Philosophische Fakultät Johannes Gutenberg-Universität Mainz Philosophische Fakultät Wintersemester 2000/2001 Andreas Hütig M.A .Philosophisches Seminar " Was heißt transzendental?" Texte von Kant bis Habermas Dienstag 12:00 Uhr bis 14:00 Raum P 203 Protokoll zum Ablauf des Seminars " Kant – Kritik der reinen Vernunft" 07.02.2001, Christophe Härlin HF: Politik FS 2 - 1.NF:BWL FS 1 - 2.NF: Philosophie FS 1 Neben dem eigentlichen Protokoll über Kant „Kritik der reinen Vernunft“, werde ich zunächst eine kurze Biographie Kants anfangen. Dann werde ich versuchen die Entstehungsgründe seines 1781 erschienen Werkes zu skizzieren. Anschließend stelle ich die Ausführungen Kants systematisch darum am Ende eine kurze Zusammenfassung zu geben. Immanuel Kant wird am 22. April 1724 in Königsberg, damals Preußen, als viertes von elf Kindern eines Riemermeisters geboren. Seine Kindheit ist stark geprägt durch eine zeitgenössische pietistisch - religiöse Erziehung, die in Herzenfrömmigkeit, Rücksichtnahme, Nächstenliebe und religiöser Andacht ihre höchsten Ideale sieht. Mit 16 Jahren beginnt Kant ein Studium der Naturwissenschaften, Mathematik, Theologie und Philosophie an der Königsberger Universität. Seine wichtigsten Werke sind die: "Kritik der reinen Vernunft", "Kritik der praktischen Vernunft" und "Kritik der Urteilskraft". Zu den Entstehungsgründen seines Hauptwerkes "Kritik der reinen Vernunft" kann man die in der Einleitung seines Buches aufgezählten Motive nennen. Kant sieht die menschliche Vernunft vor Fragen gestellt ( Fragen nach der Unsterblichkeit der Seele, nach Gott), die sie selbst nicht abweisen kann. Die Fragen entspringten aus ihr selbst, die Antworten jedoch kann auch sie nicht liefern. Durch die Beantworten auf die Fragen enstünde eine „unvernünftige Wissenschaft“, die Kant die Metaphysik nennt, den Kampfplatz endloser Streitigkeiten. Diesen Widerspruch aufzuzeigen und Abgrenzungen zu ziehen, ist einer seiner Beweggründe dieses Werk zu schreiben. Er möchte seine Arbeit als Möglichkeit verstanden wissen, die Grenzen des menschlichen Vernunftvermögens prinzipiell darzustellen. Er löst dieses Problem, indem er sich den Bedienungen für menschliche Erfahrung überhaupt widmet. Um die Grundlagen menschlicher Erkenntnis zu erarbeiten, muß Kant Grundprämissen, die (weit) über andere Philosophen (Locke) hinausgehen machen. Er zweifelt grundsätzlich nicht alles an oder sieht alle Erkenntnisse als empirisch an, sondern geht von apriori (vor der Erfahrung) Begebenheiten aus. Es solle also Tatsachen geben, die schon aus sich selbst heraus zwingend notwendig sind. Außerdem ist er der Meinung, daß der grundsätzlich vernunftbegabte Mensch durch Kategorien des Verstandes die "die Dinge" um sich herum ordnen könne. Ziel seines Werkes sei für Kant nicht die Erkenntniserweiterung, sondern eine grundlegende Darstellung, wie man zu Erkenntnissen kommt. Dabei geht er methodisch vor und zeigt gleichzeitig auch worin er die Grenzen seines eigenen Werkes „Kritik der reinen Vernunft“ sieht. Für ihn ist die natürliche, menschliche Vernunft das Vermögen (das Werkzeug) zu Erkenntnissen bar aller Erfahrung zu kommen. Der Verstand urteilt mittels seiner Prinzipien über den Verstand selbst. Bildlich vorgestellt vergleicht er seine Arbeit mit einem Baum, den es gilt kräftig zurechtstutzen um aber mindestens seine Wurzeln als notwendigen Grundbau zu erhalten. Als Produkt der Anwendung dieser Vernunft skizziert Kant ein Organon der reinen Vernunft – ein Regelwerk um reine Erkenntnisse bar aller Erfahrung zu erhalten. Das Endziel wäre nach Kant ein System (Wissenschaft) der reinen Vernunft – als Resultat der Anwendung dieses Organons. Um aber nicht zu viel zu fordern, versteht er sein Werk "Kritik der reinen Vernunft" als Wegweiser in die richtige Richtung. Sein Ziel ist es nämlich nicht die konkreten Produkte der menschlichen Vernunft (z.B. Bücher, Wissenschaften) zu korrigieren, sondern grundsätzlich das menschliche Vernunftvermögen unabhängig der Kultur. Um „vernünftige Erkenntnisse“ über Erkenntnisse zu erhalten, teilt Kant zunächst alle möglichen Erkenntnisse des Menschen nach Erkenntnisart und Erkenntnisgegenstände in Gruppen ein. Es gäbe erstens Erkenntnisse über "normale" Gegenstände und zweitens solche Erkenntnisse die Aussagen über die Art menschlichen Erkennens treffen. Letztere nennt er transzendentale Erkenntnisse. Sie bildeten den Grundstein für seine Transzendentalphilosophie. Zusätzlich benutzt er ein Kriterium, ob die Erkenntnisse drittens aus sich selbst gewonnen werden oder viertens gelernt (von außen) werden. Die reine Vernunft käme natürlicherweise von "innen", kann also nicht gelernt werden und kann sich sowohl mit normalen Gegenständen als auch mit sich selbst befassen - wie es Kant in seinem Werk versucht. Entscheidend für das Gelingen seiner Apriori - Erkenntnisse sei die Abwesenheit allen Empirischen somit auch aller Gefühle und Moral - die für ihn den Ursprung in der Erfahrung haben. Genauere Ausführungen dazu macht er in seiner Architektonik der reinen Vernunft. Kant möchte sein Ziel, universelle und allgemeingültige Begriffe bzw. Tatsachen apriori zu erarbeiten, mittels einem Verfahren näherkommen, daß er der transzendentalen Deduktion nennt. Erkenntnisse seien dann allgemeingültig, universell und apriori, wenn es unmöglich sei sie empirisch zu beweisen wenn sie praktisch nur aus sich selbst heraus erklärt werden könnten. Solche Begriffe / Tatsachen seien "die Zeit" und "der Raum". Als Beweis für den Raum verwendet er die Subtraktionsmethode. Folgendes Gedankenexperiment solle dies beweisen. Wenn man von einem beliebigen Gegenstand alles empirische abziehe, dann könne folgerichtig nur noch „Raum“ übrigbleiben. Er selbst könne auch ohne Gegenstände gedacht werden, die Gegenstände aber haben als notwendige Bedingung immer den Raum. Der Begriff des Raumes sei in den Gegenständen selbst schon enthalten. Er nennt sein Ergebnis ein gültiges, analytisches Urteil vor jeder Erfahrung. Auch die für die Notwendigkeit der Zeit findet er überzeugende Argumente. Alleine daß man über sie nachdenken könne, setzt voraus, daß es sie gibt. Die Zeit könne nicht ohne die Zeit selbst gedacht werden. Nur wenn Zeit verstrichen sei, könnte man „nachher“ eine andere Meinung über die Zeit haben als „vorher“. Diese beiden Notwendigen Bedingungen wirkten wie eine Brille für den Menschen, die er nicht abnehmen oder gar beeinflussen kann. Sie seien eine von mehreren Bedingungen oder Voraussetzungen für jede menschliche Erfahrung oder empirische Erkenntnis schlechthin, die dann zufällig oder wahllos erfolgen können - und ihrerseits ihre objektive Gültigkeit haben können. Weiter argumentiert Kant folgendermaßen: Notwendige, objektive (apriori) Voraussetzung für empirische Erkenntnisse seien neben Zeit und Raum das Subjekt (der erkennende Mensch) und das Ding an sich (das zu erkennende Objekt). Zur Erfahrung gehöre ein erkennendes Subjekt mit Selbstbewusstsein in wahrsten Sinne des Wortes. Für die empirische Erkenntnis brauchte es immer einen der sagen kann "ich denke" und der sich notfalls - wie Kant es getan hat auch transzendental mit den Sinneseindrücken befassen kann. Kant geht aber noch viel weiter. Er teilt er jedes einzelne Subjekt, in zwei unterschiedliche Teile auf, ein "empirisches Ich" und ein "transzendentales Ich". Das letzte habe jeder Mensch mit allen anderen Menschen gemeinsam: es sei abstrakt, allgemein, tranksindividuell, spontan, frei, selbsttätig und allen Menschen zugänglich. Mit der Teilhabe aller Menschen an diesem einzigen gemeinsamen „Ich“, betont er grundsätzlich die Gemeinsamkeiten der Menschen als Voraussetzung für Erkenntnisse. In dieser Gemeinsamkeit sieht Kant das Wesen des Menschen - als Bedingung für Erkenntnisse. Weiterhin ordne der Versand mit seinen Kategorien die dem Verstand schon vor der Geburt innewohnten - die Welt. Die „Dinge an sich“ müssen immer in Kategorien wie Anzahl, Qualität, Beziehung zueinander, Art und Weise gedacht geordnet werden. Diese Verstandesbegriffe haben gar keine andere Funktion als die Erfahrungen zu möglich machen. Weiter führt er aus, sei das „transzendentale Ich“ prinzipiell unerkennbar aber notwendig für die Erkenntnisse selbst. Gleichzeitig zieht er damit sehr enge Grenzen der Wissenschaft des Menschen über den Menschen: Da das „transzendentale ich“ unerkennbar sei , werde sich der Mensch nie selbst erkennen können - einer seiner bis heute noch nicht widerlegte Prämissen oder Behauptungen. Das "empirische Ich" hingegen sei das, was wir heute als Individualität bezeichnen würden. Das schließt den eigenen Lebenslauf, alle Erfahrungen und vielleicht auch die genetischen Voraussetzungen mit ein. Man könnte das „empirische Ich“ auch als die möglichen Unterschiede zwischen den Menschen bezeichnen, als die Summe seiner im Leben gesammelten Erfahrungen, entstanden durch die Umwelt und / oder den Zeitgeist. Es sind diese Umstände, die den einzelnen Menschen einmalig werden lassen. Als weitere Voraussetzung sieht Kant die Objekte - das „Ding an sich“. Über es können wir in der „transzendental“ Sichtweise kaum Aussagen treffen - außer daß da etwas seien muß das uns erscheint. Wir können also das „Ding an sich“ nie wahrnehmen, sondern es erst in Verbindung mit dem gedachten Begriff „Erkennen“. Dabei spielt die Wahrnehmung des Einzelnen Menschen mit seinen Sinnen (die Sinnlichkeit) ein Rolle. Somit zieht er auch hier theoretische Grenzen menschlicher Erkenntnisse. Für Kant ist es unmöglich die „Wirklichkeit an sich“ zu erkennen, das subjektive Erfahrung könne ihm nur sehr nahe kommen. Diese „idealistische“ Sichtweise auf „transzendentaler Ebene“ ist eine von Kant gemachte Prämisse auf die sein Werk aufbaut. Kant stellt hier also die subjektiven Bedingungen der Erfahrung (Verstand und Sinnlichkeit - „das Objekt erscheint mir“ )- systematisch dar. Um der Beantwortung der Frage notwendigen Bedingungen menschlicher Erkenntnis näher zu kommen, argumentiert Kant folgendermaßen: diese subjektiven Bedingung seien zugleich die „objektiven“ Bedingungen jeglicher Erfahrungen - weil ohne erkennende s Subjekt (mit seinen Grenzen oder Unzulänglichkeiten) gar keine Erfahrung gedacht werden könne. Damit haben Erfahrungen, Erkenntnisse, die aus Erfahrung von Menschen gewonnen wurden (damit auch alle Erfahrungswissenschaften), ihre objektive Gültigkeit - weil Kant ausschließen kann, daß Menschen einen anderen „Erkenntnisprozess“ durchlaufen können. Somit wird neben dem „unerkennbaren Ding an sich“ auf transzendentaler Ebene, der Mensch oder die Subjektivität notwendige, zwingende und damit „objektive“ Erkenntnisvorrausetzung. Dieser Schritt bedeutet auch, daß Kant der „Wirklichkeit“ wie sie im Menschen „entsteht“, als „realistisch“ bezeichnen würde. Während der Mensch auf transzendentaler Ebene nur wenig über das „Ding an sich“ aussagen kann. (“Ich erkenne dort ein Ding“), muß als notwendig, empirischer Mensch von einer Realität ausgehen, die ihm erscheint.(“Das Ding erscheint mir, folgendermaßen...“). Damit hat Kant schon mehrere, objektive Bedingungen für (menschliche) Erkenntnisse erarbeitet : 1. Zeit, 2. Raum, 3. Subjekt (mit seinem Verstand und seiner Sinnlichkeit), 4. Objekt (“Ding an sich“). Eine „Erkenntnis“, die nicht durch das Zusammenwirken dieser Bedingungen zu stande kam, ist nach Kant keine. Diese entstünde also nur durch das „Zusammentreffen aller notwendigen Voraussetzungen“. Es wäre als schon denkbar, daß der Mensch sich Gedanken macht ohne die Sinnlichkeit und ohne das Ding an sich. Durch Gedanken dieser Art enstünde die Metaphysik (z.B. die Frage nach Gott). Da aber wegen des Fehlens der Sinnlichkeit streng genommen nicht von einer „Erkenntnis“ gesprochen werden dürfe, muß das Feld dann schließlich notwendigerweise offen bleiben für unsichere Spekulationen, ohne den Anspruch irgendeine „objektive“ Gültigkeit oder Beweisbarkeit. Er versagt hiermit auch jeglichen Gottesbeweisen ihre objektive Gültigkeit - ein weitreichender Schluß für seine Zeit. Solche Denksysteme die mit der Vernunft selbst nicht verglichen werden sollten, sind immerhin als Metaphysik denkbar, da nach dieser Aussage ein Vergleich mit Vernunft schon stattgefunden. Der Widerspruch, daß durch die Vernunft das Gegenteil dessen herauskommt, von am Anfang angenommen Prinzipien, ist auch ein Hinweis an die Grenzen der Vernunft selbst. „Vernünftigerweise“ postuliert Kant also, daß jegliche Erkenntnis jederzeit und jeder Kultur, die aus Erfahrung gewonnen wurde, sich in diese objektiven Bedingungen (Raum,Zeit,Subjekt, Objekt) gliedern lassen. Hier trifft Kant aufbauend auf seinen Grundprämissen, die ich oben angedeutet habe, eine weitreichende Aussage - die bis heute nicht widerlegt werden konnte. Es fällt selbst den heutigen Wissenschaften (z.B. der Physik) sehr schwer (unmöglich), Aussagen außerhalb von Raum und Zeit zu treffen - obwohl sie es gerne würde. Damit zieht Kant enge (aber gleichzeitig für den Einzelnen sehr weite) Grenzen, die von ihrem ursprünglichen Anspruch allgemeingültig, universell, bar jeglicher Erfahrung zu sein und kulturübergreifend zu sein, (bisher noch) nichts eingebüßt habe. Selbst Wissenschaftler wie Einstein, der alle bisher gekannten Weltbilder, auf den Kopf stellte, benutzt und setzt den Raum und die Zeit voraus. Ebenfalls die moderne Quantentheorie (“auch die Zeit läuft in Quanten“), kann unterhalb einer bestimmten Zeit - wenn sie nicht mehr existiert - nur Vermutungen äußern. Das läßt vermuten das Kant vielleicht tatsächlich - obwohl die Vernunft selbst Grenzen zu haben scheint - alle Bedienungen menschlicher Erkenntnis gewonnen hat und daß sein Werk „Kritik der reinen Vernunft“ mehr ist als nur seine (eigene) Meinung. Kant hat am Ende seines Werkes, die grundlegenden Fragen beantwortet, die er am Anfang gestellt hat - oder die durch die Vernunft in ihm gestellt wurden. Er erarbeitet „systematisch“ die notwendigen Voraussetzungen für Erkenntnis für ihn und stellt sie als „objektiv“ dar. Damit zeigt er auch gleichzeitig , wenn keine wirkliche Erkenntnis vorliegt. Jetzt kann man sehr scharf zwischen Aussagen, die spekulativ sind und Aussagen, die objektiv aus der Erfahrung gewonnen wurden, trennen. Somit könnte Kant das geschaffen haben was er wollte, ein Regelwerk zu skizzieren um „vernünftige“ empirische Wissenschaft unabhängig jeder Kultur betreiben zu können.