Stellungnahme des Bundesministeriums für Landwirtschaft Herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom 20. September 2001, mit dem Sie mir den „Sozialbericht", erstellt vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich, übermitteln. Zunächst möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie mir Gelegenheit geben, einen Diskussionsbeitrag für das im nächsten Jahr geplante gemeinsame ,Sozialwort" der Kirchen beizusteuern. Erfahrungen und Praxis des sozialen Engagements betreffen in Österreich vor allem auch den ländlichen Raum und die bäuerliche Arbeits- und Lebenswelt, zugleich ist der uns von Gott gegebene Auftrag zum verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Umwelt angesprochen. Für die in Zeiten der Globalisierung bedrängten in besonderer Weise herausgeforderten bäuerlichen Familien ist ein mutiges Wort der Kirchen Motivation und Auftrag, auf der Grundlage verlässlicher politischer Rahmenbedingungen ausreichend Nahrungsmittel sowie Rohstoffe in höchster Qualität zu produzieren und dabei die Naturgrundlagen für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Es dürfte für den von Ihnen angestrebten Diskussionsprozess aber besonders nützlich sein, wenn Sie im Folgenden über die derzeitige Problemlage und die Zielsetzungen der österreichischen Agrarpolitik und über die Politik für den ländlichen Raum informiert werden. Erlauben Sie mir daher die etwas längere Anführung von Gesichtspunkten, die auch in einem im Frühherbst dieses Jahres der Öffentlichkeit präsentierten Programm ihren Niederschlag gefunden haben: Der ländliche Raum braucht eine Zukunft, die den Menschen auch abseits der großen Ballungszentren Wohlstand, Sicherheit and Lebensqualität bietet. Dabei geht es ebenso um ein ausreichendes and vielfältiges Angebot an Arbeitsplätzen, wie um eine funktionsfähige Infrastruktur and Nahversorgung oder den Erhalt des kulturellen, sozialen and ökologischen Gefüges am Land. Für Österreich sind diese Fragen von zentraler Bedeutung. Die Aufwertung des ländlichen Raumes ist daher ein politisches Projekt, das seit den Beschlüssen der Agenda 2000 auch ein klares Ziel der EU ist, das entsprechend unterstützt wird. Mein Ziel ist es, aus dem ländlichen Raum ein Land mit Zukunft zu machen. Politik für den ländlichen Raum hat in Österreich Tradition. Rund 50 Prozent der österreichischen Bevölkerung lebt in ländlichen Regionen und damit mehr als in vielen anderen EU-Ländern. Die neuen Möglichkeiten, die die Agenda 2000 bei der Politik für die Entwicklung ländlicher Regionen eröffnet hat, sind daher offensiv aufgegriffen worden. Österreich erhält heute rund 10 Prozent aller Mittel, die die EU insgesamt für die ländliche Entwicklung reserviert hat. Österreich setzt auch bei den agrarischen Leistungsabgeltungen auf die neue Schiene, bereits an die 60 Prozent agrarischer Fördermittel stammen aus der ländlichen Entwicklung. In allen anderen EU-Mitgliedstaaten dominieren hingegen die Marktordnungszahlungen noch bei weitem. Ansatzpunkte, die künftig noch mehr ausgebaut werden müssen liegen im Bereich der Infrastruktur und Versorgung mit Dienstleistungen. Dies betrifft gleichermaßen Bereiche wie Bildung, Verkehr oder die Wasserver- and Abwasserentsorgung. Bei den öffentlichen Leistungen wird die Umsetzung der Verwaltungsreform deutliche Impulse geben. Im Bereich der Stärkung der Wirtschaft wird der Landwirtschaft auch in Zukunft ein bedeutender Anteil zukommen. Sie ist wichtiger Arbeitgeber im ländlichen Raum und erbringt zunehmend Leistungen, die die Bevölkerung benötigt, Gemeinden und die Wirtschaft in Anspruch nehmen and Urlaubsgäste schätzen. Eine besondere Rolle kommt der Land- und Forstwirtschaft im Bereich der nachhaltigen Energiepolitik zu, wobei Energie aus Biomasse eine Chance ist, regionale Wertschöpfung zu erhöhen und neue Arbeitsplätze am Land zu schaffen. Wie eine in diesen Tagen veröffentlichte Untersuchung zeigt, erlebt der ländliche Raum derzeit eine Art Renaissance and die verstärkten Kontakte zu Landwirten bestätigen sich in Zunahme des Wissens über die Landwirtschaft. Heute wissen 35% der Bevölkerung "sehr gut Bescheid", weitere 48% "ungefähr Bescheid", wie die Lebens- and Arbeitsverhältnisse der Bauern sind. 1993 wussten nur 30% "sehr gut Bescheid" und 43% "ungefähr Bescheid". Der Anteil derer, die "nur sehr wenig Bescheid" wissen, hat sich von 24% auf 11% mehr als halbiert. Diesen Trend gibt es erfreulicherweise auch in großen Städten. In Wien etwa wissen immerhin noch 23% "sehr gut Bescheid" (1993 16%), "nur ungefähr" 55% (1993 48%). Als Vorteile des Landlebens werden von der Bevölkerung an erster Stelle die "saubere frische Luft" (36%) genannt, sowie "Natur" (30%) und "Ruhe" (28%). Damit steht der Urlaubs- und Freizeitwert im Vordergrund, wobei der Aspekt der Naturverbundenheit, die schöne Umgebung gegenüber 1993 signifikant an Bedeutung gewonnen haben, nämlich 10%Punkte. Als Nachteile werden Infrastrukturdefizite zunehmend scharfer gesehen, die Nennung stieg von 27% (1993) auf 34%, wobei in der Regel keine konkreten Infrastrukturleistungen angesprochen werden. Einzige Ausnahme: Die schlechten öffentlichen Verkehrsverbindungen, die einen eigenen PKW notwendig machen (Anstieg von 14% 1993 auf 19% 2001). Die Einschätzung der Landwirtschaft zeigt überdies, dass die Anstrengungen der letzten Jahre von der Bevölkerung positiv registriert werden. 70% sagen, dass "sich viel verändert" hat. Spitzenreiter bei den Nennungen ist die Bioproduktion mit 37%, Direktvermarktung und Ab-Hof-Verkauf stehen mit 16% an zweiter Stelle. Die Technisierung der Landwirtschaft wird zwar von 14% der Bevolkerung angesprochen, jedoch mit einer Abnahme von 19%-Punkten gegenüber 1993. Die Spezialisierung mit plus 6%-Punkte sowie der Punkt Umweltbewusstsein/ artgerechte Tierhaltung mit ebenfalls plus 6%-Punkte sind in der Einschätzung hingegen deutlich wichtiger geworden. Die positive Einschätzung der bäuerlichen Betriebe schlägt letztendlich auch im konkreten Kaufverhalten durch. 53% der Österreicher kaufen selbst beim Bauern ein, das ist ein Plus von 10%- Punkten gegenüber 1993. 34% wissen es von Familienmitgliedern, das ist ein Plus von 15%-Punkten. Diese erfreulichen Veränderungen für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum sind eine gute Basis und ein klarer Auftrag für die weiteren Anstrengungen, um aus dem ländlichen Raum einen attraktiven Zukunftsraum zu gestalten. Soweit einige Fakten, die ich Ihnen auf Grund der Aktualität nicht vorenthalten wollte. Nunmehr im besonderen zum ,programmatischen Kurs" der österreichischen Agrarpolitik und zu Antworten auf die Lösung der zweifelsfrei bestehenden Agrarkrise in Europa: Im Lichte der europaweiten Krise in Zusammenhang mit BSE and MKS ist der Ruf nach einer „Agrarwende" in Mode gekommen. Unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit - selten war übrigens das mediale Interesse an der Landwirtschaft so stark - entspinnt sich eine Diskussion, die allzu stark von Pauschalisierungen and Schlagwörtern geprägt ist. Ein Ansatz jedenfalls, der darauf hinausläuft Agrarpolitik auf einen vermeintlichen Gegensatz von Biolandbau und konventioneller Produktion zu reduzieren, ist falsch and wird damit den tatsächlichen Herausforderungen der Landwirtschaft nicht gerecht. Wenn es um die Zukunft der Landwirtschaft geht, dann ist eine Diskussion notwendig, die differenzierter und vor allem fundierter geführt werden muss. Die gegenwärtige Krise ist dabei sicher ein wichtiger Ausgangspunkt, keineswegs kann es jedoch genügen, die Lehren aus ihr allein zu ziehen. Die agrarpolitische Debatte verlief bisher zunehmend eindimensional: aus Sicht der Nettozahler meist nur unter Budgetaspekten, aus Sicht der Umweltschützer zu sehr auf rein ökologische Fragestellungen fixiert, aus Sicht der Verbraucher häufig zu emotional. Angesichts der Zukunftsfragen, die die Landwirtschaft und der Lebensmittelsektor zu bewältigen haben, sind Antworten auf Probleme und innovative Konzepte vom Agrarsektor eingefordert. Die gesellschaftlichen Erwartungen an die Landwirtschaft haben sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte grundlegend geändert. War in der Nachkriegszeit das Gebot der Stunde die Sicherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung, so sind Landwirte heute mit vielfältigen and auch divergierenden Erwartungen der Gesellschaft konfrontiert. Der Bogen spannt sich von der Forderung nach einer stärkeren Ökologisierung und höheren Tierschutzstandards bis hin zur kostengünstigen und von der Jahreszeit unabhängigen Verfügbarkeit einer breiten Palette landwirtschaftlicher Produkte. Gleichzeitig, wenn auch weniger plakativ, gewinnen die multifunktionalen Leistungen der Landwirtschaft in den ländlichen Regionen - etwa der flächendeckende Erhalt and die Pflege der Kulturlandschaft oder die Sicherung vitaler ländlichen Regionen - immer stärker an Bedeutung. Die Politik in Österreich hat diesen Wandel wahrgenommen and bereits 1988 mit dem Manifest für eine ökosoziale Agrarpolitik einen Bezugsrahmen entwickelt, der in seinen drei Kernpunkten -wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ökologische Orientierung and soziale Ausgewogenheit - bis heute für die strategische Orientierung der österreichischen Landwirtschaftspolitik von maßgeblicher Bedeutung ist. Adressat dieser Politik war und ist das bäuerliche Familienunternehmen. Diese strategische Orientierung der österreichischen Landwirtschaftspolitik lässt sich heute an handfesten Zahlen dokumentieren: Der Anteil der Mittel für die Ländliche Entwicklung liegt in Österreich bei 65 Prozent. Zum Vergleich: europaweit fließen 90 Prozent der EU-Agrargelder in die Marktordnung, in Österreich wie gesagt lediglich 35 Prozent. Österreich hat daher signifikant mehr Gelder als alle anderen EU-Mitgliedstaaten für Umwelt- und Naturschutzmaf3nahmen, beziehungsweise für die Entwicklung ländlicher Räume zur Verfügung gestellt. Inzwischen hat sich die Agrarpolitik der Europäischen Union die bäuerliche, multifunktionale, nachhaltige, flächendeckende Landwirtschaft mit der Formulierung des Europäischen Landwirtschaftmodells zu ihrem Leitbild gemacht. Damit haben wesentliche Elemente des österreichischen Weges einer ökosozialen Agrarpolitik in die Grundsätze der europäischen Agrarpolitik Eingang gefunden. Insgesamt geht es in der langfristigen Reformdebatte aus meiner Sicht um eine Stärkung des Europäischen Landwirtschaftsmodells wettbewerbsfähigen flächendeckenden einer multifunktionellen, Landwirtschaft, das nachhaltigen auf und bäuerlichen Familienunternehmen aufbaut. Nur ein solches Modell ist geeignet, eine breite Streuung des Eigentums an Grund und Boden - ein gesellschaftspolitischer Wert an sich -, einen ökologisch verantwortlichen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen und eine dauerhafte Besiedlung des ländlichen Raums auch in benachteiligten Regionen sicherzustellen. Aus österreichischer Sicht muss die Antwort auf die gegenwärtige Krise jedoch weiter gehen, als die europaweite Hinwendung zu einer ökosozialen Landwirtschaft. Notwendig erscheint darüber hinaus eine Abkehr von der sektoralen, hin zu einer gesamthaften Betrachtung der Lebensmittelkette. Wir brauchen eine Gesamtschau, die vom Feld bis zur Ladentheke reicht. Dieser Betrachtungsweise muss eine klare Definition des Begriffs der Qualität zugrunde liegen. Auf der operativen Ebene ist schließlich die durchgehende Kontrolle der Qualität wie dies mit der österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit vorgesehen ist sicherzustellen, denn die Konsumenten erwarten zu Recht die klare Nachvollziehbarkeit der Lebensmittelkette. Mein Ziel ist es daher, dass in konsequenter Fortsetzung der dem europäischen Modell der Landwirtschaft zugrundeliegenden Philosophie, ein europäisches Lebensmittelmodell entwickelt und umgesetzt wird. Wesentliche Bezugspunkte eines solchen neuen Modells müssen aus meiner Sicht die Grundsätze der Qualität und Sicherheit sowie der Herkunft and Vielfalt der Lebensmittel sein. Die Konsumenten wollen heute wissen, wie ein Tier gehalten wurde, woher es stammt und welche Produktionsverfahren der Bauer angewendet hat. Für die Zukunft der europäischen Landwirtschaft wird es von entscheidender Bedeutung sein, dass das Vertrauen in eine wirtschaftlich gesunde bäuerliche Landwirtschaft erhalten werden kann. Ich bin somit der Überzeugung, dass wir mit dem von mir veröffentlichten Programm „Bauern =Zukunft"auf dem richtigen Weg sind. Österreichs Land- and Forstwirtschaft ist bekanntlich von klein- and mittelbäuerlichen Strukturen geprägt. Die Betriebe bewirtschaften insgesamt 80 Prozent des Bundesgebietes, mehr als 70 Prozent wirtschaften in benachteiligten Gebieten. Unter diesen spezifischen Voraussetzungen gewährleisten Österreichs Bauern die Versorgung mit qualitativ hochwertigen and frischen Nahrungsmitteln, pflegen die Kultur- und Erholungslandschaften unserer Heimat, halten die Besiedelung in Berggebieten und benachteiligten Gebieten aufrecht und sichern wie schon erwähnt Arbeitsplatze in Gewerbe, Industrie and in Dienstleistungsbetrieben. Sie stellen erneuerbare Energie and Rohstoffe zur Verfügung und leisten wichtige Beiträge zum Schutz des Bodens, des Waldes sowie zur Reinhaltung des Wassers. Die flächendeckende Bewirtschaftung durch bäuerliche Familienunternehmen, die umfassende ökologische Orientierung der Produktion sowie die markt- and damit konsumentengerechte Weiterentwicklung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind daher nach wie vor zentrale Aufgaben einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Landwirtschaftspolitik für Österreich. Das Programm für eine zukunftsfähige and nachhaltige Landwirtschaft geht von vier Eckpunkten aus, die ein Aktionsfeld bilden. In diesem sind konkrete Maßnahmen und Arbeitschritte zur Umsetzung des Programms zu setzen. Die Eckpunkte sind: - Zukunftsstärke bäuerliche Familienunternehmen; - das europäische Landwirtschaftsmodell; - das neu zu entwickelnde Lebensmittelmodell als Brücke zum Konsumenten; - die Politik für die ländlichen Regionen. Die flächendeckende Bewirtschaftung durch bäuerliche Familienunternehmen, die umfassende ökologische Orientierung der Produktion sowie die markt- and damit konsumentengerechte Weiterentwicklung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind nach wie vor zentrale Aufgaben einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Landwirtschaftspolitik für Österreich. Dies ist kein nostalgisches Konzept, für die bäuerlichen Familienunternehmen gelten die Eigenschaften: unternehmerisch, gebildet, qualitäts- and umweltbewusst, modern and innovationsfreudig. Die Weiterentwicklung des europäischen Landwirtschaftmodells muss Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb sicherstellen. Die Sicherung der Mengensteuerung in der Produktion, einheitliche europäische Standards, die Sicherung der Direktzahlungen an die Betriebe sowie die massive Stärkung der Iändlichen Entwicklung als zweite Säule der EU-Agrarpolitik sind dazu wichtige Stichworte. Ein neues Lebensmittelmodell (3-Säulen-Modell) ist an die Seite des Landwirtschaftsmodells zu stellen. Es hat sich an den Schwerpunkten Lebensmittelsicherheit, Qualität der Lebensmittel, Kennzeichnung der Herkunft sowie Sicherung der Vielfalt der Lebensmittel zu orientieren. Unser Ziel ist die Qualitätsführerschaft auf einer breiten Basis. Vierter Eckpunkt ist die Verantwortung für den ländlichen Raum als Ganzes. Es geht um die Sicherung der regionalen Wertschöpfung and die Erhaltung der Arbeitsplätze, insbesondere der Absicherung bäuerlicher Existenz. Die Gefahr des Ausräumens ländlicher Räume muss gebannt und die Attraktivität unserer ländlichen Räume muss gesteigert werden. Das Bekenntnis zu einer nachhaltigen und umweltverträglichen Politik, vor allem auch zu einer artgerechten Tierhaltung, zum Biologischen Landbau und zur konsequenten Umsetzung einer Landwirtschaft im Einklang mit der Natur als bleibenden gesellschaftlichen Auftrag fur nachfolgende Generationen ist klares Leitbild. Ausgangspunkt ist letztendlich ein ganzheitlicher Denk- and Handlungsrahmen der Agrarpolitik, die sich in Österreich als ein natürlicher Partner der christlichen Kirchen in voller Wahrnehmung des Schöpfungsauftrages begreift. Mit bestem Dank für lhr Engagement und mit freundlichen Grüßen