TU Allgemeine Pädagogik Platon 1. Platon 428/427 v. Chr. – 348/347 v. Chr. in Athen Platon entstammt einer wohlhabenden adeligen Familie Athens und gilt als einer der bekanntesten griechischen Philosophen der Antike. Platon wurde Schüler des Sokrates und bekannte sich zu dessen Lehre. Er verurteilte dessen Hinrichtung und ging danach auf Reisen, die ihn u.a. nach Sizilien und Ägypten führten. Als er zurückkehrte, gründete Platon in Athen die Akademie, deren breit gefächerter Studienplan Astronomie, Biologie, Mathematik und politische Theorie und Philosophie umfasste. Der berühmteste Schüler der Akademie war Aristoteles. Eine vorgesehene politische Karriere fand aufgrund der Hinrichtung von Sokrates und dem Zustand der Polis nicht statt. Eine entsprechende Abrechnung mit den gemachten Erfahrungen erfolgt im Spätwerk „Politeia“, in dem sich der Entwurf eines idealen Staates findet. In diesem Werk ist meist Sokrates die zentrale Figur der Dialoge, vor allem wegen dessen auffälliger Art der Diskussion: der Lehrer belehrt nicht seine Gesprächspartner, sondern versucht stets durch Nachund Hinterfragen des (von anderen) Gesagten zum eigentlichen Kern/Wesen vorzudringen. 2. Schiffsgleichnis – Sonnengleichnis – Liniengleichnis Vor dem Höhlengleichnis werden drei andere Gleichnisse behandelt, nämlich das Schiffsgleichnis, das Sonnengleichnis und das Liniengleichnis. 2.1. Schiffsgleichnis Es gibt einen mächtigen Schiffsherrn, der jedoch schlecht sieht und hört und von der Kunst der Schifffahrt wenig weiß. Die Matrosen auf dem Schiff, ebenso steuerunfähig, streiten um die Führung des Steuerns und meinen, die Kenntnisse der Schifffahrt seien weder erwerbbar noch existent. So kämpfen und streiten sie nicht nur untereinander, sondern töten letztlich sogar den Schiffsherrn. Steuern darf daraufhin jener Matrose, der die Macht über das Steuer am rücksichtslosesten oder raffiniertesten ergattert und die Matrosenleute dabei argumentativ übertrifft. Die Kunst des Seefahrens wird von den Menschen über die Kunst der Macht und Gewaltausübung definiert. Würde ein Schifffahrtskundiger auftauchen, dann würde dieser Mensch las unnützer Mensch abgetan werden. Gleichermaßen wie der kundige Steuermann werden die Philosophen in der Polis als verdrehte und faule Menschen und unbrauchbar für den Staat gehalten, da sie nicht im Machtkampf, sondern in der Wahrheit kundig. Wissen, Verstehen und Können sind demnach mehr hinderlich als förderlich für die Führung des Staates. freie uni für alle 2.2. Sonnengleichnis Das Sonnengleichnis beantwortet die Frage nach dem Guten (Idee des Guten verdeutlicht durch die Sonne). So wie sie das Sehen der Dinge ermöglicht, ermöglicht die Idee des Guten die Einsicht in die Ideen. Die Sonne ist die Kraft, die zur Erkenntnis der Wahrheit verhilft. Des Weiteren ist sie die Ursache der Wahrheit und des Wissens. Im Bereich des sichtbaren lässt sich die Sonne leicht als das Gute identifizieren, da sie Wachstum, Nahrung und damit Existenz überhaupt ermöglicht. Außerdem ist die Sonne die Ursache von Licht und ermöglicht damit auch das Sehen — das Wahrnehmen von allem Sichtbaren. 2.3. Liniengleichnis Im Liniengleichnis teilt Platon die Idee des Guten in zwei Bereiche. Der erste Bereich ist der Bereich der Wahrnehmung. Dazu zählen Schatten und Spiegelbilder (undeutliche Bilder) reale Objekte wie Tierwelt und Pflanzenwelt (größere Deutlichkeit als bei den Schatten) Den Bereich der Erkenntnis teilt er in: Meinen Mutmaßen: unterste Ebene der Erkenntnis, richtet sich an Schatten und andere Objekte, Wahrnehmung ermöglicht nur Vermutung Glauben: hat höheren Stellenwert, erfasst sinnlich wahrnehmbare Gegenstände der vergänglichen Welt Denken: Verstandeserkenntnis: mathematische Dinge, zählen nicht mehr zum sinnlichen Bereich Vernunftserkenntnis: verwendet keine Hilfsmittel zur sinnlichen Anschauung, richtet sich an absolute und unveränderliche Ideen 3. Ideenlehre Objekte der Sinneserfahrung stellen nicht die eigentliche Wirklichkeit dar, sondern Ideen tun dies. Unsere sinnliche Welt besteht nur aus Abbildern der Ideen. Ideen stellen die seiende Welt dar, welche nicht wahrnehmbar ist, sondern nur erkennbar durch Vernunft. Durch das Wiedererinnern (anamnesis – Seele ist unsterblich und existierte schon vor uns) wird die wahre Gestalt sichtbar. Die Seele entstammt dem Ideenreich und kann sich an die Ideen wiedererinnern. Lernen und Erkennen ist somit ein Wiedererinnern an die vergessenen Urbilder (Ideen). page 1 4. Lernen Erstes Lernen – Lernen von den Schatten Menschen (Unwissenden) erkennen die Schatten als ihre Wirklichkeit. Sie lernen von diesen Schatten, von ihren Bewegungen. Die Gefangengen versuchen diese Bewegungen nachzuahmen und ihre Realität in Verbindung mi den Schatten zu bringen. Sie sehen diese Schatten nicht als Abbilder von etwas, da sie dieses etwas nicht kennen. Sie können also weder die Bedeutung der Schatten begreifen, noch können sie sie in Verbindung mit der Wirklichkeit bringen, an die sie sich nicht erinnern. Die Abbilder werden so zur einzigen und unausweichlichen Wirklichkeit der Gefangenen, die Angelpunkte der Wahrnehmung, des Erkennens und Erinnerns. Dies ist ein unreflektiertes Lernen, da man den Kern des Gegenstandes nicht erkennt. Es ist eine bloße Nachahmung und Gewöhnung (Mimesis). Diese eine Wirklichkeit, gibt gewisse Sicherheit und Halt im Leben (auch wenn sie falsch ist). Es gibt keine Einsicht in/hinter die Dinge, deshalb helfen auch vielmals bloße moralische Appelle nichts. Unwissende sind leicht zu manipulieren und durchschauen die vorgesetzte falsche Wirklichkeit nicht. Zweites Lernen – Umlernen des Gewohnten Dieses Lernen bedeutet Leid und Konfrontation. Die Gefangenen kann man nicht nur alleine mit Argumenten überzeugen, dass sie es nun mit der wirklichen Wirklichkeit zu tun hätten. Sondern er muss dazu gezwungen werden, aufzustehen, sich umzudrehen und aus der Höhle zu treten. Lernen ist ein Schmerzhaftes, mehr als ein Erlernen, sondern ein Umlernen der Gewohnheiten. Dem Aufstieg folgt ein Einstieg in die schmerzhafte Welt der denkbaren Dinge. Langsam gewöhnt sich Auge an Licht, zuerst nur an Schatten und die Spiegelbilder der Dinge, dann an die Dinge selbst und zuletzt kann sogar die Sonne selbst, die Ursache aller Dinge erkannt werden. Das Umlernen geschieht unter Zwang, Ausübung von Gewalt und Macht. Der Umkehrende braucht Hilfe zur Selbsthilfe zum Ausstieg aus dem Gewohnten. Wir befreien uns also nicht selbst, sondern brauchen jemanden, der uns befreit (Lernen geschieht also nicht eigentätig); das ist ein bestimmtes Lernbild und zwar, dass Lernen ohne Zwang nicht möglich ist. Lernen heißt immer, dass man etwas Gewohntes aufgibt und man Neues in sich zulässt (neue Ansichten aufnimmt). Dies bedeutet aber auch einen Verlust von Sicherheit, denn etwas Gewohntes bietet Sicherheit. Demnach ist Erziehung kein Eintrichtern, sondern eine Umwendung des Blicks und ein erklärendes Einsichtig-machen (Welt wird mit dem Ich in Beziehung gesetzt, es wird hinter die Dinge geschaut). Vierfache Umwendung des Menschen: Abwendung von den Schatten Hinwendung zum Unbekannten Richtungsänderung der Perspektive Abkehr vom ursprünglich Gewohnten! Obwohl der Mensch das wirklich Sein und die Umwendung vollzogen hat, stellt sich eine Umkehr – eine freiwillige Rückkehr aus pädagogischem Interesse– ein. Damit ist gemeint, dass Wissen erst dadurch Bedeutung gewinnt, wenn er das Wissen mit den Unwissenden teilt (Geburt des/der PädagogIn). Immanuel Kant 22. April 1724 – 12. Februar 1804 in Königsberg, Preußen Immanuel Kant gilt als einer der einflussreichsten Denker und Philosophen der Aufklärung in Deutschland. Kant wurde im Jahr 1724 geboren und studierte Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Königsberg. Nach dem Studium beginnt Kant im Rahmen seiner Professur für Logik und Metaphysik an der Königsberger Universität die Analyse metaphysischer Fragen, die zur Untersuchung der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis führt (Transzendentalphilosophie). In den Jahren 1781 bis 1790 entstehen Kants wichtigste Schriften: Kritik der reinen Vernunft (1781), Kritik der praktischen Vernunft (1788), Kritik der Urteilskraft (1790), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). Diesen Schriften verdankt Kant seinen Ruf, Begründer der modernen Philosophie zu sein. freie uni für alle Um zu untersuchen, unter welchen Bedingungen Erkennen möglich ist, unternimmt Kant eine Kritik der Vernunft. Die Bedingungen, unter welchen eine Erkenntnis möglich ist, sind auf der einen Seite die reinen Prinzipien des Verstandes (Kategorien) und auf der anderen Seite die reinen Prinzipien der sinnlichen Wahrnehmung (Raum und Zeit). „Rein“ bedeutet hier, dass diese Prinzipien nicht empirisch gewonnen werden, sondern jede empirische Erkenntnis (aus Erfahrung gewonnen) erst ermöglichen. Jede Erkenntnis besteht also aus zwei Komponenten: Begriffe und sinnliche Anschauungen. Die Kritik an der Vernunft richtet sich daher auf ihren reinen Gebrauch, d.h. auf ihr Bemühen, Dinge zu erkennen, von welchen es keine sinnliche Anschauung gibt. Solche Dinge wären typische Gegenstände der Metaphysik (Seele, Welt als Ganzes, Gott). Über die kann es nach Kant keine Erkenntnis geben. page 2 Mit der Ethik befasste er sich in der "Kritik der praktischen Vernunft". Kant war überzeugt, dass der Mensch einerseits durch die Vernunft weiß, was er soll, aber die Freiheit hat, es zu tun oder nicht. Das Prinzip der Sittlichkeit fasste er im kategorischen Imperativ zusammen: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Die in dieser Schaffensperiode formulierten Fragen (vier Kantsche Fragen) strukturieren die Philosophie nachhaltig, obwohl endgültige Antworten darauf nicht möglich sind. Was kann ich wissen? Diese Frage bezieht sich auf die Erkenntnistheorie. Es ist notwendig, die Bedingungen, unter denen Erkenntnis in der alltäglichen Erfahrung oder in der Wissenschaft möglich ist, anzugeben. Als Antwort auf die Frage "Was kann ich wissen?" genügt nicht ein Verweis auf die Wissenschaften oder auf ein allgemein anerkanntes Wissen. Vielmehr können die Wissenschaft und diese allgemeinen Überzeugungen selbst in Frage gestellt werden. Letztlich mündet diese Frage nach der Erkenntnis in die Frage nach der Möglichkeit von Wissen überhaupt. Es eröffnen sich Fragen folgender Art: Wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaft? Gibt es sicheres Wissen oder ist Wissen immer nur mit einem bestimmten Grad an Wahrscheinlichkeit gültig? Was soll ich tun? Diese Frage bezieht sich auf die Moralphilosophie. Das Handeln soll nicht nur einen Zweck erfüllen, sondern in ihm soll die Vernunft praktisch werden. Nicht das was getan wird ist entscheidend, sondern wie und warum es getan wird. Mit der Frage "Was soll ich tun?" ist nicht bloß ein Verweis auf jeweils geltende moralische Vorschriften, Konventionen oder Gesetze gemeint, sondern das Fragen nach dem Sinn, der Verbindlichkeit solcher Vorschriften und deren Begründung. Was darf ich hoffen? Es geht in dieser Frage um die Sinnfrage, um die Frage, warum und wozu ein Individuum auf der Welt ist. Zweck und Ziel der menschlichen Existenz stehen zur Debatte, auch in der Form des radikalen Zweifels, ob es überhaupt einen solchen Sinn gibt. Diese Fragen werden zu religiösen Fragen, wenn dieser Sinn in der Autorität und dem Wirken Gottes seine letzte Begründung findet. Aufklärung und Pädagogik Das "Zeitalter der Vernunft" kündigt sich am Ende des 17. Jahrhunderts bereits an und erreicht in den tiefgreifenden gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, kulturellen und geistigen Veränderungen des 18. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Das Programm der Aufklärung ist gekennzeichnet durch das Vertrauen in die Kraft menschlicher Vernunft und durch die Absicht der Befreiung des Menschen aus den Fesseln von Traditionen und Autoritäten. Das Programm der Aufklärung basiert im Kern auf dem Glaube an die Kraft der Erziehung der Geisteskräfte und beinhaltet insofern ein pädagogisches Programm. Im Zentrum dieser Leitvorstellung der Aufklärung stand dabei die Überzeugung, dass die Welt der Menschen gestaltbar ist und kraft vernünftiger Erkenntnis und moralischer Verantwortung eingerichtet werden kann. Während die Bildung in den Jahrhunderten vor der Aufklärung einen weitgehend „theologischen Auftrag“ zu erfüllen hatte, so verlangte die Aufklärung nun, dass es für die Bildung an der Zeit wäre, einen „pädagogischen Auftrag“ anzunehmen. Der Auftrag oder das Ziel lag nicht mehr in der Entwicklung des Menschen zu einem „Abbild Gottes“, sondern in seiner „Vervollkommnung“. Grundgedanken der Aufklärungspädagogik Erziehung wird als (machtvolles) Instrument der Gestaltung von Gesellschaft und der Beförderung des Individuums „entdeckt“. Erziehung liegt in der Hand des Menschen. Aus der Erziehungsbedürftigkeit des Menschen folgt für die Aufklärungspädagogiken die Forderung nach Einführung einer allgemeinen Schulpflicht, wobei die Kontrolle der Schulen den Kirchen entzogen werden soll. Kindheit wird als eigenständige Lebensphase „entdeckt“ und wahrgenommen (Rousseau). Kant und Pädagogik Bildung wird als ein „Heranführen“ des Menschen zu seiner Menschlichkeit, zu seiner vollkommenen Ausbildung und Entfaltung seiner Naturanlagen, zu einem selbständig denkenden und handelnden Wesen, immer im Besitze seiner Vernunft, verstanden. Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen, das zu Freiheit und Mündigkeit geführt werden soll, aber der auch aufgerufen sein zur Bildung seiner Selbst, zum Zwecke seiner Individualität und Personalität. Was ist der Mensch? Diese Frage bezieht sich auf die Anthropologie (Lehre des Menschen). Diese Frage nach dem Menschen enthält für Kant alle drei der voraus gegangenen Fragen. Denn der Mensch ist nämlich ein Wesen, das sich nach Wissen sehnt, das die Hoffnung und den Glauben nicht aufgibt. Der Mensch kann Gutes von Bösem unterscheiden und er hat die Gabe, sich moralisch richtig zu verhalten. freie uni für alle page 3 Vier Stufen des Erziehungsprozesses: Zitate von Kant in Bezug auf Erziehung 1. Disziplinierung: „Disziplin oder Zucht ändert die Tierheit in die Menschheit um". Kant spricht von der Disziplinierung als negativem Teil der Erziehung. Umänderung der Tierheit in die Menschheit heißt bei Kant die Erzeugung von Gesetzesbewusstsein, Einführen in das Denken, also in den vielfältigen Bereich der Intersubjektivität. Disziplinierung eröffnet Vernünftigkeit und damit Freiheit; sie zielt auf Emanzipation. Das erzieherische Endziel, die Autonomie, ist bereits im disziplinierenden Handeln angelegt. Mit der Disziplinierung soll eine neue Welt bzw. eine neue Qualität des Menschseins geschaffen werden. Erst nachdem dieser Schritt getan ist, kann die pädagogische Handlungsform der Kultivierung eingesetzt werden. „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht. Es ist zu bemerken, dass der Mensch nur durch Menschen erzogen wird, durch Menschen, die ebenfalls erzogen sind.“ Es ist nicht die Erziehung des Menschen durch die Natur oder durch Gott gemeint, sondern durch den Menschen. Kant brachte damit das bürgerliche Selbstverständnis seiner Zeit zum Ausdruck: Wir sind, was wir aus uns machen. Nicht etwa Gott oder die Natur machen Menschen zu Menschen. Menschen werden nicht als Menschen geboren, sondern im Zustand der „Wildheit“ und deshalb bedürfen sie der Erziehung. 2. Kultivierung: Unter Kultivierung versteht Kant Unterweisung, Bildung, Belehrung, also den an dem Prinzip der Geschicklichkeit orientierten positiven Teil der Erziehung. Kultivierung in diesem engen Sinne bedeutet die Erschließung dessen, was man in der Pädagogik „Bildungswelt" genannt hat. Erst wer Einsicht in die Gegebenheiten, Werke und Maßstäbe der ihn tragenden Kulturwelt gewinnt, erhält die Chance, sich zu befreien. 3. Zivilisierung: Während Kultivierung die Entdeckung und Steigerung der Individualität beabsichtigt, ist die pädagogische Handlungsform der Zivilisierung auf die soziale Wertsphäre bezogen. Die Zivilisierung lässt den Menschen zu einem Mitglied der Gesellschaft werden, das deren Werthorizonte annimmt und sich in der Orientierung an ihnen entwickelt. 4. Moralisierung: Mit Moralisierung ist die komplexeste und komplizierteste Dimension der Erziehung angesprochen, denn man kann sie durch „Dressur“, „Abrichten“, „Befehlen“ nicht erreichen. Vielmehr kann man sie nach Kant nur dann angehen, wenn man dafür sorgt, „dass die Kinder denken lernen“. Der Mensch muss auch die Gesinnung bekommen, dass er nur lauter gute Zwecke erwähle. Gute Zwecke sind diejenigen, die notwendigerweise von jedermann befürwortet werden; und die auch zu gleicher Zeit jedermanns Zwecke sein können. „Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss.“ An die Stelle der Instinkte tritt Erziehung (Erziehungsbedürftigkeit und Erziehungsfähigkeit): Die Begründung ist: „Ein Tier ist schon alles durch seinen Instinkt. Der Mensch aber braucht eigene Vernunft. Er hat keinen Instinkt und muss sich selbst den Plan seines Verhaltens machen. Weil er aber nicht sogleich im Stande ist, dieses zu tun, sondern roh auf die Welt kommt, müssen es andere für ihn tun.“ Eines der größten Probleme der Erziehung ist, wie man die Unterwerfung unter den gesetzlichen Zwang mit der Fähigkeit, sich seiner Freiheit zu bedienen, vereinigen könne. Denn Zwang ist nötig! Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange? Freiheit ist (zunächst) die „Unabhängigkeit von Gesetzen“ (Willkürfreiheit); eigenen „Launen“ zu folgen. Freiheit ist aber auch ein Zustand praktischer Selbständigkeit: von anderen nicht abhängig zu sein. Kultivieren der Freiheit ist negativ: „Einschränkung von Freiheit“ und positiv: „Anleitung zum guten Gebrauch der Freiheit“. Zwang ist notwendig • weil der Zögling „tun muss, was ihm vorgeschrieben wird, weil er (noch) nicht selbst urteilen kann“. • weil der Zögling „tun muss, was andere wollen, wenn er will, dass andere ihm wieder etwas zu Gefallen tun sollen“ • weil das Kind „den unvermeidlichen Widerstand der Gesellschaft fühlen“ müsse. Zwang diene hier dem Interesse späterer Selbständigkeit Die Einschränkung der Freiheit (=Zwang) ist nur in dem Maße gerechtfertigt, wie sie sich im Interesse Zukünftiger Freiheit (=Selbständigkeit) als erforderlich erweist. freie uni für alle page 4 Theodor W. Adorno Theodor Wiesengrund Adorno 11. 9. 1903 in Frankfurt am Main – 6. 8. 1969 in Visp Adorno stammt aus einem jüdischen Elternhaus und war Philosoph, Soziologe und Musiktheoretiker. Während seiner Dissertation lernt er Max Horkheimer, Ernst Bloch und Walter Benjamin kennen, welche sein Denken maßgeblich beeinflussen. 1934 gelingt Adorno die Emigration nach Deutschland und schließlich in die USA. Nach dem 2. Weltkrieg kehrte er nach Deutschland zurück und wird Leiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Mit der „Dialektik der Aufklärung“ legt Horkheimer eine Kritik der Aufklärung als Herrschaft der Vernunft vor, die unaufgeklärt über sich selbst – in Irrationalität umschlägt. Dies birgt die Gefahr der Barbarei, wie sie sich im Nationalsozialismus als industrielle Massentötung von Menschen manifestierte. Die „Dialektik der Aufklärung“ gilt als der wichtigste Text der Kritischen Theorie, die u.a. gegen eine rein positivistischempirische Auslegung der Gesellschaft eintritt; eine Haltung, die im Positivismusstreit gegen Karl Popper und Hans Albert verfestigt wird. 1968 wird Adorno unfreiwillig zur Galionsfigur der Studentenbewegung, mit dieser sympathisiert er zunächst, distanziert sich aber zunehmend von ihr. Kritische Theorie Gegenstand ist die kritische Analyse der bürgerlichkapitalistischen Gesellschaft, das heißt: die Aufdeckung ihrer Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen und die Entlarvung ihrer Ideologien, mit dem Ziel einer vernünftigen Gesellschaft mündiger Menschen. Bildung als • Kultur: Bildung ist die „Zuneigung“ zur „Kultur“. Kultur hat jedoch Doppelcharakter: „Geisteskultur“ und „Kultur als reale Lebensgestaltung“. Halbbildung entsteht, wenn der Doppelcharakter der Kultur verloren geht und Bildung nur in der reinen Geisteskultur stattfindet: „Ihr eigener Sinn kann nicht getrennt werden von der Einrichtung der menschlichen Dinge. Bildung, welche davon absieht, sich selbst setzt und verabsolutiert, ist schon Halbbildung geworden.“ Anpassung ist in der Halbbildung allherrschend. • Ideologie: Bildung ist dynamisch, variabel, verschieden in ihrem Inhalt und ihren Institutionen in verschiedenen Epochen: Bildung ist „als Idee nicht transponierbar“. Halbbildung ist Bildung, die als Ideologie dienen soll: Bildung als Freiheitsidee des Bürgertums • Ware: Bildung ist „nicht unmittelbar einem anderen dienstbar, nicht unmittelbar an seinem Zweck zu messen“. Halbbildung: von „wahrhaften“ Inhalten der Bildung zu „warenhaften“ Inhalten freie uni für alle Folgen der Halbbildung • Verlust des kontinuierlichen Bewusstseins: „Erfahrung, die Kontinuität des Bewusstseins, wird ersetzt durch die punktuelle, unverbundene, auswechselbare Informiertheit, der schon anzumerken ist, dass sie im nächsten Augenblick durch andere Informationen weggewischt wird.“ • Verlust des kritischen Bewusstseins: „Kritisches Bewusstsein ist verkrüppelt zum trüben Hang, hinter die Kulissen zu sehen.“ Das urteilslose „Das ist“ • kollektiver Narzissmus: „Die Attitüde, in der Halbbildung und kollektiver Narzissmus sich vereinen, ist die des Verfügens, Mitredens, als Fachmann sich Gebärdens, Dazugehörens.“ „Denn die einmal erreichte Aufklärung, die Vorstellung, sie seien Freie, sich selbst Bestimmende, die sich nichts vormachen zu lassen brauchen, nötigt sie dazu, sich wenigstens so zu verhalten, als wären sie es wirklich.“ Bezug zur heutigen Zeit • Bild „Bücher und Wikipedia“: Das Internet wird zunehmend als Quelle der Informationsbeschaffung benutzt. Gegenüber einer Bibliothek hat dies den Vorteil der schnellen und einfachen Zugänglichkeit. • Bild „Uhr“: Adorno betont die Notwendigkeit von Muße für den Bildungsprozess anstelle der Unterordnung der Bildung unter ökonomische Ziele, Erwartungs- und Zeitdruck. Schule war eigentlich in ihrer ursprünglichen Bedeutung ein Ort der Muße, der Ort, an dem man sich nach der Arbeit ausgeruht hat, an dem man Zeit hatte für Erkenntnis und Gestaltung. Adorno betont, dass die wesentlichen Erkenntnisse und die Erfolge unserer Zivilisation auf diese Muße zurückgehen und nicht auf die Arbeit unter Zeitdruck und Erfolgszwang. Die großartigen Erfindungen und Entdeckungen konnten gemacht werden, weil sich Menschen ihr ganzes Leben mit bestimmten Fragen beschäftigen konnten, von denen man vorher gar nicht gewusst hat, dass sie einmal eine Bedeutung haben werden. • Bild „Wer wird Millionär?“: Fernsehshows wie „Wer wird Millionär“, in denen Kandidaten Wissensfragen unterschiedlichster Gebiete gestellt werden, erfreuen sich großer Beliebtheit. Der außerordentliche Publikumserfolg solcher Formate basiert darauf, dass ein Wissen abgefragt wird, bei dem jeder Zuschauer eine theoretische Chance hätte, in die oberen Gewinnränge zu gelangen, wenn er auf dem Kandidatenstuhl säße. „Wissen“ über Klatsch und Tratsch wird dabei genauso honoriert wie Allgemeinwissen. page 5 Heinz-Joachim Heydorn 14. 6. 1916 in Altona/Elbe bis 15.12.1974 in Frankfurt am Main Heinz-Joachim Heydorn betätigt sich als christlichmarxistischer Denker aktiv am linken Rand des politischen Spektrums und leistet philosophischpädagogische Grundlagenarbeit. Er studiert Philosophie, Sinologie und Englisch. In den 1930er-Jahren engagiert er sich im politischen Untergrund. 1944 entzieht er sich dem Wehrmachtsdienst und wird in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Seine akademische Karriere reicht von der Berufung an die Pädagogische Hochschule Kiel 1950 über das Pädagogische Institut Jugenheim 1952 bis zur Professur für Erziehungs- und Bildungswesen sowie Philosophie an der Universität Frankfurt/Main. Heydorn ist Verfechter einer kritischen Bildungstheorie, die radikal subjektorientiert die Befähigung zur gesellschaftlichen Arbeit mit der Notwendigkeit politischen Handelns vereint. Seine historischsystematische, philosophisch fundierte Bildungstheorie richtet sich gegen vermeintlich unabänderliche gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse. So bleibt er scharfer Kritiker des Schulsystems der BRD, das seiner Auffassung nach in erster Linie der Reproduktion und Aufrechterhaltung der Klassenstrukturen dient. Bezüglich der Bedeutung der Sprache habe ich noch das nachfolgende Zitat gefunden: „Die Wucht dieser Sprache ist beeindruckend, nicht durch ihren Logos, sondern durch ihr Pathos. Sie verlangt Anerkennung, anderenfalls setzt sich der Leser allgemeiner Ächtung aus. Diese Sprache ist weder liberal, noch entstammt sie einer pluralen Wissenschaftskultur. Sie macht dem Leser kein Angebot, den Text als eine von mehreren Deutungsmöglichkeiten zu verstehen, sondern fordert Zustimmung. Heydorn wollte Emanzipation von jenen Verhältnissen, mit denen sich die politische Linke der Bundesrepublik arrangierte. Denn nach Heydorns Überzeugung bemerkte die gemäßigte Linke nicht, wie sehr sie damit ihr Widerspruchspotenzial verloren hatte. Dass Heydorns Sprache der Befreiung antiliberal sein musste, gehört zur Normalität der Paradoxien emanzipatorischen Denkens im 20. Jahrhundert“ (vgl. Retter 2010, S. 5) Heydorn und Sprache Nachfolgend die wichtigsten Zitate: „Die neue internationale Verkehrssprache ist Ausdruck des heruntergekommenen Kapitalismus“. „Diese Sprache quantifiziert, hat den Menschen schon ausgeweidet, zerstört die Dimension des Bewusstseins, die das Gegenwärtige übergreift“ „Sprache der Fremdbestimmung“ „Die Sprache des Neopositivismus ist die Sprache der geistigen Deportation. Mit ihr erst wird der Begriff zum Gespenst. Das progressive Vokabular ist das Vokabular des kommenden Industriefaschismus, der Blut und Boden endgültig hinter sich hat, das Vokabular einer empirischen Sozialwissenschaft, die sich zu Recht als Naturwissenschaft versteht, da sie Ausdruck des Rückfalls aus einer menschlichen Geschichte in die Naturgeschichte des Menschen ist. Die Sprache des Neopositivismus ist die Verkehrssprache des amerikanischen Imperiums, die alle Widersprüche über die Nomenklatur ihres psychotechnischen Instrumentenkoffers hinauseskamotiert und damit stetig neue Irrationalis akkumulieren muss. Kein Psychiater hilft davon ab und keine Gruppendynamik. Doch ist dieser Irrationalismus, der im geblendeten Menschen lauert, im ziellosen Aufbegehren gegen sich selbst, als latente Neurose und Ausdruck der Ohnmacht, höchst brauchbar, wenn einmal der Untergrund instrumentalisiert wird. Es ist jene neue Sprache, mit der sich auch die Gesamtschule in der Bundesrepublik einführt“ (Heydorn 1970). freie uni für alle page 6 Michel Foucault 15.10.1926 in Poitiers – 25. 6. 1984 in Paris Foucault stammt aus einer bürgerlichen Ärztefamilie. Nach dem Studium der Philosophie und der Dissertation über „Wahnsinn und Gesellschaft“ wird er Dozent für Psychologie, eine Professur folgt. Mitte der 1960er-Jahre lehrt er u.a. in Tunis. Zu dieser Zeit entstehen wichtige Werke: „Die Ordnung der Dinge“ und „Archäologie des Wissens“. 1970 erhält er einen Lehrstuhl für Geschichte der Denksysteme. Seine Lesungen aus dieser Zeit brachten ihm internationale Anerkennung. In seiner Antrittsvorlesung behandelte er in "L’ordre du discours" (Die Ordnung des Diskurses) Überlegungen zum Zusammenhang von Sprache, Macht und Gesellschaft. Die große Phase der Analytik von Macht- und Wissensproduktion beginnt. Ungebrochen bleibt Foucaults politisches Engagement in seinen Büchern wie auf der Straße, es ist die Zeit der großen Demonstrationen. Aus dieser Schaffensperiode ist vor allem „Überwachen und Strafen“ pädagogisch kontroversiell wie aufmerksam rezipiert worden. Darin zeichnete er die Entwicklung der Bestrafung vom Mittelalter zur Moderne. Foucault kam dabei zu der Ansicht, dass in der Moderne die Bestrafungen möglicherweise unmenschlicher vollzogen wurden als im Mittelalter. Der kritische Begriff der "Macht" erfuhr in der Folge einen Wandel in seiner Bedeutung. Die Machtausübung zeigte sich somit seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr in der Unterdrückung der Individuen, sondern in der unmittelbaren Sozialisierung unserer Gesellschaft (Selbstunterdrückung). Ein Dokument dafür sei die für die Moderne charakteristische Selbstdisziplinierung an Körper und Geist. Mit dieser Erkenntnis einhergehend stieg auch Foucaults persönliches Interesse, sich verstärkt neben der Wissenschaft für soziale Projekte und bei politischen Aktionen einzusetzen. Strukturalismus – Poststrukturalismus Der Strukturalismus ist die Hauptrichtung der allgemeinen Sprachwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Grundgedanke ist, die Sprache als ein System von formalen Elementen (Phoneme, Morpheme, Wörter, Phrasen, Sätze, Texte) anzusehen und die zwischen ihnen waltenden Beziehungen offen zu legen. Ausgehend vom sprachwissenschaftlichen Strukturalismus sowie von den russischen Formalisten und der Prager Schule entstand in den 1960er Jahren in Frankreich der Strukturalismus als universale Denkrichtung in den Kultur- und Geisteswissenschaften. Er versucht, die in sozialen und geistigen Systemen vorhandenen Beziehungen zwischen Elementen, die als Zeichen angesehen werden, aufzudecken und Strukturen nachzuweisen, aus denen sich alle Einzelphänomene bestimmen lassen sollen. Die wesentlichen gemeinsamen Gesichtspunkte des Strukturalismus liegen in der freie uni für alle Bevorzugung der synchronen (nicht-historischen) Methode und in der Nichtreduzierbarkeit einer Struktur auf einen anderen, sie begründenden Sachverhalt. Poststrukturalismus Der Begriff Poststrukturalismus kennzeichnet unterschiedliche geistes- und sozialwissenschaftliche Ansätze und Methoden, die Ende der 1960er Jahre zuerst in Frankreich entstanden und die sich auf unterschiedliche Weise kritisch mit dem Verhältnis von sprachlicher Praxis und sozialer Wirklichkeit auseinandersetzen. Maßgeblich ist dabei die Einsicht, dass die Sprache die Realität nicht bloß abbildet, sondern mittels ihrer Kategorien und Unterscheidungen auch herstellt. Typischerweise ist mit dieser Perspektive auch eine Abkehr von einer objektivistischen Sicht auf die Gesellschaft verbunden, die soziale Tatsachen als notwendig ansieht; stattdessen werden die unterschiedlichen Möglichkeiten (Kontingenz) gesellschaftlicher Entwicklungen betont. Diskursanalyse Der Diskurs hat etwas mit Konversation zu tun und meint etwa die „Rede über etwas“. Im Sinne Foucaults bezeichnet Diskurs eine Menge von Aussagen sowie das komplexe Bündel von Regeln und Bedingungen, denen diese Aussagen unterliegen. Aussagen sind die Grundeinheiten eines Diskurses, also die Umschreibung dessen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort wirklich gesagt wurde bzw. gesagt werden konnte. Es wird von Regeln bestimmt, wann welche Aussagen zulässig sind. Nur unter Beachtung dieser Regeln können Aussagen im Diskurs platziert werden. Die Möglichkeiten und Bedingungen, Aussagen zu treffen, sind jedoch nicht für immer festgelegt, sondern verändern sich im Laufe der Zeit und variieren von Epoche zu Epoche. Als Diskursanalyse kann allgemein die methodische und forschungslogische Umsetzung diskurstheoretischer Annahmen verstanden werden. Konkret bedeutet dies ein mehr oder weniger systematisiertes Vorgehen bzw. Verfahren bei der Entwicklung wissenschaftlicher Probleme, Fragen, Aussagen sowie deren empirische Überprüfung unter Berücksichtigung diskurstheoretischer Annahmen unter Zuhilfenahme sprachwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Instrumente. Die Diskursanalyse gewährt Einblicke in die historische Entstehung einer Ordnung, die wir als natürlich gegeben annehmen, und untergräbt Kategorien, die wir niemals in Frage gestellt hätten. Foucault und Pädagogik Beispiel Schule Die Schule stellt innerhalb der Disziplinargesellschaft eine Institution unter vielen dar, wobei ihr sicherlich ein wichtiger Aspekt zukommt. Sie übernimmt die Aufgabe das Individuum an ein Leben heranzuführen, page 7 welches durch eine Kette von Institutionen geprägt ist. Nachweislich durchläuft das Disziplinarsubjekt während seines Lebens eine Vielzahl von Institutionen und dies meist ohne große Unterbrechungen. Eine Institution folgt der andern. Die Schule selbst stellt dabei eines der ersten Glieder dieser Kette dar, welches aber auf die nachkommenden Institutionen vorbereitet. Vor diesem Hintergrund dient die Institution Schule als wichtiges Instrumentarium für die Disziplinargesellschaft. Hier einige Beispiele für deren Disziplinierung: Jedes Schulgebäude ist eine bauliche Abschließung, bei der die Schüler unter sich bleiben, besonders deutlich wird dies am Beispiel Internat. Innerhalb der Klassen hat jeder Schüler seinen Platz. Eine weitere Parzellierung findet wiederum auf einer andern Ebene statt, welche den Schüler nach seinen Leistungen räumlich einteilt und klassifiziert, zum Beispiel in Leistungsgruppen. Die zeitliche Einteilung ist ein wesentliches Element jedes Unterrichts. So sind Stundenpläne, die Dauer von Unterrichtsstunden, Pausen usw. genauestens geregelt. In der Schule hat sich eine Mikro-Justiz der Zeit (Verspätung, Abwesenheit,...), der Tätigkeit (Unaufmerksamkeit, Nachlässigkeit,...), des Körpers (unkorrekte Körperhaltung) entwickelt. Als Sanktion wird dann jener Bereich bevorzugt, welcher unter den des Übens, des Intensivierens oder des wiederholten Lernens fällt. Die Prüfung stellt das Kernstück einer jeden Schule dar und ist eine Kombination aus überwachendem Blick und der normierenden Sanktion. „Sie ist ein normierender Blick, eine qualifizierende, klassifizierende und bestrafende Überwachung.“ (Foucault, 1976, S. 238) Im Sinne einer Klassifizierung durch die freie uni für alle Prüfung entscheidet sie auch den weiteren Werdegang eines Schülers, indem sie sein Individuum sichtbar macht. Beispiel Universität Was wird von Individuen verlangt? • Fähigkeit und Willen, sich den ständig wechselnden Anforderungen anzupassen. • Schlüsselqualifikationen erwerben, um flexibel zu sein. • Schüsselqualifikationen sollen das Subjekt befähigen, in verschiedenen Berufen einsetzbar zu sein (Employability). • Lebenslanges Lernen (LLL) soll diese „employability“ möglichst lange sichern. • schnellere Erwerben von Zertifikaten, kürzere Studien (Bachelor), das hat für die Wirtschaft zwei Vorteile o günstigere Arbeitskräfte o verweilen um ein Jahr weniger im Ausbildungs- bzw. Bildungssektor Es kann gesagt werden, dass die bildungspolitischen Veränderungen eingeleitet und umgesetzt wurden, um die Beschäftigungszahlen zu erhöhen, den europäischen Wirtschafts- und Bildungsraum zu vereinheitlichen, damit die Menschen flexibel in den verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt werden können usw. Vom Individuum wird Anpassung gefordert. Es muss sich rasch wechselnden Erfordernissen der Wirtschaft fügen, flexibel einsetzbar sein (Kompetenzen zusätzlich zu Fertigkeiten erwerben). page 8 Pierre Bourdieu 1. 8. 1930 in Denguin - 23. 1. 2002 in Paris Bourdieu ist ein französischer Soziologe, welcher aus einfachen Verhältnissen stammt, dem aber dennoch der Zutritt zu Frankreichs elitärsten Bildungsinstitutionen gelingt. Der Kriegsdienst in Algerien prägt Bourdieus politisches wie theoretisches Engagement. Der Fokus auf den realen Lebensbedingungen der Menschen bleibt ein charakteristisches Merkmal seiner Forschungs- und Publikationstätigkeit. Ende der 1990er-Jahre wird er aufgrund seiner Unterstützung von ATTAC prominenter Akteur der Globalisierungskritik. Wichtige Werke: „Die feinen Unterschiede“, „Das Elend der Welt“ Sein zentrales Anliegen war, soziale Ungleichheiten und Machtmechanismen in der Gesellschaft, in der Wissenschaft sowie im Bildungssystem aufzudecken, ihre Ursachen und Wirkmechanismen zu ergründen und darüber hinaus Handlungsstrategien zu entwickeln. Deshalb hat er nicht nur wissenschaftlich gearbeitet, sondern sich auch in die Politik eingemischt und politisch-soziale Bewegungen initiiert und unterstützt. Habitus: Ausdruck für das Auftreten oder Benehmen eines Menschen; für die Gesamtheit seiner Vorlieben und Gewohnheiten bzw. für die Art, sich zu verhalten Kapitalformen • Ökonomisches Kapital: Jede Art von Ware, die direkt in Geld umwandelbar und in der Form des Eigentumsrechtes institutionalisiert wird, zB Unternehmen, Grund und Boden, Geld, Aktien, etc. • Kulturelles Kapital: - Inkorporiertes Kapital: ist körpergebunden und wird zum Teil des Habitus einer Person. In diesem Zusammenhang spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. - Objektiviertes Kapital: umfasst das Wissen und die Kulturguter (z.B.: Bücher, Bilder, Instrumente, Maschinen, etc.). Wichtige Rolle: Geld und Zeit. - Institutionalisiertes Kapital: umfasst die schulischen und akademischen Titeln. Schafft die Differenz zwischen Titelinhaber und Autodidakten. • Soziales Kapital: Mit diesem Begriff bezeichnet Bourdieu die Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen, die mit der Teilhabe an dem Netz sozialer Beziehungen gegenseitigen Kennens und Anerkennens verbunden wird. Bsp.: die Familie, die Ehemaligen von Elite-Schulen, Clubs, Adelsgruppen, Parteien, etc. Wichtige Rolle: Beziehungsarbeit (steigert die Profitchancen im kulturellen und ökonomischen Bereich. freie uni für alle Modell des sozialen Raumes Bourdieu sieht die Gesellschaft als einen sozialen Raum. Für ihn besteht der soziale Raum aus mehreren Dimensionen, die er als drei über einander gelegte (transparente) Schemata konzipiert: Kapitalvolumen, Kapitalart und die Beziehung zwischen sozialer Position und Lebensstilen (kulturelle Vorlieben, Hobbies, Freizeitgestaltung etc.). Er spricht von einer Art „Achsenkreuz“: „die vertikale Achse hat ein „oben„ und ein „unten“, die horizontale einen intellektuellen und einen ökonomischen Pol“. Soziale Klassen Soziale Klassen werden nach Bourdieu durch die objektiven Lebensbedingungen, den Klassenhabitus und den spezifischen Lebensstil bestimmt. Er unterscheidet: herrschende Klasse / Mittelklasse (Kleinbürgertum) / Volksklasse (Beherrschte) Geschmack Der Geschmack dient den Individuen als klassifizierende Kompetenz, mit der sie Personen, Qualitäten und Objekten wahrnehmen und bewerten können. Die drei Formen sind durch den Klassenhabitus geprägt: 1. legitimer Geschmack (Oberklasse) 2. mittlerer Geschmack (Kleinbürgertum) 3. populärer/illegitimer Geschmack (Volksklasse) Bourdieu und Pädagogik Das Bildungsparadoxon liegt daran, dass Schule und institutionalisierte Bildungseinrichtungen soziale Ungleichheit reproduzieren, indem sie ihre Lernenden und Ansprechpersonen als gleichwertig betrachten und die individuelle und sozial unterschiedliche Herkunft negieren: Wenn Kinder in die Schule kommen, sind sie von ihrem bisherigen sozialen Umfeld geprägt und bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit. Familien verfügen über ungleiche finanzielle und kulturelle Ressourcen. Gleichzeitig „vermittelt jede Familie ihren Kindern auf eher indirektem als direktem Weg ein bestimmtes kulturelles Kapital und ein bestimmtes Ethos, ein System impliziter und tief verinnerlichter Werte, das u.a. auch die Einstellungen zum kulturellen Kapital und zur schulischen Institution entscheidend beeinflussen“. Entstehung von Ungleichheit: Makro-, Meso- und Mikroebene page 9