Belastungen in der Familie verstanden werden können. Der oft inoffizielle Auftrag der Tagesgruppe geht also weit über die Schulanpassung des Kindes hinaus. Die Tagesgruppe hat sich oftmals der Definitionsmacht der Schule unterworfen und sich von sich als Retterin in schulischen Problemlagen angeboten. Fast vierzig Prozent aller Aufnahmen in Tagesgruppen werden von der Schule initiiert (Baur et al. 1998, 39, 178). Dieser Prozentsatz ist mehr als doppelt so hoch wie bei den anderen Hilfen. Dies deutet darauf hin, dass Probleme, die Heranwachsende in der Schule machen, ein erhebliches Übergewicht bei der Zuweisung haben und möglicherweise andere, verdecktere und weniger öffentliche Auffälligkeiten entsprechend weniger Beachtung M. Moch: 23 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster finden.10 In sehr vielen Fällen ist der Besuch einer Tagesgruppe mit dem gleichzeitigen Besuch einer Sonderschule verknüpft. 11 Fast jedes 3. Tagesgruppenkind (30,8%) besuchte bei der Beendigung der Maßnahme 2004 eine Sonderschule. Im Vergleich dazu: Von allen Schulkindern ist nur jedes 25. Kind in einer Sonderschule.12 Hier erhebt sich durchaus die Frage, ob diese große Überschneidung zwischen Tagesgruppenzuweisung und Sonderschulbedürftigkeit inhaltlich durch den erzieherischen Bedarf begründet ist, oder eher eine Eigenheit der Institutionen abbildet, die eben beide Leistungen nur gemeinsam anbieten. Dieser hohe Stellenwert schulischer Themen und Probleme – so verständlich er inhaltlich ist erschwert der Tagesgruppe heute den Abstand, den sie zwischen ihrem und dem Auftrag der Schule erst wieder herstellen muss. Er erweckt den Eindruck, dass Tagesgruppe möglicherweise Ähnlichkeiten mit einem ergänzenden Schulangebot hat. Und gewiss liegen in der Vergangenheit auch Erfahrungen vor, in denen der Mangel an Ganztagsangeboten – insbesondere für allein erziehende Eltern – die Belegung von Tagesgruppen gefördert hat. Folglich wäre zu fragen, wie Tagesgruppe ihre Aufgabe wieder verstärkt selbst definieren und was sie zur Schärfung ihres eigenen Profils tun kann. 3. Unterschiede zwischen Schulangebot und Tagesgruppe bestehen hinsichtlich wechselseitiger Rechte und Pflichten. Nachmittagsangebote einer offenen Ganztagesschule sind für ihre Nutzer freiwillig. Der Zugang ist unspezifisch und wird durch eine jährliche Anmeldung durch die Eltern geregelt. Demgegenüber ist der Zugang zu einer Hilfe zur Erziehung über einen verbindlichen Kontrakt zwischen Eltern, Jugendamt und Einrichtung geregelt. Im Hilfeplanverfahren haben sowohl die Eltern wie auch die Kinder jeweils eigene Rechte und Pflichten: Wunsch- und Wahlrecht, Mitwirkungspflicht, Anhörungs- und Partizipationsrechte. Durch dieses Verfahren erhält die 10 Insbesondere spiegelt sich hier wahrscheinlich das Problem wider, dass viele Einweisungen in Tagesgruppen durch eine Einschulung in eine Sonderschule E bedingt sind. 11 23,6 % aller Tagesgruppenkinder besuchten vor Beginn der Hilfe 2004 eine Sonderschule. 12 Durchschnittlich sind 4% aller Schüler Sonderschüler M. Moch: 24 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Maßnahme einen hohen Verbindlichkeitscharakter für alle Seiten, der mit einem Schulangebot in keiner Weise vergleichbar ist. Der Kontrakt autorisiert den Träger auch einer teilstationären Hilfe zu einem umfassenden Auftrag, der ggf. auch aufsuchende Hilfen, peergroup-Arbeit, Einbeziehung der Eltern und häufig auch Interventionen in der Familie umfasst. Indem der Kontrakt unter der Verantwortung des Wächteramtes der Jugendbehörde individuell verbindlich geschlossen wird, erfüllt nur er in zugespitzten Fällen auch die implizite Forderung des § 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach das Sorgerecht der Eltern erst dann eingeschränkt werden darf, wenn andere öffentliche Hilfen sich als erfolglos erwiesen haben. Auch der § 32 KJHG betont explizit diese präventive Funktion der Tagesgruppe. 4. Erziehungshilfen haben die Verpflichtung, sich an den Bedürfnissen der ihnen anvertrauen Kindern und Jugendlichen zu orientieren (§ 8 KJHG). Die allermeisten Kinder und Jugendlichen kommen aus bildungsfernen Bevölkerungsschichten und haben oftmals ihrerseits negative, weil ausgrenzende Erfahrungen mit Schule gemacht. Eltern wie Kinder stehen der Schule daher häufig mit Skepsis gegenüber. Dies ist in vielen Fällen durchaus verständlich, denn in der gesamten Schulorganisation findet sich wenig Raum für Erfahrungen, die nicht zumindest indirekt leistungsbezogen sind. Dazu zwei Beispiele: Die häufige Hilflosigkeit von Lehrern und Eltern gegenüber dem Schulabsentismus von Kindern verdeutlich die hier angedeutete Problematik. Ein herausragendes Ergebnis der JULEStudie zeigt, dass Erziehungshilfen in vielen Fällen sehr erfolgreich mit Schulverweigerern arbeiten und sie erneut zum Schulbesuch bewegen können. Voraussetzung für solche Fortschritte ist, das Kind/der Jugendliche die Hilfe als unabhängig von der Schule erlebt und seine eigenen Bedürfnisse in der Jugendhilfe unmittelbar berücksichtigt sieht. Ein anderes Beispiel ist die Mitarbeit und Erreichbarkeit von Eltern. Die meisten Lehrer können ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, gerade diejenigen Eltern zu erreichen, deren Mitarbeit für den Fortschritt ihrer Kinder am wichtigsten wäre. Auch in diesem Bereich hat die Jugendhilfe der Schule – wie zahlreiche Dokumentationen zeigen – vieles voraus. Allerdings könnte hier die Tagesgruppe – wie oben gezeigt – ihr vorhandenes Potenzial besser ausschöpfen. Obwohl die Einführung der allgemeinen Schulpflicht vor über 100 Jahren durchaus am Ziel sozialer Chancengleichheit orientiert war, kann die deutsche Schule in den vergangenen M. Moch: 25 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Jahrzehnten – und eben dies hat Pisa gezeigt - nicht auf eine Tradition des Ausgleichs sozialer Benachteiligungen zurückschauen. Aufgrund der gegebenen Macht- und Statusunterschiede zwischen Schule und Jugendhilfe sehe ich in absehbarer Zeit auch sehr wenige Chancen, dass im vorhandenen Institutionsrahmen der Schule entscheidende Beiträge zum Ausgleich von Bildungsbenachteiligung zu erwarten sind. Eben darin liegt ein entscheidender Grund, dass Jugendhilfe ihre Aufgabenstellung unabhängig von und gleichgewichtig zu schulbezogenen Bildungszielen formuliert. Was längerfristige Entwicklungen anbetrifft, so ist allerdings nicht auszuschließen, dass es der Jugendhilfe gelingen wird, auch im Rahmen der Schule verstärkt Bildungsinhalte zu definieren. Das Kooperationsdilemma (These 3) Meine These lautet zusammenfassend: These 3: Ausgehend von einer klaren Differenz war und ist die Schule von Beginn an engster Kooperationspartner der Tagesgruppe. Auf dieser Grundlage hat die Tagesgruppe einen unmissverständlichen, eigenständigen Auftrag. Dieser bemisst sich an dem (nachzuweisenden) ganzheitlichen und individuellen Bedarf eines Kindes / Jugendlichen, dem zu entsprechen nicht Bestandteil eines generellen und selektiven Auftrags der Schule ist. 7 Schluss Lassen Sie mich abschließend die wichtigsten Gedanken zusammenfassen: Gerade deshalb, weil Tagesgruppen eine lange und erfolgreiche Tradition haben, werden an sie besondere Anforderungen gestellt, wenn es um Normalisierung der Hilfen zur Erziehung geht. Eine an Alltag und Lebensfeld orientierte Hilfe war immer schon besonders gefordert, sich sowohl den aktuellen Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien zu stellen, als auch gleichzeitig eigenen Vorstellungen von gelingendem Aufwachsen in der Lebenswelt zur Durchsetzung zu verhelfen. M. Moch: 26 Tagesgruppen – Vortrag auf dem Fachtag des Fachverbandes Eckart am 24. November 2005 in Münster Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass mit teilstationären Maßnahmen viele Familien soweit entlastet und stabilisiert werden können, dass ihre Kinder ihr zuhause nicht verlieren. Dies ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass Tagesgruppen ihr Aufgabenfeld über das Kind hinaus auf die Familie und das soziale Umfeld ausdehnen und hier insgesamt integrierend wirken. Mit der Routine bleiben jedoch auch manche Professionalisierungsansprüche auf der Strecke. Nach wie vor konzentriert sich das Angebot recht einseitig auf Jungen im Alter zwischen 6 und 12 Jahren, die einen besonderen Bedarf an schulischer Förderung haben. Und schließlich enden viele Maßnahmen unvermittelt ohne fachliche Begründung und Begleitung. Daher sollte sich die Tagesgruppe immer wieder bewusst machen, dass sie selbst als ein „flexibles“ Angebot in der Heimerziehung entstanden ist und nun konsequenterweise dem Druck unterliegt, ihre Hilfeformen an sich wandelnde Problemlagen anzupassen. Diese Notwendigkeit zur Weiterentwicklung sehe ich aber in erster Linie im Bereich der Arbeit mit Familien und Freundeskreisen sowie in individualisierten und erweiterten Angeboten für ältere Kinder sowie für Jugendliche. Der Doppelcharakter eines deutlichen Einschnitts in das Familienleben und einer gezielten Arbeit mit hohem Anspruch an eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie sollte auf jeden Fall weiterhin im Mittelpunkt der Tagesgruppenarbeit stehen