Seminar Kernphysik – Sommersemester 2004 Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Experimente mit reellen Photonen 1. Einführung Reelle Photonen sind ganz normale Photonen. Der Begriff reell wird zur Unterscheidung von den sog. virtuellen Photonen verwendet, die die Austauschteilchen der elektromagnetischen Wechselwirkung sind. Hochenergetische Photonen sind nützliche Sonden, um die innere Struktur von Nukleonen zu untersuchen. Zum Beispiel entspricht eine Photonenenergie von E ~ 100MeV einer Wellenlänge von ~ 10fm. Die Untersuchung von Nukleonen kann dann mit Hilfe von Compton-Streuung erfolgen. In der folgenden Zusammenstellung werden zwei Methoden zur Herstellung von hochenergetischen Photonen vorgestellt: der Bremsstrahlungsprozess und die sog. Laser-Rückstreuung. Zudem wird die in Experimenten äußerst wichtige Methode der Energiemarkierung von Photonen (engl.: tagging) vorgestellt, die eine zerstörungsfreie Energiebestimmung von Photonen ermöglicht. Abschließend wird der Einsatz der Methoden an einem Experiment zur Bestimmung der Polarisierbarkeiten des Protons vorgestellt. 2. Grundlegende Konzepte Für die folgenden Überlegungen spielen zwei Konzepte eine wichtige Rolle: Zum Ersten die Energie- und Impulserhaltung und zum Zweiten die für Streuprozesse wichtigste Größe, der (totale) Wirkungsquerschnitt: 3. Zahl der Reaktionen eines gegebenen Typs pro Streuzentr um/s Stromdicht e der einfallend en Teilchen Methoden zur Herstellung hochenergetischer Photonen 3.1 Bremsstrahlung Im Feld eines schweren Kerns kann ein einlaufendes Elektron ein Photon emittieren. Es gelten Impuls- und Energieerhaltung: p0 p k q E0 E k T Die Rückstoßenergie T liegt im keV-Bereich und ist darum vernachlässigbar. Das Energiespektrum der Bremsstrahlung ist näherungsweise gegeben durch: d const. ˆ dk k k k Es liegt also eine hyperbelartige Verteilung vor. Man erkennt daraus, dass sehr viele niederenergetische und sehr wenige hochenergetische Photonen produziert werden. Die Winkelverteilung der Bremsstrahlung wird bestimmt vom sog. charakteristischen Winkel: c mec 2 E0 Im Zähler steht also die Ruheenergie des Elektrons, im Nenner die kinetische Energie des einfliegenden Elektrons. Für relativistische Elektronen und kleine Winkel gilt in Näherung: d 2 d ( c2 )2 Sebastian Will Seite 1 von 5 Seminar Kernphysik – Sommersemester 2004 Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Für den Anteil der in einen Öffnungswinkel ( ) abgestrahlten Photonen gilt: 1 1 c 2 Folgerungen: In den charakteristischen Winkel wird die Hälfte aller Photonen abgestrahlt und für wachsende Einschussenergie wird der Öffnungswinkel der Photonenabstrahlung kleiner. 3.2 Compton-Effekt – Laser-Rückstreuung Der bekannte Compton-Effekt beschreibt die elastische Streuung von Photonen an weitgehend ruhenden Elektronen. Bei der Laser-Rückstreuung handelt es sich um elastische Streuung von Photonen an relativistischen Elektronen. Im Fall der Laser-Rückstreuung erhält man folgende Beziehung für die Energie der gestreuten Photonen: 4 2 k 0 k ( ) 1 4 k 0 me c 2 2 2 Streuwinke l der Photonen 1 2 1 v e c Aus dieser Beziehung folgt, dass die um 180° zurückgestreuten Photonen die höchste Energie haben und dass in einen bestimmten Streuwinkel nur Photonen einer definierten Energie abgestrahlt werden. Zudem kann man berechnen, dass die maximal erreichbare Photonenenergie deutlich unterhalb der kinetischen Energie der eingeschossenen Elektronen liegt. In der Energieverteilung der bei Laser-Rückstreuung erzeugten Photonen beobachtet man keine signifikante Bevorzugung bestimmter Energien. Vielmehr erhält man ungefähr gleich viele Photonen in jedem Energiebereich. 3.3 Energiemarkierung mit Bremsstrahlung Stellt man hochenergetische Photonen in einem Bremsstrahlungsprozess her, so kann man durch einen entsprechenden Aufbau, den sog. Tagger die indirekte, zerstörungsfreie Bestimmung der Photonenenergie erreichen. Ein möglicher Aufbau wird in folgender Grafik dargestellt (Uni Mainz, Institut für Kernphysik, A2 Kollaboration): Sebastian Will Seite 2 von 5 Seminar Kernphysik – Sommersemester 2004 Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Beim Auftreffen der hochenergetischen Elektronen auf den Radiator (oft Nickelfolie, Dicke: ~ m) entstehen Bremsstrahlungsphotonen und gestreute Elektronen mit einer Energie, die geringer als die Einschussenergie ist. Die Streuelektronen werden in ihrer Energie analysiert, indem sie einem zu ihrer Flugrichtung senkrecht stehenden Magnetfeld ausgesetzt werden. In diesem Magnetfeld bewegen sie sich auf Kreisbahnen, wobei der Krümmungsradius für kleinere Energie kleiner ist. Nun gilt der Energieerhaltungssatz, und man kann die Energie des bei einem bestimmten Bremsstrahlungsprozess produzierten Photons bestimmen: k E0 E Dazu muss dem Photon das dazugehörige Streuelektron zugeordnet werden. Dies geschieht durch eine Koinzidenzanalyse zwischen Photonendetektor und Elektronendetektor. 4. Messung der Polarisierbarkeiten des Protons 4.1 Polarisierbarkeit für Atom und Proton Setzt man ein Atom einem E-Feld bzw. einem B-Feld aus, so wird ein Dipolmoment bzw. ein magnetisches Moment induziert gemäß: p Elok bzw. m Blok Die Proportionalitätskonstante heißt elektrische Polarisierbarkeit, die Proportionalitätskonstante magnetische Suszeptibilität, die man als magnetische Polarisierbarkeit auffassen kann. Da man nun aus Experimenten weiß, dass auch das Proton eine innere Struktur aus positiven und negativen Ladungen aufweist, erwartet man, dass auch das Proton elektrisch und magnetisch polarisierbar ist. Man kann also die Definition der Polarisierbarkeiten auf das Proton übertragen. Die Polarisierbarkeiten und sind fundamentale Struktureigenschaften des Protons! 4.2 Bestimmung des Polarisierbarkeiten – Compton-Streuung Zur Bestimmung der Polarisierbarkeiten führt man Compton-Streuung von Photonen (Energiebereich ~ 100MeV) an Protonen durch und misst den differentielle Wirkungsquerschnitt dieses Prozesses. Diese Messung vergleicht man dann mit dem theoretisch erwarteten Ergebnis, dass aus der Quantenfeldtheorie folgt: e 2 d d 1 cos 2 (1 cos )2 2 2 d LET d Point M c 2 abhängig von: Ladung Masse magnetischem Moment Energien von ein- und auslaufendem Photon In dieser theoretischen Formel kommen die Polarisierbarkeiten als freie Parameter vor. Die Gültigkeit dieser Formel wird vorausgesetzt. Um und tatsächlich zu bestimmen, variiert man die Werte von und so, dass die Formel den im Experiment gemessenen Verlauf des differentiellen Wirkungsquerschnitts reproduziert. Diese Werte von und , die das Experiment am Besten approximieren, werden als die Messwerte der Polarisierbarkeiten angegeben. 4.3 Experimentelle Realisierung Im Institut für Kernphysik (A2 Kollaboration) der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, wird zur Messung des Wirkungsquerschnitts für die Streuung von Photonen an Protonen folgender Aufbau verwendet: Sebastian Will Seite 3 von 5 Seminar Kernphysik – Sommersemester 2004 Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Target: flüssiger Wasserstoff Der linke Teil der Abbildung zeigt den bereits in 3.3 beschriebenen Tagger, der die hochenergetischen, energiemarkierten Photonen bereitstellt. Der Photonenstrahl trifft nach der Kollimation auf ein Target aus flüssigem Wasserstoff, der offenbar von allen Elementen am Besten für Messungen an Protonen geeignet ist. Das Target ist umringt vom sog. TAPS-Detektor (Two-ArmPhoton-Spectrometer), der zum Nachweis der gestreuten Compton-Photonen dient. Zu beachten ist, dass aufgrund der Kollimation nicht alle beim Bremsstrahlungsprozess produzierten Photonen auch am Target ankommen, während jedoch zu jedem Bremsstrahlungsphoton ein Elektron im Detektor des Taggers nachgewiesen wird. Man definiert darum die sog. Markierungseffizienz: T Anzahl der Photonen im Experiment target N Anzahl der Elektronen im Tagger Ne Die Anzahl der Elektronen im Tagger kann relativ leicht gezählt werden, die Anzahl der Photonen, die den Tagger verlassen, kann man bestimmen, indem sie direkt hinter der Kollimatoröffnung mit einem Photodetektor nachgewiesen werden. Für die Auswertung von Messungen ist die Markierungseffizienz von entscheidender Bedeutung. 4.3.1 Bestimmung des Wirkungsquerschnitts Die Anzahl der nach einer gewissen Messdauer nachgewiesenen Compton-Photonen ergibt sich theoretisch gemäß: NComp N d d NT mit NT N A H2 LTarget AH2 Targetteilchen pro Fläche Direkt experimentell zugänglich sind darin NT, (vom Detektor abgedeckter Raumwinkel). Indirekt zugänglich ist die Anzahl der einfliegenden Photonen N. Man kann sie jedoch über die oben definierte Markierungseffizienz und die Anzahl der Photonen im Tagger bestimmen und erhält: d d NComp T Ne NT Experimentell am schwierigsten ist die Bestimmung der Anzahl der Compton-Photonen im TAPSDetektor NComp, da im TAPS-Dektektor – neben den Compton-Photonen – noch sehr viele Photonen aus anderen Prozessen als Untergrund festgestellt werden. Die durch solche Photonen erzeugten Signale müssen verworfen werden, um die Messung des Wirkungsquerschnitts genau zu machen. Dazu verwendet man zwei Analyse-Techniken. Zum ersten die Koinzidenzanalyse, durch die geprüft wird, ob zu einem nachgewiesenen Photon in einem kleinen Zeitfenster (~ 80ns) auch ein Elektron im Tagger nachgewiesen wurde. Ist dies bei einem gegebenen Ereignis der Fall, wird die MissingEnergy-Analyse durchgeführt. Es wird ausgenutzt, dass die Energie der auf das Traget treffenden Photonen im Experiment auf zwei Arten bestimmt werden kann: Sebastian Will Seite 4 von 5 Seminar Kernphysik – Sommersemester 2004 Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Zum einen sind aus dem TAPS-Detektor der Streuwinkel und die Energie E’ des gestreuten Photons bekannt. Aus der Compton-Theorie kann man die Energie des eingelaufenen Photons bestimmen: E Eberechnet E 1 (1 cos ) MProton Außerdem ist die Energie des Photons aus dem Tagger bekannt, weil die Energie des zeitlich korrelierten Elektrons im Tagger ermittelt wird. Man erhält (vgl. 3.3): Egemessen k E0 E Damit ist das Kriterium für echte Compton-Ereignisse gegeben als: ! Emiss Egemessen Eberechnet 0 4.3.2 Messergebnisse Nach Anwendung der unter 4.3.1 dargestellten Methoden wurden bei einer Messung (Mainz, 2001) die Wirkungsquerschnitte für 5 Streuwinkel und je 13 Photonenenergien ermittelt. Exemplarisch sei hier als Beispiel gegeben: Dabei beschreibt die flachere rote Linie den theoretischen Wirkungsquerschnitt eines Punktteilchens ohne innere Struktur. Die durchgezogene schwarze Linie ermittelte man über das in 4.2 beschriebene Verfahren, wobei die Werte von und variiert wurden. Als Messwerte für die Polarisierbarkeiten und ergaben sich schließlich: 12.1 0.3stat 0.4syst 104 fm3 [1] [2] [3] [4] [5] [6] und 1.6 0.4stat 0.4syst 104 fm3 Víctor M. Olmos de Leon, Messung der Polarisierbarkeiten des Protons, Dissertation, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Kernphysik (2000) Jürgen Ahrens, Experiments with real photons – some basic tools, unveröffentlicht (1993) B. E. Norum, T. P. Welch, An Intense Polarized Photon Source at CEBAF Hall B, unveröffentlicht (1993) A. D’Angelo et al., Tagged Photon Beams obtained by Laser Compton Scattering on Electron Beams C. Schaerf, The Graal Project: a polarized and tagged gamma-ray beam, Nuclear Physics News, Vol. 2, No. 1 (1992) C. Schaerf et al., High Energy Gamma Ray Beams from Compton Backscattered Laser Light, IEEE Transactions on Nuclear Science, Vol. NS-30, No. 4 (1983) Die Folien des Vortrages können unter www.sebastianwill.de heruntergeladen werden. Sebastian Will Seite 5 von 5