Was ist deliberative Demokratie? Perspektiven einer „globalen Menschenrechtskultur“ Dr. Elisabeth Ehrensperger Ralf Dahrendorf Die Krisen der Demokratie Thesenpapier Zur Person Ralf Dahrendorf ist Professor für Soziologie. Geboren 1929. Er lehrte u.a. in Konstanz, New York und Oxford. Ebenfalls war er politisch aktiv für die deutsche FDP. Seit 2005 ist er Forschungsprofessor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Zum Text Die politischen Institutionen müssen auf folgende Fragen eine Antwort geben können, damit man sie als demokratisch bezeichnen kann: 1. Wie kann Veränderung ohne Gewalt herbeigeführt werden? 2. Wie kann durch „checks and balances“ die Machtausübung kontrolliert werden? 3. Wie kann das Volk an der Ausübung der Macht mitwirken? Probleme: Gewählte Regierungen geraten schon beim kleinsten Anzeichen einer Krise in heftige Kritik. Parlamente verlieren die Kontrolle über die Regierungen. Demokratie in diesem Sinne funktioniert nur im Rahmen der Nationalstaaten. Die Krise des Nationalstaates äussert sich darin, dass viele Entscheide nicht mehr an einem bestimmten Ort gefällt werden. Die globale Klasse (Elite) steht den Nationalstaaten feindlich gegenüber. Forderungen: Demokratie und Rechtsstaat sind zwei verschiedene Dinge. Wenn die Demokratie nicht auf der ganzen Welt durchsetzbar ist, so doch der Rechtsstaat. Die politischen Führer müssen ihre Rolle als Führer stärker wahrnehmen. Demokratie „Government of the people, by the people, for the people.“ (Gettysburg-Formel) 3 Modelle: liberale, republikanische, deliberative Demokratie. Wellen der Demokratisierung (Huntington): 1828-1926 (USA, Schweiz, England, Frankreich), 1943-1962 (Europa, Teile Lateinamerikas, Asiens, Afrikas), 1974-1990 (Portugal, Spanien, Ostblock) Rechtsstaat: Gegenmodell zum absolutistischen Polizeistaat. „Frei ist der Mensch erst, wenn er nicht mehr Menschen, sondern nur noch Gesetzen gehorchen muss“ (Nicolaus Cusanus) Verstanden wird darunter: Gewaltenteilung, Verfassung als oberste Norm, Verhältnismässigkeit, Persönliche Grundrechte, Gerichte als Kontrollinstanz. Kritik/Fragen: Wie soll die Ausdehnung des Rechtsstaats ohne Demokratie funktionieren? Gehören die beiden Begriffe nicht historische zusammen? Dahrendorf ist selber sehr zurückhaltend, was die Zukunft der Demokratie anbelangt. Dennoch kritisiert er den Pessimismus im Bezug auf die verloren gegangene Harmonie von Demokratie, Rechtsstaat und Wirtschaft. Ein Widerspruch? Bedingt die Forderung, dass die politische Führung weniger Rücksicht auf Wählerverluste nehmen soll nicht eine starke Schwächung demokratischer Grundrechte? Was ist deliberative Demokratie? Perspektiven einer „globalen Menschenrechtskultur“ Dr. Elisabeth Ehrensperger Ralf Dahrendorf Die Krisen der Demokratie Thesenpapier 14 Herausforderungen der Demokratie1 1. Zunehmende Komplexität von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik 2. Spannungen zwischen nicht demokratisch legitimierten Regierungen und demokratischen Nationalstaaten in internationalen Problemlagen. 3. Soziokulturelle Auseinandersetzung v.a. infolge des Aufeinanderprallens von Fundamentalismus und Säkularisierung. 4. Nord-Süd Konflikt: Überbevölkerung der ärmeren Länder und die daraus folgenden Wanderungsbewegungen. 5. Alterungsproblem: Abnehmende Geburtenrate und höherer Lebenserwartung führen zu Finanzierungsproblemen. 6. Ökologieproblem: Erderwärmung, Erosion und Konflikte über die Energieversorgungstechnologie. 7. Gesellschaftsspaltung: Wohlstandsteigerung und Anhäufung von Reichtum auf der einen Seite, Stagnation auf der anderen Seite. 8. Zunehmende ethnische Mobilisierung. 9. Verknappung des „Sozialkapitals“ durch Steigerung der egoistisch-rationalen Eigennutzmaximierung. 10. Die Macht der Medien und die Medialisierung der Politik. 11. Schwindendes Interesse an Politik und Demokratie. 12. Abwälzung von heutigen Lasten auf zukünftige Generationen. 13. Sieg und Niederlage in Demokratien werden durch geringfügige Variationen der Spielregeln entschieden. 14. Spannungen zwischen Autonomie des Demos und verfassungsstaatlicher Festlegungen. 1 Schmidt Manfred, Die politische Produktivität liberaler Demokratien, in: Saage Richard (Hg.) / Berg Gunnar (Hg.), Zwischen Triumph und Krise, Opladen 1998