Friedrich W

Werbung
Friedrich W. Stallberg
Hoffnung als Gefühl der reflexiven Veränderung –
Dimensionen und Potentiale
„Jede tiefe Enttäuschung einer Hoffnung, die sich auf etwas innerweltlich
Begegnendes gerichtet hatte, birgt möglicherweise in sich die Chance, dass sich
die Hoffnung - ohne Resignation – ihrem wahren Gegenstand nun erst
zuwendet, und dass, in einem Vorgang der Befreiung, ein größerer
dimensionierter Atemraum der Existenz sich überhaupt erst auftut“
J. Pieper, Hoffnung und Geschichte, München 1967, : 387 f.)
Hoffnung gibt es nur da, „wo die Versuchung der Verzweiflung auftritt; die
Hoffnung ist der Akt, durch den diese Versuchung aktiv oder siegreich
überwunden wird“ (G. Marcel, Homo Viator, Düsseldorf 1949, S. 40)
„Wer hoffen kann, wird nicht durch Erwartungen dieses elementare Gefühl
verfälschen, sondern viel eher fähig sein, mit dem Risiko der Nichterfüllung
umzugehen, da im Hoffen und Wünschen keine vorgegebenen oder
vermeintlichen Ansprüche irgendwelcher Art enthalten sind“ (Krenn, S./Pfaff,
K., Gefühle zum Be-denken und Be-leben von Welt, Dortmund 1986, 199)
„Denken heißt überschreiten. Freilich das Überschreiten fand bisher nicht allzu
scharf sein Denken. Oder wenn es gefunden war, so waren zu viel schlechte
Augen da, die die Sache nicht sahen“ (E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung,
Frankfurt/M. 1959, 3)
„Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. …seine Arbeit entsagt nicht, sie ist
ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern…Der Affekt des Hoffens geht aus sich
heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen (Bloch 1959, 1)
Bisher bin ich bei allem sonstigen Interesse am Zusammenhang von subjektivem Fühlen und
gesellschaftlichen Verhältnissen immer an der Hoffnung achtlos vorbei gegangen. Vielleicht
deshalb, weil sie in der soziologischen Diskussion so gut wie keine Resonanz findet;
vielleicht, weil sie mir durch ihren hohen kognitiven Gehalt gar nicht als Gefühl in den Blick
trat; vielleicht auch, weil mir der Ausgang eines einmal aufgenommenen RechenschaftAblegens über Hoffnung und Hoffen äußerst ungewiß erschien. Darüber hinaus hat aber
auch das Thema Hoffnung seine beste Zeit längst hinter sich (was auch am Alter der
herangezogenen Texte erkennbar sein wird) und steht die Beschäftigung mit ihm unter nicht
geringem Rechtfertigungsdruck.
1
Nun ergibt sich aber die Gelegenheit, etwas Neues zu probieren. Greifen wir also eine
übrigens auch von Stefanie Krenn und Konrad Pfaff vor über zwei Jahrzehnten angeregte
Sicht weise auf und sprechen wir hier also über die Hoffnung als Emotion. An ihr lässt sich
zeigen, was an Veränderung durch Reflexion möglich wäre, hätten wir nur den Mut und die
äußeren Bedingungen und Berechtigungen, die etablierten Grenzen des Erwartens,
Wünschens und Sehnens zu überschreiten.
Ich bemühe mich im folgenden zunächst um eine Bestimmung. Hilfreich sind dabei emotionsund medizinpsychologische Begriffszugänge, weit mehr noch läst sich aber von
philosophischen Grundlegungen profitieren. Die unterschiedlichen Ansätze zum Verständnis
der Hoffnung im Kontext von Wünschen, Erwartung, Sehnsucht, Glaube, Angst, Liebe und
Verzweiflung werden dann im Sinne einer „anspruchsvollen“, gesellschaftsbezogenen
Perspektive akzentuiert. Es liegt mir in der Anknüpfung an die Positionen vor allem von Ernst
Bloch ,Erich Fromm und Josef Pieper – wie man weiß, ganz unterschiedlicher, aber eben doch
dem Grundsätzlichen verpflichteter Theoretiker der Hoffnung – an einem kritischen Begriff
der Hoffnung, welcher vom alltäglichen und negativen Hoffen Distanz hält, reflexive
Veränderung und verändernde Reflexion in den Vordergrund rückt.
Diese mitunter als fundamental oder wahr etikettierte Hoffnung scheint in ihren diversen
Äußerungsformen gegenwärtig einem dramatischen Wandel zu unterliegen. Mein Eindruck
ist, dass sich die Hoffnung zunehmend aus dem gesellschaftlichen Raum zurückgezogen hatinsbesondere auch dem unablässig fließenden Angstdiskurs Platz gemacht hat, ihr
Veränderungspotential einbüßt, jedenfalls nicht mehr dringlich, sehnsüchtig, in Frage stellend
ausgedrückt wird. (gerade stoße ich auf eine unterstützende Aussage in dem neuen
Erfolgsbuch von Sloterdijk, Du musst dein Leben ändern. „Es fehlt nicht mehr viel, und die
letzten Hoffnungsheger aufklärerischen Stils ziehen sich aufs Land zurück, als wären sie die
Amish der Postmoderne“,11) Warum das so ist, warum Erwartungen auf die Realisierung des
ganz anderen weder verbreitet noch legitim sind, bleibt wenigstens ansatzweise zu überlegen.
Warum also hat unser Hoffen das Unangepaßte, Grenzüberschreitende, Riskante und Radikale
zugunsten des gesellschaftlich anerkannten, ja geforderten Bewahrens einer positiven
Bewertung zukünftigen Lebens und Sterbens verloren?
I. Grundlegung
1. Hoffnung als Forschungskategorie
Emotionswissenschaftlich wird Hoffnung in Form einer genauen Analyse ihrer Grundzüge
nur selten bearbeitet. Das hat sicher mit der eben nur schwachen emotionalen Ausprägung
und dem Fehlen einer unverwechselbaren Identität mit dem Überwiegen von
Bewertungsprozessen einerseits, Handlungsmotivation andererseits zu tun. Wenn nun
Hoffnung zu bestimmen versucht wird, dient dies meist – mit entsprechenden Folgen – dem
Interesse an ihrer Operationalisierung, speziell für die Erstellung von Messinstrumenten, von
denen es schon zahlreiche gibt.
In Deutschland hat wohl als erster D. Ulich (1984) einen Eingrenzungsvorschlag entwickelt.
Er formuliert „Wenn jemand hofft, dann drückt er damit aus, 1.) dass er etwas für sich
Bedeutsames dringend wünscht , 2.) dass er sich nicht sicher ist, ob er es erreichen wird, und
2
3.) dass es nicht allein oder überhaupt nicht in seiner Hand liegt, dies herbeizuführen „ (1984,
37). Ulich grenzt Hoffnung deutlich von der Erwartung ab: sie enthält mehr Wunsch- als
Gewißheitselemente, in der Erwartung ist das Gegenteil der Fall. Hoffnung weist eine
emotionale Komponente – das Empfinden von Mut, Zuversicht, Vertrauen -, eine kognitive
Komponente im Sinne einer positiven Zukunftsbezogenheit sowie eine motivationale
Dimension im Sinne des Sich-Behaupten- und Nicht-Aufgeben-Wollens auf .Jahre später in
einem mit Mayring verfassten Lehrbuch (1992, 145) wird Hoffnung zusätzlich in eine enge
Verbindung mit Situationen der Beeinträchtigung und Gefährdung zentraler Ziele und
Lebensbezüge gebracht.
2002 haben sich die deutschen Psychologen Hammelstein und Roth in Auseinandersetzung
mit diversen einschlägigen Ansätzen um die Erarbeitung eines bewertungstheoretischen
Hoffnungskonzepts bemüht. Sie kritisieren an den vorliegenden Positionen vor allem, dass
diese Hoffnung weniger als kurzzeitigen emotionalen Zustand denn als
Persönlichkeitsmerkmal beschrieben haben. Sie selbst fassen nun Hoffnung als
Erwartungsemotion. Definiert wird diese „als die Erwartung, dass ein prinzipiell mögliches,
subjektiv positiv bewertetes Ereignis, dass durch personale und/oder situative Faktoren
beeinflusst wird, in der Zukunft eintritt“ (2002, 196). Die Stärke bzw. das Auftreten
individueller Hoffnungsgefühle wird als abhängig von der subjektiven
Zugehörigkeitswahrscheinlichkeit gesehen. Gemeint ist damit, dass eine Person zunächst
einschätzt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ereignis eintritt (subjektive
Eintrittswahrscheinlichkeit) und in einem zweiten Schritt dann die Wahrscheinlichkeit prüft,
mit welcher sie zu den in ähnlichen Situationen Befindlichen gehört, für welche sich das
Gewünschte einstellen wird. Ist die subjektive Eintrittswahrscheinlichkeit eher gering, muss
relativ viel kognitive Arbeit geleistet werden, um ein hohes Hoffnungsniveau zu erreichen.
Diese Hoffnungsarbeit besteht vor allem darin, positive Aspekte der Situation zu betonen,
negative hingegen zu vernachlässigen. Schauen wir noch auf die von Hammelstein und Roth
angenommene Beziehung zwischen Hoffnung und Wunsch: Hoffnungsobjekte gelten als
konkret und auch vom individuellen Engagement abhängig, Wunschobjekte als eher
unbestimmt und dem Einfluß des Wünschenden weithin entzogen.
Für die empirische Beschreibung von Hoffnung einschlägig sind auf jeden Fall noch die von
Averill u.a. (1990) ermittelten Regeln der Hoffnung. Diese bestehen aus Vorsichtsregeln – das
Erhoffte sollte sich in Nähe zur aktuellen eigenen Realität befinden -. moralischen Regeln –
Hoffnungsobjekte sollten gesellschaftlichen Normen nicht widersprechen -, Prioritätsregeln –
das Erhoffte sollte von erheblicher subjektiver Bedeutung sein – und Handlungsregeln – zur
Realisierung des Erhofften sollten auch dazu geeignete Anstrengungen unternommen werden.
In den Kontext forschungsorientierter Überlegungen zum Hoffnungskonzept alles letztes
einordnen lässt sich ein von Brodda 2006 vorgelegtes Prozeßmodell der Hoffnung. In diesem
wird, wie sonst an keiner Stelle, dem mit dem Hoffen verbundenen Kognitionsvorgang einige
Aufmerksamkeit zuteil. Interesse verdienen zunächst einige andere Annahmen: Alles Hoffen
geht auf Wünsche zurück; deren Dringlichkeit wie auch das jeweilige Vorhandensein
spezieller Hoffnungsmotivationen bestimmt die individuelle Hoffnungsstärke. Hoffnung
findet immer intrapersonal statt („Ein jeder kann für einen anderen Menschen hoffen, aber
nicht an Stelle des anderen“, 2006, 31) und weist nur relativ wenig Interaktivität auf, was sie
auch soziologisch zu einem nur sekundären Gefühl macht. Hoffung ist physisch kaum
repräsentiert, lässt sich auch nicht mit einer speziellen gestischen oder mimischen Aktivität
verbinden. Gerichtet ist sie auf Objekte meist zukünftiger Art im Sinne aller wünschbaren
Ereignisse. Sie entwickelt sich nur langsam, besitzt dafür aber relativ viel Beständigkeit.
Hoffnung verschwindet, wenn das jeweils Intendierte tatsächlich eintritt oder durch den
3
Wandel zur Enttäuschung, wenn sie durch den Gang der Ereignisse nicht mehr berechtigt
erscheint.
Das Kognitive im Prozeß der Hoffnungsbildung beschreibt Brodda nun über seine
Funktionen. Diese bestehen darin, 1) ein inneres Ereignismodell für das hypothetische
Hoffnungsobjekt und seinen zeitlichen Verlauf zu schaffen, 2) das Objekt als geeigneten
Gegenstand des Hoffens zu verifizieren, d.h. Ähnlichkeiten zwischen ihm und erwünschten
Geschehnissen zu bestimmen und 3) die Eintretenswahrscheinlichkeit des externen
Ereignisses zu bestimmen. Diese Modellbildung vollzieht sich als Auswahl sog. präsumtiver
Hoffnungsobjekte und arbeitet vor allem mit dem Abrufen von Gedächtnisinhalten „über
frühere Erfahrungen mit ähnlichen Ereignissen, über Bedeutungsbelegungen von
Ereigniseigenschaften sowie über Zweck-, Sinn- und Zieleinordnungen für das Ereignis“ (25).
Es geht also um höchst komplexe individuelle Reflexionsprozesse. Um es in einer mir
näherliegenden Art auszudrücken: Warum und wie entscheiden wir uns durch
Informationssammlung, Abwägen, Prüfen, Vergleichen, In-Frage-Stellen dafür, gerade dieses,
nicht aber jenes zu hoffen und woran merken wir, ob das Erhoffte tatsächlich in vollem
Umfang geschehen ist.
2.
Hoffnung gesehen von Verena Kast
Nachdem bis hierhin Hoffnung als Forschungsmittel vorgestellt wurde, können wir uns nun,
wie ich glaube, interessanteren, gehaltvolleren und existentielleren, wenngleich immer auch
wissenschaftlich motivierten Problemzugängen zuwenden.
Beginnen wir mit den Einsichten von Verena Kast. Dass diese schriftstellerisch so ungemein
produktive Züricher Tiefenpsychologin irgendwann auch auf das Thema Hoffnung gestoßen
ist, kann nicht weiter überraschen. Sie handelt Hoffnung knapp und anschaulich im Rahmen
einer Darstellung von Wesen und Funktionen gehobener Gefühle ab (Kast 1991). Definiert
wird diese als „die gehobene Emotion in bezug auf die Zukunft“ (157). Sie steht mit anderen
guten Gefühlen in Wechselwirkung, ist einerseits Basis für das Auftreten von Freude, Ekstase
und Inspiration, wird andererseits von diesen auch wieder unterstützt.
Was kennzeichnet nun die Hoffnung für Kast im einzelnen? Sie ist 1) eine besonders
nützliche Emotion, die dem Individuum Halt und Trost gibt, Vertrauen und Geborgenheit zu
vermitteln vermag, Angst reduziert. Sie stellt sich 2) als unbestimmtes und leises Gefühl dar,
erkennbar eher durch ihre Abwesenheit als die Präsenz. Für mich selbst sind Kasts, von Ernst
Bloch angeregte Einsichten in das Wandlungspotential der Hoffnung das Wichtigste.
Hoffnung besitzt ihr zufolge eine transzendierende Funktion, zielt auf das Unverhoffte und
Unmögliche, bekämpft das Gewohnte, entsteht und bleibt auch wider besserem Wissen und
aller Vernunft. Hoffnung will die Veränderung zumindest der eigenen Verhältnisse. „Man
wendet sich sozusagen einem Licht zu, das noch nicht sichtbar ist, von dem man aber den
Eindruck hat, es müsse existieren „(158). Hoffnung ist also von ihrem Kern her immer auf
Wandlung hin angelegt.
Festhaltenswert bleiben noch die Überlegungen der Autorin zum Verhältnis von Hoffnung,
Erwartung und Sehnsucht, denen es freilich an Konsistenz mangelt. Erwartung scheint ihr das
allgemeinere (und sonderbarerweise auch emotional bestimmt) zu sein, in der es immer auch
Hoffen und Sehnsucht gibt. Erwartung und Hoffnung, von Wunsch ist nicht die Rede,
unterscheiden sich nun insofern, als die erste inhaltsbezogen, die zweite unspezifisch und
dann geduldiger ist. In der Hoffnung bewegen sich, so die Aussage, die Dinge auf den
Menschen zu; ihre Besonderheit ist die große Offenheit. Für Kast ist sie der weitaus
wertvollere mentale Zustand. Ein Grundanliegen von Therapie besteht demnach darin.
Erwartung durch Hoffnung zu ersetzen.
4
3. Grundzüge der Hoffnung im Werk Josef Piepers
Mit dem Hoffnungskonzept von Pieper, das seit den 1930er Jahren in wiederholten Anläufen
entwickelt wurde, betreten wir nun das auch nur wenig bestellte Gebiet der Philosophie der
Hoffnung. Pieper lehrt eine konventionell christliche Philosophie in der Tradition der
Scholastik und wäre mir wohl keine Lektüre wert gewesen, gäbe es nicht bei ihm
Interessantes über Hoffnung zu erfahren.
Hoffnung wird von Pieper in alltägliche Hoffnungen (espoir), vermutlich also
Gefühlszustände, und die fundamentale Hoffnung (esperance) unterschieden. Im Verständnis
der letzteren bezieht der Autor offenbar wechselnde Haltungen: ist es etwas, was sich im
Lebensvollzug erwerben lässt oder geht es eher um eine theologische Tugend, also ein
empfangenes Geschenk. Die „natürliche“ Hoffnung wird nun mit einigen zentralen
Merkmalen beschrieben (Schumacher 2000,69ff.) Sie setzt, um mehr als ein Wunsch zu sein,
voraus, dass ihr Objekt mit einem Minimum an Gewissheit und Zuversicht in den Besitz des
Hoffenden gelangt. Das Erhoffte muss 2) für das jeweilige Subjekt gut und begehrenswert
sein. Es wird 3) nichts erhofft, was ohne Anstrengung oder durch einen bloßen Willensakt
erlangt werden kann. Das Objekt muss, in den Worten Piepers, steil sein. Es muss auch 4)
nicht unbedingt zur Wirklichkeit werden. Das Erhoffte zu erreichen, liegt des weiteren 5)
nicht in der Macht des hoffenden Subjekts. Man hofft nichts, was man selbst machen kann.
Mit jeder Hoffnung verbindet sich etwas Unverfügbares. Hoffnung besteht schließlich 6) in
einer Erwartung, welche sich stets auf etwas für das Subjekt Gutes richtet.
Piepers Interpret Bernard N. Schumacher (2000) hat, unzufrieden mit dieser knappen
Merkmalsbestimmung, noch einiges ergänzt. Hoffnung wird nun zusätzlich als intentionaler,
auf ein zuvor wahrgenommenes und bewertetes Objekt gerichteter Akt betrachtet. Dieser Akt
„ist die Folge einer Antwort auf ein Objekt oder eine bestimmte Situation“ (2000, 70).
Hoffnung wird darüber hinaus mit individuellen Wünschen verbunden. Sie entsteht aus deren
Aktualisierung, ist aber insofern nicht mit diesen identisch, als sie einer gewissen
Wahrscheinlichkeit der Realisierung des Erhofften bedarf, Wünsche aber vielfach nicht erfüllt
werden können oder auch zu einfach umzusetzen sind.
Differenziert wird ferner das Verhältnis von Hoffnung und Erwartung. Während Hoffnung
das gute und steile Objekt benötigt, sind Erwartungen an keine qualitativen Voraussetzungen
gebunden und bestätigen sie sich vielfach mit einem hohen Sicherheitsgrad; während Hoffen
durch Entspanntheit und Flexibilität gekennzeichnet ist, vollzieht sich Erwarten mit einer
starken inneren Aktivität.
Eine letzte Erweiterung besteht in der Annahme einer minimalen Geöffnetheit des hoffenden
Subjekts. „Dieser muß fähig sein, das erhoffte Objekt, das es aus eigener Kraft errungen oder
durch die Hilfe eines anderen erreicht hat, auch zu empfangen. Wer nicht mehr verfügbar ist,
hat aufgehört zu hoffen“ (83).
4. Die gesellschaftliche Relevanz der Hoffnung bei Erich Fromm
Mit den beiden letzten Autoren in Sachen Hoffnung wenden wir uns nun
gesellschaftskritischen Positionen zu, die über das Potential des subjektiven und auch
kollektiven Hoffens umfassende Veränderungen entwerfen und propagieren. Erich Fromm
zeichnet in seiner 1968 erschienenen Studie „Die Revolution der Hoffnung“ das Bild einer
enthumanisierten technikhörigen Gesellschaft und formuliert ein radikales, wenngleich heute
nicht mehr sonderlich innovativ erscheinendes Veränderungsprogramm, welches Hoffen
wieder möglich machen soll. Hoffnung ist für ihn als Erkenntnisgegenstand so bedeutsam,
5
weil sie ihm als entscheidender Teil jedes Vorhabens gilt, „unser Sozialsystem zu verändern
und lebendiger, bewusster und vernünftiger zu machen“ (18). Sein Begriff von Hoffnung
bewegt sich freilich auf einem hohen Anspruchsniveau. Erwartungen haben sich dann weit
vom Hoffen entfernt, wenn sie sich durch Passivität und Warten auszeichnen, nur , so Fromm,
die Hoffnungslosigkeit verbrämen oder die Zukunft verehren. Das ist dann nur entfremdete
Hoffnung. Echte Hoffnung dagegen wird als paradox verstanden, indem sie weder passiv
wartet noch Unerreichbares erzwingen will. „Hoffen heißt, in jedem Augenblick für das bereit
zu sein, was noch nicht geboren ist – und trotzdem nicht zu verzweifeln, wenn es in unserer
Lebensspanne zu gar keiner Geburt kommt“ (20). Hoffnung soll also nicht dem gelten, was
schon existiert oder niemals existieren wird.
Eine wichtige analytische Unterscheidung trifft Fromm, indem er bewusste von unbewußter
Hoffnung abgrenzt. Die letztere, nur aus individuellen Charakterstrukturen zu erschließen,
d.h. nicht in Worten und Verhalten aufgehend, ist ihm die eigentlich wichtige; ihrer
Verborgenheit wegen lässt sich aber nur wenig über sie herausfinden. Thesenartig ausgeführt
wird aber folgendes: Hoffen begleitet alles menschliche Leben, vollzieht sich noch in den
einfachsten, ständig wiederkehrenden Aktivitäten und Bewußtseinsprozessen („Hoffen wir
nicht zu einem neuen Tag zu erwachen, wenn wir abends einschlafen? Hofft der Kranke nicht
gesund, der Gefangene nicht frei, der Hungrige nicht satt zu werden?“ 24). Hoffen ist ferner
ein Seinszustand , „eine innere Bereitschaft, ein intensives, aber noch nicht verausgabtes
Aktivsein“ (23), ist auf den Glauben im Sinne des Überzeugtseins von noch nicht Erwiesenem
und des Erkennens realer Möglichkeiten angewiesen und hält diesen andererseits aufrecht.
Beide – Glaube und Hoffnung – benötigen nun als Erfolgsbedingung etwas, was Fromm
Seelenstärke nennt. Er meint damit die Fähigkeit, solche Kompromisse zurückzuweisen, die
Hoffnung und Glauben zerstören würden, da „Nein zu sagen, wo die Welt Ja erwartet“ (26).
Seelenstärke bezeichnet eine bestimmte Art von Furchtlosigkeit; sie setzt voraus, in sich
selbst zu ruhen und das Leben zu lieben. Hoffnung wie auch Glaube drängen von Natur aus
zur Überwindung des status quo, sind Kräfte des persönlichen und gesellschaftlichen Wandels
– Fromm verwendet für sie das Bild der Auferstehung, jetzt interpretiert als Verwandlung hin
auf größere Lebendigkeit.
Subjektive Hoffnung ist für Fromm immer auch durch die soziale Verankerung, d.h. die
Zukunftserwartungen der Gruppe und Klasse, welcher jemand angehört, bestimmt. Die so
beschriebene Hoffnung, das ist nun seine Zeitdiagnose, hat sich in der westlichen Welt auf
dem Hintergrund von Bürokratisierung und individueller Machtlosigkeit zunehmend aufgelöst
und zu Hoffnungslosigkeit transformiert. Die zunichte gemachte Hoffung zeigt sich freilich
nun unter der Oberfläche von Anpassung und resignativem Optimismus sowie indirekt als
Gewalttätigkeit, Destruktivität, Isolation, Unberührbarkeit, Langeweile und Unfähigkeit zum
Widerstand.
5.
Hoffnung als revolutionäre Kraft: der Ansatz von Ernst Bloch
Den wohl ideenreichsten und kraftvollsten Beitrag zum Verständnis von Hoffnung hat Ernst
Bloch mit seinem in den 1940er Jahren während der Emigration in Nordamerika verfassten
„Prinzip Hoffnung“ geliefert. Heute wird seine Position allerdings durchweg distanziert oder
gar abwertend betrachtet. Dafür gibt es zwei mehr oder minder wirksame Gründe: der erste,
Bloch argumentiert in der weithin abgewerteten Erkenntnistradition von Marx und schreibt
eine dialektisch- materialistische Philosophie der Weltveränderung; der zweite, Bloch
erarbeitet seinem Anspruch nach eine Enzyklopädie der Hoffnung, setzt aber nicht die nötigen
Organisationsmittel ein, um zwischen den vielen aufgesuchten Schauplätzen Verbindung zu
stiften und das ungemein vielfältige Material zusammenzuhalten. So entsteht leicht
Verwirrung und Überforderung.
6
Blochs Einsichten in das Veränderungspotential des Hoffens bleiben aber bewundernswert
und sollen hier auch in einigen Ansätzen gewürdigt werden.
Die Bedeutung der Hoffnung kann Bloch zufolge gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Sie markiert einen Grundzug des menschlichen Bewusstseins, ist darüber hinaus die
menschlichste aller inneren Bewegungen, entwickelt schließlich den Reichtum der
menschlichen Natur. Allerdings mag sie in Gesellschaften des Niedergangs, Gesellschaften
der Angst und Entfremdung nahezu verschwunden und in die Latenz abgedrängt sein. Vom
Wesen her ist sie also ein Hintergrundgefühl; sie ist schon da, bevor sie weiß, worauf sie hofft
(1959, 78).
Gefühlstheoretisch eingeordnet wird die Hoffnung als positiver Erwartungsaffekt des
Selbsterhaltungstriebs, als Richtungsakt kognitiver Art. Bloch trennt nicht, wie dies heute
üblich geworden ist, zwischen Hoffen, Sehnen und Wünschen, nennt sie zusammen die einzig
ehrlichen Empfindungen. Hoffnung ist aber ihrer Intensität wegen immer auch
Sehnsuchtsaffekt, aktiv, kämpferisch, schmerzhaft. Hoffnung, welche ihren Namen verdient,
zeigt sich als „wissend-konkrete“ Hoffnung. Deutlich abgegrenzt wird sie von als
schwindelhaft bezeichneter Hoffnung als weit verbreiteter Beschwichtigungs- und
Täuschungsinstanz.
Angst als negative Erwartung vermag sich unter bestimmten Bedingungen vor das Hoffen zu
stellen und die Entfaltung ihrer Inhalte und Funktionen zu blockieren. Letztlich verfügt aber
Hoffnung, wie Bloch sie sieht, über das weitaus stärkere Wirkungspotential. Sie ist mit ihrem
kämpferischen Tätigsein „über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in
ein Nichts gesperrt“ (1) eine Emotion des Tages und nicht der Nacht. Diese „Arbeit gegen die
Lebensangst und die Umtriebe der Furcht ist die gegen ihre Urheber, ihre großenteils sehr
aufzeigbaren, und sie sucht in der Welt selber, was der Welt hilft“ (1). Gelingt sie richtig gut,
wird, so sagt Bloch, die Angst ersäuft (126).
Hoffen stellt sich also keineswegs mühelos ein, muss auf wendig entwickelt werden. Aber wir
können uns für sie entscheiden; sie lässt sich als ein durch und durch weltliches Gefühl
erlernen (und lehren).Am Anfang dieses Lernprozesses muss zweierlei stehen: Es sind
zunächst Mangel und Entbehrung anzuerkennen, die unsere Existenz bestimmen, und eine
Selbstdefinition als Entbehrender vorzunehmen (86), es ist danach eine Verneinung des
vorhandenen Schlechten erforderlich. Zur Bildung von Hoffnung bedarf es nun des
Wunsches, am besten gar der Sucht, es besser haben zu wollen; darüber hinaus aber auch
einer Idee, einer Ahnung vom Besseren, von noch ungewordenen Möglichkeiten, vom NochNicht.
Wo kommt nun dieses Wissen vom Noch-Nicht und Nicht-Haben her, welches dem Hoffen
die Richtung weist? Es stammt zu einem erheblichen Teil aus Utopien des Alltags, wie vor
allem den Tagträumen, welche die Hoffnung in einem besonderen Maße erhalten und
bekräftigen. Es speist sich ferner aus vielen kulturellen Landschaften mit subjektiven und
objektiven Hoffnungsinhalten, in denen Noch-Nicht-Bewusstes mit dem Noch-NichtGewordenen kommuniziert. Bloch beschreibt Hoffnung als im utopischen Denken fundierte
Kategorie.
II. Bilanzierung : Hoffnung begreifen
7
Meine Absicht ist es nun, aus den vorgestellten Sachzugängen einiges, das mir besonders
überzeugend erscheint, herauszuarbeiten und in einem gleichermaßen analytisch und kritisch
angelegten Konzept zu verbinden.
1. Grundlegendes
Beginnen wir mit der Begriffarbeit im engeren Sinne. Einiges, womit sich Hoffnung
beschreiben lässt, ist offenbar unstrittig. Hoffen gilt weithin als starker Wunsch nach etwas
von hoher subjektiver Bedeutung, dessen Realisierung aber ungewiß ist und auch nicht oder
nur eingeschränkt in unsere Hand liegt. Hoffnung muss positive Ereignisse mit eigener
Qualität anstreben; es reicht nicht die Zuversicht, dass eine Befürchtung nicht zur Gewissheit
wird. Sie zeichnet sich durch anspruchsvolle Bewertungsaktivität aus, ist der Umwelt
gegenüber zurückhaltend oder gar verborgen, orientiert sich auf gutes Zukünftiges hin,
entwickelt sich in inneren Prozessen, ist von großem existentiellen Nutzen, stattet den Inhaber
mit stabiler Handlungsmotivation aus, beruht auf Glauben und Vertrauen.
Kontrovers diskutiert werden nun mindestens drei sehr grundsätzliche Fragen: Handelt es sich
bei Hoffnung um ein Gefühl im engeren Sinne oder stellt sie einen umfassenden
Seinszustand, eine subjektive Bereitschaft, eine menschliche Haltung zum Leben dar? Wie ist
ihre genaue Position im Spannungsfeld von Wunsch, Sehnsucht und Erwartung? Kann sie
dann als gegeben gelten, wenn sie mitgeteilt wird oder kann über ihr Vorhandensein nur durch
objektive Analyse entschieden werden, kann sie also falsch sein oder auch latent?
Ich versuche mit einiger Vorsicht, mich festzulegen.
Hoffnung bezeichnet einen Sonderfall in der Welt der Emotionen: Sie gleicht insofern
anderen Gefühlszuständen, als auch sie zeitlich begrenzt ist, kommt und geht, weder
herbeigezwungen noch festgehalten werden kann. ; andererseits benötigt sie aber im Sinne
von Haltungen und Stimmungen Zeit zur Entfaltung, weist sie einige Kontinuität auf und lässt
sie sich durch gedankliches Bemühen beeinflussen. Es gibt allen Anzeichen nach einen tief im
subjektiven Selbst verankerten „hoffnungsvollen Kern“ ( Scioli/Biller 2009) mit bindungs-,
willens- und überlebensorientierten Bestandteilen, der mit einiger, individuell
unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit auf problematische Situationen mit speziellen
Hoffnungsgefühlen antwortet.
Zum nächsten Streitpunkt: Wir haben schon gesehen, dass Hoffnung für gewöhnlich als
Erwarten von etwas Zukünftigem beschrieben, von anderen Erwartungsformen dann aber
durch geringere, subjektive Gewissheit, größere Flexibilität, Geduld, innere Gelassenheit und
anderes mehr abgegrenzt wird. Der Wunsch wird zumeist als Vorform oder Willensaspekt des
Hoffens bestimmt und mit dem Erwarten verbunden, manchmal auch als Alternative zu ihm
benannt. Das süchtige Sehnen kommt ins Spiel als etwas, was dem Hoffen einen besonderen
Ausdruck verleiht.
Eine ablehnendere Sicht der Erwartung deutete sich immerhin bei Verena Kast an. Sehr viel
kritischer besprechen aber nun Stephanie Krenn und Konrad Pfaff in einer 1986 erschienen
Studie über menschliches Fühlen den Sachzusammenhang. Für sie sind Wunsch und
Erwartung nichts, was sich analytisch zusammenfügen ließe, sondern völlig gegensätzliche
Phänomene. Ihr Unterschied kann so groß sein, so die den Aussagen vorangestellte
Überschrift, „wie der von Leben und Tod“ (188). Wunsch und Erwartung sind absolute
Gegenspieler, freilich auch verwandt und insofern Stiefbrüder. Es reicht den Autoren
allerdings bei weitem nicht, die Unvereinbarkeiten herauszuarbeiten. Es folgt vielmehr eine
Wesensbestimmung der beiden Phänomene, welche einerseits den Wunsch als Gefühl der
Grenzüberschreitung und Befreiung, „Inkarnation des natürlichen und freien Menschen“
8
(198), Ausdruck von Lebendigkeit, positive Beziehung zur Welt, als rundum guten
Handlungsgrund also vorstellt. Die Erwartung andererseits wird als Hindernis individueller
Selbstverwirklichung und Machtinstrument der gesellschaftlichen Institutionen einer
radikalen Kritik unterzogen. Erwartungen gelten als von außen kommende, unterwerfende,
repressive Ordnungen stützende Forderungen, als gewalttätig und verführerisch, als
„Gleitschienen von Konformismus“ (198), als etwas, welches nur Enttäuschung hervorrufen
kann. Aus dieser Einschätzung folgt natürlich ein Verständnis von Hoffnung, welches diese
allein auf Wünschen gegründet sieht. Erwartungen können das subjektive Hoffen nur hindern,
verformen und zunichte machen.
Zu einer ganz so eindeutigen Beurteilung der Entstehungsgründe und Folgen des Erwartens
kann ich mich selbst nicht entschließen. Ich denke, das normative Element des Erwartens
muss gegenüber dem kognitiven nicht immer dominieren und Erwarten muss keineswegs von
Haus aus mit Ungleichheit und Freiheitsverlust verbunden sein. Andererseits scheint mir aber
auch erwartungsgesteuertes Hoffen, wiewohl es nicht gleich zum Scheitern verurteilt ist,
gegenüber einem wünschend sich Entfaltenden das erheblich weniger wertvolle zu sein.
Hoffen gelingt vor allem, wenn es aktiv ist. Es vollzieht sich in ganz unterschiedlichen
Formen, aber die beste ist die, welche schmerzhaftes Verlangen und gefühlten Mangel zur
Grundlage hat, also die des sehnsüchtigen Hoffens.
Die dritte Streitfrage war die nach der wissenschaftlichen Identifizierung des subjektiven
Hoffens. Müssen wir das als Hoffnung beschreiben, was als solche ausgegeben wird oder
können wir diese an objektiven Standards der Authentizität, Entstehung und Stärke kritisch
prüfen? Kann darüber hinaus Hoffnung auch da als Potential angenommen werden, wo sie
nicht geäußert wird oder nicht ermittelbar ist? Gibt es also latente, unterdrückte, unbewusste,
versteckte Hoffnungen? Es geht hier um weitreichende erkenntnis- und
wissenschaftstheoretische Entscheidungen. Mein Standpunkt sieht derzeit so aus: Wir sollten
uns im Sinn einer subjektorientierten Perspektive zuerst an den vermeintlich Hoffnung
Hegenden orientieren und ihre Empfindungen Ernst nehmen , gleichzeitig aber das für
Hoffnung Gehaltene mit einem kritischen Hoffnungskonzept konfrontieren. Wir werden dann
feststellen, dass vieles als Hoffen Deklarierte anderes ist. Andererseits kann, wie Bloch
gezeigt hat, hinter- und untergründiges Hoffungsgefühl an vielen Orten aufgefunden werden.
Wird sie aber nur als verborgen behauptet, bleibt sie eine Idee des Interpreten.
2. Hoffnung und Veränderung
Hoffnung kann nur, das haben die einzelnen Ansätze mit unterschiedlicher Akzentuierung in
den Blick gehoben, durch ihre Bezogenheit auf Wandel bestimmt werden. Sie gründet sich
auf ein schmerzhaftes Nicht-Einverstanden-Sein mit den gerade gegebenen
Lebensverhältnissen insgesamt oder einzelnen Situationen. Diese gelten als problematisch
und zutiefst veränderungsbedürftig. Wird auch an deren Veränderbarkeit geglaubt,
möglicherweise gegen herrschende Auffassungen und die Überzeugungen des Umfelds, baut
sich Hoffnung auf. Sie findet ihre subjektive Berechtigung und Nahrung häufig nur jenseits
der öffentlichen Diskurse, in berühmten und unbekannten Zukunftsentwürfen, Träumen,
Ahnungen vom ganz anderen oder nur in der Kraft des unbeirrbaren Wünschens. Setzt nun
der subjektive Hoffnungsprozeß ein, verändert sich mit der Wandel wünschenden Bewertung
der Blick auf uns selbst und unsere Identität. Ändert sich dann eines Tages das Äußere nur
partiell im gewünschten Sinn, hat dies wieder Rückwirkungen auf das Innere – Veränderung
ist also überall.
3. Hoffnung ist Reflexion
9
Hoffen entwickelt, bestätigt, vertieft und verändert sich durch unaufhörliche Reflexion.
Wünsche und Absichten werden identifiziert, benannt, bewertet und auf Möglichkeiten, die
auch wieder Prüfung bedürfen, bezogen. Veränderungsbedürftige Zustände werden analysiert
und mit Alternativmodellen verglichen; Veränderungswahrscheinlichkeiten werden
durchdacht. Hoffnungen werden im Verlauf eingeschätzt, aufgelöst, aufgegeben, durch immer
wieder neue ersetzt.
Eine Vielzahl von Fragen ist vom hoffenden Subjekt reflexiv zu bearbeiten: Worauf darf und
will ich hoffen? Warum hoffe ich gerade dieses? Was macht das erhoffte Objekt
begehrenswert? Was und wie wird es zu meiner Lebensrealität beitragen? Was kann ich selbst
zur Realisierung des Erhofften tun? Darf und soll ich mein Hoffen bekannt machen? Was ist
die Bedeutung anderer in meinem Hoffen? Woran erkenne ich, dass sich mein Wunsch erfüllt
hat, dass das Erhoffte eingetreten ist? Woran erkenne ich dagegen die Nichterfüllung? Kommt
dann das, was geschieht, den Hoffnungsinhalten nahe genug? Müssen die eingetretenen
Ereignisse mit dem in meinem Inneren Erdachten identisch bzw. wie groß darf die Diskrepanz
zwischen Phantasie und Realität sein? Wie gehe ich mit einer Enttäuschung des Hoffens um?
Ist es möglich oder sinnvoll, die anfänglichen Bewertungsstandards aufzugeben oder zu
modifizieren bis hin zu einer Art Selbstbetrug? Wie lange macht es Sinn, an unerfüllten
Hoffnungen festzuhalten? Ist mein Hoffen status-, zeit-, alters-, umfeldgemäß?
Der so vielfältige Prozeß des reflexiven Hoffnungshegens und –aufgebens als Suchbewegung
lässt sich stets auch, hier ist Bloch zu folgen, als Hoffnungslernen verstehen. Dieses Lernen
ist emotional, moralisch und kognitiv, wissens- und erfahrungsorientiert, geschieht in allen
Sozialisationsfeldern und es lohnt sich immer. Vermutlich ist es angebracht, zwischen einem
fundamentalen Lernen im Sinn der Bildung von generalisierter Hoffensbereitschaft, d.h.
Vertrauen, Selbstwert, Bindung und einem spezifischen Lernen der Begründung und inneren
Organisation von Hoffnungsprozessen zu unterscheiden. Als Gegenstand einer individuellen
Selbstinstruktion oder auch einer kollektiven Schule der Hoffnung bietet sich vor allem das
zweitgenannte an. Hier käme es darauf an, Unerwünschtes wie Gewünschtes, Leidvolles und
sonst wie Veränderungswertes analysieren und in Frage stellen und bessere Zukünfte
konzipieren zu können.
4. Hoffnung und Verzweiflung
Verzweiflung, das völlige Fehlen von Hoffnung, lässt sich natürlich als deren Gegenstück
betrachten. Weil die Hoffnung verschwunden ist, fallen wir in Verzweiflung, und weil wir
verzweifeln, fehlt es an den notwendigen Bedingungen für die Entstehung von Hoffnung.
Man kann auch so weit gehen zu sagen, dass erst die Auflösung fundamentaler Hoffung
Verzweiflung möglich macht. Es gibt aber auch die auf den ersten Blick paradoxe
Auffassung, erst die individuelle Grenzsituation mit dem Zusammenbruch des Hoffens auf
das Naheliegende und Selbstverständliche gäbe Anlaß zur Manifestation fundamentaler
Hoffnung im Sinne eines Grundvertrauens in das Sein und einer begründeten Gewissheit.
Eine eher seltene, aber schon ihrer Radikalität wegen bedenkenswerte Position besteht
schließlich darin, der intellektuellen Verzweiflung ihren Krankheitsmakel zu nehmen und sie
als Befreiung von Angst und Leere und auch unnützem Hoffen zu feiern. „Es gilt also, sich
jeder Hoffnung zu entledigen, in völlige Verzweiflung zu versinken, um so in den Genuß der
ganzen Weisheit zu gelangen“ (Schumacher 148)
Derrick Jensen, ein prominenter Zivilisationskritiker (2008) hält sogar das Ende aller
Hoffnung für die Voraussetzung verändernden Handelns. Hoffnung unterwirft, erzeugt
Anpassung und das ewige Sicheinrichten in Positionen geduldigen, gläubigen Wartens. Erst
das Verzweifeln an der Welt und ihren Institutionen lässt uns Angst und Vernunft in
10
wünschenswerter Weise verlieren und den Kampf gegen die Herrschenden, die dabei sind, die
Erde zu vernichten, aufnehmen. Hoffnung ist ein tödliches Gift, dessen Wirkung sich mit
äußerster Verzweiflung am ehesten schwächen lässt.
Mir selbst erscheint es vorerst das Klügste, die Dialektik von Hoffnung und Verzweiflung
offen zu halten und von diesen gegensätzlichen Zuständen anzunehmen, dass sie sich
gegenseitig bedingen, zeitlich aufeinander folgen können und auch niemals ohne Spuren des
anderen auftreten.
III. Ausblick:
Das aktuelle Schicksal der Hoffnung
Vieles spricht dafür, dass es mit der Emotion Hoffnung, wie ja auch von Bloch und Fromm
eindrucksvoll beschrieben, schon seit längerem bergab geht. Sie scheint sowohl quantitativ
dadurch an Bedeutung zu verlieren, dass die Häufigkeiten mitgeteilter oder sonst wie
erkennbarer Hoffungsbekundungen abnehmen als auch qualitativ einem Gehalts- und
Wirksamkeitsverlust zu unterliegen. Dieser Eindruck des Verfalls lässt sich freilich nur als
Trendmeldung weitergeben und mit plausibel erscheinenden Argumenten untermauern; harte
empirische Befunde stehen jedoch nicht zur Verfügung. Des weiteren muss eingeräumt
werden, dass die Diagnose stark durch das zugrunde liegende Hoffnungskonzept bedingt ist.
Wäre der Maßstab weniger streng, könnten die vielfältigen Aktivitäten
hoffnungstechnologischer und hoffnungsrhetorischer Art, wie sie sich in der
Gegenwartsgesellschaft finden lassen, als vitale Hoffungsnachweise akzeptiert werden.
Stattdessen lässt sich konstatieren, dass weniger und anders gehofft wird.
Hoffnung wird trivialisiert, entemotionalisiert, d.h. zum bloßen Wahrscheinlichkeitsglauben,
institutionell domestiziert, umgewandelt in Ressourcen und Kompetenzen. Sie zieht sich 1)
ins Private zurück und konzentriert sich auf die schmerzhaften Erfahrungen und
Abhängigkeiten des postmodernen Alt- und Krankwerdens; sie wird 2) weiterhin systematisch
und dogmatisch gepflegt in alt- und neureligiösen Organisationen der Sinnstiftung; sie verfällt
3) in der zu Angstmanagement gewandelten staatlichen Politik zur legitimatorischen
Beschwörungs- und Wiederherstellungsarbeit. Hoffung tritt auch mehr und mehr in negativer
Form auf, indem auf das Nicht-Eintreten von Befürchtungen gehofft wird, wird des weiteren
zum „Hoffentlich“ reduziert. Sie wird von der Veränderungs- zur Ertragungsinstanz: es
erscheint nicht mehr legitim und vernünftig, auf die Lösung zentraler Probleme, ein Ende aller
Ungerechtigkeit und Ungleichheit etwa, zu hoffen, stattdessen darf aber unermüdlich gehofft
werden, Kontrolle über störende Entwicklungen zu gewinnen, von den Segnungen der
Zivilisation auch weiter angemessen zu profitieren, nicht jetzt schon oder nicht für immer zu
den Statusverlierern, Exkludierten, Prekarisierten, Überflüssigen der Weltgesellschaft zu
gehören.
.
.
.
11
Literatur
Averill, J.R. u.a.,
Bloch, E.,
Rules of Hope, New York 1990
Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt/M. 1959. 2 Bde., 2. Auflage
Brodda, K., Zur Deutung und Bedeutung von Hoffnung, in: Huppmann, G/Lipps, B.
(Hrsg.), Prolegomena zu einer Medizinischen Psychologie der Hoffnung, Würzburg 2006, S.
23-42
Fromm, E.,
Die Revolution der Hoffnung. Für eine humanisierte Technik, Stuttgart 1971
Hammelstein, P./Roth, M., Hoffnung – Grundzüge und Perspektiven eines vernachlässigten
Konzepts, in: Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie 23(2002), S. 191203
Jensen, D.,
Endgame. Zivilisation als Problem, München-Zürich 2008
Kast, V.,
Freude, Inspiration, Hoffnung, Olten-Freiburg im Breisgau 1991
Krenn, S./Pfaff, K., Gefühle zum Be-denken und Be-leben von Welt. Ein Reflexionsbuch
zum kraftgewinnenden Umgehen mit den eigenen Gefühlen, Dortmund 1986
Marcel, G.,
Homo Viator, Düsseldorf 1949
Pieper, J.,
Hoffnung und Geschichte. Werke, Bd.VI, München 1967
Pieper, J.,
Über die Hoffnung. Werke, Bd.IV, München 1977
Schumacher, B.,
Rechenschaft über die Hoffnung: Josef Pieper und die zeitgenössische
Philosophie, Mainz 2000
Scioli, A./Biller, H.B.,
Hope in the Age of Anxiety, Oxford-New York 2009
Sloterdijk, P., Du musst dein Leben ändern. Über Religion, Artistik und Anthropotechnik,
Frankfurt/M. 2009
Ulich, D.,
Psychologie der Hoffnung, in: Zeitschrift für personenzentrierte Psychologie
und Psychotherapie 3(1984), S. 375-384
Ulich, D./Mayring. P. Psychologie der Emotionen, Stuttgart 1992
12
Herunterladen