Pierre Bourdieu - Thomas A. Bauer

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Pierre Bourdieu
Das Fernsehstudio und seine Kulissen
(aus: Über das Fernsehen, Edition Suhrkamp, 1998)
Abstract:
In seinem Vortrag „Das Fernsehstudio und seine Kulissen“ kritisiert Pierre Bourdieu
das Fernsehen in seiner heutigen Form. Für ihn ist ein Auftritt auf dem Bildschirm
gleichbedeutend mit „einer regelrechten Zensur, einem Verlust an Autonomie“. 1
Schlagwörter:
Bourdieu, Fernsehen, Fast-thinkers, Einschaltquoten, vermischte Meldungen,
Moderator, Scheindebatte, bonnes Clients
Kathrin Ulreich
Armin Rainer
Marc Müller
Martin Stieger
0305653
0303253
9808882
9952352
696511 VO: Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur
Univ. Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik- und
Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, WS 2004/2005
1
Bourdieu, Über das Fernsehen, Seite 18.
Einleitung
Zu Beginn dieser Arbeit werden wir kurz die Thematik des Artikels umreißen um den
weiteren Verlauf der Arbeit einzuleiten.
Im zweiten Teil versuchen wir die Hintergründe des Artikels vorstellen und die Thesen
und Forschungsergebnisse präsentieren. Im Anschluss daran werden wir Verbindungen
zur Medienpädagogik suchen und abschließend versuchen, die gewonnenen
Erkenntnisse zu interpretieren.
Ausarbeitung
Pierre Bourdieu war in Frankreich einer der großen Soziologiestars und hat sich in den
letzten Jahren seines Lebens mit seiner Kritik an der Globalisierung und dem vorrangig
ökonomisch bestimmten Zusammenwachsen der EU einen Namen gemacht. 1996
unternahm er einen Versuch eine größere Öffentlichkeit zu erreichen, indem er zwei
Fernsehsendungen machte, die vom College de France produziert und vom Privatsender
Première gesendet wurden. Als Thema nahm er sich das Fernsehen vor, benutzte es aber
lediglich als Bühne, um einen Vortrag zu halten, wie er ihn ansonsten an der Universität
gehalten hätte.
Seiner Meinung nach sei eine lange öffentliche Rede eine der verlässlichsten Formen
des Widerstands gegenüber Manipulation und ein Ausdruck von Gedankenfreiheit.
In seinem Vortrag „das Fernsehstudio und seine Kulissen“ meint Bourdieu, dass das
Fernsehen einer symbolischen Gewalt entspricht, die sich zum Beispiel in den so
genannten „vermischten Meldungen“ widerspiegelt. „Vermischte Meldungen“ sind im
allgemeinen Inhalte der Sensationspresse, wie zum Beispiel Blut, Sex, Tragödien oder
Verbrechen. Aufgrund der hohen Einschaltquote dieser Meldungen haben sie sich von
den hinteren Rängen an den Beginn der Fernsehnachrichten gestellt.2 Bourdieu sieht das
Problem der vermischten Meldungen in ihrer Irrelevanz und ihrer Funktion wichtiges zu
verbergen. Da das Fernsehen aber für viele Menschen die einzige Informationsquelle ist
sind sie nur mit vermischten Meldungen, also Unwichtigem konfrontiert.
2
ebda, Seite 22
Journalisten müssen aufgrund ihrer Arbeit Nachrichten selektieren. Bourdieu beschreibt
dieses Verfahren als Brille durch welche Journalisten bestimmte Dinge sehen. Sie
wählen meist das Sensationelle und Spektakuläre. Der Soziologe nennt diese Methode
„Dramatisierung im doppelten Sinn“: „Sie setzt Ereignisse in Bilder um, und sie
übertreibt ihre Bedeutung, (…), seinen dramatischen, tragischen Charakter.“3 Eine
Gefahr sieht Bourdieu im Wirklichkeitseffekt des Fernsehens. Es kann Bilder zeigen
und dadurch erreichen, dass die Menschen glauben, was sie sehen, was dazu führt, dass
das Fernsehen zunehmend bestimmt was wichtig ist und was nicht, bzw. „ wer und was
sozial und politisch existiert“.4 Aufgrund des Wettbewerbs unter den Journalisten und
dem Bestreben Informationen als Erster zu haben, bringen Fernseh- und
Radionachrichten letztendlich die gleichen Meldungen, nur in einer anderen
Reihenfolge. Da Journalisten immer miteinander in Kontakt stehen, sich auf Debatten
und Pressekonferenzen treffen und zumindest gleich viel Information wie die
Konkurrenz haben wollen, kommt es laut Bourdieu zu einer zirkulären Zirkulation,
einer Art Teufelskreis bzw. Zensur, die es den Reportern nicht erlaubt für sie unübliche,
jedoch wichtige Information zu produzieren.
Laut Bourdieu gilt für alle Redaktionen ein gewisser Verkaufserfolg als Maßstab, er
nennt das die „Einschaltquotenmentalität“. Selbst für renommierte Blätter wie „Le
Monde“ gilt die Quote als höchste Instanz bzw. der Markt mehr und mehr als
Legitimationsinstanz. jedoch gerade das sture fokussieren auf die Verkaufszahlen
verhindere das Entstehen neuer Betrachtungsweisen und Errungenschaften. Bourdieu
bezieht sich auf menschliche Errungenschaften wie die Philosophie oder die
Mathematik welche ja auch nicht durch die Bevorzugung des Kommerzes entstanden
sind. Die Herstellung neuer Werke ist also in Gefahr wenn diese nicht den
Publikumserwartungen entsprechen. Der Autor bezeichnet die heutige
Medienlandschaft weiters als sehr oberflächlich, da die Zeitungen und Fernsehanstalten
unter immer größeren Zeitdruck stehen, die Geschichte jedoch beweise, dass es einen
Zusammenhang zwischen Denken und Geschwindigkeit gibt, bzw. das man Themen
nicht korrekt ausarbeiten und hinterfragen kann, wenn man es eilig hat. „Denker“, die
vom Fernsehen zum Beispiel zu Diskussionen eingeladen werden bezeichnet, der
Soziologe als „Fast-thinkers“. Diese Menschen haben die Fähigkeit in
3
4
ebda, Seite 25
ebda, Seite 28
„Gemeinplätzen“ zu denken, was bedeutet, dass ihre Kommunikation auf Banalität und
dem Schein von Kommunikation beruht. Information wird daher als „Fast Food“
angeboten, also als vorgekaute und vorgedachte geistig Nahrung.5
Interessant ist Bourdieu´s Analyse der falschen Fernsehdebatten. Er beschreibt
Fernsehdiskussionen in welchen zwei Seiten, in diesem Fall die rechte und linke
Fraktion in einer Debatte zum Schein miteinander diskutieren, obwohl die zwei
Diskussionspartner sich schon lange kennen. „Das Universum der ständigen
Fernsehgäste ist eine geschlossene Welt, in der jeder jeden kennt.“6 Für uns relevanter
ist seine Beschreibung der scheinbar „echten Debatten.“ Er kritisiert die Rolle des
Moderators, der objektiv sein sollte und über die Einhaltung der Spielregeln wachen
sollte. Denn seiner Meinung nach greift auch der Moderator unbewusst durch seine
Fragestellung und seinen Tonfall ein. Durch Schweigen, Gesten, Mimik und
Augenbewegungen verrät selbst der beste Moderator auf welcher Seite er in
Wirklichkeit steht. Er kann „ respektvoll oder herablassend, entgegenkommend oder
ungeduldig sein, selbst das kleinste Kopfnicken kann ein Signal des Einverständnisses
sein. Durch einen Blick auf die Uhr kann der Moderator den momentanen Sprecher
schon verunsichern. Es stellt sich also das Problem, dass Menschen die viel zu sagen
hätten, sich jedoch schwer artikulieren können in einer viel schlechteren Position sind.
Laut Bourdieu helfen die Moderatoren nicht nur den Hilflosen nicht, sondern sie
schlagen ihnen auch noch die Krücken weg.“7 Die „Fast-thinkers“ sind bei den Sendern
daher sehr beliebt und werden „bonnes clients“ genannt. Sie sind Leute die keine
Schwierigkeiten verursachen, keine Vorfälle provozieren und trotzdem redselig sind.
Die Zwänge ihres Berufes bleiben von den Fernsehleuten nicht unentdeckt, unter ihnen
breitet sich Zorn, Ekel und Lustlosigkeit gegenüber ihrer Arbeit aus, einer Arbeit in der
sie Marionetten eines Systems sind indem alles gleich sein muss.
5
ebda, Seite 40
ebda, Seite 41
7
ebda, Seite 46
6
Zusammenhang zur und Relevanz für die Medienpädagogik
Hier ist sicher von Bedeutung nach welchen Kriterien Studiogäste zu
Diskussionsrunden im Fernsehen ausgewählt werden, und welche Art der Gesellschaft
das voraussetzt. Anders gefragt, welche Gesellschaftsform repräsentieren diese
Auswahlkriterien?
Aus Sicht der Sozialisierungsperspektive lässt sich sagen, dass der Medieneinfluss auf
Haltungen und Einstellungen der Rezipienten sicherlich eine große Rolle spielt. „Ich
hebe dies hervor, weil wir aus anderen Untersuchungen wissen, dass weite Teile der
Bevölkerung keinerlei Tageszeitung lesen, dass sie dem Fernsehen als einziger
Informationsquelle völlig ausgeliefert sind.“8
Den Einfluss des Mediums für sich alleine stehen zu lassen, wäre dennoch zu wenig.
Die Frage nach der Medienwirkung ist ebenfalls von großer Bedeutung. Angesichts der
oft offensichtlichen Freundschaft zweier Diskussionsteilnehmer, die unterschiedliche
Meinungen vertreten sollen, stellt sich die Frage, ob dem Publikum diese Tatsache auch
bewusst wird, bzw. ob es diese akzeptiert und richtig interpretieren kann. „Ist sich das
Publikum ihrer Komplizenschaft bewusst? Sicher ist das nicht. Sagen wir: vielleicht“9
Dadurch, dass gewisse Tatbestände nicht hinterfragt werden, machen sich die Zuseher
zu Komplizen dieser Praktiken.
Welchen Nutzen ziehen die Zuseher jetzt aus solchen Diskussionen. Eine
Informationsvermittlung, bzw. Vermittlung meist tertiärer Informationen in
Fernsehdiskussionen soll der Bildung der Rezipienten dienen. Kann eine derart
aufbereitete Sendung diesen Nutzen erfüllen? Da sich die Vermittlung von Wirklichkeit
an sich nicht möglich ist, müssen Abstriche gemacht werden, die sich in vielfältigster
Weise darstellen: Welches Thema wird diskutiert, wer ist der Moderator, wann und auf
welchem intellektuellen Niveau wird diskutiert, wer sind die Teilnehmer. Kurz: der
effektive Nutzen für den Zuseher hält sich in Grenzen, da durch diese Faktoren die
Debatte schon in eine Richtung gelenkt werden kann, und so relevante Inhalte zum Teil
8
9
ebda, Seite 23
ebda, Seite 42
aus Diskussionen ausgeklammert werden. „Darum sagt man sich nicht: Sieh an, der und
der ist nicht dabei“10
Eine Gesellschaft, die sich mit derart vermittelter Information zufrieden gibt, ist die
Realität wie wir sie auch heute noch oft sehen. Symptomatisch ist die Bezeichnung des
Informationszeitalters, in dem wir der allgemeinen Meinung nach leben. Noch nie zuvor
gab es eine solche Fülle an möglichen Informationsquellen, die man nutzen könnte.
Kritik des Artikels
Pierre Bourdieu, zählte zu den wichtigsten französischen Soziologen und lehrte am
Collège de France. Das Buch „Über das Fernsehen“ stellt die überarbeitete
Transkription der Aufzeichnung zweier Fernsehsendungen dar die vom Privatsender
Première im Mai 1996 ausgestrahlt wurden. Seiner Meinung nach ist das Fernsehen eine
große Gefahr für die „kulturelle Produktion“ sowie für das „demokratische Leben“ und
diese Aussage hat er versucht in diesen beiden Vorträgen zu erörtern. Im ersten Teil mit
dem Titel „Das Fernsehstudio und seine Kulissen“ weist er auf eine Spaltung der
Staatsbürger hin in jene (die Minderheit) die noch Zugang zur seriösen Presse hat und
jene (für ihn die Mehrheit) für die das Fernsehen die einzige Informationsquelle
einnimmt. Und gerade diesen Personen, die der von den Fernsehjournalisten
geschaffenen Wirklichkeit des Spektakulären, Sensationellen und Übertriebenen und
den „vermischten Meldungen“ ausgeliefert sind, traut er zu seinen Vorlesungsstil folgen
zu können oder seine Aussagen auch nur im geringsten zu verstehen? Er hat sich jedoch
bewusst dafür entschieden die „formalen Spielereien bei Bildeinstellung oder
Aufnahmetechnik zu meiden und auch auf Illustrationen – Auszüge aus Sendungen,
Faksimiles von Dokumenten, Statistiken, usw. – zu verzichten“ um seine „Linie
argumentierender Beweisführung“ nicht zu verwischen.11
Es ist mir aber ein Rätsel warum er diese Vorzüge des Mediums, welches er kritisiert,
nicht nutzt. Somit nimmt er in Kauf von all jenen die seiner professoralen Vorlesung
nicht folgen können / wollen auch nicht verstanden zu werden (mal abgesehen davon,
dass somit wohl das Radio als adäquateres Medium betrachtet werden kann).
10
11
ebda, Seite 47
ebda, Seite 15
Ebenfalls im ersten Teil des Fernsehvortrages stellt Bourdieu die Mittel vor derer sich
die Fernsehsender bedienen um eine „unsichtbare Zensur“ aufzustellen welche sich
auch auf politischen Diskussionsdebatten auswirken. Zu diesen werden 1. nur Personen
geladen die wie vom Fernsehsender gewünscht agieren und sich zu benehmen wissen
(Bourdieu nennt sie „des bonnes clients“) und 2. der Moderator die Diskussion anführt
das Thema festlegt und die Fragestellung bestimmt. Er wacht über die Einhaltung der
Spielregeln die nicht für alle dieselben sind. Der Moderator erteilt das Wort, signalisiert
die Wichtigkeit von Beiträgen und greift mit Mimik, Gestik und Blicken und seinen
Tonfall in die Diskussion ein und gibt die Richtung vor. Aber auch die
Zusammensetzung der Diskussionsrunde ist entscheidend und wichtig, weil sie den
Eindruck demokratischer Ausgewogenheit vermitteln muss. Eine andere
Zusammensetzung der Diskussionsrunde kann den Sinn der Botschaft ändern. Der
Soziologe ist der Ansicht, dass Fernsehen immer mehr zu einem „Ausstellungsort“
verkommt indem es nur mehr um das sich herzeigen und gesehen werden geht, jedoch
nicht mehr um die Mitteilung, die Meinung zu einem Thema. Diesem „Sein =
wahrgenommen werden“-Ansatz von Berkeley unterliegen auch immer mehr
Wissenschaftler und andere Intellektuelle die an solchen Sendungen teilnehmen und
sich somit Instrumentalisieren lassen. Wer sich den Bedingungen des Fernsehens fügt,
zu allem etwas zu sagen hat, alles mitmacht und als "fast-thinker" auftritt, wird dann als
Prominenter oder Experte immer wieder eingeladen. Dennoch, erklärt Bourdieu, sei es
wichtig, im Fernsehen zu sprechen, um die Öffentlichkeit zu erreichen - "aber unter
bestimmten Voraussetzungen".12 Welche das genau sind, erfährt man leider nicht.
12
ebda, Seite 15
Bibliographie
- Münker, Stefan / Roesler, Alexander: TeleVisionen. Suhrkamp, März 1999
- Adelmann, Ralf / Hesse, Jan-Otmar / Keilbach, Judith: Grundlagentexte zur
Fernsehwissenschaft. Utb, September 2002
- Postman, Neil / Powers, Steve: How to watch TV News. Penguin Books, September
1992
- Postman, Neil: Wir amüsieren uns zu Tode. Fischer (Tb.), Frankfurt 1985
- Bourdieu, Pierre: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Suhrkamp, Frankfurt am
Main 1991
- Doelker, Christian (Hrsg): Immer dieses Fernsehen – Handbuch für den Umgang mit
Medien. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 1984
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