COPYRIGHT: COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darfEs ohne Genehmigung nicht verwertet Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. darf ohne Genehmigung nicht werden. Insbesondere es nicht ganz oder oder in Auszügen abgeschrieben oder verwertet werden.darf Insbesondere darf esteilweise nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Kultur benutzt darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio werden. Deutschlandradio Kultur - Literatur - 28.2.2006 Von Meistern, Türken und dummen Bauern Nürnberger Fastnachtsspiele - literarisch Regie Arch. Nr. 50-05592, Track 7 vielleicht wird noch ein zweites Stück darüber gelegt, der Lärm eines Lokals, in dem gefeiert wird. Da wir nur einen Zitator haben, der in unterschiedlichen Stücken auftritt, wäre es schön, wenn er jeweils einen anderen Hintergrund bekommen könnte. Zitator Gott grüß den Wirt zu aller Frist Und alles, das euch lieb ist, Wir wollen euch solches sagen, Dass ihr von uns seid wohl vertrage, Wenn man die hulzen (=hölzerne) Glocken läut. Regie Zitator unterbricht, die Atmo läuft leise weiter, darauf die Erklärung Sprecher Nürnberg im späten Mittelalter, die Sonne ist untergegangen. Viele Schänken sind gerammelt voll. An rohen Holztischen sitzen sie, es gibt schwere Speisen, Bier und Wein, die Luft ist schneidend dick vom Blaken der Lampen, es riecht nach ungewaschenen, verschwitzten Menschen. Da stürmt ein Haufen junger Männer 1 herein, drängt die Feiernden auseinander, ein Herold baut sich auf und übertönt alle anderen. Zitator Und ob wir tun als Narren heut, So nehmt unsern Schimpf für gut Da man jeder Zeit ihr Recht tut. Regie Atmo Ende Sprecher Und diese besondere Zeit verlangt ihr besonderes Recht – Fastnacht in Nürnberg, die Narren sind los! Nürnberg ist im 15. und 16. Jahrhundert eine der reichsten Städte in Deutschland und das Zentrum europaweit anerkannter Waffenschmiedekunst und weltweiten Handels. Hier hat sich eine Tradition herausgebildet, in der zu Fastnacht Narrenrotten durch die Stadt ziehen, in die Gasthäuser einfallen und auf einer improvisierten Bühne ihre kurzen Stücke aufführen. Sprecherin Eines heißt beispielsweise „Aliud von der buhlschaft“ – auf Neuhochdeutsch etwa „Allerlei von der Liebe“ - und es gibt den Spielern Gelegenheit, einer nach dem anderen einem angetrunkenen, zotensüchtigen Publikum darzulegen, wie man sich in den Diensten der Göttin Venus - blamiert hat. 2 Sprecher Für unsere Zwecke haben wir die Sprache des späten Mittelalters gelegentlich modernisiert – da lahmt zwar der Versfuß, aber man versteht wenigstens, worum es geht. Sprecherin Es tritt auf ein „alter Bauer“ Regie Tanzmusik unterlegen Arch. Nr. 50-05592, Track 1 Zitator Fürwahr, das wollt ich gar gern, Dass meine Söhne auch Leut sollten werd’n Und dass sie nach mir doch gerieten; Ich hab mich auch gar heftig plagen müssen, Eh ich sie allesamt gemacht Darum hat auch mein Bett so oft gekracht. Meine Frau wollte mir das nicht verwehren, Wie viel ich auch gemacht hab, das litt sie gern Man möchte’ mich wohl einen Stier nennen, Dass ich so viele Narren gemacht hab Und ich unter ihnen so viele Bastard’ hab’ Davon ist nicht viel die Red’. Regie Musik läuft aus 3 Sprecherin Der arme Kerl – nicht allein, dass er unter Mühen und Plagen nur Narren gezeugt hat, offenbar war seine Frau noch aktiver als er selbst und hat ihm ein paar Kuckuckskinder untergeschoben. Zutiefst mittelalterliches Verhalten ! Sprecher Und das ist schon das ganze Programm: Jeder erzählt, wie er sich bei dem, was gemeinhin zur Fastnacht der angenehmste Zeitvertreib ist, zum Idioten gemacht hat. Der Aufbau eines solchen Spiels ist dementsprechend simpel – einer nach dem anderen tritt vor, sagt sein Verslein auf und tritt wieder zurück. Dem einen werden uneheliche Kinder untergeschoben, der andere setzt lauter Lustmolche in die Welt, mit denen in der mittelalterlichen Erwerbsgesellschaft nicht viel anzufangen ist, ein dritter beklagt, dass er sich jede Nacht bei seiner unersättlichen Geliebten halb zu Tode schafft ... Sprecherin „ ich muss ein lange Nacht of dreschen“ – heißt es ... Sprecher ... um dann noch mit Schimpf und Schande davon gejagt zu werden. Manch einer kommt gar nicht erst in die Nähe seiner Träume. Regie Arch. Nr. 50-05592, Track 11 Sprecherin Der erste Narr deklamiert: 4 Zitator Nu hört mir zu, ich will erzählen, Was mir durch Buhlschaft ist geschehen. Des Heinz Webers Tochter buhlt ich schon Ob sie mir meinen Esel wollte reintun Und die Klötze vor die Tür hängen An einer langen Wasserstangen Sie hat sich das gar schier bedacht Und hieß mich kommen in der Nacht Sie wollt mir hinten lassen offen Also kam ich dar getroffen Ich wollt da zu der Tür eingehen, da tat sie mich so lustvoll waschen Mit einer alten Putzlaugen Die ich noch spür in meinen Augen Regie Musik Ende Sprecherin Die grobe Sprache deutet an, dass diese Art Fastnachtspiel nicht eben ein Produkt der Hochkultur ist. Wahrscheinlich lassen sich diese Darbietungen auch freudiger genießen, wenn man nicht mehr richtig nüchtern ist. Es ist eben Fastnacht. Sprecher Feste Bestandteile dieses Fastnachtspiels sind einige wenige Kostüme oder Requisiten, ein Ausrufer, der die Show ansagt und nach ihrem Ende eine Überleitung schafft, die die Zuschauer wieder zu ihrer vorherigen Lustbarkeit zurückschickt – trinken, 5 tanzen, singen, lachen. Ein letzter Hinweis sagt noch, wohin die Truppe nun ziehen werde und dass sie keinerlei Absicht habe, für die verzehrten Getränke womöglich Geld zu bezahlen. Regie Musik Arch.-Nr. 50 – 08 49 3, Track 8 Intrade, freistehend zur Trennung Sprecherin Die Darsteller der Spiele waren Handwerksgesellen. Sie unterlagen in Nürnberg und eigentlich auch allen anderen deutschen Städte strengen Verordnungen. Um die Gewerke in ihren Mauern vor Konkurrenz zu schützen, hatte der Rat, der von den Patriziern, den reichen Handelsherren, getragen wurde, die Zahl der Meisterstellen in den Bäckereien, Küfereien, Schwertfegereien usw., begrenzt. Ebenso war die Zahl der Gesellen, die ein Meister haben durfte, festgelegt. Für die Gesellen waren diese Beschränkungen oft frustrierend, denn der Geselle konnte sich nicht als Meister selbständig machen, wenn der Rat keine Meisterstelle freigab. Dann blieb nur die Hoffnung auf den frühen Tod eines Meisters und die Heirat mit dessen Witwe. Sprecher Unter diesen Umständen war es für die Gesellen nicht leicht, ein zufriedenstellendes Testosteron-Management zu unterhalten. Einigen Literaturwissenschaftlern gilt dies als Grund für die oft zotigen Texte der frühen Fastnachtspiele. Zwar durften im Rahmen der allgemeinen Maßregelung die Gesellen auch ihre 6 Fastnachtsläufe nur unter der Aufsicht eines Meisters abhalten, aber sie versuchten natürlich, die Grenzen der saisonalen Zügellosigkeit auszutesten. Regie Ab dem Zeichen (Musik!) kommt die Musik + Atmo vom Anfang wieder hoch. Sprecherin Das Leben des mittelalterlichen Menschen war strengen Normen unterworfen. Zu den religiösen Geboten, die in einem Klima rigoroser Frömmigkeit sorgfältig eingehalten wurden, kamen die sozialen Vorschriften. Die Stände auf der gesellschaftlichen Hühnerleiter waren penibel geordnet – (Musik!) da war genau vorgegeben, wie viel Schmuck und Luxus ein Patrizier, ein Mitglieds des Rates oder ein Zunftmeister auf seine Kleidung applizieren durfte. Alles im Leben hatte seine feste Ordnung, in der es keine Freiräume gab. Regie Musik kraftvoll, dann weiter unterlegen Sprecher Da war es nur natürlich, dass zur Fastnacht die Barrieren fielen – soweit es erlaubt war und gelegentlich darüber hinaus. (Musik laut für einen Moment, dann leiser) Allerdings waren auch die wilden Momente der Fastnacht Vorschriften unterworfen. Alle Festlichkeiten mussten genehmigt werden. Es war verboten, Waffen zu tragen außer für den Schwertertanz der Messerer. Masken waren ebenfalls verboten, außer für den Schembartlauf der Fleischer, eine Art Maskentanz. Und die 7 Fastnachtnachtsspiele der Gesellen hatte man dem Rat vorzulegen. Ob nachher in der Kneipe der Text nicht doch ein wenig anders ausfiel als auf dem Rathaus – das bleibt der Forschung unerreichbar. Ein Gauch ist ein Narr, und der tritt jetzt auf: Regie Musik frei und runter. Zitator Nun horet mein hubsche Buhlschaft auch, Wie ich bin gewesen ein Gauch (Narr) Ich buhlet um ein Maidlein Sie hett ein altes Mutterlein Das Maidlein tät bestellen mir, und das ich heimlich kam zu ihr Do ich mich in ihr Bett do leit, Ich meint, es leg bei mir die Maid Do lag bei mir das alte Weib Die war so lind an ihrem Leib, Recht wie die Birkenrinden sind Von dannen so floh ich geschwind. Regie Musik laut und weg. Sprecher Die Ursprünge des Fastnachtspiels sind nicht exakt zu klären. Wahrscheinlich standen die mittelalterlichen Bauernspiele Pate, die auf Messen und Jahrmärkten aufgeführt wurden, um die 8 religiöse Bildung zu verstärken. Statt einer Predigt über Sünden und Sündenstrafen wurden plastische, volkstümliche Sketche aufgeführt, die prall und saftig die Sünde zeigten und die grauenvollen Strafen danach. Man kann davon ausgehen, dass auf einem Jahrmarkt die farbige Sünde irgendwie attraktiver erschien als das blasse Wohlverhalten. Sprecherin Eine andere Quelle könnten die szenischen Darstellungen von weltlicher Dichtung sein. Es ist wahrscheinlich, dass die beiden Formen einander beeinflussten. Die Thematik und Figuren dieser Spiele waren – wohl nach dem Geschmack der Zuhörer – standardisiert. Es gab Spiele um die Liebe, in denen sich die einen als Versager outeten und die anderen sich als gefoppte Liebhaber bekennen mussten. Weitere Spiele handelten von sitzen gebliebenen Jungfrauen und Freiern, die übel hereingelegt wurden. Sprecher Gerichtsspiele waren auf den Brettern der Fastnachtsschenken so beliebt wie im heutigen Nachmittagsprogramm der Privatsender. Auch unsere Ärzteserien hatten ihre mittelalterlichen Vorläufer, nur ging es hier meist darum, die Quacksalber zu entlarven, statt sie anzuhimmeln. Gelehrte waren ebenso unglückliche „Helden“ der Spiele wie Schwiegermütter und Kleriker. Vorzugsweise waren Bauern, einfältig, dumm, weltunerfahren, die Opfer des Spotts. 9 Sprecherin Im Laufe der Jahre hatte sich daraus ein fester literarischer Typus entwickelt. Der Bauer war also nicht mehr der Bauer, den man vom Wochenmarkt kannte, sondern eine Kunstfigur mit Anleihen aus dem wahren Leben. Sprecher Gerade in den Reihenspielen der frühen Jahre werden die sexuellen Begriffe und Bilder der bäuerlichen Lebenswelt entnommen – da geht es um den Dreschflegel und die Futterwanne, um die Scheune und die Hacke, da wird das Wieslein gemäht, oder das Thema ist einfach das Dreschen an sich. Gelegentlich kommen auch Bilder aus anderen Soziotopen zum Zuge. Wenn zum Beispiel der ebenfalls zum Typus erstarrte Ritter auftritt, gewinnen Schwert und Speer übertragene Bedeutung. Regie Musik zur Unterbrechung , Arch. Nr. 50-05592, Track 17 Sprecher Gewöhnlich waren die Fastnachtspiele der Frühzeit eine spontane und kurzlebige Sache, so wie es auch heute noch bei den Karnevalssketchen und Vorträgen der Fall ist. Die Gesellen setzten sich zusammen, dachten sich ihre Nummern aus, legten die Reihenfolge fest und zogen los. Die Autoren blieben meist anonym, die Mehrzahl der Stück dürfte im Dunst der Jahrhunderte verloren gegangen sein. Aber allmählich entwickelte sich die Form – die Stücke wurden länger und verließen die Ebene der groben 10 Späße. In „Des Türken Fastnachtsspiel“ zum Beispiel werden aktuelle Missstände aufgegriffen. Regie Musik Arch. Nr. 50-05592, Track 20 Zitator Nun schweigt und hört die fremde Mär! Der große Türk ist kummen her, Der Griechenland gewonnen hat, Der ist hier mit weißem Rat Von Orient, da die Sonn aufgeht Daselbst es wohl und friedlich steht; Regie Musik runterblenden, leise weiter Sprecher Die Türkei, das war in jenen Jahren das Osmanische Reich. 1453 war Konstantinopel erobert worden, die Hauptstadt des oströmischen christlichen Reiches. Im südlichen Mittelmeerraum bis tief in den Vorderen Orient hinein war die Türkei Hegemonialmacht, Serbien und Bosnien waren osmanische Provinzen. Das Osmanische Reich war eine Macht, gegen die es keinen Widerstand zu geben schien. Wenn also in Nürnberg ein Vertreter des großen Türken auftritt, dann ist das so, als würde heute der amerikanische Botschafter im deutschen Fernsehen den Bürgern erklären, wo die Welt am schönsten sei. Regie Musik laut, dann wieder Zitator unterlegen 11 Ev. falls die obige Musik nicht gereicht hat, dann: Arch. Nr. 50-05592, Track 27 Zitator Sein Land heißt die große Türkei Darin, da sitzt man zinsfrei Dem sind viele große Klagen gekommen Von bösen Christen und von den frommen Es klagt der Bauer und der Kaufmann. Die mögen keinen Frieden haben Bei Nacht, bei Tag, auf Wasser, auf Land, Das ist dem Adel eine große Schand Regie Musik leise Sprecherin Die Sicherheit auf den Straßen war für eine internationale Metropole wie Nürnberg – und auch für die warenproduzierenden Zünfte – lebenswichtig. Die Stadt war groß und reich geworden durch ihre Handelsverbindungen quer durch Europa und darüber hinaus. Der Rat der Stadt hatte ein Netz von Agenten gewoben, war bestens informiert und konnte so auf Kundenwünsche schnell und flexibel reagieren. Entscheidend für das ökonomische Profil der Stadt waren der freie Handel und die Sicherheit auf den Transportwegen. Sprecher Für die Straßen waren die jeweiligen Landesherren zuständig. Aber die schlugen sich mit den Strauchdieben nur dann, wenn es ihnen persönlich Gewinn brachte. So war es üblich, dass ein 12 Fernhandelszug bei der Durchreise erst einmal eine Eskorte des Landesherren mieten musste, um sich zwangsweise schützen zu lassen. Dann musste für jede Brückenbenutzung gezahlt werden, weshalb man die Reisegesellschaft möglichst häufig über die Flüsse schickte. War der Landesherr immer noch knapp bei Kasse, ließ er sogar die Schiffe Brückenzoll bezahlen, obwohl die von einer Brücke keinen Nutzen hatten. In einem zentralistisch geführten Staat wie dem Osmanischen Reich schien diese Plage von den Handelsleuten genommen zu sein – behauptet jedenfalls die Fastnachtsrotte. Regie Musik Arch. Nr. 50-05592, Track 9 Trommel (Pausen herausschneiden) Zitator laut, dann unter Zitator Das ist dem Adel eine große Schand Dass sie ein solches nicht können wenden; Man sollte die Straßenräuber pfänden Und an die Bäum mit Stricken binden, So ließen sie auf der Straß ihr Schinden. Man finge ein wildes Tier im Wald, Man fing einen Räuber alsbald Wann man ernstlich nach ihm stellt; Die Sach dem Türken nicht gefällt. Regie Musik Ende 13 Sprecher Die Ritterschaft war kaum die Lösung für dieses Problem, im Gegenteil, als Raubritter waren die hohen Herrschaften oft das Problem selbst. So gesehen, war dieses Fastnachtspiel ein direkter Angriff. Der Ritter, der nun auftritt, ist entsprechend flügellahm in seiner Erwiderung. Wohlweislich sagt er nichts dazu, dass gerade von ihm und seinem Versagen die Rede ist. Er versucht anzulenken und rüpelt mit der üblichen Allerweltspropaganda – dass der Türke die Deutschen täuschen wolle, dass er ein Feind der Priester und überhaupt aller frommen Christen sei und sein Gott ein Bruder des Teufels. Sprecherin In seiner Gegenrede – es geht hier zu wie auf dem Gericht – zählt der „Große Türke“ auf, was ihm in Deutschland nicht gefällt: der Reiche belügt den Armen, der Weise betrügt den Narren, der Satte gibt dem Hungernden nicht zu essen, Gelehrte und Bibelkundige geben den Laien schlechte Vorbilder, es herrschen Wucher, Hoffart, Ehebruch, Meineid, Bestechung und Ämterkauf. Damit wäre Schluss, sollten sich die Deutschen dem „Türkengott“ unterwerfen. Sprecher Diese Grundsatzkritik, in der Deutschland als ein Pfuhl von Todsünden und ihren lässlichen Schwestern erscheint, verlangt nach einer angemessenen Antwort. Das übernimmt ein Bote des Papstes. Aber da weiß jeder, dass der Papst nicht die Macht hat, deutsche Missstände zu beheben – außerdem ist eben Fastnacht. Und man erinnert sich: Das Wichtigste an diesem Spiel ist die 14 Komik, respektive das grobe Wort, und das kommt jetzt vom Papst: Regie Musik, Trommel wie oben Zitator Ich bin ein Bote vom Papst gesandt Von Rom in dieses deutsche Land Dass ich dir, großer Türk soll sagen, dass alle frommen Christen über dich klagen Du wolltst die römischen Kirchen zerbrechen Das will unser heiliger Vater an dir rächen An dir und deiner Person Und will dich tun in seinen höchsten Bann Und will dir eine solche Strafe zumessen Dass du fürbaß eitel Eselsscheiße mußt fressen Und Eier, die die Bauern haben gelegt Die man mit Schaufeln auf den Mist trägt Und aus einem Brunnen trinken, der auf vier Beinen steht Der unter einem Kuhschwanz hervorgeht Doch solltest meine Rede nicht glauben gar, In diesem Brief wirst es werden gewahr. Regie Musik auslaufen lassen. Sprecher In diesem Sinne geht das Spiel voran. Alle wichtigen Hoheiten bekommen wegen Pflichtvernachlässigung ihr Fett ab, die 15 Vorwürfe des Türken werden nicht widerlegt, sondern eher bestätigt, aber – und das ist der Trick dabei: Niemand kann für seine Unverschämtheiten zur Rechenschaft gezogen werden. Es ist ja der Türke, der diese Angriffe führt, kein Geselle, kein Meister oder sonstiger Bewohner der Stadt Nürnberg, sondern ein dahergereister Türke. Sprecherin Damit der aber nicht am Ende schutzlos und vogelfrei nach Hause ziehen muss, treten zum Schluss des Spiels Vertreter des Rates der Stadt auf und drohen jedem, der das freie Geleit, das der Nürnberger Rat dem Türken garantiert, verletzt, scharfe Verfolgung an. Hier pocht die Stadt selbstbewusst auf ihre Rechte und auf die politische und ökonomische Macht, die sie hat, um diese Rechte durchzusetzen. Die Fastnachtspiele waren dem Rat zur Genehmigung vorgelegt worden. Die Stadtoberen wussten sehr wohl, was hier gespielt wurde, sie hatten es genehmigt aber nicht veranlasst. Im heutigen politischen Sprachgebrauch würde man eine solche Äußerung als ein non-paper bezeichnen: Das Papier liegt auf dem Tisch, man weiß, was es aussagt, aber niemand hat es geschrieben. Sprecher Wie üblich verabschiedet ein Herold die Truppe, die jetzt zum nächsten Lokal weiterzieht – bezeichnenderweise an einen Ort namens Trippotill. Das ist eine fiktiver Ortsangabe, die sich von dem Wort Trülle = Dirne herleitet. 16 Zitator Herr Wirt, nun gebt uns euren Segen! Hört ihr jemand, der nach uns wollt fragen, Den weist zu uns gen Trippotill. Da sitzt ein Wirt, der heißt der Füll Da wöllen wir fechten auf den Knien Der Wirt hat uns seine Maid geliehen. Regie Musik, Overtüre der Meistersinger, länger Sprecherin „Des Türken Fastnachtspiel“ unterscheidet sich stark von den üblichen Reihenspielen, in denen ein Nummernclown nach dem anderen aufgetreten war. In diesem Stück aus der Gattung der sogenannten „Handlungsspiele“ treten mehrere Darsteller auf, die sich aufeinander beziehen und durch ihre Dialoge regelrecht eine Handlung erzeugen. Solche Stücke werden nicht nebenher in einer lockeren Runde zusammengeklöppelt. Sie erfordern einen Autor, der sich mit Talent, Ehrgeiz und schriftstellerischem Selbstverständnis an die Arbeit macht. Mehrere solcher Fastnachtspielautoren sind bekannt geworden. „Des Türken Fastnachtspiel“ dürfte aus der Feder von Hans Rosenplüt stammen. Sprecherin Rosenplüt verbrachte den größten Teil seines Lebens in Nürnberg. Von ihm kennt man 25 Fastnachtspiele und weitere Texte, vor allem geistliche Dichtung. Belegt ist seine Existenz durch den Antrag um Aufnahme in die Bürgerschaft aus dem Jahr 17 1426. Hans Rosenplüt war Waffenschmied und so erfolgreich und angesehen, dass man ihn 1444 zum städtischen Büchsenmeister ernannte, also zum Chef der Artillerie. Fünf Jahre später muss er in dieser Eigenschaft in den Krieg ziehen. Dem Geschmack seiner Zeit entsprechend trug Rosenplüt einen Beinamen: „Der Schneperer“ nannte er sich, was irgendwas bedeutet zwischen „zungengewandt“ und „Schwätzer“. Sprecherin Die Verfasser von Fastnachtspielen waren also nicht ausschließlich pubertierende Gesellen, sondern gehörten durchaus auch zum gehobenen Establishment von Nürnberg. Andere Autoren sind der Barbier und Wundarzt Hans Folz und der Schuhmachermeister Hans Sachs, jener Hans Sachs, den Wagner in seinen Meistersingern zum Helden einer vielstündigen Oper macht. Regie Arie Hans Sachs, „Verachtet mir die deutschen Meister nicht“ Sprecher Der Meistersang war gewissermaßen die Hochkultur, verglichen mit den volksnahen, saisonal begrenzten Belustigungen der Fastnachtspiele. Die Meistersinger schlossen sich in so genannten Bruderschaften zusammen, in denen nach strengen Regeln der Meistersang gepflegt wurde. Die Meisterlieder umfassen stets eine ungerade Zahl an Strophen, meistens drei. Die Autoren waren gehalten, nach vorgegebenen musikalischen Mustern eigene Werke zu verfassen. Hans Sachs beispielsweise dichtete mehr als 18 4000 Meisterlieder nach nur 275 Weisen, von denen er lediglich 13 selbst geschaffen hatte. Der Meistersang war also wesentlich ein literarisches Ereignis. Die Gesänge wurden dann einem Gremium vorgetragen, den sogenannten Merkern, die beurteilen mussten, ob der Text inhaltlich in Ordnung war, d.h. für die Mehrzahl der Stücke, dass sie die Ideen und das Weltbild der Reformation propagierten. Sein folgendes Lied über die „Zwölf Scheißdrecke“ dürfte wohl kaum vor den Meisterkollegen gesungen worden sein. Regie Unter der Sprecherin kommt hoch : Die zwelff dreck, Arch. Nr. 5005592, Track 10 Sprecherin Während des Vortrages saßen die Merker in einer Kabine, die mit schwarzem Tuch verhängt war. Der Text wurde begutachtet, dann der musikalische Vortrag, wobei es darum ging, die Weisen einzuhalten und schlichtweg die Töne zu treffen. Fehler wurden notiert, am Ende der Sieger des Wettbewerbs ausgerufen. Der Glückliche erhielt einen Preis, meist einen Wanderpokal, und gelegentlich etwas Geld. Sprecher Anschließend ging man in ein Gasthaus, und es begann der gemütliche Teil des Abends – Chorgesang mit Alkohol. Schuhmachermeister Hans Sachs konnte es sich durch seine geschäftlichen Erfolge leisten, seinen Brotberuf an den Nagel zu hängen und sich ganz der Autorschaft zu widmen. Er war mit 19 seinen mehreren tausend Meisterliedern ein hochproduktiver Schriftsteller, der sich aber durchaus auch in den Niederungen der Fastnachtspiele vergnügte. In seinem Stück „Eulenspiegel mit dem blauen Hosentuch und dem Bauern“ folgt er dem alten Konzept, mit einem unterhaltsam-groben Stück moralische Werte unters Volk zu bringen. Sprecherin Statt des früher üblichen Herolds, der in eine Fastnachtsgesellschaft einbrach und seine Truppe ankündigte, führt sich Eulenspiegel als Figur selber ein – offensichtlich hatte das Publikum bereits seine Aufmerksamkeit dem Darsteller zugewandt. Eulenspiegel spricht: Zitator Mein' Hantierung ist das Lügen, Die Leute bescheißen und betrügen. Mein Handel ist schier jedem kund, Muss aus einem unverschalkten Grund Mich wenden an die Einfaltbauern, Weil sie verschalkt sind in den Mauern Und kennen mich zum großen Teil; Will bei den Bauern versuchen mein Heil. Was steh ich lang? Ich will hinein Und nachgehen dem Handel mein. Sprecherin Eulenspiegel ist also, anders als wir ihn kennen, kein listiger aber menschenfreundlicher Schalk, sondern ein gemeiner Betrüger. 20 Der nächste im Dreigespann ist ein Schottenpfaff, ein Täuscher, der mit etwas Küchenlatein als Priester auftritt: Zitator Also im Land ich umherreis', Die Bauern ich laich und bescheiß, Häng denen an' Hals ein' Wundersegen In einem Federkiel allwegen, Drin steht geschrieben mit Taubenblut: »Weit hinten ist’s beim Schießen gut!« Der Bäurin geb ich für's Zahnweh Ein' Zettel, drin geschrieben steh: »Der Teufel dir ein Zahn ausreiß Und dir dann in die Lücken scheiß.« Also nährt ich mich meine Tag Mit Bauern bescheißen wo ich mag, Betteln und stehlen ein wenig dazu Das ist mein Handel spat und fruh. Sprecher Der dritte im Bunde versucht gar nicht erst, sich hinter einer Maske zu verstecken. Er heißt offen Klaus Würfel, was auf seine Lieblingsbeschäftigung hindeutet, und auch er ist spezialisiert darauf, Bauern auszunehmen – der Bauer war immer der Dumme: Zitator Obwohl ich jung bin, faul und stark. Ich will gen Uelzen auf den Markt Und will mich wohl darauf umschauen. 21 Den Bäuerinnen die Taschen abhauen, Die ihnen stumpf am Gürtel hangen, Dergleichen unterm Busen prangen. Sprecherin Unter der Führung des Eulenspiegel verabreden die drei, einen Bauern zu betrügen. Die Handlung ist vergleichsweise kompliziert. Der namenlose Bauer hat seine Frau dabei erwischt, wie sie ihn bestohlen hat. Daraufhin hat er seine Frau bestohlen, zieht nun mit der Beute ausgerechnet nach Uelzen auf den Markt, um sich dort grünen Stoff für eine neue Hose zu kaufen. Damit will er auf dem nächsten Kirchweihfest einen unwiderstehlichen Eindruck machen. Sprecher Die drei Schufte nun wollen dem Bauern einreden, sein Stoff sei in Wirklichkeit statt leuchtend Grün nur ordentlich Blau und dann dem Enttäuschten das Tuch unter Wert abkaufen. Sie tun, als träfen sie einander zufällig und kämen in aller Ehrlichkeit zum selben Ergebnis. Der Schottenpfaff: Sprecher Wenn ich die Wahrheit sagen soll, Bei meinem priesterlichen Amt, Euch zu Gut und Nutz beidensamt, Daran mir nichts geht zu noch ab, So ist das Hostuch himmelblau. Regie Musik ArchNr. 50-08493 , Track 15 22 Sprecher Der enttäuschte Bauer verkauft sein Tuch. Aber als vor seinen Augen die drei Betrüger um die Beute streiten und ihm auch noch Prügel androhen, erkennt er die Wahrheit mehrerer Sprichwörter, an die er sich besser gehalten hätte: Zitator Doch tut ein altes Sprichwort gehen, Daß alles, was unrecht ist gesponnen, Das kommt zu seiner Zeit an die Sonnen. Dergleich ein Sprichwort sagen tut: Kein Glück sei bei unrechtem Gut. Daher kommt mir auch der Unfall: Mein Weib mir die neun Pfund abstahl, Der stahl ich’s darnach wiederum Und kaufte mir das Hostuch drum, Um das ich jetzt betrogen bin. Wie es herkam, so geht es hin, Denn es war doppelt gestohlen Gut. Des hat nun ein End mein Hochmut. Muß nun in geflickten Hosen tanzen. Auf unserer Kirchweih umherschwanzen. Mich schmiegen wie ein nasser Dachs. Des wünscht ein gut Neujahr Hans Sachs! Regie Musik Ende 23