DIE LANDWIRTSCHAFT GEHT UNS ALLE AN Für eine konsumentenorientierte, sozial nachhaltige und umweltgerechte Agrarpolitik Die auf Massenproduktion ausgerichtete Agrarpolitik mit ihrer undifferenzierten Förderung ist in eine Sackgasse geraten: Die KonsumentInnen wurden betrogen, die Umwelt belastet, die Tiere schlecht gehalten, das Potential von Krankheiten unterschätzt, die Naturzusammenhänge missachtet und die soziale Dimension aus den Augen verloren. Eine Landwirtschaft, die zum Selbstzweck eines rein gewinnorientierten Agrobussiness verkommt, gefährdet die KonsumentInnen, die Umwelt und letztlich auch sich selber. Deshalb ist eine grundlegende Neuorientierung der Agrarpolitik und der Landwirtschaftsförderung notwendig. Die Agrarpolitik geht alle an: Landwirtschaft und Ernährung haben mit Leben und Lebewesen zu tun, und das berührt und betrifft uns alle. Deshalb kann eine Neugestaltung dieses Politikbereichs nur erfolgen, wenn der Konsumentenschutz und seine politische Vertretung, Tierschutz- und Umweltschutzorganisationen und Organisationen aus anderen Gesellschafts- und Wirtschaftsbereichen eine führende Position dabei einnehmen. Auch Wissenschaft und Medien spielen eine besondere Rolle. Wir dürfen die Rahmenbedingungen für eine gesunde Ernährung nicht allein einer, in sich abgeschlossenen und verkrusteten, Agrarlobby und Agrarbürokratie überlassen. Das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten ist das wichtigste „Kapital“ bei der Erzeugung und Vermarktung von Lebensmittel. Diese haben deshalb ein Recht darauf zu wissen, wie Tiere gehalten und gefüttert werden und wie der Boden gedüngt und bewirtschaftet wird. Sie haben ein Recht auf Mitbestimmung! 1. Konsumentenorientierung – Gesunde Ernährung und die Qualität der Nahrungsmittel sowie der Schutz der Umwelt müssen Vorrang haben Das oberste Ziel der Landwirtschaft muss es sein, gesunde Nahrungsmittel für die KonsumentInnen bereit zu stellen und die Lebensgrundlagen zu erhalten. Damit ist die Agrarpolitik ein Teilbereich der Gesundheits- und Umweltpolitik und letztlich diesen untergeordnet. Fragen und Lösungsansätze für eine gesunden Ernährung und die Vermeidung von ernährungsbedingten Krankheiten sowie vorsorgende Ansätze, die Lebensmittelsicherheit für die KonsumentInnen zu gewährleisten, sind wichtiger als abgehobene Marketingmaßnahmen, um die zunehmenden Überschüsse in den Mägen der Verbraucher unterzubringen. Erkenntnisse aus der Medizin und den Ernährungswissenschaften aber auch der eigenständige Wunsch der KonsumentInnen nach gesunder Ernährung und nach „Qualität anstatt Quantität“ sind anzuerkennen und dürfen nicht ignoriert werden. Die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten, gesundheitsorientierte Ernährungsweisen und auch der Trend zur vegetarische Ernährung sind nicht zu bekämpfende Entwicklungen, sondern sollen als positive Herausforderungen für das Agrarsystem betrachtet werden. Pflanzen und Tiere sind keine Waren, mit denen beliebig verfahren werden kann. Die Eigenschaften von Pflanzen und Tieren hängen - neben der genetischen Ausstattung - von den Lebensbedingungen ab. Die Art der Tierhaltung und Fütterung, die Art der Düngung und des Pflanzenschutzes im Pflanzenbau bestimmen die Eigenschaften dieser Lebewesen. Diese Eigenschaften sind auch gemeint, wenn von ernährungsphysiologischer Qualität gesprochen wird. Unsere Lebensmittel sind Pflanzen und Tiere oder aus Teilen von Pflanzen und Tieren hergestellte Produkte. Viele KonsumentInnen können dies kaum mehr nachvollziehen, wenn sie ein verarbeitetes und verpacktes Produkt aus dem Supermarktregal entnehmen. Deshalb: EINE UMFASSENDE INFORMATION DER KONSUMENTINNEN UND KONSUMENTEN ÜBER EINE GESUNDE UND VIELFÄLTIGE ERNÄHRUNG UND ÜBER QUALITATIV HOCHWERTIGE NAHRUNGSMITTEL IST NOTWENDIG: Werbung, Information und Verkaufsförderung für Nahrungsmittel, die durch öffentliche und halböffentliche Mittel durchgeführt werden, sind so auszurichten, dass sie den Maximen der Gesundheitspolitik und der Qualitätsorientierung der KonsumentInnen entsprechen. Diese Mittel sind nicht dazu da, die partiellen Absatzinteressen verschiedener Industrielobbies zu bedienen. Wir brauchen eine breite Information und Diskussion über gesunde und vielfältige Ernährung und Qualität in den Nahrungsmitteln. Es geht um eine Bewusstseinsbildung in prinzipiellen Fragen der Qualität wie: „Weniger ist mehr“, Essverhalten und Gesundheit, gesunde Ernährung für Kinder usw. Dies ist auch eine Chance für alle Beteiligten, um ein neues Verständnis im Umgang mit lebendigen Prozessen zu lernen. Die Landwirtschaft als Erzeugerin von Lebensmittel kann nur Erfolg haben, wenn sie mit den KonsumentInnen und ihrem Gesundheitsbedürfnis geht und nicht gegen diese Anforderungen ankämpft. Es ist unser aller Anliegen, dass wir die Umwelt und Lebensgrundlagen nicht gefährden oder gar schädigen und dass wir diese für zukünftige Generationen erhalten. Niemand der Nahrungsmittel und Produkte aus der Landwirtschaft kauft, will die Grundwässer und Böden belasten, die biologische Vielfalt gefährden, die Umwelt mit nicht rückholbaren Chemikalien kontaminieren, die landwirtschaftlichen Nutztiere als leidensfähige Mitlebewesen durch nicht artgerechte oder sogar schmerzhafte Haltungstechniken quälen und die vorhandenen biologischen Risiken durch neue Technologien noch um vieles vergrößern. Niemand von der Konsumentenseite hat nach einer Hochrisikolandwirtschaft zur Gefährdung der Gesundheit und der Umwelt verlangt. Zudem hat uns die Erfahrung gelehrt, dass diese Art von industriedominierter Landwirtschaft mehr Kosten für die Gesellschaft verursacht, als Produktionssysteme, die solche Gefahrenpotentiale vorsorgend vermeiden. Es ist auch nicht im Sinne einer wertgebenden Politik, wie sich die Sozialdemokratie versteht, und auch nicht im Sinne der KonsumentInnen, den Boden wie ein Chemielabor oder als offenen Bioreaktor zu behandeln, die Agrarökosysteme an der Grenze des gerade noch biologisch Machbaren in ihrem Bestand zu gefährden und die Tiere und Pflanzen zu reinen Produktionsmaschinen abzuwerten. Jede Politik, die das Gefährdungspotential der modernen industrieabhängigen Intensivlandwirtschaft ignoriert, wird zwangsläufig in einen Konflikt mit den KonsumentInneninteressen geraten. Gleichzeitig wird die Störung der biologischen und ökologischen Gleichgewichte zum zentralen Problemelement einer solchen Landwirtschaft. EINE KONSUMENTENORIENTIERTE UND UMWELTFREUNDLICHE NEUPOSITIONIERUNG DER AGRARPOLITIK SOLLTE FOLGENDEN ANFORDERUNGEN RECHNUNG TRAGEN: Der Umgang mit Leben und Lebewesen kann nicht nur nach kurzfristigen ökonomischen Nutzkriterien oder allein nach den Gewinnmaximen der Wirtschaft erfolgen, sondern sollte sich auch an ethischen Grundsätzen orientieren. Schwerpunkte eines neuen Österreichischen landwirtschaftlichen Agrarsystemssystems sind: Besonderen Förderung des Biologischen Landbaus als Leitmodell Umstellung auf eine umweltorientierte Agrarproduktion Gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung – Österreich muss eine „gentechnikfreie Zone“ bleiben. Keine Patente auf Pflanzen und Tiere Umstellung auf tiergerechte Haltung Einschränkung der Tiertransporte Verbot leistungssteigernder Medikamente und Antibiotika in Tierhaltung und Fütterung Abkehr von der Hochleistungszucht sowohl bei Tieren als auch bei Pflanzen Wieder-Inwertsetzung genetischer Ressourcen Aufzeichnungspflicht für synthetische Spritzmittel im Ackerbau. BIOLANDBAU: Insbesondere der Biologische Landbau als alternatives Produktionssystem hat bewiesen, dass er sowohl produktiv als auch umweltschonend und damit langfristig volkswirtschaftlich kostensparend Lebensmittel und Agrarprodukte erzeugen kann. Dieses landwirtschaftliche Agrarsystem ist daher besonders zu fördern und es sind quantitative Umstellungsziele festzulegen. Unser Ziel ist es, in den nächsten 5 Jahren einen Anteil von 20 % Bio-Landbau zu erreichen, wenn nicht sogar zu übertreffen. Österreich muss wieder die Führerschaft im Sektor des Biologischen Landbaus in Europa übernehmen. Insbesondere auch in den Spezialproduktionszweigen wie Garten-, Obst- und Weinbau sollten Schwerpunkte für den biologischen Landbau gesetzt werden. Bäuerliche Initiativen und Erzeugergemeinschaften sind diesbezüglich projektbezogen besonders zu unterstützen. UMWELTORIENTIERTE LANDWIRTSCHAFT: Nicht alle Landwirte werden kurz- bis mittelfristig den hohen Anforderungen des Biologischen Landbaus Rechnung tragen können. Auch ist eine Parallelentwicklung der Märkte notwendig. Aber es ist durch eine Umorientierung der vorhanden Förderungen möglich, große Teile auf eine integrierte Produktion hinzuführen, indem nicht nur minimale ökologische Standards und Flächenbindungen in der Tierhaltung eingehalten werden, sondern auch Anforderungen für die Tiergerechtigkeit vorgegeben werden, durch einen Mindestanteil an Struktur- und Landschaftselementen die biologische Vielfalt erhalten wird, Mindestfruchtfolgen mit Bezugspunkten zur Schlaggröße festgelegt werden, und risikobehaftete Technologien wie die Anwendung der Gentechnologie auszuschließen sind. INDUSTRIEORIENTIERTE PRODUKTION: Landwirte, die sich der industrieorienten Produktion (mit hoher Intensität, engen Fruchtfolgen, geringen Flächenbindungen in der Tierhaltung) verschrieben haben, und die an der Grenze des gerade noch gesetzlich erlaubten produzieren, sind darauf aufmerksam zu machen, dass sie die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten haben und dass sie kein automatisches Recht auf Förderung und gesellschaftlicher Unterstützung haben. Auch sie haben den Sicherheitsanforderungen für die Nahrungsmittel gerecht zu werden. Das Freisein eines Produktes von Schadstoffen oder Krankheitskeimen stellt keine besondere Qualität, sondern eine Selbstverständlichkeit dar. KONZENTRATION AUF KLEIN- UND MITTELBETRIEBE: Klein- und Mittelbetriebe sind durch die gegenwärtige Agrarkrise am schwersten betroffen. Sie sind bei ihren Umstellungsbemühungen besonders zu unterstützen. Insbesondere deshalb, da sie durch die bisher fehlgeleiteten Förderungen zu Großbetrieben vielfach nicht die nötige Kapitalkraft und Sicherheit haben. Deshalb ist auch eine Neugestaltung und Umorientierung des vorhandenen Förderungssystems mit dem Schwerpunkt auf einen standardisierten Arbeitskraftbezug notwendig. Die vorhandenen Mittel sind umzuschichten. Der derzeitige Möglichkeitsrahmen der EU ist auszuschöpfen und auf eine zusätzliche Neugestaltung der Rahmenbedingungen in der EUAgrarpolitik hinzuwirken. (siehe Kapitel Förderung). Im Rahmen der EU Agrarpolitik fordern wir eine neue soziale und ökologische Ausrichtung in der Aufteilung der Agrarfördermittel. DIE AGRARPRODUKTION MUSS HERZEIGBAR UND ANSCHAUBAR SEIN: Im Zusammenhang mit der Informationspolitik für gesunde und qualitativ hochwertige Ernährung ist sicherzustellen, dass die Mittel aus dem Bereich Agrarmarketing so eingesetzt werden, dass die neuen Schwerpunkte im Österreichischen Agrarsystem mit dem Leitmodell des Biologischen Landbaus umfassend an die Konsumentinnen und Konsumenten vermittelt werden. Eine Kennzeichnung und eine durchgehende Kontrolle der Produktionssysteme und der Betriebsmittel vom Bauernhof bis zum Geschäft ist wichtig. Doch dies genügt nicht, denn alles lässt sich nicht technokratisch festnageln und würde auch zu einer nicht bewältigbaren Ver-Bürokratisierung führen. Es geht nicht um Werbung und Marketing sondern um tatsächliche Veränderungen in der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft – aber auch die Be- und Verarbeitung - muss wieder transparent, d.h. für die Konsumentinnen und Konsumenten durchschaubar und anschaubar werden. Hier besteht eine besondere Herausforderung für die Bauern. Die Tierhaltung und die angewandten Techniken sind so zu gestaltet, dass sie jederzeit den KonsumentInnen gezeigt werden können, ohne dass die Mitgefühle für Lebewesen verletzt werden. Unsere Kühe, Schweine und Hühner müssen wieder sichtbar werden. Das gleiche gilt im Pflanzenbau: Die Produktionstechniken sollen so ausgelegt sein, dass man für die gegebenen Betriebsmittel den KonsumentInnen jederzeit Rede und Antwort stehen kann. Nur so kann das Vertrauen der KonsumentInnen wieder gewonnen werden. Dies ist eine Aufforderung und eine Angebot an die Bäuerinnen und Bauern, „DIE STALLTÜR ZU ÖFFNEN“ „FÜR DIE BETRIEBSMITTEL AM ACKER REDE UND ANTWORT ZU STEHEN“ Unser Kühe, Schweine und Hühner müssen wieder herzeigbar werden. Dasselbe gilt auch für unsere pflanzenbaulichen Maßnahmen. DIE BAUERN MÜSSEN DEN INNERAGRARISCHEN KONFLIKT ANNEHMEN: Die Bäuerinnen und Bauern dürfen sich nicht davor scheuen, auch inneragrarische Konflikte anzusprechen, und müssen auch sagen, dass vieles, so wie es jetzt in der Landwirtschaft gemacht wird, nicht tragbar ist. Die Bauern selbst sollen und müssen zum führenden Akteur einer umweltfreundlichen Lebensmittelproduktion werden. Sie müssen ihre politischen Institutionen dahin bewegen, dass sie sich öffnen und den Diskurs über eine umweltfreundliche und sozial nachhaltige Landwirtschaft aktiv aufnehmen. DIE BÄUERINNEN UND BAUERN TRAGEN VERANTWORTUNG – DIE WISSENSCHAFT, VERWALTUNG UND BERATUNG NOCH VIEL MEHR: Die Bauern tragen im Sinne des Verursacherprinzips Verantwortung. Doch haben Politik, Wissenschaft, Verwaltung, Ausbildungsinstitutionen und Beratung eine erweiterte und umfassendere Verantwortung zur Vorsorge im Ernährungs- und Agrarsystem. Diese sind dazu angehalten und von der Politik zu motivieren, diese notwendigen Umstellungen mitzugestalten und mitzutragen. Die Institutionen des Agrarsystems haben in weiten Bereichen in ihrer Verantwortung für das Gesamtsystem versagt. Dabei waren Wissenschaft, Ausbildung, Verwaltung und Beratung nicht unbeteiligt; nicht zuletzt deshalb, da die enge, in sich abgeschlossene Institutionalisierung eine Kritikfähigkeit weitgehend verhinderte. Diese Bereiche sind neu auszurichten bzw. sollen sich selber im Sinne einer Gesamtverantwortung neu orientieren, indem KonsumentInneninteressen und Umweltschutz zum dominierenden Element werden. Beispielsweise sind Umstrukturierungen im Bereich des Landwirtschaftsministeriums oder der Ernährungsagentur so zu gestalten, dass nicht die Umwelt- und Konsumentenschutzagenden in die traditionell industrielastige Agrarverwaltung integriert werden, sondern umgekehrt: Die Führerschaft bei Umstrukturierungen im Agrarbereich muss von der Umwelt- und Konsumentenschutzseite erfolgen. EINE AKTIVES AUFBRECHEN DES VERKRUSTETEN AGRARSYSTEMS IST NOTWENDIG: Die Politik muss auch bereit sein, neue Wege zu gehen. Ansätze und Ideen aus anderen Gesellschaftsbereichen und Wirtschaftssektoren sind wesentlich bei der Neugestaltung der Agrarpolitik. Konsumentenschutz-, Tierschutz-, Umweltschutzorganisationen, außeragrarische Bildungs- und Beratungsinstitutionen, kritische Wissenschaft und Forschung aber auch Ideenträger aus anderen Wirtschaftssektoren sind nicht außenstehende Nichtwisser, sondern haben grundlegende Gestaltungskompetenz. Deshalb ist eine Öffnung des Forschungs-, Ausbildungs- und Beratungssystems zu anderen Gesellschafts- und Wirtschaftsbereichen unumgänglich, um insgesamt die Landwirtschaft als einen Teilbereich einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung im ländlichen Raum zu etablieren. Man muss auch bereit sein, aus anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssektoren zu lernen und die Bedürfnisse und Ansätze anderer zu respektieren – d.h. auch: die Landwirtschaft und ihre Institutionen müssen sich davon verabschieden, allein und umfassend für die Wirtschaftsentwicklung im ländlichen Raum verantwortlich zu sein. Nur so kann es gelingen, dass die Landwirtschaft in die regionale Wirtschaftsentwicklung eingebunden wird und auch die Menschen aus der Landwirtschaft einen Arbeitsplatz vorfinden oder für ihre Produkte regionale Märkte erschlossen werden. (siehe Kapitel Regionalentwicklung) Aus dem Grundsatzprogramm der SPÖ-Bauern (Mai 1999): Die Mehrheit in der Gesellschaft erwartet sich von ihren Bauern eine gesunde Ernährung und eine nachhaltige Sicherung der gemeinsamen Lebensgrundlagen. 2. Regionalentwicklung: Der ländliche Raum ist keine „Konservendose“ für überholte agrarpolitische Ansätze Der ländliche Raum ist mehr als Landwirtschaft: Viele Einzelpersonen, Gruppen und Initiativen aber auch viele im Bereich der Be- und Verarbeitung sowie Vermarktung biologischer Lebensmittel haben sich darum bemüht, durch Innovationen eine eigenständige Regionalentwicklung einzuleiten. Es ist erschreckend, wie wenig davon von der Agrarpolitik angenommen und unterstützt wurde. Im Gegenteil vieles wurde sogar ausgegrenzt und bekämpft. Kein anderer Wirtschaftssektor würde sich einen derart destruktiven Umgang mit seinen innovativen Kräften leisten können. Deshalb sind wieder innovative Programme und Ansätze zur eigenständigen Regionalentwicklung einzuleiten. Der Ländliche Raum ist mehr als Landwirtschaft. Eine immer kleinere Zahl von Agrarproduzenten erzeugt mit immer weniger Beschäftigten immer mehr Produkte und Überschüsse. Obwohl der Strukturwandel unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht ganz zu verhindern ist, so kann er nicht das Ziel der Politik sein. Volkswirtschaftlich wettbewerbsfähig sein heißt, mit den vorhandenen Ressourcen die beste Qualität für die KonsumentInnen bereitzustellen und gleichzeitig die Umwelt zu schonen. Dem gängigen Konzept der Betriebsvergrößerung durch Rationalisierungsförderung mit öffentlichen Mitteln und der damit verbundenen Verstärkung des ruinösen Wettbewerbes, wollen wir eine humane Alternative entgegensetzen, die auch wertvolle Arbeitsplätze erhält und schafft. Anstatt der bisherigen Rationalisierungsförderung mit Mengenorientierung, soll die integrierte ländliche Entwicklung mit ökologischer Qualitätsproduktion in regionalen Wirtschaftskreisläufen gefördert werden. Dabei geht es nicht nur um Nahrungsmittel und nachwachsende Rohstoffe sondern vor allem auch um eine Weiterentwicklung von Handwerk, Gewerbe und Industrie sowie alter und neuer Dienstleistungen. Dies kann nicht unter der Deckmantel der traditionellen Agrarpolitik und schon gar nicht unter dem Deckmantel der traditionellen agrarpolitischen Institutionen erfolgen. Denn die Bedürfnisse des ländlichen Raumes sind anders gelagert: Ausbildung darf nicht nur in Zentralräumen möglich sein - wir brauchen eine Weiterentwicklung der Bildungsinstitutionen: - Ausbildungsstätten für Regionalentwickler und –betreuer, Fernuniversitäten und dezentralen Hochschulzugang, Lehrwerkstätten und verstärkte Einbindung in die berufsbildenden Schulen, Ausbildungs-Cluster mit der und für die regionale Wirtschaft. Das Land benötigt eine Weiterentwicklung der Infrastruktur – es darf nicht zum zweitklassigen „Informationsraum“ werden – Alternativen zur „neoliberalen Erosion“ sind insbesondere für den ländlichen Raum notwendig: - Verkehrs- und Güterwege müssen erhalten und saniert werden. - Ausbau und Innovationen im öffentlichen Verkehr sind voranzubringen. - Regionale Zentren und größere Orte sind an den „Datenhighway“ gleichberechtigt anzuschließen. - Eine undifferenzierte Privatisierung von zentralen Infrastrukturen benachteiligt den ländlichen Raum und macht ihn zweitklassig – deshalb ist eine besondere Verantwortung der öffentlichen Hand notwendig. Der ländliche Raum braucht Innovationen und dafür notwendige Experimentierräume: - Neue Projekte im kommunalen, gewerblichen, industriellen und touristischen Bereich sind zu unterstützen. - Auch der ländliche Raum braucht „Risikokapital“; d.h. dort wo die, primär in Zentralräumen wirksame, Finanzwirtschaft diesem Bedarf nicht nachkommen kann, braucht es eben öffentliche Startförderungen oder Regionalfonds für Betriebsansiedelungen usw. - Auch das Land ist Forschungs- und Experimentierraum; d.h. auch im ländlichen Raum müssen Forschung und Entwicklung möglich sein. - Der ländliche Raum hat ideale Voraussetzungen, um Modelle zur nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung zu verwirklichen (siehe passive Nutzung der Sonnenenergie, Windenergie, nachwachsende Rohstoffe, umweltgerechtes Bauen) Eine erfolgreiche regionale Land- und Ernährungswirtschaft kann sich nur etablieren, wenn sie sich in die regionale Wirtschaftsentwicklung integriert und sich an ihren Bedürfnissen orientiert. D.h. die Agrarmarktpolitik und die Strukturpolitik müssen in eine integrierte Regionalpolitik für den ländlichen Raum eingebettet werden, um für die Menschen im ländlichen Raum neue Perspektiven im Berufsbild, in der Wirtschaftstätigkeit und in der Ausbildung zu schaffen. Wir Sozialdemokraten treten für einen qualitativen Fortschritt und für ein bedarfsorientiertes Wachstum in einer integrierten Regionalentwicklung ein. Es geht darum, die regionale Wirtschaft und die ländliche Infrastruktur zu stärken, Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen, Innovationen für den ländlichen Raum zugänglich zu machen, Nachhaltigkeitsstrategien modellhaft zu entwickeln, sowie eine qualifizierte Ausbildung der Jugend zu ermöglichen. Regionalentwicklung bedarf auch sozialer und partnerschaftlicher Dimensionen: Sehr viele Bauernhöfe werden von Frauen geführt. Sie erhalten und pflegen wichtige Lebensgrundlagen. An diese Anforderungen müssen auch die Rahmenbedingungen angepasst werden, damit eine Betriebsführerin auch mit Freude eigenständig arbeiten kann. Im weltweiten Erfahrungsaustausch ist bewusst geworden, dass Frauen am Land und auf Bauernhöfen, wenn es um die Erhaltung der wirklichen Lebensgrundlagen geht, in vielen Bereichen die eigentliche Verantwortung tragen und Trägerinnen von kreativen Prozessen sind. Darauf muss auch in der Regionalpolitik im allgemeinen und in der Agrarpolitik im besonderen verstärkt eingegangen werden. 3. Direktzahlungen für die Landwirtschaft: Nicht den Grundbesitz fördern, sondern die Arbeitskraft Soziale Nachhaltigkeit: Bereits rund zwei Drittel des landwirtschaftlichen Einkommens der Bauern kommen aus öffentlichen Geldern. Die Verteilung dieser Gelder erfolgt sehr ungleich auf Basis einer einseitigen Flächenorientierung. Früher waren es Preisstützungen, heute sind es Ausgleichszahlungen pro Hektar oder Großvieheinheiten. Diese Kriterien begünstigen die flächen- und viehstarken Betriebe und benachteiligen die kleinen und mittleren Betriebe, speziell im Grünland- und im Berggebiet in besonders hohen Ausmaß. Flächen- und Tierprämien sind der Motor für den Strukturwandel und beschleunigen das „Wachsen und Weichen“. Zudem wirken undifferenzierte Flächen- und Tierprämien fast genauso marktverzerrend wie Preisstützungen. Diese verhindern auch, dass sich die Landwirtschaft an den Bedürfnissen und Erfordernissen der Gesellschaft orientiert. Während für kleine und mittlere Betriebe die gesellschaftlich erbrachten Leistungen durch die Förderungen nur sehr ungenügend abgedeckt werden und daher in Zukunft gefährdet sind, kassieren Grossbetriebe Millionen an Förderungen. Es wird immer uneinsichtiger, warum die Gesellschaft Grundbesitz, der weitgehend normal bewirtschaftet wird, fördern soll. Denn Sozialabbau und Destabilisierung von vormals sicheren Arbeitsplätzen auf der einen Seite und Millionenförderungen für Grundbesitz auf der anderen Seite kann keine soziale Nachhaltigkeit erzeugen. Soziale Nachhaltigkeit basiert auch auf der sozialen Ausgewogenheit des Einsatzes öffentlicher Mittel: Deshalb muss sich das Agrarsystem von der Fläche und den Tierköpfen als alleinige Basis für die Höhe von Förderungen wegbewegen hin zu einer Förderpolitik, die sich am notwendigen Arbeitseinsatz orientiert. Kurz- bis mittelfristig wird es darum gehen, neben dem Kriterium der Hektar oder Stückzahl auch die notwendige Arbeitszeit in Form von Sockelbeträgen und einer merklichen Größendegression zu berücksichtigen. Zudem ist eine Förder-Obergrenze einzuführen, die nur in Ausnahmefällen projektbezogen überschritten werden kann. Längerfristig sollte eine standardisierter notwendiger Arbeitskraftbedarf das Zielkriterium sein. Vor allem Fördergelder aus den Marktordnungsausgleichen aber auch aus dem ÖPUL-Programmen sind am Kriterium des Arbeitsbedarfs auszurichten. Nicht der Besitz von Hektaren ist eine Leistung, sondern der Einsatz von Arbeitskraft. Und eine förderbare ökologische Leistung ist jener Einsatz von Arbeitskraft, der zur ökologischen und tiergerechten Bewirtschaftung eines Betriebes notwendig ist (siehe Grundlinien für eine Ökologisierung der Landwirtschaft aus Kapitel 1). Die bisherigen Agrarförderungen sind entsprechend dieser Vorgaben umzuschichten. Ausnahmen im Steuersystem, die insbesondere Großbetriebe bevorzugen, sind zu beseitigen. Letztere Mittel sollen in eigenständige und nachhaltige Regionalentwicklung investiert werden. Investitionsförderungen werden nicht mehr für die Ausdehnung und Intensivierung der herkömmlichen Produktion gewährt, sondern nur für eine nachhaltige Wirtschaftsweise mit dem Schwerpunkten auf die umweltgerechte Produktion und insbesondere den biologischen Landbau. Die Höhe der Agrarförderungen in Summe ist mehr als ausreichend, denn das prinzipielle Problem des Biologischen Landbaus und einer tatsächlich umweltgerechten Agrarerzeugung ist nicht, dass die Förderungen zu niedrig sind, sondern dass für die konventionelle industrieorientierte Produktion einfach viel zu viel bezahlt wird und für die Ökologisierung zu wenig.