Tomáš Knoz Einheit und Nachbarschaft Österreich und Mähren als gemeinsamer Kulturraum Wenn man den Bergkamm der Pollauer Berge hinaufsteigt und abwechselnd nordwärts und südwärts schaut, verzeichnet man im Charakter der Landschaft keine bedeutenden Unterschiede, die durch die Existenz der südmährisch-niederösterreichischen Grenze gegeben wären. Auf beiden Seiten ist die Landschaft ähnlich leicht hügelig, die Häuser haben denselben Charakter, gleich ist der Grundriss der Dörfer, gleich sind die Streifen der Weinberge. Nicht umsonst spricht man manchmal davon, dass es beispielsweise mehr Unterschiede zwischen Niederösterreich und Tirol gibt als zwischen Niederösterreich und Südmähren. Anders ist natürlich die Sprache, aber auch in dieser Hinsicht bildete sich eine scharfe Grenze erst während der letzten 50 Jahre. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg war das Deutsche in Brünn oder in den südmährischen Dörfern wohl kaum eine selten gesprochene Sprache und über die Präsenz des Tschechischen in Wien zeugt am besten der Text des bekannten Couplets über die tschechischen Nachnamen im Wiener Telefonbuch. Diktion und Melodie des Wiener Deutschen unterscheiden sich im Übrigen auch heute nicht allzu sehr von der Diktion und Melodie des Brünner Dialektes. Hören wir in beide Sprachen hinein, können wir dieselben geschlossenen Laute hören, von denen am typischsten wohl das dunkle „ó“ oder „ö“ in den Wörtern „jó“ oder „Knödeln“ sind, die von Österreichern wie Tschechen auf beiden Seiten der Grenze verstanden werden. An der Nähe beider Kulturen, ähnlichem Lebensstil und ähnlicher Mentalität konnten weder die tragischen Geschehnisse des 20. Jahrhunderts noch die 50 Jahre Eisernen Vorhangs etwas ändern. Übrigens waren in dieser Zeit Sendungen des ORF mit außenpolitischen Kommentaren von Hugo Portisch, Barbara Coudenhove-Kalergi und Paul Lendvay eine der Hauptquellen der freien Information, und der gelbe Postbus, der jeden Abend vom Brünner Busbahnhof Richtung Wien abfuhr, wurde zum Symbol für frühere intensive Beziehungen zwischen den beiden Metropolen. Der gemeinsame Kulturraum, der sich uns in den letzten Jahren eröffnete und der in der kommenden Zeit Dank des Beitritts unserer beiden Länder zur Europäischen Union noch besser genutzt werden kann, hat allerdings tiefe historische Wurzeln, denen in der vorliegenden Studie nachgegangen werden soll. Das Donaugebiet war bereits in frühster Vergangenheit von besonderer Bedeutung für die Bewohner Mitteleuropas. Für die Vorfahren unserer Völker ist jedoch die Zeit von Gewicht, in der sich im March- und Donaugebiet die ältesten mittelalterlichen Staaten bildeten, wie etwa das so genannte Großmährische Reich. Die Donau (gemeinsam mit der March als einem ihrer bedeutenden linken Nebenflüsse) stellte eine unverzichtbare Verkehrs- (und dadurch auch kulturelle) Verbindung mit Westeuropa, damals verkörpert durch das Reich Karls des Großen, dar, gleichzeitig aber auch mit dem Balkan, über den sich das Byzantinische Reich erstreckte. Wie zahlreiche archäologische Funde im Raum des heutigen Niederösterreichs und Südmährens belegen, waren es vor allem diese Gebiete, wo die Einflüsse beider Kulturen aufeinander trafen. Salzburg und Passau spielten für beide Regionen lange Zeit die Rolle von Vermittlern von Kultur und Christentums. Beachtenswert ist dabei, dass dieses Aufeinandertreffen bei Weitem nicht auf die Ebene von kriegerischen Auseinandersetzungen beschränkt blieb. Im Gegenteil, wie Funde von Kulturgegenständen aus archäologischen Ausgrabungen belegen, bot Mitteleuropa ein außergewöhnlich fruchtbares Milieu für die Synthese beider Elemente. Schmuck byzantinischen Typs findet sich hier gleich neben verzierten Schwertern fränkischer Herkunft. Beide Verfahrensweisen wurden zudem von lokalen Künstlern und Handwerkern aufgegriffen und miteinander kombiniert. Über das fruchtbare Wirken des Großmährischen Reiches geben wohl am besten die Ergebnisse der byzantinischen Mission von Konstantin (Kyrill) und Method Auskunft. Die beiden Gelehrten, aus dem Milieu der byzantinischen gesellschaftlichen und kulturellen Elite, vollbrachten es, auf eine bewundernswerte Weise Harmonie zwischen dem östlichen und westlichen Ritus des damaligen Christentums und zwischen dem Respekt gegenüber dem byzantinischen Kaiser und dem römischen Papst hervorzubringen. Konstantins und Methods Christianisierungbestrebungen blieben jedoch nicht nur auf die intellektuelle Schicht und die Regierung beschränkt, sondern schlugen wohl schon zu Lebzeiten der beiden Missionare trotz der recht starken Atavismen vorchristlicher religiöser Gewohnheiten tiefe Wurzeln in breiten Bevölkerungsschichten. Indirekt bezeugt dies auch ihr Kult, der tief in der Volkstradition verankert ist, in Mähren immer präsent war und bis heute nichts von seiner Lebendigkeit verloren hat. Das mährische Velehrad wurde neben dem steirischen Mariazell (oder auch dem polnischen Gniezno/Gnesen – Wirkungsstätte des Hl. Ägidius) nicht von ungefähr in den letzten Jahren zu einem der meist besuchten Wallfahrtsorte der Katholiken Mitteleuropas und der Tradition der Heiligen Konstantin und Method wird auch von tschechischen Christen anderer Konfessionen große Achtung gezollt. Obgleich die Mission von Konstantin und Method tragisch endete und ihren Schülern nicht erlaubt wurde, an das Wirken ihrer Lehrer anzuknüpfen, legten sie mit ihrem Wirken die Grundlage für die kulturelle Tradition nicht nur in Mähren, sondern in ganz Mitteleuropa. Nicht grundlos wurden sie, gut eintausend Jahre nach ihrem Tod, mit dem Titel „Patrone Europas“ geehrt. Die kulturellen Beziehungen Österreichs, Böhmens und Mährens in der Epoche des Mittelalters lassen sich als wechselseitige Beeinflussung zweier benachbarter Regionen charakterisieren, deren Herrscherdynastien in der Vorherrschaft über Mitteleuropa miteinander konkurrierten und zweitweise auch den landesherrschaftlichen Stuhl des Nachbarlandes inne hatten. So z.B. Premysl Otakar II., der kurzfristig Österreich der Böhmischen Krone angliederte, oder etwa Albrecht von Habsburg wie auch Heinrich von Kärnten, die ihrerseits kurzzeitig den böhmischen Thron besetzten. Die Herrscherhöfe, Bischofssitze und Kulturzentren in Prag, Olmütz und in Wien beeinflussten sich unmittelbar gegenseitig, so konnte z.B. Friedrich III. von Habsburg beim Errichten seiner Herrscherresidenz, des Bischofssitzes und der Universität in Wien auf das Modell zurückgreifen, dessen sich um etwa einhundert Jahre früher sein Vorgänger auf dem Thron der Römischen Kaiser, der böhmische König Karl IV., im Falle von Prag bedient hatte. Auf dem Gebiet der Kultur als solcher sollte die Bedeutung der Regionen nicht vergessen werden, die in der Nähe der böhmisch-österreichischen und mährischösterreichischen Grenze liegen, zwischen denen z.B. Weitra eine außergewöhnliche Stellung einnahm. In der romanischen und frühgotischen Periode zeichnet sich der gemeinsame Kulturraum entlang der mährisch-österreichischen Grenze in der Architektur durch außergewöhnliche Bauten zentraler Friedhofskapellen und Beinhäuser aus. Davon zeugen auf der österreichischen Seite der Grenze z.B. Pulkau, Gars-Thunau, Tulln oder Gumpoldskirchen, auf der mährischen etwa Frain/Vranov oder die Altstadt von Ungarisch Hradisch/Uherské Hradiště. Für dieselbe Region, die Landesgrenze gewissermaßen überschreitend, war auch das Errichten von Sühnesteinen typisch, die heute noch Beachtung verdienen, und ähnlich wie die Beinhäuser, eine Reflexion der gemeinsamen rechtlichen, sepulkralen und religiösen Kultur unserer beiden Länder darstellen. In der Zeit der Hoch- und Spätgotik fiel die Grenzregion zwischen Böhmen, Mähren und Österreich u.a. durch eine bemerkenswerte Architektur auf, für die die zweischiffige Kirche mit ihrem wirkungsvollen Diamantgewölbe wie auch „der Donautyp“ der Freskenmalerei und Schnitzereiarbeiten typisch waren. Dank letzterem entstanden u.a. auch die Kirchenaltäre in Mauer bei Melk und in Adamsthal/Adamov u Brna. Letztgenannter, gewöhnlich als der „Zwettler Altar“ bezeichnet, ist für den Kulturaustausch zwischen unseren Ländern besonders typisch. Nach Meinung der Kunsthistoriker wurde er am ehesten in Budweis/České Budějovice auf Grund einer Bestellung des Zisterzienserklosters in Zwettl geschaffen, wo er sich hernach mehr als ein halbes Jahrtausend befand. Nach Südmähren kam er erst im 19. Jahrhundert, nachdem ihn Fürst Adam von Liechtenstein von den Zwettler Mönchen gekauft hatte. Lichtenstein errichtete damals im Mährischen Karst Eisenwerke in einem Ort, dem er auch seinen Namen schenkte und für den er eine Pfarrkirche erbaute. Den wohl typischsten Ausdruck der Kulturbeziehungen zwischen Mähren und Österreich in der Zeit des ausklingenden Mittelalters stellt allerdings das Schaffen des Steinmetzen und Bildhauers Anton Pilgram dar, der in Brünn als auch in Wien gleichermaßen wirkte. Mit dem Beginn der Renaissance änderte die vorrangige Richtung des Kulturtransports in Mitteleuropa von West-Ost zu Süd-Nord. Die Länder Mitteleuropas übernahmen nach und nach das universalistische Kulturmodell, gewöhnlich als „Humanismus und Renaissance“ bezeichnet, dessen Ausgangspunkt Italien war. Die österreichischtschechischen Beziehungen wandelten sich von den gewöhnlichen Kontakten zweier Nachbarregionen zu Beziehungen zweier Empfänger, die gleichzeitig auch Vermittler der Kultur und Kunst der Renaissance waren, welche die italienischen Künstler mit sich brachten, die Arbeit und Aufträge bei mitteleuropäischen Herrscherhöfen und schnell reich werdenden Städten suchten. Wie wohl es in der Regel heißt, in die böhmischen Länder sei die Kunst der Renaissance vermittels des Herrscherhofs im ungarischen Buda gekommen, das mit Böhmen, Mähren und Schlesien durch König Matthias Corvinus sowie Wladislaus und Ludwig von Jagiello verbunden war, übernahmen im Laufe der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Höfe und Metropolen in den Ländern Österreichs die Rolle von Vermittlern der Renaissance. Für Böhmen waren es in der Hauptsache Innsbruck und Linz, für Mähren vor allem Graz und Wien. In die österreichischen Länder kamen die norditalienischen Künstler in recht großer Anzahl, wurden hier zu Stadtbürgern und schlossen sich den städtischen Handwerkszünften an, mitunter traten sie aber auch in die höfischen Dienste österreichischer Herzöge und führender österreichischer Aristokraten. Ihre Kunst eigneten sich zudem viele lokale Künstler und Handwerker an, die sie zu den Sitzen des niederen Adels und in kleinere Städte brachten. Die ursprünglich italienische Kultur wandelte sich so ziemlich schnell in eine mitteleuropäische, ja sogar in eine Donau- und österreichische Kultur, um. Viele der italienischen Gelehrten, Künstler und Handwerker zogen, um neue Erfahrungen und die Kenntnis der mitteleuropäischen Verhältnisse reicher, von Österreich weiter in Richtung Norden, nach Böhmen oder Mähren, wo sich ein ähnlicher Prozess wiederholte. Oftmals erübrigte es sich für die italienischen Künstler selbst nach Böhmen oder Mähren zu kommen, für sie genügte es, dass böhmischen und mährischen Adeligen intensive Kontakte pflegten, sich gegenseitig auf ihren Schlössern besuchten und in Verwandtschaftsverhältnisse traten. Dies hatte zur Folge, dass der Adel sich nicht nur unmittelbar in seinen Modellen „des höfischen Verhaltens“ beeinflusste, sondern auch, dass gegenseitig Muster ausgetauscht wurden, wie man den eigenen Sitz in eine „moderne“ Gestalt umbauen könne, manchmal überließ man einander sogar die eigenen Künstler und Handwerker. Aus den österreichischen und böhmischen Ländern, resp. aus Niederösterreich und Südmähren wurde wieder ein einheitliches Kulturgebiet, das die italienische Kultur der Renaissance auf seine autochthone Weise umformte. Das verstärkte sich natürlich noch, als der österreichische Erzherzog Ferdinand I. von Habsburg 1526 den böhmischen Thron und dadurch auch den mährischen markgräflichen Stuhl einnahm. Der Eintritt der Habsburger im Jahre 1526 bedeutete einen weiteren wichtigen Schritt, der auf die Verstärkung der böhmischen, österreichischen, bzw. mährisch-österreichischen Beziehungen abzielte. Wenn gleich die genannten Länder nach wie vor durch eigene Institutionen und auf der Grundlage lokaler Rechtsgepflogenheiten selbständig verwaltet wurden, ermöglichte die übergeordnete Herrscherdynastie eine allmähliche Integration, die im Laufe des 18. Jahrhunderts in ihrer Gänze abgeschlossen wurde. Aus einer Gruppe unabhängiger Staaten entstand die Habsburgermonarchie. Verfolgt man diesen Prozess auf dem Gebiet der Kultur, lässt sich feststellen, dass das Schaffen eines einheitlichen Kulturraumes noch gestärkt wurde. Die Ursache mag u.a. darin liegen, dass Wien und Prag nicht mehr nur als Vermittler der italienischen Kultur fungierten, sondern auch zu höfischen Zentren für die ganze Region wurden. Bedeutende politische Verhandlungen verschiedenster kaiserlicher Organe und zahlreiche höfische Feierlichkeiten boten den böhmischen und mährischen Adeligen reichlichere Anlässe, nach Wien zu kommen und längere Zeit dort zu verweilen. Gleiches galt für österreichische Adelige und Prag, und zwar besonders zu Zeiten Rudolf II., als die Moldaumetropole zeitweilig zur Hauptstadt der ganzen Monarchie wurde. Mehr noch als in Böhmen wurde die gegenseitige Verknüpfung in Mähren deutlich, wo die Nähe zu Wien sowohl geographisch als auch im Hinblick auf die kulturellen Kontakte offensichtlich war. In Mähren fehlte zudem derzeit ein großes höfisches Zentrum (das aus verschiedensten Gründen nicht einmal durch den politisch bedeutsamen und kulturell orientierten Hof des Olmützer Bischofs in Olmütz/Olomouc und Kremsier/Kroměříž ersetzt werden konnte), weshalb sich die Einwohner Mährens ziemlich bald nach Wien als ihrer Metropole ausrichteten. Noch im ausklingenden 16. Jahrhundert war deutlich, dass die jungen österreichischen, mährischen und böhmischen Adeligen den Dienst bei Hofe einem traditionellen Amt in der Ständeverwaltung ihrer Länder vorzogen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es auch zu Verbindungen auf anderen Ebenen kam. Den böhmischen und mährischen Adeligen boten sich auf ihren Reisen jenseits der Grenze immer neue Möglichkeiten, die Damen des österreichischen Adels kennen zu lernen und mit ihnen in den Bund der Ehe zu treten. Ähnliches vollzog sich auch umgekehrt, viele Angehörige der traditionellen österreichischen Aristokratie nahmen böhmische und mährische Adelige zur Frau. Besonders in Südmähren bildete sich so dank der Liechtensteins, Tiefenbachs, Thurns, Althanns, Breuners, der Herren von Boskowitz/Boskovice, von Leipa/Lipá oder Zerotein/Žerotín und vieler anderer noch lange vor der Schlacht am Weißen Berg eine einheitliche Adelsschicht, von der sich nur schwer bestimmen lässt, ob sie mährisch oder österreichisch war. Die Kinder aus diesen Ehen wuchsen zumeist ganz selbstverständlich bilingual auf und kannten sich sowohl in der böhmischen, mährischen, als auch in der österreichischen Gesellschaft aus. Was sich im aristokratischen Milieu dank der höfischen Karriere junger Adeliger abspielte, erfolgte im städtischen Milieu dank des stetig zunehmenden beidseitigen Handels. So traten beispielsweise Wiener Stadtbürger und Geschäftsleute oftmals in die Dienste mährischer Aristokraten. Es handelte sich dabei vielfach um Waren aus Italien, Kunstgegenstände nicht ausgenommen. Damit wuchs natürlich auch auf dieser Basis die Bedeutung Wiens als höfischer Residenz. Die Wiener übermittelten den mährischen und böhmischen Adelige das Neuste vom Hofe, lieferten Luxuswaren aus Wiener Werkstätten oder vermittelten Wiener Hofkünstlern für Feierlichkeiten auf mährischen Schlössern. Die Adeligen selbst konnten zudem am Hof die Künstler vor Ort kennen lernen und bei ihnen Kunstwerke und manchmal sogar Umbauten ihrer Schlösser und städtischen Sitze bestellen. Als ein Beispiel dafür kann das mährische Schloss Butschowitz/Bučovice dienen, das sein Besitzer, der mährische Adelige Johann Schembera Schwarzenberg von Boskowitz /Jan Šembera Černohorský z Boskovic, im Laufe der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch den kaiserlichen Antiquar und Architekten Jacopo Strada nach dem Vorbild des Wiener Lustschlosses Neugebäude umbauen ließ. In diesem Fall darf die Tatsache nicht unerwähnt bleiben, dass während Schloss Neugebäude zum größten Teil vernichtet wurde, das Schloss in Butschowitz in seinem ursprünglichen Zustand fast vollständig erhalten geblieben ist. Seine Existenz verhilft daher heutzutage den österreichischen Kunsthistorikern dazu, eine Vorstellung über die Gestalt der Wiener Hofarchitektur in der Renaissance zu gewinnen. Auf vielen anderen Renaissanceschlössern in Mähren wurden Arkadenhöfe nach dem Vorbild des Landhauses in Graz und der Stallburg in Wien erbaut. Je weniger den Habsburgern im Laufe des ersten Jahrhunderts ihrer Regierung in den böhmischen Ländern die politische und rechtliche Integration der neu gewonnenen Länder gelang, um so erfolgreicher waren sie auf dem Gebiet der Kunst und Kultur. Die Niederlage des Ständeaufstandes 1620 trug nicht nur auf entscheidende Weise zur Durchsetzung absolutistischer Tendenzen bei, sondern stärkte gleichzeitig auch den Integrationstrend der mitteleuropäischen Gesellschaft, von der als einer barocken gesprochen wird. Der sich entwickelnde zeitgenössische Kunststil, die Familienbande unter den Adeligen und die Kontakte zwischen einzelnen Klöstern führten geradezu selbstverständlich zu einer kulturellen Verknüpfung zwischen Böhmen und Mähren, die in der ersten Hälfte 18. Jahrhunderts wohl am besten durch das umfangreiche Werk des Architekten Johann Santini-Aichl repräsentiert wird, der obwohl in Prag geboren, aus einer italienischen Familie stammte, die jedoch bereits seit mehreren Generationen in Böhmen und Mähren tätig war. Ähnlich könnte man über eine ganze Gruppe von Bildhauern und Malern sprechen, die ihre Werke in einer Region schufen, die Westmähren und Ostböhmen miteinander verband. Es scheint allerdings, dass die Bindungen, die das kulturelle Milieu Mährens mit Wien und Niederösterreich verbanden, in dieser Zeit noch stärker wirksam waren. Im Verlaufe des Dreißigjähren Krieges ließen sich österreichische Adelige in weit größerem Maße als in Mähren nieder und brachten ihre österreichischen Beamten, die gesamte Dienerschaft sowie deren Familien mit. Die mährischen Adeligen hingegen hatten wohl weit mehr Gründe, nach Wien zu kommen, dass an der Schwelle des Barock zu einer wirklichen Metropole Mitteleuropas geworden war. Aus Südmähren war es nicht weit nach Wien, und so luden die Liechtensteins, Dietrichsteins, Rottals und viele andere Vertreter des mährisch-österreichischen Adels noch häufiger kaiserliche und Wiener Architekten und Künstler ein, sich am Ausbau ihrer neu gewonnenen und im Laufe des Dreißigjährigen Kriegs oft stark beschädigten Sitze zu beteiligten. Der Kreis des italienischen, allerdings in Wien wirkenden Architekten Filiberto Luchese, der gewöhnlich mit dem so genannten Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg in Verbindung gebracht wird, kam so zu seinen Aufträgen in Südmähren: in Mährisch Krumau/Moravský Krumlov und Ungarisch Ostra/Uherský Ostroh von den Liechtensteins, in Holeschau/Holešov von den Rottals. Als in Wien auf dem Graben die Pestsäule errichtet wurde, für die Johann Bernhard Fischer von Erlach, Tobias Kracker und Ignaz Bendel zeichneten, bestellten auch die Brünner Ratsherren bei diesen Architekten und Bildhauern zwei Monumente, die ihren Platz auf zwei Hauptplätzen der mährischen Metropole einnehmen sollten. Für den Unteren Markt (heute Freiheitsplatz) schuf Ignaz Bendel einen eleganten, manieristisch dynamischen Merkurbrunnen, auf dem Oberen Markt (heute Krautmarkt) wurde der Parnass-Brunnen von Fischer von Erlach errichtet. Er hat die Gestalt eines die Welt verkörpernden Felsen, die Frauenstatuen von Kracker personifizieren die bis dahin bekannten Erdteile. Fischer von Erlach beteiligte sich im ausgehenden 17. Jahrhundert auch an anderen Baudenkmälern in Südmähren, baute höchstwahrscheinlich für die Althanns in Joslowitz/Jaroslavice und für die Liechtensteins in Eisgrub/Lednice und Feldsberg/Valtice. In etwa zur selben Zeit arbeitete er gleichfalls am Bau des monumentalen Ahnensaals, der das südmährische Schloss in Frain an der Thaya/Vranov nad Dyjí dominiert. Hier kam es wieder zu einem Zusammenwirken mit Tobias Kracker, mit der bildkünstlerischen Ausgestaltung dieses architektonischen Kleinods fiel einem weiteren Wiener Künstler anheim, dem Freskenmaler Johann Michael Rottmayer. Auch in diesem Fall wurde so ein außergewöhnliches architektonisches und künstlerisches Werk geschaffen, in dem sich der Stil des kaiserlichen Wiens mit dem Genius Loci Südmährens verband. Man kann wohl kaum von einem Zufall sprechen, dass ein solcher Prunkbau gerade in Frain entstand, auf dem Besitz der Familie Althann, die durch ihre Güter, die sich ähnlich wie die der Liechtensteins, Breuners, Verdenbergs oder Tiefenbachs sowohl in Mähren als auch in Österreich ersteckten, die Prinzipien der mitteleuropäischen, bzw. der südmährisch-niederösterreichischen Gegenseitigkeit verkörperten. Manche Auftraggeber und Mäzene gingen geradezu planmäßig so vor, dass sie für ihre österreichischen und mährischen Sitze Bilder und Kunstwerke von denselben Malern, Bildhauern und Architekten schaffen ließen. Ganz offensichtlich wird dies am Beispiel der Familie Verdenberg, die ihre von den kaiserlichen Hofmalern Frans Luycx und Friedrich Stoll geschaffenen Gemälde auf ihrem Schloss im niederösterreichischen Grafenegg, ebenso wie auf Schloss Namiest/Náměšť nad Oslavou in Südmähren zur Schau stellten. Die Verknüpfung des österreichischen und südmährischen Kulturmilieus wurde auch in den nächsten Generationen nicht gelockert, beim Bau mährischer Schlösser und Kirchen legten österreichbekannte Architekten wie Johann Lucas von Hildebrandt, Jacob Prandtauer oder Domenico Martinelli. Es verwundert daher nicht, dass man von dem gleichen architektonischen Stil sprechen möchte und, im übertragenen Sinne, auch von einem analogen kulturellen Klima, handle es sich nun um das österreichische Benediktinerstift Melk oder um das Schloss des Freiherrn von Questenberg in Jarmeritz/Jaroměřice nad Rokytnou in Südmähren, also um zwei Bauten, die mit dem Baumeister Jacob Prandtauer verbunden sind. Der südmährische Adel stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines Reichtums und für die Hofkünstler eröffneten sich Möglichkeiten, mit denen in Österreich selbst, vielleicht mit Ausnahme einiger Aufträge für Klöster und Stifte, kaum noch zu rechnen gewesen wäre. In Mähren wuchs darüber hinaus dank dem Wirken der Wiener Meister eine Reihe lokaler Künstler heran, die nicht selten über mehrere Generationen hinweg mit den Zentren von Kunst und Kultur in Mähren, wie vor allem Brünn, Olmütz oder Kremsier, verknüpft blieben. Gewöhnlich schufen sie Werke im Geiste der für den Wiener und österreichischen Barock typischen Maximen, bereicherten diese jedoch durch ihren ureigenen regionalen Stil, der rückwirkend wiederum das künstlerische Schaffen in Österreich beeinflusste. Von Architektur im Stile Fischers von Erlach oder Hildebrandts sprechen die Kunsthistoriker oft auch bei Bauwerken, die von in Mähren ansässigen Künstlern geschaffen wurden und dank derer die Kunst ihrer großen Wiener Vorbilder hierzulande heimisch wurde. Ein solcher Architekt war in Brünn z.B. Moritz Grimm, dessen Bau des Brünner Landhauses in mancher Hinsicht an einige von Johann Lucas von Hildebrandt entworfene Wiener Paläste erinnert. Sucht man die Epoche, in der die kulturelle Verknüpfung zwischen Österreich und Mähren oder Wien und Brünn ihren Höhepunkt erreichte, wäre ohne Zweifel das 19. Jahrhundert zu nennen. Die Gründerzeit brachte nicht nur die Eisenbahn als ein ganz neues Verkehrsmittel mit sich, das sowohl den direkten Informationsaustausch zwischen der Hauptstadt der Monarchie und ihren Provinzen beschleunigte, als auch eine neues Kulturklima, dem man nicht nur in Brünn, sondern auch in der Wiener Neustadt, in Prag, Pressburg/Bratislava, in Budapest, Krakau/Kraków oder im entfernten Lemberg/Lviv begegnen konnte. In allen diesen Städten wurden nach dem Vorbild Wiens um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Stadtmauern geschleift und auf dem so gewonnenen Raum Ringstraßen gebaut, in manchen dieser Städte profilierte sich die Firma Fellner und Hellmer sodann durch den Bau von Theatergebäuden. Wenn nimmt es Wunder, dass gerade Brünn als eine Metropole in enger Nachbarschaft der Hauptstadt des Kaiserreiches sich die Atmosphäre von Kunst und Kultur in Wien wohl am unmittelbarsten widerspiegelte. Jeder der großen Architekten der Ringstraßengeneration erbaute zumindest ein kleineres Gebäude auch in Brünn. Auf diese Weise kam die Stadt zu Palästen und Kirchen von Ludwig Förster, Heinrich Ferstel (im Org, Georg Fresl???), Theophil von Hansen, Johann Schönn und einer ganzen Reihe anderer Künstler. Es fällt auf, dass der kulturellen Verknüpfung beider Städte nicht einmal der aufkommende Nationalismus etwas anhaben konnte, obgleich er die Brünner Gesellschaft je nach der Sprache in zwei fast völlig eigenständige Welten teilte. Am besten bezeugt dies wohl der Bau des Konzerthauses (Besední dům) in Brünn, entworfen von Theophil von Hansen. Die vorab genannten Architekten bauten nämlich sowohl für deutsch- als auch für tschechisch sprechende Brünner Bevölkerungsgruppen. Während des ganzen 19. Jahrhunderts nahmen die Widersprüche zwischen den tschechisch und deutsch sprechenden Einwohnern Mährens in dem Maße zu, wie sich die moderne tschechische und „österreichische“ Nation konstituierte. Die Brünner Deutschen hörten beispielsweise in ihre Konzerte im Deutschen Haus auf dem damaligen Lazansky-Platz, während die Tschechen das unweit gelegene tschechische „Besední dům“ (Konzerthaus) besuchten, trotz alledem wurden aber auch weiterhin gegenseitige Beziehungen gepflegt. Auf eine von ihnen machte seinerzeit der deutsche Geschichtsprofessor Gottfried Schramm aufmerksam, der Leben und Werk des großen Mährers Johann Gregor Mendel untersuchte. In Mendel mährischen Geburtsort nahe der Stadt Freiberg/Příbor, stellte, Schramm zufolge, die Imkerei ein derartiges Verbindungselement dar, das auch in angespannten Zeiten keine Sprachgrenze kannte. Aber auch die spätere Wirkungsstätte des Begründers der Genetik, das Augustinerkloster in Altbrünn, ließe sich als Beispiel für ein mustergültiges Miteinander beider Sprachkulturen in Mähren dienen. Tschechisch wie Deutsch sprechende Ordensleute wie Napp, Křížkovský, Mendel oder Klácel legten hier die Grundlagen der modernen mährischen Wissenschaft und Kultur. Nach den tragischen Ereignissen des Ersten Weltkriegs und dem Fall der Monarchie schien es, als sei der gemeinsame mitteleuropäische Kulturraum endgültig zerfallen. Während die Tschechen unter Führung von Masaryk den Weg zu einem modernen demokratischen Industriestaates beschritten, trauerten die traditionalistischer gesinnten Österreicher den vergangenen Zeiten der Monarchie nach. Trotz aller gegenteiligen Befürchtungen gab es auch in diesen Zeiten im Kulturmilieu gemeinsame Züge zwischen Brünn und Wien, wie etwa in der Architektur des Funktionalismus, der sich in beiden Städten gleichermaßen aus den von Adolf Loos gelegten Wurzeln entwickelte. In Brünn wie ganz Mähren entstand dank dieser Tradition eine achtbare Generation funktionalistischer Architekten und Künstler, von denen hier wenigstens Ernst Wiesner, Bohuslav Fuchs, Emil Králík genannt werden sollen. Schon damals gab es zu beiden Seiten der Grenze Menschen, die es nicht für ratsam hielten, die bestehenden Kontakte gänzlich abzubrechen, und so wurde in Brünn die Herausgabe der zweisprachigen Zeitschrift Měsíc/Der Mond initiiert, die darum bemüht war, beiden Seiten das Beste auf dem Gebiet der modernen Kultur zu vermitteln. Dazu kam, dass viele Mährer Verbindungen über die Grenze hinaus mit ihren Verwandten in Wien aufrechterhielten. In den 1930er Jahren wurde Brünn zudem Zufluchtsorte für demokratisch denkende Österreicher, die hier Asyl vor dem anwachsenden Faschismus und Nationalsozialismus fanden. Gegen Ende der 1930er Jahre sollte es für Jahrzehnte zu einem Abbruch unkontrollierter Kontakte zwischen Österreich und Mähren auf dem Bereich der Kunst und Kultur kommen. Zwischen den Waffen schweigen die Musen, und viele tschechische und mährische Wissenschaftler, Kulturschaffende und Künstler wurden als Häftlinge nach Österreich in das Konzentrationslager Mauthausen verschleppt. Nach dem Krieg wurde die Lage in dieser Hinsicht keineswegs besser, nur blieben jetzt die Kontakte zuvorderst durch den Stacheldraht an der Grenze blockiert. Die raschen Veränderungen nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags von 1955 bewirkten, dass Österreich sich schnell unter die freien Staaten Europas eingliederte, während die Tschechoslowakei immer tiefe in die Fallstricke der kommunistischen Macht geriet. Kamen Ende der 1930er Jahre demokratische, freiheitsliebende Österreicher in die Tschechoslowakei, suchten nun tschechische Wissenschaftler, Vertreter der Kultur und Künste in Österreich Asyl. Die Namen Pavel Landovský und Ivan Medek mögen hier für viele stehen. Für uns, die wir in Böhmen und Mähren daheim geblieben sind, blieb als Quelle der Hoffnung jener am Anfang erwähnte Sender des österreichischen Rundfunks (ORF) und der gelbe Bus, der jeden Abend vom Brünner Postbahnhof in Richtung Wien abfuhr… Aus dem Tschechischen übersetzt von Petra Sojková (Brünn).