SAVES DOSSIER: Informationen in chronologischer Reihenfolge über die Rote Armee Fraktion 1. Die Geschichte der RAF: 1.1 Das Entstehen der RAF Alles fing eigentlich mit dem Besuch des Schahs von Persien an Berlin, am 2. Juni 1967, an. Bereits vor dem Besuch wurden oppositionelle Perser in Berlin festgenommen. Als der Schah am 2. Juni am Schöneberger Rathaus ankam, erwarteten ihn schon hunderte von Demonstranten - meistens Studenten -, die "Mörder! Mörder!" riefen und mit Farbeiern warfen. Der iranische Geheimdienst und die sogenannten Jubelperser fingen darauf an, mit Holzlatten auf die Demonstranten einzuschlagen. Erst nach einigen Minuten griff die Polizei ein - auf Seiten der Jubelperser und des iranischen Geheimdienstes. Es folgten noch verschiedene andere Demonstrationen gegen den Schah, die meistens in Handgemänge zwischen Polizei und Demonstranten endeten. Während einer dieser Demonstrationen wurde der Student Benno Ohnesorg durch einen Schuss aus der entsicherten Pistole vom Kriminalobermeister in zivil Karl-Heinz Kurras getötet. Kurras wurde später freigesprochen, weil er behauptete, der Schuss sei ihm unabsichtlich losgegangen. Am 2. April 1968, kurz vor Ladenschluss, legten Andreas Baader und Gudrun Ensslin in die Frankfurter Kaufhäuser Schneider und Kaufhof zwei Sprengladungen, die nachts explodierten. Niemand wurde bei dieser “politischen Racheakt” verletzt und die Versicherung trug die Kosten von 282.339 DM bei Schneider und 390.865 DM bei Kaufhof. Als die Brandstifter bei einer Bekannten untertauchten, wurden sie am nächsten Morgen auf Grund eines "konkreten" Hinweises verhaftet. Sie wurden zu drei Jahren Haft verurteilt, aber bereits nach vierzehn Monaten waren sie wieder auf freiem Fuß und sie tauchten unter. Dann fängt die Presse in Deutschland mit einer großen Hetzkampagne gegen die APO und die deutsche Linke an. Der Springerverlag, der wochentags 30% und sonntags sogar 90% der Gesamtauflagen an Zeitungen stellte, spielte dabei eine wichtige Rolle. Und auch die rechtsradikale Presse machte mit. In der Deutsche Nationalzeitung erscheint die Schalgzeile "Stoppt Dutschke jetzt! Sonst gibt es Bürgerkrieg" mit darunter fünf Fotos von Studentenführern die aussahen wie Fahndungsfotos der Polizei. Am 11. April 1968 wird der Studentenführer Rudi Dutschke vor dem SDS-Zentrum am Kurfürstendamm von einem jungen Mann mit kurzgeschnittenen Haaren erschossen. Dieser Mann ist Jozef Bachmann. Schon wenige Minuten nach dem Attentat wird er von der Polizei verhaftet und man findet auf ihm einen Ausschnitt aus der Deutschen Nationalzeitung. Für alle Studenten ist klar, dass der eigentliche Täter der Springerverlag ist. In einer Protestaktion 1 SAVES versuchen die Studenten die Ausfahrten der Springerdruckerei mit Autos zuzuparken unter der Parole "Heute darf keine Springerzeitung die Druckerei verlassen". Die Studenten werden von der Polizei hart angepackt. Durch Verrat von Peter Urbach, einem Spionen der Verfassungsschutz, wird der untergetauchte Andreas Baader verhaftet und ins Gefängnis Moabit gebracht. Dort besuchen ihn regelmäßig seine Mutter, Ulrike Meinhof, die für Konkret arbeitete, und Horst Mahler, der sein Anwalt war. Auch Gudrun Ensslin besuchte Baader einige Male unter falschem Namen. Ensslin organisierte währenddessen mit der Hilfe von Ulrike Meinhof, die damals durch ihre Arbeit bei Konkret, aber auch durch verschiedene Fernsehauftritte bekannt war, eine Gefangenenbefreiung. Am 14. Mai 1970 wurde Andreas Baader unter der Begleitung von zwei Polizeibeamten in das Institut für soziale Fragen gebracht, wo Ulrike Meinhof auf ihm wartete unter dem Vorwand einen Buch mit Baader über randständige Jugendliche zu schreiben. Dazu hatte sie die Einstimmung der Gefängnisleitung bekommen. Die zwei Polizeibeamten wurden überwältigt, wobei der Institutangestellte Georg Linke verletzt wurde, und der Gefange und seine Befreier entkamen durch ein Fenster und führen in zwei Wagen davon. Andreas Baader und seine Befreier reisten nach dieser Aktion mit Hilfe eines Verbindungsmannes der palästinensischen Befreiungsorganisation El Fatah namens Said Dudin nach Jordanien, wo sie eine militärisch Ausbildung bekamen. Dies war der Beginn der Rote Armee Fraktion. Nach ihrem Rückkehr aus Jordanien 1970 begang die Baader-Meinhof-Gruppe verschiedene kleine Aktionen. Vor allem wurden Banken überfallen um an das nötige Geld für ihre Aktionen zu kommen und wurde in Rathäuser eingebrochen um an Blankopapiere und Dienstsiegel zu kommen. Die Gruppe um Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin wuchs und man verbrachte die Zeit mit Vorbereitungen um an Waffen, Autos, Wohnungen und Geld zu geraten. Währenddessen wurden verschiedene RAF-Mitglieder verhaftet, wie Horst Mahler, oder erschossen. Die Jagd auf die Baader-Meinhof-Gruppe übersteigte jedes Maß und die Hysterie erreichte ihren Höhepunkt in einem Artikel der Welt am Sonntag mit der Schlagzeile: “Bonner Geheimpolizei jagt Staatsfeind Nr.1: die BaaderBande”. 1.2 Die Bombenanschläge Und dann gings los. Als Reaktion auf die Ereignisse in Vietnam verübte die RAF vor allem Anschläge auf amerikanische Ziele in Deutschland. Am 11. Mai 1972 zerstörten drei Rohrbomben das Eingangsportal und das Offizierskasino des fünften US-Korps im IG-Farben-Haus in Frankfurt/Main. Bei diesem Anschlag wurden dreizehn Personen verletzt und wurde eine Person getötet. Am 12. Mai 1972 explodierten zwei Rohrbomben in der Polizeidirektion Augsburg. Fünf Polizisten wurden dabei schwer verletzt. Am 12. Mai 1972 explodierte auf dem Parkplatz des LKA München eine Autobombe. Sechzig Autos wurden zerstört und in sechs Stockwerken sprangen die Rahmen. Am 15. Mai 1972 explodierte der Volkswagen des Bundesrichters Buddenberg, an dessen Steuer seine Frau saß, die aber überlebte. Am 19. Mai 1972 explodierten im Axel-Springer-Haus mehrere Bomben. Obwohl es zuvor mehrere Warnanrufe gegeben hatte, war das Gebäude nicht geräumt worden. Bilanz: Siebzehn Verletzte. Am 24. Mai 1972 explodierten vor dem Kasernenblock 28 und dem Casino des EuropaHauptquartiers der US-Armee in Heidelberg zwei Autobomben. Dabei kamen drei amerikanische Soldaten ums Leben und wurden fünf verletzt. 2 SAVES Auf die Bombenanschläge folgte die größte Fahndungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik. Am 31. Mai 1972 wurden alle Polizisten direkt dem BKA untergeordnet und jeder staatliche Hubschrauber befand sich an diesem Tag in der Luft. Überall wurden Straßensperren errichtet und Fahrzeuge kontrolliert. Am 1. Juni 1972 wurden Andreas Baader und Holger Meins am Hofeckweg in Frankfurt verhaftet. Dort befand sich die Garage in der die RAF ihren Sprengstoff lagerte. Diese Garage wurde schon lange observiert. Am 7. Juni 1972 wurde Gudrun Ensslin in einer Boutique verhaftet, wo eine Verkäuferin die Pistole in ihrer Jacke fand. Am 15. Juni 1972 wurde auch Ulrike Meinhof verhaftet. Sie war bei einem Lehrer untergetaucht, der sie bei der Polizei verriet um kein Ärger zu bekommen. Am 7. Juli 1972 wurden auch Klaus Jünscke und Irmgard Möller verhaftet. Alle Gefangenen der RAF gerieten in Isolationshaft und durften untereinander keinen Kontakt haben. Nur ihre Verwandte dürften sie besuchen und das nur alle vierzehn Tage eine halbe Stunde unter Aufsicht. In Ulrike Meinhofs Zelle wurde sogar nachts das Licht nicht gelöscht. Um gegen diese Haftbedingungen zu protestieren fingen die Gefangenen mit einem Hungerstreik an (dem ersten aus einer langen Reihe), die sie nach zwei Monaten beendeten, ohne Erfolg. Und auch im Knast blieb die RAF aktiv. Gudrun Ensslin entwickelte ein "Info-System" um mit einander in Kontakt bleiben zu können. Alle bekamen Decknamen aus dem Buch "Moby Dick" und schrieben sich Briefe die sie über die Post ihrer Anwälte, die damals noch nicht kontrolliert wurde, bekamen. Auch die Bücher die sie sich schicken liesen, wurden nicht kontrolliert. So konnten sie sich eine umfangreiche Bibliothek zusammenstellen, die sie in ihrer Ausbildung als Stadtguerilla weiterbrachte. Über das Infosystem wurde der 2. Hungerstreik, der vom 8. Mai bis zum 29. Juni 1973 lief, organisiert. Hier kam zum ersten Mal das Mittel der Zwangsernährung zum Einsatz. Dennoch brachte dieser Hungerstreik leichte Haftverbesserungen. Am 27. August 1974 began der 3. Hungerstreik. Ende Oktober wurden alle Gefangenen zwangsernährt. Nach fast zwei Monaten Hungerstreik starb Holger Meins am 9. Februar 1974 und noch am selben Tag gab es in der gesamten Bundesrepublik Protestdemonstrationen. Für die Sympathisanten der RAF war klar, dass Holger Meins ermordet worden war. Der Hungerstreik dauerte noch bis zum 2. Februar 1975 und brachte erhebliche Haftverbesserungen. 1.3 Unterstützung von draußen Der Tod von Holger Meins war für viele ein großer Schock. Man fragte sich ob die RAF tot war, aber das war nicht der Fall. Zwar saß die erste Generation von RAF-Mitglieder im Gefängnis, es gab eine Nachfolgegruppe, die sogenannte “zweite Generation”. Am 10. November 1974 versuchten einige Terroristen den obersten Richter von Berlin Günther von Drenkmann zu entführen, aber die Aktion misslang und Drenkmann wurde dabei getötet. Am 27. Februar 1975 entführte die “Bewegung 2. Juni” den Berliner Bürgermeisterkandidaten der CDU Peter Lorenz. Am nächsten Tag wurden ihre Forderungen, zusammen mit einem Polaroidfoto des Entführten veröffentlicht. Sie forderten die Freilassung von Horst Mahler und einigen anderen Gefangenen aus dem Umfeld der 3 SAVES Bewegung 2. Juni. An die RAF-Gefangenen schrieben sie: "An die Genossen im Knast: Wir würden gern mehr von euch rausholen, sind aber dazu bei unserer jetzigen Stärke nicht in der Lage." Weil keiner der Gefangenen wegen Mordes angeklagt oder verurteilt war, ging der Staat auf die Forderungen ein und die Gefangenen außer Mahler, der auf die Freilassung verzichtete, wurden freigelassen. Am 4. März 1975 wurde dann auch Peter Lorenz freigelassen. Am 25. April 1975 stürmten 6 deutsche Terroristen bewaffnet mit Pistolen und Sprengstoff die deutsche Botschaft in Stockholm und nahmen elf Personen als Geisel. Sie besetzten das obere Stockwerck der Botschaft und verkündeten ihre Forderungen: die Freilassung von sechsundzwanzig Gefangenen u.a. Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Esslin und JanCarl Raspe. Zuerst wurde der deutsche Militärattaché Andreas Baron von Mirbach erschossen, weil die schwedische Polizei, die das untere Stockwerk besetzte, auch nach zweiter Warnung nicht abzog, worauf sich die Polizei in eine Nebengebäude zurückzog. Als die Geiselnehmer der Beschluss des Bundeskanzler Helmut Schmidt hörten, dass er nicht auf die Forderungen eingehen wollte, erschossen sie die nächste Geisel, der Wirtschaftsattaché Dr. Hillegart. Wenige Minuten vor Mitternacht, kurz bevor die schwedische Polizei die Botschaft mit Betäubungsgas angreifen wollte, explodierte der von den Terroristen instalierte Sprengstoff. Später stellte sich heraus, dass sie den Sprengstoff wohl aus Versehen zur Explosion gebracht hatten. Bei der Explosion kam einer der Terroristen ums Leben, alle anderen Personen erlitten schwere Verbrennungen. 1.4 Der Prozess In der für den Prozess gebauteten Mehrzweckhalle in Stammheim fing am 21. Mai 1975 der Prozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe an. Bereits beim Aufrufen der Verteidiger begannen die Angeklagten zu stören, weil das Gericht neben den Vertrauensanwälten der Häftlinge auch Pflichtverteidiger bestimmt hatte. Dazu kam, dass der Bundestag vor diesem Prozess die Strafprozessordnung geändert hatte und es so ausgeschlossen war, dass die RAF-Gefangenen mehrere Anwälte hatten. Der Prozess schleppte sich hin, so verlangten die Gefangenen u.a. den Ausschluss aus dem Verfahren bis sie von Ärzten ihres Vertrauens untersucht worden waren, wurde ein neuer Paragraph der Strafprozessordnung eingeführt, der besagte das ein Verfahren auch ohne die Angeklagten durchgeführt werden konnte, wenn deren Verhandlungsunfähigkeit selbstverschuldet war, usw. Am 9. Mai 1976 trafen Justizbeamten Ulrike Meinhof tot an. Sie hing an einem aus Handtüchern zusammengeknoteten Seil, das am Fenstergitter ihrer Zelle befestigt war. “Selbstmord durch erhängen” hieß es, aber dieser Version war zweifelhaft, u.a. weil es keinen Abschiedsbrief gab und Sachbverständiger meinten, dass das Seil zu dick gewesen wäre, um es ohne Hilfsmittel durch das engmaschige Gitter des Fensters zu ziehen. Ein solches Hilfsmittel wurde aber nicht in ihrer Zelle gefunden. Außerdem ergab ein Experiment, dass das Seil zu dünn wäre, um die Last des Körpers zu halten. Später fand ein Untersuchungsausschuss heraus, dass Pakete an die restlichen Angeklagten mit Stricken und der Aufforderung sich zu erhängen, durch die Postzensur zu den Gefangenen gelangten. Inzwischen wurde die Vermutung geäußert, dass vertrauliche Gespräche zwischen den Anwälten und ihren Mandanten mit Wanzen abgehört worden waren. Tatsächlich waren in den Zellen in denen diesen Gesprächen stattfanden u.a. durch den Verfassungsschutz Wanzen installiert worden. 4 SAVES Am 7. April 1977 wurde der Generalbundesanwalt Siegfried Buback, zusammen mit seinem Chauffeur und dem Chef der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft von RAF-Terroristen erschossen, als der Dienstmercedes an einer roten Ampel hielt. Wenige Tage später erreichte ein Bekennerschreiben die DPA mit der Unterschrift "Kommando Ulrike Meinhof". Am 28. April 1977 endete der Prozess der RAF-Gefangenen nach 192 Tagen. Andreas Baader, Gudrun Esslin und Jan-Carl Raspe wurden für schuldig befanden und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 1.5 Der “Deutsche Herbst” '77 Am 5. September 1977 wurde Hans-Martin Schleyer in einer gewaltigen Aktion von fünf Terroristen entführt, wobei sie die drei begleitende Polizisten und Schleyers Chauffeur erschossen. In einem Brief an die Bundesregierung forderten die Terroristen die Freilassung von u.a. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe und bei der Freilassung sollte auch jeder Gefangene 100.000 DM mitbekommen. Bei dem Brief steckte ein Polaroidfoto von Schleyer und der Brief war mit "Kommando Siegfried Hausner" unterschrieben. Als Reaktion auf die Entführung wurde in Stammheim eine Kontaktsperre verhängt. Auch wurden die Anwälte nicht mehr zu ihren Mandanten gelassen. Dafür gab es keine Rechtsgrundlage, aber wie schon so oft davor wurde diese extra für die RAF nachträglich geschaffen. Die Bundesregierung rief inzwischen einen Krisenstab zusammen auf dem man beschloss, nicht auf die Forderungen einzugehen, sondern auf eine Verzögerungstaktik zu setzen bis man wusste, wo an dem Schleyer gefangengehalten wurde. Die RAF-Gefangenen wurden inzwischen befragt in welches Land sie ausreisen wollten, falls die Regierung auf die Forderungen eingehen wurde. Auf den anschließenden Anfragen in den genannten Ländern folgte meistens ein Besuch eines Regierungsvertreters und so gewann die deutsche Regierung immer wieder Zeit. Am 13. Oktober 1977 wurde dem Flug LH 181 Palma de Mallorca/Frankfurt (M) vom palästinensischer Kommando "Kofre Kaddum" entführt. Die Forderungen dieses Kommandos stimmten mit den der Schleyer-Entführer uberein. Sie fügten nur noch zwei Namen von in der Türkei festgehaltenen Palästinenser hinzu und forderten darüber hinaus noch 15 Millionen Dollar. Am 18. Oktober 1977 stürmte das GSG9-Kommando das Flugzeug. Dabei wurden drei Terroristen sofort erschossen und eine Terroristin schwer verletzt. So wurden die Geiseln befreit. Am 18. Oktober 1977 fand man die RAF-Gefangenen tot in ihrer Zelle zurück. Allein Irmgard Möller lebte noch, aber war schwer verletzt. Offiziell hieß es Selbstmord, aber viel Fragen blieben unbeantwortet. Am 19. Oktober 1977 gab das "Kommando Siegfried Hausner" bekannt, dass man HansMartin Schleyer erschossen habe. Man fand ihn in Mülhausen zurück, wie die Terroristen es in ihre Erklärung geschrieben hatten. 1.6 Die dritte Generation der RAF Nachdem auch das größte Teil der zweiten Generation der RAF verhaftet war, erschien eine dritte Generation, deren Hauptziel nicht mehr die Befreiung der RAF-Gefangenen war, sondern ein gemeinsamer Kampf gegen den Imperialismus in Europa - die Bildung einer "antiimperialistische Front", wie es 1982 im Flugblatt Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front beschrieben wurde. Dieser gemeinsame Kampf bestand aus 5 SAVES militärischen Angriffen, koordinierten militanten Projekten und politischen Initiativen in ganz Europa. Die RAF verstand sich also nicht mehr als verlängerten Arm der unterdrückten der dritten Welt, sondern als eigenständige Guerilla im Herzen des europäischen Imperialismus. Am 18. Dezember 1984 misslang ein Anschlag auf der NATO-Schule in Oberammergau. Der verwendete Sprengstoff war am 4. Juni 1984 in Belgien gestohlen worden und Teile davon wurden schon bei einer Aktion der Action Directe in Frankreich benutzt. Am 1. Februar 1985 wurde Ernst Zimmerman, Vorstandsvorsitzender der Machinen- und Turbinenunion (MTU) in seinem Haus von zwei Terroristen erschossen. Der Konzern war u.a. der Hersteller des Triebwerks für "Tornado"-Kampfflugzeuge und des Motors für den "Leopard"-Panzer. Die Täter des Mordes hinterliesen - typisch für die dritte Generation keine Fingerabdrücke oder andere verwendbare Spuren. Am 8. August 1985 explodierte eine Autobombe auf dem militärischen Teil der US-Airbase in Frankfurt. Die 50kg-Bombe tötete zwei Menschen, verletzte elf Menschen und richtete einen Sachschaden von einer Millionen Mark an. Am 9. Juli 1986 explodierte eine 50kg-Bombe direkt neben dem Fahrzeug des Siemensvorstandsmitglieds Karl-Heinz Beckurts. Sowohl Beckurts, als auch sein Chauffeur starben an Ort und Stelle. Beckurts war damals einer der bedeutesten Industriemanager und Atomphysiker der BRD und er war auch ein starker Verfechter der Atomenergie. Am 10. Oktober 1986 wurde Gerold von Braunmühl von zwei Terroristen erschossen. Er war Leiter der Abteilung 2 des Auswärtigen Amtes, verantwortlich für Europäische Zusammenarbeit, Europarat, Westeuropäische Union, NATO, Beziehungen mit Westeuropäischen Staaten, Amerika und Canada sowie den Ost-West-Beziehungen. Die Kugel die man später in seinem Kopf fand, stammte aus derselben Waffe, mit der man schon Hans-Martin Schleyer erschossen hatte. Am 30. November 1989 wurde der Deutsche Bank Vorstand Alfred Herrhausen getötet. Eine mit TNT gefüllte "Hohlladungsmine" ließ die gepanzerte Limosine durch die Luft fliegen, beschädigte die Panzerung und ein Metallteil aus der Tür traf Herrhausens Oberschenkel. Während sein Fahrer nur leicht verletzt war, verblutete Herrhausen. Am Tatort fand man auch einen RAF-Stern mit der Unterschrift "Kommando Wolfgang Beer". Am 1. April 1991 wurde der Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder zu Hause erschossen aus ca. 63m Entfernung. Auch seine Frau wurde bei diesem Anschlag getroffen. Am Tatort fand man ein Bekennerschreiben, das mit "Kommando Ulrich Wessel" unterzeichnet war. 1.7 Das Ende der RAF Am 20. April 1998 empfing die Nachrichtenagentur Reuters in Köln einen Brief in dem die RAF sich auflöst. Der Brief von acht Seiten enthielt kein Wort des Bedauerns für die Opfer der RAF und redete nur über Selbstgerechtigkeit und späten Einsichten. Die Erklärung war auf März 1998 datiert und an der Echtheit der RAF-Abmeldung gibt es mittlerweile kein Zweifel mehr. Wer zur Kader der dritten Generation der RAF gehörte, ist bis heute unbekannt, aber der ehemaligen deutschen Staatsfeind Nummer Eins war nicht mehr. _______________________ 2. Die Ideologie der RAF 2.1 Die Entstehung der RAF Die Rote Armee Fraktion hatte ihre Wurzeln in der Berliner Studentenbewegung der 60er Jahre. In Berlin befand sich damals die größte Einrichtung zur Ausbildung von Politologen, 6 SAVES das Otto-Suhr-Institut. Das bedeutet, dass man dort viele junge, politisch interessierte und auch engagierte Menschen antraf. Auch die Tatsache, dass man dort vom Wehrdienst freigestellt war, übte wohl eine große Anziehungskraft auf junge Männer, die Kritik auf den Staat hatten, aus. Letztlich spielte die geografische Lage Berlins, als kapitalistische und marktwirtschaftlich orientierte Enklave im Staatsgebiet der sozialistischen und volkswirtschaftlich ausgerichteten DDR, auch eine wichtige Rolle. Am Anfang organisierte die Studentenbewegung vor allem Demonstrationen, Sit-ins, Teachins usw. Man diskutierte über die Anti-Imperialismus-Theorie, der Vietnam-Krieg, über das Pressemonopol des Springerkonzerns, dessen Hetzkampagne gegen die Studentenbewegung und auch schon damals über die Legimitation der Gewaltanwendung. Als aber am 2. April 1968 in den beiden Frankfurter Kaufhäusern Schneider und Kaufhof mehrere Brandsätze gezündet wurden, die nicht unerhebliche Sachschaden anrichteten, verurteilte der gemäßigtere und auch größte Teil der Studentenbewegung diese Anschläge, während einen radikaleren Teil diese Aktion gut hieß und aus dessen Kreisen sich die späteren Mitglieder terroristischer Vereinigungen rekrutierten. Für diesen radikaleren Teil der Studentenbewegung hatte der Staat die Frage nach der Legitimation der Gewaltanwendung teilweise selbst beantwortet, als am 2. Juni 1967 den Demonstranten Benno Ohnesorg während einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs an Berlin vom Kriminalobermeister Karl Heinz Kurras, und als am 11. April der SDS-Führer (der Sozialistische Deutsche Studentenbund) Rudi Dutschke nach einer Hetzkampagne der Presse gegen die studentische Protesbewegung von einem jungen Arbeiter erschossen wurden. Während der Prozess gegen den Tätern der Brandstiftungen (Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein) sagten Baader und Ensslin, dass sie mit der Brandstiftung gegen die Gleichgültigkeit der Menschen in der BRD gegenüber dem Völkermord in Vietnam reagieren wollten. Sie redeten über die Ausbeutung der Dritten Welt durch die westlichen Industrienationen zu deren eigenen Profit, über das Versagen der Studentenbewegung und über das sogenannten "Primat der Praxis" (was bedeutet, dass der Tat am Anfang stehen muss und erst später die Theorie folgt). Die Brandstifter wurden zu drei Jahre Haft verurteilt. Während der Haft kam Gudrun Ensslin zum ersten Mal mit der Konkret-Kolumnistin Ulrike Meinhof in Kontakt, die sie zum Zwecke eines Interviews besuchte. Andreas Baaders Anwalt im Prozess war der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler. Diese vier Personen wurden später das Führungskader der sogenannten ersten RAF-Generation bekannt. 2.2 Die "Rote Armee Fraktion" Am Anfang sah die RAF sich als kleinen Teil einer großen Bewegung, einer “Rote Armee”, die noch aufgebaut werden musste. Eine Revolution war für die RAF unbedingt notwendig. Die kommunistischen Parteien und die Neue Linke hatten in ihren Augen versagt. Die Neue Linke wurde von der RAF als "Schwätzer", "Hosenscheißer" und "Alles-besser-Wisser" bezeichnet. Auch das Industrieproletariat war nicht das revolutionäre Subjekt, weil es z.B. im günstigen Erwerb von Kaffee, Bananen, sonstigen Produkten und Leistungen an der Ausbeutung der Dritte Welt beteiligt war, aber sich davon nicht bewusst war. Die RAF sah sich als eine 'Avantgarde', die durch einzelne Aktionen auf einer breiten Ebene den Klassenkampf entfesseln musste und das nun in der Gesellschaft freigewordene revolutionäre Potential zu organisieren und die entstandene Rote Armee in ihrem Kampf gegen die herrschende Klasse zu führen hatte. Diese Rote Armee sollte sich rekrutieren aus dem ausgebeuteten Industrieproletariat, das mit Hilfe der RAF seine eigene Lage und seine Rolle in der Gesellschaft kennen lernen wurde. Die RAF war sich also bewusst, dass sie nur 7 SAVES eine kleine Gruppierung waren und dass nur eine breite Massenbewegung imstande war, die Missstände in der Gesellschaft abzustellen. 2.3 Kapitalismus Das Kapital war die Wurzel allen Übels. Es verursachte die Ausbeutung der Dritten Welt durch die Industriestaaten, weil es dort billige Arbeitskräfte gab die für ein Hungerlohn arbeiteten und die Industriestaaten davon profitierten. Das Kapital hatte auch einen großen Einfluss auf die westdeutsche Gesellschaft. Die Anhäufung des Kapitals sei Hauptzweck der Produktionsmittelbesitzer und dadurch würde das Industrieproletariat noch mehr ausgebeutet, und während der Einfluss und die Macht der Produktionsmittelbesitzer größer wurde, büße das Industrieproletariat noch mehr an Macht ein, weil kein Unternehmer an einem politisch mächtigen Proletariat interessiert war. Der Kapitalismus wurde auch als revolutionischer Hemmner angesehen, weil er verantwortlich dafür war, dass es kein einheitliches Proletariat weltweit geben konnte. Das Industrieproletariat profitierte nAmlich auch von der Ausbeutung der Dritten Welt. Die Lösung war einfach: der antiimperialistischer Kampf. 2.4 Die Faschismus-Theorie Die Studentenbewegung und der RAF vermutete, dass man in einem mehr und mehr zum Faschismus neigenden Land lebte. Dieses Vermuten wurde durch die Notstandsgesetze, die harte Reaktion des Staates auf das Studentenprotest und durch die Rolle der BRD in dem Vietnam-Krieg verstärkt. Die RAF wollte den Staat durch ihre Aktionen zu Gegengewalt zwingen und dieses Gegengewalt würde dann das wahre, faschistische Gesicht des Staates zeigen. So würde die RAF die Akzeptanz und Unterstützung der Bevölkerung bekommen, um danach gemeinsam den antiimperialistischen Kampf führen zu können. Die Popularität der Faschismus-Theorie und der RAF erreichten ihren Höhepunkt nach der Verhaftung des FUhrungskaders Baader, Raspe, Ensslin und Meinhof 1972 und der anschließenden Haft in Stuttgart-Stammheim durch die sogenannte Isolationsfolter und den Totentrakt. Die gefangengenommenen Köpfe der RAF wurden in einer Einzelzelle untergebracht, voneinander und von den übrigen Häftlingen getrennt. Mit der Faschismus-Theorie und der RAF-Köpfe der ersten Generation in Einzelzellen hatte die zweite Generation der RAF einen neuen Legitimationsgrund für ihr gewalttätiges Handeln gefunden: sichselbst. Am Anfang der Haft war die Sympathie für die RAF größer als je zuvor. Die gegründeten Komitees gegen die Isolationsfolter waren dafür verantwortlich. Sie verteilten Flugblättern und organisierten Demonstrationen. Gründer dieser Komitees waren die Köpfe der RAF selber. Mit dem “Deutschen Herbst” 1977 verschwand aber diese Sympathie für die RAF wie Schnee an der Sonne. _______________________ 3. Die Strategie der RAF 3.1 Das Konzept Stadtguerilla Nach der Terroristenausbilding in Jordanien im Sommer 1970 kehrte die Gruppe nach Deustchland zurück. Hier begannen sie die Logistik für das Konzept Stadtguerilla 8 SAVES aufzubauen. Sie basierten sich dafür vor allem auf dem Minihandbuch der Stadtguerilla von Marighella. Carlos Marighella war ein brasilianischer Guerillaführer und hatte dieses Handbuch für den Kampf gegen südamerikanische Militärdiktaturen geschrieben. Die RAF brauchte für ihren Kampf Motorisierung, Geld, Waffen, Munition und Sprengstoff. Um an die finanzielle Mitteln zu geraten, benutzte die RAF die selbstentwickelte “Taktik des Dreierschlags”, d.h. dass mehrere Mitglieder der RAF zur selben Zeit drei verschiedene Banken der selben Stadt überfielen. So konnten die Bankräuber die polizeiliche Fahndung besser entkommen. Auch Autos, meistens große und starke Fahrzeuge, wurden gestohlen. Um bei einer polizeiliche Abfrage der Kennzeichen keinen Argwohn zu erregen, entwickelte die RAF auch hier ein neues System, das System der sogenannten "Doublettenfahrzeuge". Nachdem ein Auto gestohlen wurde, wurden die amtliche Kennzeichen typen- und farbgleicher real existierender Fahrzeuge nachgeahmt. Mitglieder der RAF, die nicht mit nach Jordanien gereist waren, wurden in den Umgang mit den aus Jordanien eingeführten Waffen und Sprengstoff unterrichtet. Außerdem beschäftigte man sich mit dem Fälschen von Ausweisen, Pässen, Führerscheinen und Kraftfahrzeugscheinen. Man brauchte ebenfalls Unterschlupfmöglichkeiten. Diese wurden von Strohmänner gemietet, die aus dem legalen Umfeld der RAF kamen. Die Aufbau der Logistik war niemals abgeschlossen. Ständig brauchte man neue Fahrzeuge, Wohnungen, Ausweisdokumente, Waffen und Munition. Die zweite Generation der RAF legte auch Erddepots an. Auch heutzutage gibt es wahrscheinlich noch solche Erddepots, aber man weiß nicht wo. 3.2 Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front Die dritte Generation der RAF entwickelte ein neues Konzept für den strategischen Kampf gegen den Weltimperialismus, die sogenannte "westeuropäische antiimperialistische Front". Der antiimperialistische Kampf sollte auf zwei Frontlinien laufen: einerseits auf der auf internationaler Zusammenarbeit basierenden "Auslandsfront", andererseits auf der auf einem Zusammenschluss des bundesdeustchen linken Kräfte basierenden "Inlandsfront". Die RAF wollte durch ihre Zusammenarbeit mit anderen europäischen Terrorgruppen, den Kampf gegen das imperialistische System auf den gesamten europäischen Kontinent gemeinsam führen. Ein Grund dafür war vielleicht, dass die RAF erkennen musste, dass ihr revolutionäres Subjekt - das Industrieproletariat und die Linke in Deutschland - nicht bereit war, mit ihr gemeinsam den Kampf gegen den Staat zu führen, dass es also keine Massenbewegung geben würde und das bedeutete eine Niederlage für die RAF. Deswegen stellte die RAF Kontakte mit den Brigate Rosse in Italien, mit der Action Directe in Frankreich und den Cellules Communistes Combattantes in Belgien her und versuchte sie durch gemeinsame Anschläge auf dem gesamten europäischen Kontinent, Macht, Einigkeit und Größe zu demonstrieren. Diese "Auslandsfront" misslang weil ein großer Teil der Brigate Rosse und der Action Directe schon Mitte der 80er Jahre von der Polizei verhaftet wurde. ________________________ 9