EUROPÄISCHES PARLAMENT 2009 - 2014 Plenarsitzungsdokument 10.2.2011 B7-0121/2011 ENTSCHLIESSUNGSANTRAG eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu Ägypten Willy Meyer, Marisa Matias, Jean-Luc Mélenchon, Patrick Le Hyaric, Marie-Christine Vergiat, Eva-Britt Svensson, Ilda Figueiredo im Namen der GUE/NGL-Fraktion RE\856871DE.doc DE PE459.653v01-00 In Vielfalt geeint DE B7-0121/2011 Entschließung des Europäischen Parlaments zu Ägypten Das Europäische Parlament, – unter Hinweis auf die Erklärungen des Präsidenten des Europäischen Parlaments vom 26. und 28. Januar 2011 sowie vom 4. Februar 2011 zur Lage in Ägypten, – unter Hinweis auf den Aktionsplan EU-Ägypten von 2007 und das am 1. Juni 2004 in Kraft getretene Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Ägypten, – unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Menschenrechtssituation in Ägypten, – unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Europäischen Nachbarschaftspolitik und zur Union für den Mittelmeerraum, – unter Hinweis auf seinen Bericht vom 14. Mai 2010 über Maßnahmen der EU zugunsten von Menschenrechtsverteidigern, – unter Hinweis auf seine jüngste Entschließung zu Tunesien vom 3. Februar 2011, – unter Hinweis auf die Erklärung der Vereinten Nationen zu Menschenrechtsverteidigern und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Ägypten 1982 ratifiziert hat, – unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates zu Ägypten vom 31. Januar 2011 und die Erklärung des Europäischen Rates zu Ägypten und der Region vom 4. Februar 2011, – unter Hinweis auf die Erklärungen der Hohen Vertreterin der EU zur Situation in Ägypten sowie zu Journalisten und Menschenrechtsverteidigern in Ägypten vom 27., 28., 31. Januar und 3. und 4. Februar, – gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, A. in der Erwägung, dass die brutale Ermordung eines 28-jährigen Mannes durch die Polizei Auslöser für das ägyptische Volk war, mit Bürgerprotesten gegen Straffreiheit und Ungerechtigkeit zu kämpfen, B. in der Erwägung, dass auf dem Tahrir-Platz seit dem 25. Januar Demonstrationen stattfinden und in der Erwägung, dass sich am 1. Februar eine Million Ägypter zum „Marsch der Millionen“ zusammengefunden haben, um Präsident Mubaraks Rücktritt zu fordern, C. in der Erwägung, dass Navi Pillay, Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, die Behörden nachdrücklich dazu aufgerufen hat, die Forderungen des ägyptischen Volkes nach grundlegenden Reformen zur Verbesserung der Menschenrechte RE\856871DE.doc DE PE459.653v01-00 und Demokratie anzuhören, D. in der Erwägung, dass von den Protesten in Tunesien eine Impulswirkung für den Aufstand des ägyptischen Volkes ausging, das angesichts der ihm verwehrten Freiheit, sozialen Gerechtigkeit und Demokratie sowie angesichts der Fälle beispielloser Korruption empört ist, E. in der Erwägung, dass die Bevölkerung in aller Deutlichkeit ein System ablehnt, das die Menschen ihrer Grundrechte beraubt und zahlreiche schwerwiegende Misshandlungen begangen hat, darunter weit verbreitete Folterhandlungen, F. in der Erwägung, dass Journalisten, Regisseure und Blogger verhaftet, verletzt und sogar, wie im Fall des erstochenen griechischen Journalisten Petros Papaconstantinou, getötet wurden, G. in der Erwägung, dass Internet- und Telefonverbindungen für fünf Tage unterbrochen waren, H. in der Erwägung, dass der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte zufolge die repressive Antwort der Regierung auf die Protestbewegungen der Bevölkerung bislang etwa 300 Todesopfer und über 3000 Verletzte gefordert sowie zu hunderten Verhaftungen geführt hat, I. in der Erwägung, dass die Proteste nicht abnehmen und die Menschen weiterhin den Rücktritt von Hosni Mubarak fordern, J. in der Erwägung, dass die Parlamentswahlen im November und Dezember 2010 von Betrug, Korruption und Unterdrückung gekennzeichnet waren, K. in der Erwägung, dass Ägypten mit mehr als 80 Millionen Menschen das arabische Land mit der größten Bevölkerungszahl ist, L. in der Erwägung, dass sich Ägypten gemäß dem Aktionsplan EU-Ägypten im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik gegenüber der Union verpflichtet hat, die Demokratie und den politischen Pluralismus durch eine stärkere Beteiligung der Bürger am politischen Leben und die Wahrung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten zu stärken und in der Erwägung, dass die ägyptischen Behörden keine dieser Verpflichtungen in Bezug auf die Demokratie und Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit eingehalten haben, M. in der Erwägung, dass die von IWF und internationalen Organisationen seit Jahrzehnten auferlegten verschiedenen politischen Maßnahmen zur Strukturanpassung (Deregulierung der Lebensmittelpreise, Privatisierungen und Sparmaßnahmen) wesentlich zu den sozialen und wirtschaftlichen Problemen wie etwa Arbeitslosigkeit und Armut (40 % der Ägypter leben unterhalb der Armutsgrenze) beigetragen haben, N. in der Erwägung, dass der Europäischen Union und insbesondere den Regierungen einiger Mitgliedstaaten und den Vereinigten Staaten, die das Regime von Hosni Mubarak jahrzehntelang unterstützt haben, in Anbetracht der gegenwärtigen Krise eine besondere Verantwortung zukommt und in der Erwägung, dass Israel die Vereinigten Staaten und RE\856871DE.doc PE459.653v01-00 DE einige Mitgliedstaaten der EU am ersten Tag der Proteste um Unterstützung für Präsident Mubarak ersucht hat, 1. bekundet seine Solidarität mit allen Ägyptern, die sich gegen das Regime von Mubarak gestellt haben, der die autoritäre Politik von Anwar el-Sadat weitergeführt hat, seit 30 Jahren auf undemokratische Weise regiert und zudem einen völlig ungerechtfertigten Ausnahmezustand aufrechterhält, der gegen die Menschen verwendet wird und sie zu Elend und sozialer Ungerechtigkeit verurteilt und die Institutionalisierung von Korruption und Autokratie zur Folge hat; 2. begrüßt und unterstützt den Kampf der Ägypter für grundlegende Reformen der Politik, der Wirtschaft und des Sozialsystems ihres Landes, für ein Ende des korrupten Regimes und für echte Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit; äußert den Wunsch nach einem wahren Rechtsstaat in Ägypten; 3. verurteilt das in Ägypten seit beinahe 30 Jahren bestehende Notstandsgesetz, das den Regierungsbehörden unter anderem die Inhaftierung mutmaßlicher „Terroristen und Drogenhändler“ und Repressionen gegen Oppositionsvertreter ermöglicht; 4. unterstützt die Forderungen des auf der Straße protestierenden ägyptischen Volkes nach einem sofortigen Rücktritt von Hosni Mubarak und der Wahl einer demokratischen Regierung, die das Vertrauen des Volkes genießt, was zwangsläufig mit dem Ausschluss von Vertretern des früheren Regimes insbesondere aus den wichtigsten Ministerien einhergeht; 5. fordert die unverzügliche Einsetzung eines unabhängigen und unparteiischen Untersuchungsausschusses, um den begangenen Menschenrechtsverletzungen einschließlich den Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen und willkürlicher Festnahme nachzugehen, die Verantwortlichen zu ermitteln, sie gegebenenfalls vor Gericht zu stellen und die Opfer und deren Familien zu entschädigen; fordert zudem die Feststellung der Verantwortung von Drittländern, die das Regime von Hosni Mubarak unterstützt und mit ihm zusammengearbeitet haben; 6. fordert die unverzügliche Freilassung aller zu Beginn der Proteste inhaftierten Demonstranten und die Freilassung aller politischen Gefangenen; fordert die sofortige Einstellung aller noch schwebenden Verfahren gegen politische Gegner; 7. verurteilt die Unterstützung, die die Europäische Union und insbesondere die Regierungen einiger Mitgliedstaaten dem Regime von Hosni Mubarak und seinem Vorgänger jahrzehntelang gewährt haben; verurteilt die wirtschaftliche und politische Einflussnahme in Ägypten; verweist auf die stillschweigende Duldung und Unterstützung, die dem früheren ägyptischen Regime von Seiten der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union unter dem Vorwand des Schutzes vor Islamismus zuteilwurde; weist darauf hin, dass die gegenwärtige Volksbewegung zutiefst sozial und demokratisch ist; 8. lehnt demnach jeden Versuch des Eingreifens von außen in die Angelegenheiten Ägyptens und der Destabilisierung des gegenwärtigen demokratischen Prozesses entschieden ab; 9. fordert die Europäische Union dazu auf, eine wirkliche Partnerschaft von gegenseitigem RE\856871DE.doc DE PE459.653v01-00 Interesse zu erarbeiten, um Entwicklung in allen Bereichen zu ermöglichen und Kooperationsformen zu schaffen, die die Beschäftigung, Bildung und Weiterbildung fördern, anstelle von „Assoziierungsabkommen“, die vorrangig auf der Schaffung von Freihandelszonen beruhen, die den Interessen multinationaler Unternehmen und des Privatkapitals dienen, indem Arbeitskräfte ausgebeutet werden, die über keine echten sozialen Rechte verfügen; 10. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Parlamentarischen Versammlung der Union für das Mittelmeer sowie der Regierung und dem Parlament Ägyptens zu übermitteln. RE\856871DE.doc PE459.653v01-00 DE