aus: Der Spiegel Nr. 4, 2002 Heigl, ART WAS IST DEUTSCH ? "Deutsch ist nicht der Name einer Rasse, sondern einer Sprache. Und die konnte man schon immer lernen, egal woher man kam. Deutsch kommt von 'diot', das Volk, und bezeichnete die Volkssprache. Weil hier das 'gemeine Volk' die romanischen Sprachen nicht verstand, redete es von den 'Welschen', die 'Kauderwelsch' sprachen. Weiter östlich geht es den Deutschsprachigen genauso. Sie werden 'Niemecki' genannt: 'Die man nicht versteht'. Die Vorstellung von ethnischen Kontinuitäten über Jahrhunderte, gar die von der 'Reinheit des Blutes', ist ein moderner Mythos. Diese halb sesshaften Stämme haben sich munter geteilt und vermischt und bekriegt und verbündet. Schwaben hat es bis nach Portugal verschlagen und die Vandalen nach Nordafrika. Sind die Bayern Germanen? Der Abstammung nach sind sie ebenso gut Kelten und die heutigen Sachsen mindestens zur Hälfte Slawen. Dass die Deutschen sich im 19. Jahrhundert ethnisch als Germanen definierten, war Blödsinn. Bis 1919 herrschte in Deutschland auch ein slawisches Fürstengeschlecht, die Mecklenburger Herzöge. Slawen siedelten im Mittelalter bis Regensburg und mainaufwärts - und im Wendland und östlich der Elbe ohnehin." Richard Schröder, Humboldt Universität Berlin (Prof. für Philosophie und Theologie) Heigl , ART ART-Übung © DEUTSCH! Gruppeneinteilung (z.B. mit Mayer-Zetteln) à 5 oder 6 Leute; dann auf Zeit: sucht 10 Dinge/Eigenschaften, die ihr spontan mit 'deutsch' verbindet. nach 10 Minuten alle fertig; Anschrift auf Flip-Chart; Mehrfachnennungen kennzeichnen, geordnet nach: Äußerlichkeit (z.B. Bierbauch), Eigenschaften: sauber, pünktlich, dabei immer vom Positiven zum Negativen: Hund wichtiger als Kind, Dinge: Qualitätsauto etc dann: jede Gruppe gibt ihren Zettel mit den 10 Punkten an die nächste Gruppe jetzt sucht jede Gruppe zu jedem Punkt ein weiteres Land auf das diese Sache genauso zutrifft: Anschrift Flip-Chart wird ergänzt mit anderer Farbe (also: zB. zu korrekt: GB (Autokennzeichen) etc) Dann gemeinsame Analyse: Vieles was wir spontan mit dem D verbinden ist ein Klischee und: es gibt nicht viel (vermutlich nichts) was ausschließlich auf D (und seine 80 Mio Menschen) zutrifft; dann: Analyse: mit welchen dieser Klischees arbeiten auch 'rechte' Jugendliche: z.B. sauber, Disziplin, Ordnung etc Dann unsere Folie: Ich bin stolz ... und die Postkarte; Disk: kann ich auf etwas Zufälliges stolz sein ?? Dann evtl. Hinweis auf die Geschichte: Es gibt fast keinen (eigentlich keinen) einheitlichen deutschen Nationalstaat (Deutschland war fast immer größer und oft zugleich (!) auch kleiner als das deutsche Sprachgebiet (auch heute gibt es nichtdeutschsprechende Minderheiten in D und Deutschsprechende außerhalb Ds), aber seit 150 Jahren den dt. Nationalismus (eine europäische 'Erfindung' des 19. Jahrh.), der vermutlich mehr Tote gefordert hat als ein anderer Nationalismus. Dann das Blatt: 'Was ist Deutsch' Fazit: Deutsch = eine Sprach- und (z.T. Kultur)Gemeinschaft mit wechselnden politischen Gemeinsamkeiten (Grenzen, Fürsten, Staaten) und (nur z.T.) gemeínsamer Geschichte (z.B. für die meisten Deutschsprechenden: der Holocaust, die Revolution von 1848) PATRIOTISMUS Heigl, ART Lessing (1729-1781): "Ich habe von der Liebe des Vaterlandes keinen Begriff und sie scheint mir aufs Höchste eine heroische Schwachheit, die ich recht gern entbehre." Lichtenberg (1742-1799): "Ich möchte was drum geben, genau zu wissen, für wen eigentlich die Taten getan worden sind, von denen man öffentlich sagt, sie wären für das Vaterland getan worden" Goethe (1749-1832): "Wenn wir einen Platz in der Welt finden, da mit unsern Besitztümern zu ruhen, ein Feld uns zu nähren, ein Haus uns zu decken, haben wir da nicht Vaterland und haben das nicht Tausend' und Tausende in jedem Staat und leben sie nicht in dieser Beschränkung glücklich? Wozu nun das vergebene Aufstreben nach einer Empfindung, die wir weder haben können noch mögen? Römerpatriotismus? Davor bewahre uns Gott wie vor einer Riesengestalt!" Schiller (1759-1805): "Das vaterländische Interesse ist nur für unreife Nationen wichtig, für die Jugend der Welt. Es ist ein armseliges, kleinliches Ideal. Einem philosophischen Geiste ist diese Schminke durchaus unerträglich!" Schopenhauer (1788-1860): "Die Raubtiere des menschlichen Geschlechts sind die erobernden Völker, daher eben Voltaire Recht hat zu sagen: 'Dans toutes les guerres il ne s'agit que des boulets': Bei allen Kriegen handelt es sich nur darum, zu stehlen. Dass sie sich der Sache schämen, geht daraus hervor, dass jede Regierung laut beteuert, nie anders als zur Selbstverteidigung die Waffen ergreifen zu wollen." Tolstoi (1828-1910): "Durch den Patriotismus sind alle Völker der christlichen Welt bis zu einem solchen Grade der Vertierung gebracht worden, dass ihnen nichts eine größere Freude und Begeisterung gewährt, als der Gedanke an vergangene und zukünftige Massenmorde." Zitate aus Egon Friedells Essay 'Eine Frage' (1919): "Welchen Zweck hat es für die einzelnen Angehörigen eines Staatswesens, dass dieses Staatswesen groß, mächtig, geachtet und gefürchtet in der Welt dastehe?" Antwort Friedell: "Gar keinen!" (BR2 10.12.06) Heigl, ART Die Mär vom guten Patrioten von Nikolas Westerhoff (SZ 14./15.7.07) Politiker unterscheiden mustergültige und übertriebene Vaterlandsliebe – Psychologen bestreiten diese Einteilung Schon in der Schule wird auf den Unterschied geachtet: Angeblich gibt es zwei Arten von Vaterlandsliebe. Auf der einen Seite die konstruktiven Patrioten, die ihr Land lieben, ohne andere Nationen abzuwerten. Sie sind politisch aktiv und engagieren sich sozial. Auf der anderen Seite die Nationalisten, die ihr Land verherrlichen und alles Fremde missachten. Sie sind chauvinistisch und ausländerfeindlich. Nach Auffassung des Soziologen Thomas Blank fühlt sich der deutsche Patriot Grundwerten wie Freiheit und Gleichheit verpflichtet und ist stolz auf die sozialen Sicherungssysteme. Der Nationalist ist demgegenüber an Werten wie Macht, Dominanz und kultureller Homogenität orientiert. Doch eine solche Zweiteilung der Menschen in Patrioten und Nationalisten ist politisch motiviert - sie dient dazu, Patriotismus als wünschenswerte Eigenschaft propagieren zu können. Eine empirische Basis für den Unterschied zwischen Vorzeige- und Schmuddelbürgern gibt es jedoch nicht, wie neueste Untersuchungen zeigen (Wilhelm Heitmeyer: Deutsche Zustände, Folge 5. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2007). Nach Erkenntnissen des Psychologen Christopher Cohrs von der Universität Jena lassen sich Menschen nicht in gute Patrioten und böse Nationalisten einteilen. Bürger, die sich stark mit ihrem Land identifizieren, so Cohrs, seien anfällig für intolerantes und ausländerfeindliches Gedankengut: "Menschen mit patriotischen Einstellungen lehnen Nationalismus nicht ab. Vielmehr geht beides oft Hand in Hand." So zeige sich in Umfragen, dass Patrioten zum Nationalismus neigen. Statistisch betrachtet hängen Patriotismus und Nationalismus eng zusammen. Viele Patrioten sind schlicht und einfach auch Nationalisten. Zwar behaupten Politiker gerne, dass ein aufgeklärter, selbstbewusster Patriotismus unverzichtbar für die Zukunft des Landes sei, doch Empiriker zeichnen ein anderes Bild vom Patrioten: Je stärker sich jemand mit seinem Land verbunden fühlt, desto eher wertet er andere Nationen oder Minderheitengruppen ab. Der Psychologe Daniel Bar-Tal von der Tel Aviv University hält es für die positive Entwicklung eines Landes deshalb für unwichtig, ob die Bürger patriotisch eingestellt sind oder nicht. Wichtig sei lediglich, ob sie sich als überzeugte Demokraten verstehen. Demokratie könne auch der wertschätzen, der zu seinem Vaterland ein nüchternes Verhältnis habe. "Die Bindung an das eigene Land fördert die Ablehnung von Fremden, die Präferenz für Demokratie vermindert sie hingegen", sagt der Soziologe Wilhelm Heitmeyer vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielfeld. Das heißt: Demokraten sind ideale Bürger, nicht Patrioten. Misslich nur, dass der weltoffene Demokrat in Deutschland eine aussterbende Spezies ist, wie die seit 2002 laufende und von Heitmeyer geleitetet Langzeitstudie "Deutsche Zustände" zeigt. Bis weit in die gesellschaftliche Mitte hinein geben sich demnach die Deutschen als "menschenfeindlich" zu erkennen, wobei sich ihre Feindlichkeit gegen Ausländer, Muslime, Frauen, Obdachlose oder Hartz-IV-Empfänger richtet. So glaubten 60 Prozent der befragten Deutschen im Jahr 2006, dass Muslime Sympathien für Terroristen hegen. Zwei von drei Deutschen waren der Meinung, dass zu viele Ausländer im Land leben. Ein kosmopolitisch ausgerichteter Patriotismus lässt sich aus diesen Zahlen nicht herauslesen. Die Welt zu Gast bei Feinden Auch der vermeintlich harmlose "Partypatriotismus" während der WM 2006 hat die Deutschen nach Ansicht der Psychologin Julia Becker von der Universität Marburg nicht offener und menschenfreundlicher gemacht. Im Gegenteil: Personen, die im Anschluss an die WM befragt wurden, äußerten sich nationalistischer als eine Vergleichsgruppe vor der WM. Während der WM war zwar "die Welt zu Gast bei Freunden", so Becker, aber die Deutschen sind dadurch keineswegs gastfreundlicher geworden. Nationales Zusammengehörigkeitsgefühl und Chauvinismus sind zwei Seiten einer Medaille. Das ist in Deutschland nicht anders als in Japan oder den USA, wie Studien belegen. Nach Auffassung der Sozialpsychologin Amélie Mummendey von der Universität Jena tendieren Menschen dazu, ihren Nationalismus euphemistisch als patriotische Haltung zu beschreiben, während der Patriotismus anderer Nationen schnell als feindselig oder übersteigert wahrgenommen wird. Als aggressiv und nationalistisch würden immer nur die anderen eingeschätzt. Der Patriot täuscht sich gerne über seine nationalistische Gesinnung hinweg. Die Unterscheidung zwischen Nationalismus und Patriotismus ist zudem ein deutsches Spezifikum. Angelsächsische Psychologen sprechen von in-group-love, Liebe zur eigenen Gruppe. Aus ihrer Sicht ist Patriotismus, respektive Nationalismus eine Emotion, die aus Nationalstolz erwächst. Wie sehr patriotische Haltung durch Gefühle bestimmt wird, konnte der amerikanische Psychologe Seymour Feshbach vor Jahren experimentell nachweisen: Durch patriotische Lieder ließ sich die Vaterlandsliebe von Studenten in den USA steigern. Mussten die Studenten aggressiv getönte Militärmusik anhören, während sie einen Fragebogen ausfüllten, zeigten sie chauvinistisch gefärbte Überlegenheitsgefühle. Nationalstolz, so das Fazit Feshbachs, ist leicht entflammbar - wie andere Gefühle auch. Und die Grenze zwischen Patriotismus und Nationalismus ist beliebig verschiebbar - weil sie nicht existiert. Entwicklungspsychologisch betrachtet liegt der in-group-love eine Abwertung des Fremden zugrunde, wie der Psychologe Adam Rutland von der Universität Kent gezeigt hat (European Journal of Social Psychology, Bd.37, S.171, 2007). In seinen Experimenten mussten 169 britische Schüler im Alter von sieben bis zwölf Jahren Engländer und Deutsche mit Eigenschaftspaaren charakterisieren. Bereits sechsjährige Kinder hielten Menschen ihres Heimatlandes für freundlicher, sauberer und hilfsbereiter als Deutsche. Sie werteten das eigene Land auf, indem sie ein anderes abwerteten. Kinder unter sieben Jahren zeichneten ein extrem negatives Bild der Deutschen. Kinder, die älter als neun Jahre waren, beschränkten sich hingegen darauf, eigene Landsleute positiver darzustellen als Deutsche. Rutland vermutet, dass Kinder lernen, dass es nicht akzeptabel ist, Menschen anderer Herkunft offen zu diskriminieren. Diese Norm beherzigen sie spätestens ab dem zwölften Lebensjahr. Rutlands Studie zeigt: Von früh an ist der soziale Vergleich eine Denkfigur des Menschen - auch wenn Kinder Zeit benötigen, sie anzuwenden. Ob Familie oder Vaterland, die Frage lautet stets: Ist meine Gruppe besser oder schlechter, stärker oder schwächer, klüger oder dümmer als eine andere? "Werden Menschen zu ihrem Land befragt, beurteilen sie es im Vergleich zu einem anderen", sagt Cohrs. Dieser soziale Vergleichsprozess ist nach Erkenntnissen der Psychologin Mummendey die gemeinsame Wurzel von Patriotismus und Nationalismus. Basiert die in-group-love auf einem expliziten Vergleich zwischen Deutschland mit einem anderen Land, geht damit eine intolerante Haltung gegenüber Homosexuellen, Behinderten und Obdachlosen einher. Dieser Zusammenhang ist empirisch belegt. Politisch unkorrekte Psyche Unbedenklich ist nur jene Vaterlandsliebe, die auf temporalen oder normativen Vergleichen gründet: Hierbei vergleicht man früher und heute ("Ich bin stolz auf Deutschland, weil es toleranter als in den 50er Jahren ist"), oder bewertet normative Standards ("Ich bin stolz auf die Grundwerte in der Verfassung"). Doch nationales Verbundenheitsgefühl fußt meist nicht auf temporalen oder normbezogenen Vergleichen. Anders als es sich Politiker wünschen, unterwirft sich die menschliche Psyche nicht den Regeln der politischen Korrektheit. Das Credo des Politikwissenschaftlers und "Verfassungspatrioten" Dolf Sternberger ("Das Vaterland ist die Verfassung, die wir lebendig machen") ist in den Denkstrukturen der Normalbürger nicht verankert. Heigl, ART