SZ-FEUILLETON, Artikel vom 26. August 1999 Zwischen Amtsschimmel und Partytiger Das Jugendkulturwerk – hier wird kommunale Bürokratie auf die Bedürfnisse der Münchner Jugend umgepolt Beim Blick aus dem Bürofenster ist er leicht zu übersehen: der Kunstpark Ost. Trotzdem lassen Michael Wiegel und Bernard Sieradzki den Blick oft in diese Richtung schweifen. Lachend erzählen sie davon, dass Hallen-Multi Wolfgang Nöth sich einmal darüber beklagte, keinen Pfennig vom Jugendkulturwerk (JKW) zu bekommen. Ob der da schon wusste, dass Wiegel, Sieradzki, Kollegin Michaela Härtel und der Mann für das Spielen in München, Rudi Bufler, im Jahr höchstens 520.000 Mark ausgeben dürfen? Dass die Stadt, inclusive der Finanzierung aller Träger, maximal fünf Millionen Mark des 8,3 Milliarden starken Haushalts für Kinder- und Jugendkulturarbeit bereitstellt? Unzufrieden ist das Team, das dem Sozialreferat unterstellt ist, nicht mit dieser Summe. Immerhin ist ihnen der Etat seit fünf Jahren nicht gekürzt worden. Und auch wenn es immer schwieriger wird, mit diesem begrenzten Budget Jahr für Jahr qualitativ gleichwertige Projekte zu verwirklichen, genießt das Jugendkulturwerk bei der Stadt einen erstklassigen Ruf. Das liegt zum einen an der Geschichte: „Im Jahr 1946 – München war ein Trümmerfeld; das elementarste Problem war, überhaupt noch Schulklassenräume zu finden – da haben Anton Fingerle und seine Mitstreiter bereits an die außerschulische Kulturarbeit gedacht“, erinnerte OB Christian Ude in seiner Ansprache zum 50jährigen Bestehen des Jugendkulturwerks. „Ich sehe deshalb darin keinen Luxus, den man sich nur in fetten Zeiten leistet und in kargen Zeiten als Erstes opfert, sondern ich sehe darin ein unverzichtbares Angebot“. Einige der damals ins Leben gerufenen Projekte kommen sogar noch heute an: Zu den Klassik-Konzerten strömen regelmäßig 2.000 Menschen in den Nymphenburger Park – so viele, dass Sieradzki, der seit 1995 für die Klassikkonzerte zuständig ist, häufig Ärger bekommt, weil der Park die Massen schlichtweg nicht verkraftet. Insgesamt werden bis zu 50.000 junge Münchner Jahr für Jahr auf den Veranstaltungen des Jugendkulturwerks gezählt: beim Musiksommer im Theatron, der Serenade im Park, der Münchner Sommerspielaktion, dem Feierwerk-Fest, bei der Westend-Opera, dem Comic- und Cartoon-Wettbewerb und vielen, vielen anderen Workshops, Aktionen, Projekten, Partys und Konzerten. Vieles, wie etwa auch die regelmäßigen „Fun for Free“-Konzerte in der Muffathalle, wurden vom Jugendkulturwerk mitinitiiert. „Wir schieben die Szene an. Und wenn sie finanziell auf eigenen Füßen steht. lassen wir sie laufen“, erklärt Wiegel, der sich seit 1992 um Rock, Pop und Szene kümmert, das Konzept. Gefördert wird, was innovativ ist, modellhaft und für Jugendliche attraktiv. „Wir wollen nicht gegen Wolfgang Nöth antreten und können auch nicht alle Anträge finanzieren, aber wir versuchen, mit der Szene mitzuhalten, den Nachwuchs zu fördern, Nischen zu finden und preisgünstige Alternativen anzubieten“, meint Sieradzki, „alleine schon wegen der sozialen Verpflichtung, auch Jugendlichen mit wenig Geld kulturelle Bildung und Entfaltung zu ermöglichen“. Längst sind solche Ziele in UN-Konventionen oder in der Fortschreibung des Gesamtkonzepts Kinder- und Jugendkulturarbeit für München festgehalten, für das die Verfasser im Oktober in Berlin den Community Award des Deutschen Kinderhilfswerk bekommen werden. Doch nicht einmal in der knapp 60 Seiten umfassenden Konzeptfortschreibung können alle Angebote aufgelistet werden, die das Jugendkulturwerk unterstützt. Erst vor ein paar Wochen haben Wiegel und Sieradzki drei Container Altpapier weggeworden – Akten und Unterlagen von alten Projekten. „Wir sind eben doch eine Behörde“, stöhnt Wiegel. Und zwar eine, die besonders viele Aktenordner im Büro stehen hat. Nicht umsonst lautet einer der Leitsätze, möglichst viele Träger zu gewinnen, „das wird ja sonst langweilige, wenn’s nur einer macht“, sagt Wiegel und übersetzt die gestelzte Behördensprache mal wieder mit einem kurzen Satz in dem ihm eigenen flapsigen Slang. Auch das muß man können, will man die Stadt draußen in der Szene vertreten. Wiegel und Sieradzki kennen sie alle: die Betreiber von Backstage und Feierwerk, das Muffathallen-Team, den KJR, die Leute von der Pasinger Fabrik und der Kulturstation, aber auch viele Garagenbands, denen sie einen Übungsraum vermittelt haben, oder die Schultheatergruppen, die ein wenig Geld wollen für Plakate. Bei ihrem Amtsantritt mussten alle vier Mitarbeiter des Jugendkulturwerks unterschreiben, „auch zu ungewöhnlichen Zeiten präsent zu sein“. Für das Team bedeutet das lange Nächte: Der Besuch von Events und Konzerten gehören eben zum Arbeitstag. „Was wir finanziert haben, schauen wir auch an. Das ist sozusagen unsere Kontrolle“, erklären sie. Naürlich gefällt Wiegel und Sieradzki nicht alles, was derzeit so angesagt ist an Subkultur. Aufgewachsen mit Bob Dylan, den Rolling Stones, Eric Clapton und den Dire Straits ist Wiegel eher ein alter Rockfan. Und Sieradzki fährt heute gerne mal nach Bayreuth oder Salzburg zu hochkarätigen Klassikkonzerten. Aber weil sich die beiden Sozialpädagogen auch neuen Trends nicht verschließen, werden sie von der Szene mit offenen Armen empfangen: „Wir sind nicht die Cowboys, die da einfach reinknallen. Da wird schon zusammen überlegt“. So sind sie auch dabei, wenn es darum geht, ein Konzept fürs „Feierwerk 2000“ zu entwickeln und dem Komplex in der Hansastraße einen neuen Anstrich zu geben. „Die Szene ist extrem schnelllebig“, meint Sieradzki. Schon im kommenden Jahr soll den Feierwerk-Besuchern deshalb ein „Jahr-2000-Konzept“ präsentiert werden. Den dafür nötigen Papierkram werden Wiegel und Sieradzki auf den Aktenstößen in der Rumpelkammer des Jugendkulturwerks stapeln. Nach fünf Jahren kommt alles in den Reißwolf. Dann ist es ohnehin wieder höchste Zeit für neue Pläne. Josefine Köhn