GROUNDINGS (EIN PROJEKT) von Christoph Marthaler – Uraufführung Regie: Christoph Marthaler Bühne und Kostüme: Anna Viebrock Dramaturgie: Stefanie Carp Musik: Jürg Kienberger Eine ganze Gesellschaft groundet, nicht nur die swissair; die Europa/USA-Kultur groundet, die Schweiz groundet wirtschaftlich und mental und will es nicht zugeben, die Werte of the Western World grounden es erinnert sich auch keiner, worin die noch mal bestanden. Beim Grounden stehn immer Männer in Gruppen um Tische, die sich jugendbündlerisch auf Schultern klopfen, weil sie am Grounden gut verdient haben, es werden beim Grounden immer hohe Abfindungen gezahlt als Schweigegelder, es werden beim Grounden immer öffentlich Appelle an Soziales und Moral gerichtet, es übernimmt beim Grounden nie jemand die Verantwortung und ein paar Schweizer Waffenhändler sind immer beteiligt, wenn an der Peripherie ein Krieg installiert wird, der den Reichtum Mitteleuropas sichert. In dem Projekt geht es um das Grounden als Prinzip einer Gesellschaft, um dessen Rituale, Tarnungen, Formenwelten, Sprachregelungen. Es wird bei diesem Projekt wichtig sein, das Grounden von ganz Mitteleuropa zum Gegenstand zu machen. Es scheitert eine Ideologie der Gier und der Stärke, der ständigen Handlung. Das Grounden ist in jedem Fall mental. Derzeit grounden einige Unternehmungen der so genannten New Economy; eine imaginär gewordene Wirtschaft, die sich die Verwertung nur vorstellen muss, um zu steigen und zu wachsen; und wenn es nicht mehr die Produkte sind, die den Wert vergrössern, dann wird das Leben vermarktet, das Erleben, die Erfahrung, das Gefühl, die Schönheit, das Denken. Biographie wird Marketing; Kultur ist es schon lange. Der Zugang zum Konsum, zur Erfahrung ist das Produkt; wer darf dabei sein und wer muss draussen bleiben, wer wird überhaupt ausgeschlossen; die Selektionen sind das neue Produkt. Man muss das Aussperren und Einsperren gut vermarkten. Das lernen die gerade gegroundeten, abgefundenen Herren in Aufbauseminaren. Nach jedem Zusammenbruch folgt der neue Aufschwung, sagen die Unternehmer der Western World. Wenn der Neue Markt mit seinen ungegenständlichen Produkten nicht mehr funktioniert, wenn die Vergrösserung um jeden Preis ein Fehler war, dann wird blitzschnell eine neue Philosophie erfunden. Alles ist vermarktbar. Jedes Bedürfnis ist eine Erfindung. Jetzt aber gerade sind alle sehr deprimiert. Sie werden krank. Dann werden sie neu geschult. Sie stehen auf und sagen: «Ich habe Fehler gemacht» weil sie das so gelernt haben. Dann sagen sie: «Ich habe eine Vision. Man muss in Visionen investieren». Auch das haben sie so gelernt auf ihrer Businessschool. Leider haben immer alle die gleiche Vision, deshalb ist die Konkurrenz immer da und schon muss man sie aufkaufen, um nicht gekauft zu werden. Das kleine Land wird zu gross. Das kleine Leben rotiert in grossen kosmischen Gedanken, keiner kann das steuern. Für dieses Projekt benutzen wir Texte aus Sitzungsprotokollen, Verträgen, Lehrbüchern für Management, Vertragsvorlagen und andere Geheimdokumente; auch ein paar Reuemonologe der Renegaten, auch ein paar Grössenwahnphantasien der Visionisten. Alle sind Opfer und Täter eines falschen Zusammenhangs und ergehen sich in wehleidiger Tristesse der Verlierer oder fürchten die Alpträume der Gewinner.