RiVGH Helmut Petz Wintersemester 2007/08 Vorlesung UMWELT- UND PLANUNGSRECHT (VERTIEFUNG) C. TIERSCHUTZRECHT <nur ausgewählte Probleme> I. ÜBERBLICK/VERHÄLTNIS ZUM UMWELTRECHT Tierschutzrecht: Schutz des individuellen Tieres als Einzelwesen, insbesondere der unter der Obhut des Menschen stehenden Tiere (insb. §§ 2 ff., Art. 7 ff., Art. 1 ff. TierSchG) Umweltrecht: Schutz einzelner Umweltmedien (medialer Ansatz, z.B. WasserR oder ImmSchR) oder der Umwelt schlechthin (integrierter Ansatz, z.B. im NaturSchR, in Ansätzen auch im ImmSchR) Naturschutzrecht: Schutz von Natur und Landschaft, auch als Lebensgrundlage des Menschen, der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, der Naturgüter, der Tier- und Pflanzenwelt (Arten) einschließlich ihrer Lebensstätten und Lebensräume sowie Biodiversität folglich grundsätzlich getrennte Schutzräume von Tierschutz- und Umweltrecht; allerdings vielfältige Überschneidungen (z.B § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG: auch Tiere gehören zu den Schutzgütern der UVP, und zwar sowohl wild lebende Tiere als auch Nutztiere; z.B. § 1, §§ 4 ff. TierschG: auch Schutz nicht domestizierter Tiere; im Bereich der wild lebenden Tiere: Artenschutz auch der individuellen Tiere <Zugriffsund Störungsverbote der FFH-RL>) und Umklammerungen (z.B. Verflechtungen von Tier- und Umweltschutz im Agrarrecht); vor allen Dingen aber Verknüpfung von Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und Tierschutz in Art. 20a GG); 2 II. RECHTSGRUNDLAGEN Verfassungsrecht (Art. 20a GG) Tierschutz-Verwaltungsrecht (insbesondere TierSchG; aber auch eine Vielzahl von VO, z.B. zur Haltung, Kennzeichnung, Tierversuchen, Züchtung <z.B. Verbot der Qualzüchtung>; grenzüberschreitender Verkehr); Tierschutz-Zivilrecht (insbesondere § 90a BGB: "Tiere sind keine Sachen"; gleichwohl in vielen Fällen entsprechende Anwendung der für Sachen geltenden Vorschriften); Tierschutz-Strafrecht (historisch: Schutz der Allgemeinheit vor öffentlichem Ärgernis; StGB: Tiere im Strafrecht wie Sachen geschützt <z.B. vor Diebstahl>; in §§ 17 f. TierSchG <Schutz vor Tötung ohne vernünftigen Grund und vor Tierquälerei>); insbesondere Staatszielbestimmung "Tierschutz", Art. 20-a GG (G vom 26.7.2002) Problem vor Einführung der Staatszielbestimmung: Vorbehaltslose Grundrechte, z.B. Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, oder Glaubens- und Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, waren nur im Rahmen der sog. "verfassungsimmanenten Grundrechtsschranken", d.h. nur aufgrund kollidierender Grundrechte oder anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswerte einschränkbar; ein derartiger Verfassungsrang kam dem Tierschutz nach gefestigter Rspr. nicht zu; Problem mittlerweise durch Inkrafttreten des Art. 20a GG entschärft, insbesondere sind einschränkende Vorschriften zu Tierversuchen inzwischen auf sichere Grundlage gestellt; Inhalt: Staatszielbestimmung; keine subjektiven Rechte; schützt sämtliche Tiere (auch sog. Schädlinge); zunächst Verpflichtung des Staats, nicht selbst Tiere zu beeinträchtigen; im Übrigen Schutzpflicht: Verpflichtung des Staates, Maßnahmen zum Schutz der Tiere zu ergreifen; 3 in erster Linie Handlungsauftrag an den Gesetzgeber (der allerdings schon Vor Inkrafttreten des Art. 20a GG mit Erlass des TierSchG umfassend aktiv geworden ist); verfassungsrechtliche Rechtfertigung für Grundrechtseinschränkungen durch Gesetz im Interesse des Tierschutzes; außerdem Auslegungsmaßstab für Exekutive, insb. bei Ermessensentscheidungen; III. TIERSCHUTZGESETZ 1. Zweck des Tierschutzgesetzes sog. "ethischer Tierschutz"(§ 1 Satz 1 TierSchG): "aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen." bezieht sich sowohl auf Tiere in menschlicher Obhut als auch auf wild lebende Tiere (Einbeziehung des Tierschutzes i.w.S.); als Auslegungsgrundsatz bedeutsam; 2. Inhaltliche Anforderungen des Tierschutzgesetzes <exemplarisch> a) Allgemeines Verletzungsverbot, § 1 Satz 2 TierSchG Verbot, einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen, § 1 Satz 2 TierSchG; gilt grdsl. gegenüber jedem Tier (ohne Einschränkung auf bestimmte Tierarten; b) Anforderungen an die Tierhaltung, §§ 2 ff. TierSchG c) Töten von Tieren, §§ 4 und 4a TierSchG Fall 2: Nach § 4a Abs. 1 TierSchG ist es grundsätzlich verboten, warmblütige Tiere ohne vorherige Betäubung zu schlachten. Eine Ausnahmegenehmigung darf nach § 4a Abs. 2 Satz 2 nur erteilt werden, wenn dies erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich des Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. T ist türkischer Staatsangehöriger und streng gläubiger sunnitischer Muslim. Er lebt seit 20 Jahren in Deutschland und betreibt eine Metzgerei, die er 1990 von seinem Vater übernahm. Für die Versor- 4 gung seiner muslimischen Kunden erhielt er bis 1995 fortlaufend Ausnahmegenehmigungen gemäß § 4a Abs. 2 Satz 2 TierSchG. Für die Folgezeit lehnte die zuständige Behörde die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung mit der Begründung ab, dass der Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere nach den Feststellungen der Behörde durch höchste und maßgebliche Vertreter des sunnitischen Islam nicht zwingend verboten sei. Im Übrigen hindere das Schächtverbot die Anhänger dieser Religion auch nicht an einer ihrer Religion entsprechenden Lebensgestaltung. Sie könnten auf pflanzliche Nahrungsmittel und auf Fisch sowie auf Fleischimporte aus anderen Ländern zurückgreifen und seien deshalb weder rechtlich noch tatsächlich zum Verzehr nicht geschächteter Tiere gezwungen. T sieht sich hierdurch in seinen Grundrechten verletzt. Das Schächtgebot sei direkt dem Koran zu entnehmen und für ihn, seine Kunden und alle Angehörigen der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam eine zwingende Vorschrift. Überdies sei es den Behörden untersagt, über den zwingenden Charakter des Schächtgebots verbindliche Feststellungen zu treffen. Es müsse vielmehr ausreichen, dass aus den Umständen eine ernsthafte Glaubensüberzeugung hervorgehe. Verletzt die Ablehnung den T in Grundrechten? Lösung Fall 2: <siehe zunächst die folgenden Aufbauhinweise; im Übrigen empfiehlt sich die Lektüre der Entscheidung des BVerfG vom 15.1.2002 BVerfGE 104, 337 = NJW 2002, 663, der der Fall nachgebildet ist, im Original> I. Prüfungsmaßstab - Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit als Auffanggrundrecht für Berufsfreiheit eines türkischen Metzgers) II. Schutzbereich III. Eingriff IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Grundrechtsschranken 2. Verfassungsmäßigkeit des § 4a Abs. 1 TierSchG/Übermaßverbot a) Verfassungslegitimer Zweck b) Geeignetheit/Erforderlichkeit c) Verhältnismäßigkeit i.e.S./Zumutbarkeit 3. Verfassungsmäßigkeit des Gesetzesvollzugs d) Eingriffe an Tieren, §§ 5 ff. TierSchG e) Tierversuche, §§ 7 ff. TierSchG f) Zucht von und Handel mit Tieren, §§ 11 ff. TierSchG 5 3. Vollzug des Tierschutzgesetzes a) Tierschutzbehörden Vollzugszuständigkeit der Länder; Zuständigkeitsübertragung auf die Kreisverwaltungsbehörden (in Bayern: VO zum Vollzug tierschutzrechtlicher Vorschriften auf der Grundlage des GDG); besondere Position der Amtstierärzte; b) Anordnungsbefugnisse insbesondere § 16a TierSchG;