Was ist Wahrheit

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VL: Einführung in die Erkenntnistheorie, Grundmann
WS 02/03
6. November 02
Was ist Rechtfertigung? (I)
§1
DIE BEDEUTUNG DER RECHTFERTIGUNG
Die epistemische Rechtfertigung ist nicht nur eine neben anderen Komponenten des
Wissens (wenn sie es ist), sondern sie hat für uns als epistemische Subjekte ein Primat.
A1
die epistemische Rechtfertigung ist unser (einziges) Mittel, um wahre
Überzeugungen zu erzielen. Wir müssen dieses Mittel verwenden, um nach
Wahrheit zu streben. (Und wenn alles gut geht, dann erzielen wir damit auch
Wahrheit und Wissen.) uns ist die Wahrheit nicht einfach unmittelbar gegeben,
sondern wir brauchen Mittel, um sie zu erreichen (wenn wir nicht einfach raten
wollen und im Dunkeln tappen wollen)
„Why should we, as cognitive beings, care whether our beliefs are
epistemically justified? (…) What makes us cognitive beings at all is our
capacity for belief, and the goal of our distinctively cognitive endeavors is
truth: we want our beliefs to correctly and accurately depict the world. If truth
were somehow immediately and unproblematically accessible (as it is, on some
accounts, for God) so that one could in all cases opt simply to believe the truth,
then the concept of justification would be of little significance and would play
no independent role in cognition. (…) The basic role of justification is that of a
means to truth (…).” (BonJour 1985, S. 7)
A2
Rechtfertigung gibt einer Überzeugung einen epistemischen Wert, auch wenn
die Überzeugung falsch ist.
§2
EIGENSCHAFTEN DER EPISTEMISCHEN RECHTFERTIGUNG (ADÄQUATHEITSBEDINGUNGEN
DURCH BEGRIFFSANALYSE)
(i)
epistemische Rechtfertigung ist zeit- und personenrelativ (im Ggs. zu
Wahrheit)
A
(für Zeitrelativität): jede vorläufige (anfechtbare) Rechtfertigung kann
durch Erwerb zusätzlicher Informationen zu einem späteren Zeitpunkt
aufgehoben werden
A
(für Personenrelativität): zwei Personen können dieselbe Proposition
(etwa: „Die Schlacht von Hastings fand 1066 statt.“) glauben und einer
kann gerechtfertigt sein (der Historiker), der andere nicht (Schüler der
5. Klasse, der das irgendwo aufgeschnappt hat).
1
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->
Primäre Träger der Rechtfertigung sind kognitive Zustände
(Überzeugungen) einer Person, nicht der propositionale Gehalt!
E
Gibt es nicht auch unpersönliche (abstrakte) Rechtfertigung von
Theorien (relativ zum Stand der Wissenschaften)? (Popper)
R
Unpersönliche Rechtfertigung kann nur inferentiell sein (betrifft die
Gerechtfertigtheit
von
Theorien
relativ
zu
den
vorliegenden
empirischen Belegen); aber inferentielle Rechtfertigung ist immer nur
konditional (setzt also eine andere Art von Rechtfertigung voraus).
Umgekehrt läßt sich unpersönliche Rechtfertigung auf personale
Rechtfertigung zurückführen:
Die Proposition q ist impersonal durch die Proposition p gerechtfertigt gdw jedes
Subjekt S, das eine Meinung mit dem Gehalt q auf personal gerechtfertigte Belege mit
dem Gehalt p inferentiell stützt, in der Meinung, dass p, (prima facie) personal
gerechtfertigt ist.
(ii)
epistemische Rechtfertigung ist ein normativer (evaluativer) Begriff
Eine Meinung ist epistemisch gerechtfertigt, wenn sie so ist, wie sie
epistemisch betrachtet sein soll, wenn sie die epistemischen Maßstäbe /
Normen erfüllt. Beinhaltet eine Bewertung. (Rationalität)
(iii)
epistemische Rechtfertigung unterscheidet sich von anderen Arten der
Rechtfertigung (moralisch, pragmatisch): es muss ein charakteristisches
Merkmal geben.
(iv)
epistemische Rechtfertigung ist anfechtbar: Unterscheidung unterminierende
und übertrumpfende Anfechtungsgründe (gegen die gerechtfertigte Meinung
und gegen die Rechtfertigung der Meinung)
(v)
epistemische Rechtfertigung ist graduell
Jemand kann für die Wahrheit seiner Meinung schwache Gründe haben,
er kann die Gründe durch zusätzliche Belege verstärken oder er kann
zwingende Gründe haben.
Wir sprechen daneben auch von Rechtfertigung oder fehlender
Rechtfertigung in einem absoluten (alles oder nichts) Sinn: dafür muss
es einen bestimmten Schwellenwert geben!
2
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§3
ELEMENTE DER EPISTEMISCHEN RECHTFERTIGUNG (ALSTON 1989)
Eine Person S ist zum Zeitpunkt t epistemisch gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw.
(i) S Gründe für seine Meinung, dass p, hat,
(ii) die Gründe, die S für seine Meinung hat, adäquat (gut) sind,
(iii) diese adäquaten Gründe S‘ Meinung, dass p, stützen.
(ad i) Es muss etwas geben, von dessen Eigenschaften die epistemische Bewertung
der Meinung p abhängt (= Grund). Dabei ist zunächst ganz offen, ob der Grund
eine objektive Tatsache in der Welt, eine psychologische Tatsache oder ein
kognitiver Zustand (Erfahrung, Meinung) ist.
(ad ii) Die Bewertung der Gründe kann (gemessen am Maßstab der Adäquatheit)
positiv oder negativ ausfallen.
(ad iii) Fallbeispiel kann zeigen, dass (iii) notwendig ist:
Der Kommissar hält die Mordverdächtige für unschuldig. Er hat dafür einen exzellenten (und
damit adäquaten) Grund. Es gibt nämlich entlastendes Beweismaterial. Die Verdächtige kann
den Mord nicht begangen haben, weil sie ein sicheres Alibi hat. Jemand bezeugt, dass sie zur
Tatzeit nicht am Tatort war. Und das wurde dem Kommissar gerade von seinem Assistenten
mitgeteilt. Dennoch ist ihm das eigentlich egal, denn er hätte die Verdächtige ohnehin für
unschuldig gehalten, weil er nicht glauben kann, dass eine so zerbrechlich wirkende Frau einen
Mord begehen kann.
=>
Intuitiv: Die Meinung des Kommissars ist nicht (epistemisch) gerechtfertigt,
obwohl er einen Grund hat, der adäquat ist. Also muss es noch eine dritte
Bedingung geben, die in diesem Fall nicht erfüllt ist: die Stützungsbeziehung!
Der Kommissar hat einen guten Grund für seine Überzeugung, aber es ist nicht
dieser gute Grund, sondern ein schlechter Grund (dass zerbrechlich wirkende
Frauen keinen Mord begehen können), der seine Meinung stützt.
§4
ANALYSE DER STÜTZUNGSBEZIEHUNG
int.:
Damit man gerechtfertigt ist, muss man die Meinung haben, weil man gute
Gründe für sie hat.
1.LV Nicht-Kausalisten: Man hat die Meinung, weil man gute Gründe hat gdw man
erfasst, dass man gute Gründe hat (also eine wahre Metameinung besitzt).
(FOLEY 1987, S. 174-208; LEHRER 1990, S. 168-172):
E1
Die Metameinung ist nicht notwendig für die Stützungsbeziehung.
A1
Kinder können gerechtfertigt sein, ohne über den Begriff „Grund“ zu
verfügen.
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A2
Erwachsene können solche Metameinungen zwar im Prinzip bilden, tun
es aber in der Regel nicht und sind dennoch gerechtfertigt (etwa durch
Wahrnehmung).
A3
E2
Können wir nicht auch durch vergessene Belege gerechtfertigt sein?
Die Metameinung ist nicht hinreichend für die Stützungsbeziehung.
Es kann sein, dass S gute Gründe für p hat und dass er diese Gründe kennt und
erfasst, dass sie gut sind. Und dennoch ist es denkbar, dass S nicht
gerechtfertigt ist in seiner Meinung p.
FALL
Michael ist Biologe. Er hat die jüngste Diskussion über die Erblichkeit von Intelligenz
verfolgt, wonach Intelligenz zu 70% durch Vererbung bestimmt sein soll. Er weiß
außerdem, dass er selbst hochintelligent ist. Bei einem Intelligenztest wurde ein IQ
von 140 festgestellt. Seine Frau ist sogar noch intelligenter als er. Er erkennt, dass
diese Tatsachen ein guter Grund für die Annahme sind, dass seine Kinder sehr
intelligent werden. Und er glaubt auch genau das. Der Nicht-Kausalist müsste also
sagen, dass die Meinung gerechtfertigt ist. Aber Michael glaubt, dass seine Kinder
sehr intelligent werden, weil er es sich unheimlich wünscht (auch wenn ihm das
vielleicht gar nicht bewusst ist). Das ist sein wirksamer Grund für seine Überzeugung.
Er würde dasselbe auch glauben, wenn die ihm bekannten Tatsachen dagegen
sprechen würden. Sein wirklicher Grund ist natürlich epistemisch inadäquat. Deshalb
halten wir seine Meinung nicht für gerechtfertigt.
2.LV Kausale Analyse: Man hat die Meinung, weil man gute Gründe hat gdw die
guten Gründe die Meinung (auf die richtige Weise) verursachen. (Goldman
1979; Alston 1989, Koppelberg 1999)
E1
Eine kausale Beziehung ist nicht notwendig.
Fall
Der Rassist Rasso hat, wie sein Name bereits andeutet, rassistisch motivierte
Vorurteile gegen Mitglieder einer bestimmten menschlichen Rasse. Das ist die
Entstehungsursache für seine Überzeugung, dass diese Rasse aus genetischen Gründen
von einer furchtbaren heimgesucht wird. Der Fall ist so konstruiert, dass Rassos
Überzeugung aufgrund seines Vorurteils maximal stark (also durch keine zusätzlichen
Kausalfaktoren mehr gesteigert werden kann) und irreversibel ist. Rassos Vorurteil ist
also nicht nur die Entstehungsursache, sondern auch die aktuale, erhaltende Ursache
für seine Überzeugung. In der Geschichte wird Rasso nun aufgrund seines Interesses
an der Krankheit zum Arzt, liest umfangreiche medizinische Studien über sie und
findet dabei überraschend heraus, dass alle wissenschaftlichen Belege zwingend
darauf hindeuten, dass seine Überzeugung wahr ist. Rasso erwirbt also nicht nur gute
Gründe für seine Meinung, sondern er erkennt auch, dass diese Gründe gut sind.
Dennoch behält er sein Vorurteil, und dieses Vorurteil ist die fortdauerende Ursache
für seine Überzeugung. (Lehrer 1990, S. 169f)
Nach Lehrer ist Rasso in seiner Überzeugung epistemisch gerechtfertigt.
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R1
Man kann Lehrer in seiner Bewertung zustimmen, ohne dass damit gezeigt
wäre, dass kausale Relationen irrelevant sind. Lehrer zeigt nämlich nur, dass
Rassos Vorurteile eine hinreichende Ursache für seine aktuale Überzeugung
sind. Er zeigt nicht, dass Rassos wissenschaftliche Erkenntnisse kausal
irrelevant sind! Rassos Überzeugung könnte nämlich kausal überdeterminiert
sein.
R2
Wenn Rassos wissenschaftliche Erkenntnisse im Fall tatsächlich kausal
irrelevant sind, dann können wir seine Meinung auch nicht als epistemisch
gerechtfertigt bewerten (contra Lehrer).
A
Ergänzung von Lehrers Szeanrio: Rasso erkennt, dass seine guten
Gründe nicht kausal verantwortlich sind für das, was er glaubt. Würde
er selbst sagen, dass seine Meinung gerechtfertigt ist? Nein! Er könnte
aber sagen, dass seine Meinung rechtfertigbar ist durch seine Gründe,
oder dass sie gerechtfertigt wäre, wenn sie auf seine guten Gründe
gestützt würde.
E2
Der
Rechtfertigungsstatus
einer
Meinung
hängt
nicht
von
ihrer
Entstehungsursache ab. Es ist möglich, dass jemand eine Meinung durch
unzureichende Gründe erworben hat und später bessere Gründe erwirbt. Dann
wäre er zum späteren Zeitpunkt in seiner Meinung gerechtfertigt.
R
Das ist kein Argument gegen die kausale Analyse als solche, sondern nur
gegen die These, dass die Entstehungsursachen bestimmen, was eine Meinung
stützt. Diese These ist falsch: Es sind nicht die historischen Ursachen für das
erstmalige Auftreten der Meinung, sondern die erhaltenden Ursachen.
E3
Zwischen Überzeugungen bestehen unterschiedliche Beziehungen. Es gibt
erstens die kausalen Beziehungen zwischen den Gehirnzuständen und zweitens
die logisch-inferentiellen Relationen zwischen den geglaubten Propositionen.
Die letztere ist epistemisch relevant, während die kausale Relation epistemisch
irrelevant ist. Beide haben nichts miteinander zu tun. Zwischen zwei
Zuständen, A und B (die sich von ihrem Gehalt her logisch implizieren),
könnte auch dann eine Kausalrelation (z. B. durch einen Kurzschluss)
bestehen, wenn sie sich nicht implizieren würden. „Gründe sind keine
Ursachen.“ Oder: „Die Aspekte, die epistemisch relevant
sind
an
Überzeugungszuständen, haben mit den Aspekten, die kausal relevant sind,
nichts zu tun.“ (BARTELBORTH 1997, BIERI 1987, S. 60f) Siehe schon Frege
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(2003), S. 36: „dann aber werden wir die Ableitung und Erklärung des
seelischen Vorgangs wahrscheinlich entbehren können, wenn es uns darauf
ankommt zu entscheiden, ob das Fürwahrhalten, in das es ausläuft,
gerechtfertigt ist.“ (radikaler Antipsychologismus!!)
R
Zugegeben:
(1)
Man kann die kausalen Beziehungen und die logischen Beziehungen
zwischen Überzeugungen unterscheiden. Kausalrelationen bestehen
zwischen Ereignissen. Logische Beziehungen bestehen zwischen den
Gehaltseigenschaften dieser Ereignisse.
(2)
Es kann Kausalrelationen zwischen mentalen Ereignissen geben, die
nichts mit dem Gehalt dieser Ereignisse zu tun haben.
Aber:
(3)
Kausale Relationen zwischen Einzelereignissen finden aufgrund von
Eigenschaften dieser Ereignisse statt.
Bsp.: Die Scheibe in der Kirche zerspringt aufgrund der Tonhöhe des
Gesangs der Sopranistin.
(4)
Wenn Zustand A den Zustand B kausal hervorruft und für diese
Kausalbeziehung die Gehaltseigenschaften der beiden Zustände
relevant sind, dann wäre die Kausalbeziehung nicht epistemisch
neutral!
§5
WANN SIND GRÜNDE ADÄQUAT?
Zwei Modelle: Pflichtenmodell (wenn das Subjekt seine epistemischen Pflichten
erfüllt hat) – instrumentelle Rationalität (wenn das Subjekt zielführende, geeignete
Mittel zum epistemischen Ziel der Wahrheit verwendet)
(A)
Das Pflichtenmodell (deontisches Modell, vom griech. deón – dem was
vorgeschrieben ist)
Eine Meinung ist gerechtfertigt, wenn das Erkenntnissubjekt bei der
Meinungsbildung seine epistemischen Pflichten erfüllt hat.
„Wenn es das glaubt, was es glauben soll.“, „Wenn es sich verantwortlich
verhalten hat“ „Wenn man ihm nichts vorwerfen kann“ „Wenn es sich nichts
zu Schulden kommen lassen hat“ Was soll ich glauben?
Bem. Was sind epistemische Pflichten?
- nichts ohne zureichende Gründe glauben
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- seine epistemischen Einstellungen (Zustimmung, Ablehnung, Enthaltung) an
die Gründe anpassen
- das Wahre glauben und das Falsche nicht glauben
- so viele Gründe wie möglich sammeln
- offen sein für neue Gründe
- die Gründe sorgfältig abwägen
- kritisch reflektieren
- korrekt schließen
A1
normative Begrifflichkeit der Rechtfertigung legt nahe, Rechtfertigung als
Pflichterfüllung aufzufassen (Beispiele): Kant – Rechtfertigungsfragen als quid
juris!
A2
historisch: Descartes, Locke (Zitate), Ethik des Glaubens (Chisholm, Clifford)
Descartes, 4. Med., AT VII 70:
„Wenn ich nun nicht klar und deutlich genug erfasse, was wahr ist, so ist klar,
dass ich recht daran tue und mich nicht täusche, wenn ich mich nur des Urteils
enthalte; dass ich aber von meiner Freiheit nicht den richtigen Gebrauch
mache, wenn ich irgend etwas behauptete oder leugnete. Wendete ich mich der
falschen Seite zu, so irrte ich mich völlig, wählte ich aber die andere, so träfe
ich zwar zufällig auf die Wahrheit, wäre aber dann nicht von Schuld frei, da ja
das natürliche Licht augenscheinlich macht, dass die Verstandeserkenntnis
stets der Willensbestimmung vorhergehen muss. Und in diesem unrichtigen
Gebrauche meiner Wahlfreiheit liegt der Mangel, welcher den Begriff des
Irrtums ausmacht.“
John Locke 1998, Bd. II, Buch IV, Kap. Xvii, 24, S. 391f:
„Wer glaubt, ohne einen vernünftigen Grund zum Glauben zu haben, mag in
seine Einbildungen verliebt sein. Aber er sucht weder die Wahrheit so, wie er
sollte, noch erweist er seinem Schöpfer den schuldigen Gehorsam; denn es ist
die Absicht des Schöpfers, dass der Mensch die Erkenntnisfähigkeit, die ihm
verliehen wurde, anwenden soll, um Täuschung und Irrtum zu vermeiden. Wer
das nicht nach besten Kräften tut, mag zwar bisweilen die Wahrheit treffen; er
hat aber nur zufällig recht. Und ich gebe zu bedenken, ob der günstige Zufall
für die Regelwidrigkeit seines Verfahrens als Entschuldigung dienen kann.
Soviel steht wenigstens fest, dass er für alle Irrtümer, in die er hineingerät,
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verantwortlich ist. Dagegen darf jemand, der das Licht und die Fähigkeiten, die
ihm Gott verliehen hat, ausnützt und aufrichtig bestrebt ist, mit den
Hilfsmitteln und Kräften, die er besitzt, die Wahrheit zu ermitteln, die
Befriedigung hegen, dass er seine Pflicht als vernunftbegabtes Wesen erfüllt,
so dass ihm, auch wenn er die Wahrheit verfehlen sollte, doch der Lohn dafür
nicht entgehen wird. Denn derjenige erteilt seine Zustimmung in der richtigen
Weise und erteilt sie so, wie er soll, der sich hinsichtlich des Glaubens und
Nichtglaubens in jedem Fall und in jeder Angelegenheit von der Vernunft
leiten lässt. Wer anders handelt, vergeht sich gegen die Erleuchtung, die er
selbst besitzt, und missbraucht Fähigkeiten, die ihm zu keinem andern Zweck
gegeben wurden als dazu, dass er die klarere Augenscheinlichkeit und die
größere Wahrscheinlichkeit aufsucht und sich davon leiten lässt.“
Prbl.
Gibt es eine Grundnorm? Oder stehen die Normen einfach nebeneinander?
Was passiert bei Kollision? Was macht diese Normen alle zu epistemischen
Normen?
E1
(1) Epistemische Pflichten bezüglich der Meinungsbildung gibt es nur, wenn
wir eine willentliche Kontrolle über die Meinungsbildung haben.
(2) Wir haben keine willentliche Kontrolle über die Meinungsbildung.
---------------------------------------------------------------------------------------(3) Es gibt keine epistemischen Pflichetn bezüglich der Meinungsbildung.
(AD 1) Sollen impliziert Können
(AD2) Voluntarismus (Descartes) ist falsch!
A1
Wahrnehmungsmeinungen stellen sich automatisch ein, wir
können sie nicht abwenden, selbst wenn wir wollen.
A2
Ich kann meinen Glauben (Vorurteile) nicht einfach ablegen,
selbst wenn ich gute Gründe gegen die Existenz Gottes habe.
A3
Wenn mir etwas vollkommen (psychologisch) einleuchtet, kann
ich die Konklusion nicht einfach ablehnen.
A4
Meinungsbildung wird häufig als Urteilsakt, als mentale
Handlung usw. bezeichnet. Das ist aber falsch. Handlungen
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beruhen immer auf Absichten und instrumentellen Meinungen.
Aber bei der Meinungsbildung sind solche Absichten nicht
erforderlich (und kommen auch nicht vor). Und wir würden
einen Regress der Überzeugungen bekommen.
E2
Alternative: Die Pflichten beziehen sich direkt auf die Meinungsbildung,
sondern auf Faktoren, die sie kausal beeinflussen: kritische Reflexion, Sorgfalt
beim Sammeln von Gründen usw.
(1)
Nicht hinreichend: jemand kann so kritisch und sorgfältig sein, wie er
will, wenn die Überzeugungen sich dennoch nicht ändern, dann
müssten wir abstruse Vorurteile als gerechtfertigt betrachten oder
grandiose Fehlschlüsse.
(2)
Nicht hinreichend: wenn es nur sehr spärliche Indizien gibt, dann mag
es epistemisch verantwortlich sein, wenn man etwas glaubt, aber die
Meinung ist nicht gerechtfertigt.
(3)
Leute mit geringen Reflexionsfähigkeiten kann man keinen Vorwurf
daraus machen, wenn sie Fehler nicht entdecken. Wenn sie ihr Bestes
getan haben, kann man ihnen keine Pflichtverletzung unterstellen. (also
auch hier impliziert sollen können)
(4)
Nicht notwendig: wenn jemand ohne viel Reflexion über einen guten
Grund stolpert und sich die entsprechende Meinung einstellt. Oder
wenn er spontan die richtige Schlussfolgerung zieht, ist die Meinung
gerechtfertigt.
Fazit: Sein Bestes tun, sich epistemisch nichts zu Schulden kommen lassen,
seine subjektiven Pflichten erfüllen ist weder notwendig noch
hinreichend für epistemische Rechtfertigung.
(B)
Das Modell instrumenteller Rationalität
Wenn man als das zentrale epistemische Ziel (telos) die Wahrheit bzw. die
Wahrheit und nur die Wahrheit betrachtet, dann können Gründe auch danach
bewertet werden, wie zuverlässig sie die Wahrheit indizieren.
„If epistemic justification were not conducive to truth (…), if finding
epistemically justified beliefs did not substantially increase the likelihood of
finding true ones, then epistemic justification would be irrelevant to our main
cognitive goal and of dubious worth. It is only if we have some reason for
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thinking that epistemic justification constitutes a path to truth that we as
cognitive beings have any motive for preferring epistemically justified beliefs
to epistemically unjustified ones. Epistemic justification is therefore in the final
analysis only an instrumental value, not an instrinsic one.” (BonJour 1985, S.8)
Eine Meinung wäre gerechtfertigt, wenn durch Methoden, Verfahren oder
Prozesse gestützt ist, die die Wahrheit der resultierenden Meinung
wahrscheinlich machen.
Epistemische Verantwortlichkeit kann (aber muss nicht!!) ein zuverlässiges
Mittel zur Erreichung der Wahrheit sein.
(1)
Personen- und Zeitrelativität der epistemischen Rechtfertigung kann
erklärt werden, weil sie von der Zuverlässigkeit der in der Person zum
fraglichen Zeitpunkt kausal wirksamen psychologischen Verfahren
abhängt.
(2)
Der Unterschied zwischen guten und schlechten Gründen kann
getroffen werden anhand der Zuverlässigkeit der psychisch wirksamen
Prozesse. Hypothetische Imperative: Gegeben das Ziel der Wahrheit,
soll das Mittel gewählt werden, dass zuverlässig zur Wahrheit führt.
(3)
Instrumentelle Rationalität ist zielorientiert: geeignetes Mittel zur
Erreichung der Wahrheit (andere Rechtfertigungen stellen geeignete
Mittel zur Erreichung anderer Ziele dar!)
(4)
Anfechtung und Fehlbarkeit: Da die Rechtfertigung in der Regel fehlbar
ist, auch wenn sie zuverlässig ist, (d.h. gelegentlich zu falschen
Resultaten führt) ist die Anfechtung ein Verfahren der schrittweise
Annäherung
an
die
Wahrheit
unter
fehlbarer
Rechtfertigung.
Anfechtbarkeit lässt sich also dadurch erklären, dass Rechtfertigung zur
Wahrheit führen soll, sie aber mitunter verfehlt. (Offenheit für Kritik,
Revision lässt sich also aus der Idee der Wahrheitszuträglichkeit
erklären.)
LITERATUR
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Alston, W. 1989: „Internalism and Externalism in Epistemology“, in: ders., Epistemic
Justification, Ithaca/London, S. 185-226.
Bartelborth, T. 1997: „Sollten wir die Erkenntnistheorie den Naturwissenschaften
überlassen?“, in: H. Sandkühler (Hg.), Philosophie und Wissenschaften, S. 277-295.
Bieri, P. 1987: Analytische Philosophie der Erkenntnis, Königstein/Ts.
Foley, R. 1987: The Theory of Epistemic Rationality, Cambridge (Ma).
Goldman, A. 1979: „What is Justified Belief?“, in: G. Pappas (ed.), Justification and
Knowledge, Dordrecht, S. 1-23.
Koppelberg, D. 1999: „Justification and Causation“, in: Erkenntnis 50, S. 447-462.
Lehrer, K. 1990: Theory of Knowledge, Boulder.
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