Excerpt Dahrendorf Pfade aus Utopia2 - streber-zirkel

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Dahrendorf, Ralf: Pfade aus Utopia. Arbeiten zur Theorie und Methode der Soziologie
7 Homo Sociologicus: Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen
Rolle
„Soziale Rollen sind ein Zwang, der auf den Einzelnen ausgeübt wird, mag diese als eine Fessel
seiner privaten Wünsche oder als ein Halt, der ihm Sicherheit gibt, erlebt werden.“(Dahrendorf:
146)
 Gesellschaft verfügt über Sanktionen, mit denen Vorschriften erzwungen werden können
 Unterscheidung:
● positive Sanktionen (z.B. Orden → könnten auch abgelehnt werden(nicht bindend))
● negative Sanktionen (nur schwer entziehbar)
→ die meisten Rollen enthalten „Muss-Erwartungen“:
„...sind diese Vorschriften gewissermaßen der harte Kern der Rolle; sie sind[...]ausdrücklich
formuliert, ihre Verbindlichkeit ist obsolet; die ihnen zugeordneten Sanktionen sind ausschließlich
negativer Natur.“ (Dahrendorf: 148)
 Sanktionierung bezieht sich nicht nur auf Gerichte und Gesetze;
 viele Organisationen quasi-rechtliche Institutionen zur Einhaltung (müssen für einzelnen
nicht weniger folgenreich sein, z.B. Kirchenbann)
zweite Gruppe von Erwartungen an soziale Rollen: „Soll-Erwartung“
 erzwingbare Verbindlichkeit kaum geringer → auch Überwiegen negativer Sanktionen
 werden Rollenerwartungen erfüllt, gilt Person bsp. Als „Vorbild“
 „Kann-Erwartungen“:
 mehr oder weniger freiwillige, zusätzliche Rollenerwartung
(D. bringt Beispiel Spendensammeln für Partei, Vater der Kindern jede freie Minute schenkt,...)
→ Erwerb von Schätzung durch andere Personen
 in verschiedenen Institutionen kann „Kann-Erwartung“ Grundlage für Fortkommen sein
→ „Muss-Erwartungen“
Art der Erwartung
Sanktion: (positiv)
Sanktion: negativ
BSP: Schatzmeister
Club
Muss-Erwartung
-
Ger. Bestrafung
Ehrliche
Finanzangaben
Soll-Erwartung
(Sympathie)
Soz. Ausschluss
Aktive Teilnahme
Kann-Erwartung
Schätzung
(Antipathie)
Spendensammeln
 “Muss“-Erwartungen oft im Gesellschafts- und Rechtssystem
→ hinter ihnen „Kraft des Gesetzes und Drohung der Gerichte“(S.158)
 hingegen „Soll“-Erwartungen in öffentlichen Organisationen, Parteien, Clubs
 Zwang sanktionierender Rollenerwartungen kann Freiheit des Menschen eingrenzen
 (Empfindung von Rollenerwartungen nicht selten als Ärgernis für Menschen; besonders,
weil Normen nicht selber geschaffen oder gewählt wurden)
 In der Folge wirft D. Frage auf, ob Mensch ohne 'Gesellschaft' in der Lage wäre, Leben
schöpferisch zu gestalten:
„...Dass die Tatsache der Gesellschaft ein Gerüst sein kann, dass uns aufrechterhält und uns
Sicherheit gibt, gilt auch für die, die bemüht sind sich von ihren Rollen nach Möglichkeit zu
distanzieren.“(Dahrendorf: 151)
Wer definiert soziale Rollen und Einhaltung?:
 (Dahrendorf prüft, ob dies in etwa durch Parlament oder Regierung geschehen könne
→ sei zwar zum Teil richtig, aber Fehler liege darin, dahinter immer nur eine Instanz
oder Kollektiv zu sehen)
 in meisten Positionen hat Träger nicht nur eine einzige Beziehung zu anderer Position
(Ehemann → Ehefrau)
→ Mensch im Feld von „Personen und Kategorien oder Aggregaten von Personen“
 Akteur kennt für jede Gruppe eigenen isolierbaren Satz von Erwartungen
(D. mutmaßt, dass das dort Zusammenhang zwischen Normen und Rollenerwartungen
entsteht)
→ „Bezugsgruppe“ :
„Wenn wir unter Bezugsgruppen […] solche Gruppen verstehen, zu denen seine Positionen ihn
notwendig in Verbindung bringen, dann können wir sagen, dass jedes Positions- und Rollensegment
eine Verbindung zwischen dem Träger und seiner Position und einer oder mehrerer Bezugsgruppen
darstellt.“(Dahrendorf: 154)
 für jede menschliche Gruppe Regeln und Sanktionen angebbar
→ wirken auf Mitglieder der Gruppe oder externe Nicht-Mitglieder
Normen sind veränderlich:
 ohne Mehrheit in der Gruppe ist nicht stark (bsp. wenn sie „allenfalls toleriert“ wird)
→ Glaube an Legitimität wenig ausgeprägt → Normgeltung kann trotzdem bestehen
→ Abänderung in der Zukunft nicht unwahrscheinlich
 Durch Verbindung der Bezugsgruppen zur sozialen Rolle Personifizierung der Gesellschaft
greifbar
 „...Gesellschaft als ein Konglomerat mehr oder minder verbindlicher, mehr oder minder
partikularer Gruppennormen“ (S.159)
 jede Gruppe trägt zur Formung vieler Rollen bei;
 jede Rolle als Resultat der Einwirkung vieler Gruppen.
wichtigstes Unterscheidungsmerkmal sozialer Positionen:
● dem Einzelnen ohne Zutun zugefallen (z.B. Geschlechts- oder Nationalzugehörigkeit)
● durch eigene Aktivität(Auswahl) erreicht (z.B. Stellung im Berufsleben)
→ heißt nicht das nur Wahl über Erhalt der Position entscheidet (z.B. Berechtigungsnachweis:
Zeugnis)
 Zuordnung von Positionen für Einzelnen als Prozess sich ständig verringernder
Möglichkeiten (Erwachender → Mann → Bewohner Stadt XY)
 jeder sozialen Position haftet folglich Rolle an
→ Satz von Erwartungen, an das Verhalten des Trägers
→ wird von Bezugsgruppen sanktioniert
 Sozialisierung durch Verinnerlichung von Verhaltensmustern
→ Einzelne übernimmt Vorschriften der Gesellschaft als Bestimmungsgrund für eigenes Verhalten
„Durch Beobachtung, Nachahmung, Indoktrination und bewusstes Lernen muss er in die Formen
hineinwachsen, die die Gesellschaft für ihn als Träger seiner Position bereithält“(Dahrendorf: 164)
 geschieht durch Eltern, Freunde, Lehrer, Vorgesetzte bzw. Erziehungssystem
 Rollenverinnerlichung und Positionszuordnung verlaufen komplementär
→ „…der sozialen tabula rasa wird Plan der Gesellschaft eingeritzt“ (S.164)
 Prozess der Sozialisierung lt. D. immer Prozess der „Entpersönlichung“
 Mensch hat „freiem Bereich seiner Rolle“
→ daneben durch „verbindliche Erwartungen geregelten Verhaltensbereich“ (S.165)
→ Eingrenzung
„..wir dürfen gewisse Dinge nicht tun, aber solange wir diese vermeiden sind wir in unserem
Verhalten frei.“ (S.165)
Schluss: Gesellschaft prägt Persönlichkeit; → Persönlichkeit kann Gesellschaft mitprägen
(D. befasst sich im folgendem mit der Terminologie von R. Linton)
 1936 veröffentlichtes Buch: „Study of Man“
 verwendet für Begriff der Position Wort „Status“
 definiert als „A status, as distinct from the individual who may occupy it, is simply a
collection of rights and duties“ (S.167)
 vielzitiertes Bild: Fahrersitz Auto mit Lenkrad und Schalthebel als Konstante →
individuelle Fahrer
 Rolle als „...dynamic aspect of a status. The inividual is socially assigned to a status and
occupies it with relation to other statuses. When he puts the rights and duties ehich
constitute the status into effect, he is performing a role. Role and status are quite
inseperable...“(S. 167)
 auch hier wieder Kritik Dahrendorfs:
 „status“ zu sehr mit hierarchischem Sozialprestige verbunden
jedoch: Nicht Mensch, sondern Position hat Prestige
→ „Position“ lt. Dahrendorf sicherer Begriff
(Dahrendorf befindet Unklarheiten, so z.B. die fehlende Trennung von Rolle und Position(auch bei
anderen Autoren!) und die Psychologisierung der Rollen)
„Das regelmäßige Verhalten von Individuen zu anderen Individuen gewinnt soziologische
Bedeutung, insofern es sich als Verhalten zu vorgeformten Mustern verstehen lässt, also in der
Spiegelung jener nicht individuellen Tatsachen erscheint... “(S.168)
 Zwei unvereinbare Rollenbegriffe stehen gegenüber:
(werden auch wieder unterschiedlich genutzt)
● tatsächliches, regelmäßiges Verhalten von Person
● in den Normen der Gesellschaft, die das Verhalten der Person festlegt
→ bezeichnet als „Dilemma der Begriffsdopplung“
 gemeinsamer Kern: es Bedarf einer Art sozialer Rollenbegriff (Schnittpunkt Einzelner ↔
Gesellschaft) + erwartete Verhaltensmuster: Rechte und Pflichten
→ empirische Untersuchung sozialer Rollen möglich
→ Homo Sociologicus bezeichnet als:
„...als Mittel zum Zweck der Rationalisierung, Erklärung und Kontrolle eines Ausschnittes der Welt,
in der wir leben“ (S.174)
 Dahrendorf macht auf Problem aufmerksam:
„... die strikte Beschreibung einer sozialen Rolle ist noch nicht versucht worden[…]das die
Beschreibung sozialer Rollen erhebliche methodische und technische Probleme mit sich
bringt.“(S.176)
→ trotzdem müssten Methoden zur Beschreibung sozialer Rollen entwickelt werden:
 [1] soziale Positionen aussondern (Abgrenzung wichtigster Gruppen soz.Positionen) und
Klassifizierung von Rollenerwartungen (Muß-, Soll-, Kann- Erwartungen)
 [2] Ermittlung der Bezugsgruppen bestimmter sozialer Positionen und betimmung des
Gewichts der Abhängigkeit
● Gewicht der Bindung an Bezugsgruppe > Identifizierung der Bezugsgruppe
Frage: Wer ist für das Verhalten von Lehrer wichtiger: Vorgesetzte oder Kollegen?

neg. Sanktionen ebenfalls von Interesse
 [3] Identifizierung und Formulierung von Rollenerwartung und Sanktionen
Herausarbeitung auf soz. Position anwendbaren Gesetze und Bestimmungen
(D. schlägt dazu empirische Befragung zu erwarteten Eigenschaften von Inhaber der Position
vor;
→ Ansatz verwundert: D. äußert sich im Vorfeld eher kritisch zum Erfolg solcher Methode)
 Unterscheidung von Erwartungskonflikten innerhalb sozialer Rollen:
Intra-role-conflict
Inter-role-conflict
Erwartungskonflikt innerhalb sozialer Rollen
Konflikte zwischen Rollen (einer Person)
z.B. doppelter Erwartungshorizont Arzt:
z.B Industrialisierung: Durch Arbeit außer Haus
1. Dienst am Patienten
Trennung von Familien bzw. Berufsrollen →
2. administrative Aufgaben der Bürokratie
Arbeit + Erziehung der Kinder nicht mehr
vereinbar
(Hier ist m.E. Nicht ganz schlüssig, ob Inter-role-conflict sich auf mehrere soz. Rollen nur
einer Person bezieht; D. bringt noch das Beispiel des Interessenkonfliktes zwischen Arbeiter
und Unternehmer → vermutlich beides möglich)
 lt. Dahrendorf: Durch wissenschaftliche Arbeit Mensch und seine Freiheit aus den Augen
verloren → unvermeidlicher Prozess durch Intention der Soziologie
 moralischer Anspruch der Soziologie: Verzicht auf Rationalisierung der
Gesellschaftsanalyse
≠
 durch wissenschaftlichen Ansatz moralische Anliegen im Hintergrund
d.h. nach Kant: „das Motiv der Freiheit des Menschen unserer Erfahrung gegenüber der
Determiniertheit des homo sociolgicus.“ (S.185)
 jeder Mensch unterliegt Paradoxon des „doppelten Charakters“:
● beobachtbarer, empirischer Charakter
● intelligiblen(='verstehbar') Charakter durch praktische Vernunft bedingt
→ macht ihn zum freien und moralischen Wesen
 der freie, Einzelne ist der empirischen Forschung nicht zugänglich
 auch konstruierte Homo-soziologicus nur Produkt von systematischen Erscheinungen
 Trotzdem „...Erdbewohner und Landbewohner keineswegs zwei Sphären, die neben- und
durcheinander bestehen, ohne sich zu stören...“ (S.188)
Ausblick Dahrendorf:
„Der Punkt ist nicht fern, an dem der aller Individualität und aller moralischen Verantwortung bare
homo-sociologicus....den freien, integeren Einzelnen, der Herr seines Tuns ist, ersetzt hat.“ (S.190)
 D. weißt darauf hin, das H.S. Nur hypothetischer Mensch ist (von Soziologen nicht mehr
wahrgenommen)
(D. spitzt Hypothese zu und fragt sich, wie vor Gericht Schuld Angeklagtem (determiniert!)
ermittelt werden soll.)
 Apell: sowohl Freiheit des Einzelnen ∩ Gedanke an konstruktives Ergebnis(polit.
Veränderung) nötig
→ nur so Gesellschaft freier Menschen möglich
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