Ani Ter-Poghosyan über Thommie Bayer

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Universität Potsdam
Institut für Germanistik
Seminar: Literaturkritik – Theorie – Geschichte – Praxis
Dozent: Dr. Peter Geist
Rezensentin: Ani Ter-Poghosyan
Rezension
Literaturkritik für eine Belletristik-Seite im Internet
"Die Musik war Seelensache, das Zarteste und Innerste und Beschützenswerteste in
seinem Leben, und alles andere konnte man tun, wie er es mit Serafina tat."
"Trotzdem waren die Kompositionsphasen eine Art Liebesdienst geblieben, fühlten
sich intim und außergewöhnlich an, waren Höhepunkt in seinem Gefühlsleben und
ähnelten dem, was er von Liebe zu wissen glaubte [...]."
Autor und Hauptfigur
Thommie Bayer, absolviert sein Studium der freien Malerei an der Kunstakademie, danach ist
er als Liedermacher tätig und schreibt Romane, Gedichte und Kurzprosa. Die Musik ist seine
große Leidenschaft wie bei dem Protagonisten Michael in seinem Buch. Es finden sich
Parallelen zwischen Autor und seiner dargestellten Figur in seinem Roman. Thommie Bayer
ist Schlagzeuger, Gitarrist und Sänger gewesen in einigen Bands. Michael spielte mit den
anderen drei Figuren Thomas, Bernd und Wagner in seiner Schulzeit in einer Band. Sie treten
in Clubs etc. auf und haben durchaus Erfolg. Der Verfasser sowie sein Held verdienen beide
durch Musik ihr Geld und erzielen Gewinn daraus. Für wen sich das wirklich gelohnt hat,
erfährt man im Roman.
Es wird aus der Perspektive der dritten Person erzählt. Es liegt die Vermutung nahe, dass der
Autor sein eigenes Leben teilweise nacherzählt. Die Kindheit und Jugend von Michael und
damit verbunden die der anderen drei werden rückblickend betrachtet. Die Gegenwärtigkeit
der Erzählung besteht darin das jetzige Leben des Protagonisten und der übrigen Figuren
darzustellen immer bezugnehmend zur Vergangenheit. Einzelne Kapiteln sind in dem Sinne
nicht vorhanden. Die Textpassagen, die eine Sinneseinheit ergeben bzw. einen
Lebensabschnitt behandeln, trennt eine Wellenlinie, um womöglich den Bezug von
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Vergangenem und Gegenwärtigen darzulegen. Es gibt keine klaren Grenzen und das
Geschehene ist immer noch aktuell.
Wie sie nach vielen Jahren einander begegnen und was daraus wird. Welche Konsequenzen
bringt das Wiedersehen der alten Freunde mit sich und warum gibt es Schwierigkeiten sich zu
nähern? Wird das Eis, das die Freunde in all den Jahren voneinander ferngehalten hat,
auftauen? Ist die Begegnung dieser das Anknüpfen an dem Alten, was sie verbunden hat?
Sie Sequenzen der Songtexte, die Beschreibungen der Sehenswürdigkeiten, die Nennungen
der Straßen- und Ortsnamen verhindern den Lesefluss und eignen sich nicht für das breite
Publikum. Nur Fachleute aus Musik und Kunst sowie Einheimische und Ortskundige können
sich darunter etwas vorstellen oder haben zumindest ein Bild im Kopf während des
Rezipierens. Hier wird erneut der Bezug zum Autor deutlich. Er kennt sich in den genannten
Bereichen aus. Sogar die Namen der Freunde von dem Romanhelden lassen auf seine eigene
Biografie zurückführen. Trotz solcher Passagen, die den Lesefluss ein wenig behindern, ist
einen angenehme Leseatmosphäre vorhanden. Die vielen Bilder, die durch detailierte
Beschreibungen erzeugt werden, gestalten die gegebene Situation aus und machen sie
nachvollziehbarer, greifbarer und bringen den Leser an die Handlung des Buches näher. "Der
Geruch von Chlor und Braten gefiel ihm, und das Dröhnen und Klirren und Rauschen gab
ihm das Gefühl, im Bauch einer großen Maschinerie etwas Sinnvolles zu tun [...]. Wäre noch
Diesel im Geruchsensamble enthalten gewesen, dann hätte er sich vorstellen können, in einem
Schiff unterwegs zu sein." Dieser Auszug beschreibt wie Michael seine Arbeit im Hotel vor
der riesigen Spülmaschine vollbringt während seiner Schulferien. Weiterhin ist in dem Text
noch ein Neologismus erkennbar, der sich aus der Musik und der Sinneswahrnehmung
zusammensetzt.
Das faszinierende an dem Erzählstil ist, dass der Leser die selbstverständlich aufgenommenen
Informationen im Nachhinein aufgeschlüsselt bekommt, was er am Anfang für richtig und
wahr hält. Man wird bis zum Schluss überrascht, dass man doch nicht so viel weiß wie
gedacht. Dadurch entstehen neue Sichtweisen und Erklärungsansätze. Neben dem Lesen ist
man damit beschäftigt das Neue zu erfassen und das alte zu verwerfen. Das gleiche geschieht
mit den handelnde Figuren im Roman. Sie offenbaren für sich neue Erkenntnisse, die zuvor
eigentlich ihres Wissens nach den Tatsachen entsprechen.
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Michael wechselt seine Wohnorte ständig, um sich neu zu finden, sich weiterzuentwickeln
oder einfach was neues zu erleben, bis er seine Traumstadt fürs Leben findet und sesshaft
bleibt. Der permanente Wechsel des Wohnsitzes und die Neuerfindungsphasen prägen das
Leben des Schriftstellers genauso.
Trotz Analogien zwischen Verfasser und Hauptfigur distanziert sich der Erzähler mit der
Wiedergabe direkter Reden und mit Dialogen, die im Roman häufig vorkommen, doch noch
von seinen geschaffenen Charakteren vor allem von Michael. Sie kommen selber zu Wort und
vertreten somit ihren eigenen Standpunkt.
Liebe und Musik
Michael möchte die konstruierte Beziehung zu Erin durch den Alltag nicht zerstören und hält
an dem Gedanken fest, immer fern zu sein und anonym zu bleiben, aber doch durch die Musik
die Verbindung zu ihr aufrechtzuerhalten und weiterhin für sie Lieder zu komponieren. Für
ihn soll die immaterielle Einheit nicht materiell werden. Die Hoffnung, dass es zum Kontakt
kommt oder dass sie gar ein Paar werden, gibt es nicht. Das ist eine Utopie in Anbetracht der
Dinge. Das Verhältnis zu Liebe an sich wird im Kopf des Protagonisten starr festgehalten. In
der Praxis werden Verbindungen zum weiblichen Geschlecht aufgenommen für die sexuelle
Befriedigung. Dies geschieht mit Desinteresse zur der eigentlichen Person und dient
ausschließlich der Erfahrung. Gefühle spielen sofern eine Rolle, wenn eine der Damen
bemitleidet oder verabscheut wird. Die innere Verknüpfung zweier Seelen erfolgt durch das
Musizieren. Die Musik bringt zwei Personen viel näher, wenn auch nur in Gedanken, aus der
Sicht von Michael. Die Wahrnehmung von Musik an sich ist für Michael etwas besonderes.
Seine Emotionen werden wie in einer Achterbahn hoch und runter getrieben. "Michael wusste
nicht, ob er weinen oder lachen oder jauchzen sollte, so mitreißend und artistisch war die
Musik und so animiert und fiebrig die Stimmung im übervollen Pub [...]." Was eine einzige
Melodie in ihm auslösen kann, macht diese Textstelle deutlich.
Alle pro und kontra Argumente, die ihn von seiner Liebe entweder fernhalten oder näher
bringen, werden in seinem Kopf durchgespielt. Für den Leser stellt sich die Frage, warum er
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das nicht in die Tat umsetzten möchte, warum er der Frau, die er so verehrt, seine Liebe nicht
gesteht oder kann er mit den Konsequenzen, die daraus entstehen nicht leben? Was den
Helden ausmacht, ist wie andere Figuren ihn sehen nämlich freundlich, diszipliniert und
allverstehend. In die Situation oder Gefühlswelt dritter setzt er sich gerne hinein und kann den
jetzigen Zustand dieser nachvollziehen bzw. für sich selbst begründen. Dadurch genießt er die
Sympathie sowohl von Freunden und Bekannten als auch von Fremden, weil er sich nach
ihnen und der gegebenen Situation richtet. Jedoch schwächelt er in seiner Person als
handelnde Figur insofern, dass er seine innere Unzufriedenheit als solche nicht sieht. Das
macht ihn nicht charakterstark, weil er sein Verhalten richtig einschätzt und die Objektivität
dabei weglässt. Obwohl er immer versucht objektiv zu sein und die Dinge aus beiden Seiten
zu betrachten. Vielleicht hat der Autor seine Romanfigur wohl bedacht mit dieser Schwäche
besetzt, um ihn doch nicht so vollkommen aussehen zu lassen. Seine eigene Erfahrung fließt
insofern mit hinein, dass er auf diese Weise seine eigene Scheidung, die einen Tiefpunkt für
die darauffolgende Lebensphase mit sich bringt, verarbeitet. Seine gescheiterte Ehe und damit
verbunden alles Negative nimmt er in den Geschichten seiner dargestellten Figuren im Roman
wieder auf und versucht Lösungsansätze für die Überwindung solcher Krisen zu finden. Nach
mehr als sechzehn Jahren hat er seine große Liebe wiedergefunden und geheiratet. Wie das
sich bei Michael entwickeln wird, ist höchst interessant.
Die Nachtigallen
Nach vielen Jahren sehen sich die alten Klassenkameraden und Bandmitglieder bei der
Beerdigung ihrer Lehrerin und Managerin wieder. Sie sind Mitte Vierzig und empfinden
wenig Begeisterung füreinander. Doch die Verbindung zur Musik ist geblieben. Ihre Songs
sind durchaus im Gedächtnis geblieben und in der Erinnerung tief verankert. Durch all das
Erlebte wird ihre damalige Freundschaft unter Probe gestellt. Was war und was ist sie noch
für sie wert?
Michael, Thomas, Bernd und Wagner haben mehr oder weiniger einiges im Leben erreicht
und scheinen zunächst zufrieden zu sein mit der gegenwärtigen Situation. Was tatsächlich
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folgt zu Besuch bei Michael in Venedig lässt viele Dinge anders darstellen und auch ihre
Beziehung zueinander und zum Leben klarer und deutlicher erfassen. Besonders die Liebe
spielt dabei eine wesentliche Rolle. Sie sind mehr oder weniger an ihr gescheitert. Hier
werden Männerseelen offengelegt bis zu einem gewissen Punkt.
Das Leben unterschiedlicher Männer, die von Natur aus grundverschieden sind, und nicht die
gleichen Ansichten zum Leben und zur Liebe teilen, rückt das Frauenbild seitens dieser
Figuren auf ein schlechteres Licht. Frauen sind schuld an ihren psychischen Verfassungen, an
ihren Enttäuschungen und Ängsten. Keiner der vier Figuren betont die Wichtigkeit der
Beziehung zu der Frau an sich. Sie sind nur zur
Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse da. Der Abstand zur Frau muss gehalten werden,
damit sie nicht zu lästig wird oder gar sich bei dem Mann schnorrt. Frauen belügen, betrügen
und nutzen ihre Männer nur aus. Die schlechtesten Eigenschaften werden dem
weiblichen Geschlecht zugeschrieben und für Frauen scheinen Männer nur ein Mittel zum
Zweck zu sein. Die Figur der Frau im Roman ist durch die männlichen Vertreter negativ
besetzt und das ist realitätsfern. Die Männer sind zu allem bereit und tun für ihre Frauen alles.
Das wird leider von ihren Partnerinnen nicht geschätzt. Auf diese Weise lassen sich viele
Ehepaare scheiden und in den Augen der Kinder sind die Väter die Bösen, weil ihre Mütter
ihnen das eingetrichtert haben. Gegenwärtige Berichte, Erfahrungen und Statistiken zeigen
ein komplett anderes Bild der Realität. Frauen sind diejenigen, die Gewalt, Demütigung und
Schande erleben aus religiösen, machtgierigen und krankhaften Gründen. Die
Verallgemeinerung der Beziehung von Mann und Frau ist nicht so einfach zu erfassen. Sie hat
viele Facetten und aus einer oder mehreren Geschichten kann sie nicht begründet werden. Der
Held, Michael, mischt sich in das Gespräch von Thomas und Wagner ein und versucht klare
Grenzen zu setzen, was Thomas erlebt hat und was tatsächlich der Wirklichkeit entspricht.
Seine Einmischung erfolgt durch eine direkte Rede. Er sagt: "Hört mal, es kommt immer
Unsinn dabei raus, wenn man zu viele Einzelwesen in einen Topf wirft [...]." Dennoch
hinterlässt das Gespräch von Thomas, Wagner und Michael seine Spuren insoweit, dass
Wagner trotz seiner ruhigen Art nervös wird und in Unruhe verfällt. "Aus Thomas' Geschichte
floss eine Art Gift in Wagners Adern, dessen Ausbreitung und Ätzen er körperlich zu spüren
glaubte [...]." Zuvor versucht Thomas mit felsenfester Überzeugung klarzumachen, dass alle
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Frauen nur nach einem Goldesel suchen und früher oder später den Ehemann loswerden
wollen. Der Immobilienmakler der sich Wohlstand leisten kann und durchaus in der Lage ist,
sich eine andere Partnerin zu suchen, beschäftigt sich lieber mit der Vergangenheit und
bemitleidet sich selbst. Das kann doch nicht sein Ernst sein? Die Gleichstellung der Frau wird
mitsamt in den Dreck gezogen, weil sie ausschließlich dazu dient Frauen um die Vierzig vom
Alter nicht entwerten zu lassen. Nach solch einer Aussage ist der Einwand von Michael mehr
als angebracht. Man darf und kann nicht alle Frauen über einen Kamm scheren. Das sollte von
Anfang an erkennbar sein und bis zum Schluss durchgehalten werden. Was nicht der Fall ist.
Außerdem ist es gut manchmal loszulassen und neu anzufangen. Jeder macht seine eigenen
Erfahrungen ob gut oder schlecht. Verallgemeinern darf man solche subjektiven Erlebnisse
aber nicht.
Thommie Bayer
Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Piper € 9,99
6
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