Demografische Entwicklungen als Herausforderungen und

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LAND OHNE LEUTE?
Perspektiven für den Umgang mit sozio-demographischen Entwicklungen in ländlichen Räumen
7./8. November 2008, Wels
Demografische Entwicklungen als Herausforderungen und Chancen für
ländliche Räume
Friedlinde Gurr-Hirsch MdL,
Staatssekretärin im Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum BadenWürttemberg
Der ländliche Raum ist ein starkes Rückgrat Baden-Württembergs. Baden-Württemberg
profitiert bis heute von seiner einmaligen dezentralen Siedlungs-, Wirtschafts-, Bildungsund Forschungsstruktur. Wir haben wirtschaftlich starke ländliche Räume. Wesentliche
Teile des Bruttoinlandprodukts werden hier erarbeitet. Den ländlichen Räumen BadenWürttembergs geht es im europäischen und im Bundesvergleich sehr gut. Unsere Strukturund Agrarpolitik hat dazu beigetragen, dass sich die ländlichen Räume gleichwertig zu den
Ballungsräumen entwickelt haben.
Die ländlichen Räume stehen angesichts der zunehmenden Konzentrations- und Rationalisierungsprozesse der Wirtschaft, der weiteren Liberalisierung der Märkte, der Erweiterung
der Europäischen Union und der Globalisierung, dem fortlaufenden Strukturwandel in der
Landwirtschaft sowie der demografischen Entwicklung vor neuen Herausforderungen.
Nach Berechnungen des Statistischen Landesamts nimmt die Bevölkerung in BadenWürttemberg ab 2012 etwas ab. Das ist nicht gravierend. Gravierend ist jedoch die Alterstrukturverschiebung, die uns vor erhebliche Probleme stellt. Die Gesellschaft muss sich
auf eine stark anwachsende Zahl älterer Menschen mit altersbedingten Einschränkungen
einstellen.
Prognosen gehen davon aus, dass die Auswirkungen des demografischen Wandels im
ländlichen Raum noch gravierender als im städtischen Bereich sein werden. Durch die
dünnere Besiedlung der ländlichen Räume sind die Kosten für Infrastrukturleistungen wie
beispielsweise Wasser, Abwasser, Strom, Straßen und schnelles Internet entsprechend
höher als in dichter besiedelten städtischen Gebieten. Die Alterstrukturverschiebung wirkt
tendenziell gleich. Bei Kindergärten und Schulen drohen Auslastungsprobleme. Dem Öffentlichen Personen-Nahverkehr, der im ländlichen Raum zu einem Großteil aus der Schülerbeförderung finanziert wird, entfällt die wirtschaftliche Basis. Gleichzeitig muss er altersgerecht ausgestaltet werden. Ein Rückzug aus der Fläche droht. Für mich bedeutet das,
wir müssen handeln, bevor es zu spät ist. Bereits heute leben in Baden-Württemberg mehr
über 60-Jährige als unter 20-Jährige. Unsere Gesellschaft hat weniger Kinder und wird mit
dem Anstieg der Lebenserwartung noch weiter altern. Die Kinder wiederum suchen ihr
Glück dort, wo sie Arbeit finden. Das ist in einer immer globaler werdenden Welt häufig
nicht in den ländlich strukturierten Gemeinden fern der Ballungsräume.
Politik für den ländlichen Raum
Zu den vorrangigen Zielen meiner Politik zählt das Prinzip der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Es gilt, den ländlichen Raum als eigenständigen Lebensraum zu stärken, zukunftsfähig zu machen und seine Attraktivität zu erhalten. Den
kommenden Herausforderungen kann nur mit einer ressortübergreifenden und integrierten
Politik für den ländlichen Raum begegnet werden. Aus diesem Grund hat der Ministerrat
von Baden-Württemberg 2006 einen Kabinettsausschuss „Ländlicher Raum" mit dem Ziel
eingesetzt, zukunftsorientierte Zielvorstellungen und konkrete Handlungsempfehlungen für
die Weiterentwicklung des ländlichen Raums zu erarbeiten. Konkrete Arbeitsschwerpunkte
sind beispielsweise der Erhalt eines flächendeckenden Schulnetzes und räumliche Nähe
zu tertiären Bildungseinrichtungen wie z. B. Fachhochschulen und Berufsakademien. Der
Erhalt einer flächendeckenden ambulanten und stationären medizinischen Grundversorgung im ländlichen Raum sowie die Förderung der verkehrlichen Mobilität und Lösungen
für eine flächendeckende Anbindung des ländlichen Raums an eine leistungsfähige Datennetz-Kommunikationsinfrastruktur sind von existentieller Bedeutung.
Chancen nutzen
Die demografische Entwicklung bietet auch Chancen für die ländlichen Räume. Neben der
Erschließung neuer Markt- und Beschäftigungsfelder in Branchen, deren Güter und Dienstleistungen verstärkt von älteren Menschen nachgefragt werden, stellt der ländliche Tourismus ein großes wirtschaftliches Potenzial dar. Die so genannten „Best Ager“ haben Zeit,
sind mobil und verfügen über die entsprechende Kaufkraft für ein anspruchsvolles Tourismusangebot in ländlichen Räumen.
Besonders günstig beurteilen die Menschen auf dem Lande den hohen Wohn-, Freizeitund Erholungswert von Natur und Landschaft. Dies schätzen vor allem junge Familien,
aber auch finanziell gut gestellte ältere Menschen, die mit dem Eintritt in den Ruhestand
zum Teil sogar der Stadt den Rücken kehren und aufs Land ziehen. Nach einer Studie der
Deutschen Bank Research leben die zufriedensten Deutschen in den ländlich geprägten
Gebieten Baden-Württembergs.
Mehr soziale Nähe, hohe Bereitschaft zur „Nachbarschaftshilfe", weniger Anonymität
zeichnen die ländlichen Gebiete aus. Eine große Chance der demografischen Entwicklung
für den ländlichen Raum liegt daher auch im Ehrenamt.
Schwerpunkte setzen
Ansätze für eine zukunftsgerichtete Strukturpolitik können aus meiner sicht Modelle als
Best-Practice-Beispiele bieten. Dazu gehört auch neue, kreative Ideen zu entwickeln und
die Finanzmittel zu konzentrieren. Gefordert sind kooperative Lösungsansätze und die Bildung von Netzwerken über Gemeindegrenzen und Fachgebiete hinweg. Dabei gibt es keine Patentrezepte, aber eine ganze Reihe gelungener Beispiele, die Anstöße für Lösungen
geben können.
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