Interpretation von „Maßnahmen gegen die Gewalt“ von B. Brecht In Brechts Geschichte „Maßnahmen gegen die Gewalt“ – Anfang der 30er Jahre geschrieben – spricht sich Herr Keuner in einem Saal vor vielen Leuten gerade gegen die Gewalt aus, als er merkt, dass eben diese hinter ihm steht und die Zuhörer vor ihr zurückweichen. Herr Keuner verleugnet seine Rede vor der Gewalt. Als seine Zuhörer ihn später nach seinem Rückgrat fragen, erzählt er eine Geschichte über Herrn Egge, der zwar gelernt hatte, nein zu sagen, aber trotzdem einen Agenten in der Zeit der Illegalität für sieben Jahre aufnimmt und versorgt, bis dieser durch zuviel Essen und Schlaf stirbt. Herr Egge schafft die Leiche aus dem Haus, streicht die Wände, atmet auf und antwortet „Nein“. Rein historisch und politisch interpretiert, spiegelt sich Brecht, wie so oft, in Herrn Keuner wider. Brecht war gegen die aufkeimende Gewalt durch die Nationalsozialisten in Deutschland. Er machte es wie seine Kunstfigur Herr Keuner, „kämpfte“ aktiv gegen die drohende Gefahr indem er die möglichen Folgen dieser Ideologie überdachte und anderen vermittelte, um diese zu warnen. Brecht schrieb seine Gedanken auf. Seine Figur trägt sie in einem Hörsaal vor – immer auf der Hut, seine Gedanken nicht seinen Gegnern, sprich der Gewalt, zu eröffnen. Als diese ihn doch ertappt, verleugnet er seine wahre Meinung. Manche denken wohl, es ist feig, zu leugnen, jedoch in Anbetracht der Situation ist es durchaus sinnvoll. Würde Herr Keuner sich offen gegen die Gewalt aussprechen, würde er wahrscheinlich mit dem Leben bezahlen und könnte nicht mehr andere auf die Gefahr aufmerksam machen und etwas gegen sie unternehmen. Genau dies meint Herr Keuner, der Denkende, als er zu seinen Schülern sagt: „Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muss länger leben als die Gewalt.“ In diesem Ausspruch symbolisiert Herr Keuner die Vernunft und das Gewissen, welche die Gewalt überleben müssen. Brecht musste ebenfalls seine Gedanken „verschlüsseln“, er konnte sie nicht jedem – besonders nicht den Nationalsozialisten – preisgeben, sonst wäre er verhaftet oder schikaniert und gedemütigt worden. Dadurch, dass er seine politische Meinung in seine Text einbrachte, blieben ihm noch einige Jahre Zeit, bis die NSDAP die Möglichkeit hatte, etwas gegen ihn zu unternehmen (Seine Bücher wurden letztendlich verbrannt, als Brecht schon im Exil lebte.). Herr Egge symbolisiert die deutsche Gesellschaft, die von den Nazis – der Agent in der Geschichte – terrorisiert wird. Die Nationalsozialisten haben alle Rechte und jeder Besitz gehört ihnen (siehe Text: „... der Schein, der ihm erlaubt, die Leute zu kommandieren etc...“). Es muss jeder allein mit den mächtigen Herrschern zurechtkommen und entscheiden, wie er sich ihnen gegenüber verhält. Es wird nicht von anderen Leuten erzählt, die Herrn Egge zu Hilfe kommen. Genau so muss es Mitte der 30er Jahre gewesen sein – keiner versuchte eine Widerstandsbewegung oder Ähnliches zu gründen – jeder kämpfte allein gegen den Nationalsozialismus, was Brecht natürlich noch nicht wusste, als er den Text schrieb. Herr Egge suchte sich wahrscheinlich die beste Taktik in dieser Situation aus: Aushalten, aber trotzdem seinen Prinzipien so weit wie möglich treu bleiben. Dies drückt Brecht dadurch aus, dass Herr Egge zwar zB das Essen auf Befehl bringt – es bleibt ihm nichts anderes übrig, wenn er überleben will – jedoch sagt er kein einziges Wort zu dem Agenten – er sagt nicht „Ja und Amen“ zu den Ansichten des Herren. Ein offenes Wort gegen diese Person würde ihn wohl sein Leben kosten und so steht 1 er diese sieben Jahre durch. Dies verlangt innere Stärke, Hoffnung, Glaube und Rückgrat. Herr Keuner bzw. Bert Brecht bringt dies in der Geschichte über Herrn Egge sehr gut zum Ausdruck. Als der Agent dick geworden ist vom vielen Essen, Schlafen und Befehlen, stirbt er. Er ist also selbst schuld an seinem Tod. Die Nationalsozialisten zwangen die Bevölkerung ebenfalls ihnen zu dienen – ob sie wollte oder nicht. Diejenigen, die schwiegen, überlebten diese Zeit (abgesehen davon, dass viele von ihnen im Krieg starben). Das Ertragen der Situation war reiner Selbstschutz – wie bei Herrn Egge nehme ich an, jedoch war es für die Nachkriegszeit enorm wichtig, dass diese Leute am Leben waren und ihre Moral und Vernunft an die kommende Generation weitergaben. Wie der Agent ging der Nationalsozialismus aufgrund seiner Ansichten und seines Verhaltens zu Grunde. Jedoch half in Wirklichkeit noch eine andere Kraft mit – die Westmächte im Krieg – die Herrschaft zu beenden. Nun, da Herr Egge (bzw. die Deutschen), wieder frei ist, wird der Agent in der verdorbenen Decke (= Nationalsozialisten und ihr Gedankengut) weggeschleift und das Lager (= Land), das Haus (möglicherweise Symbol für die Köpfe und Gedanken der Leute) etc. gesäubert. Herr Egge kann aufgrund seines starken Willens, seines „Durchhalte-Vermögens“ und seinem Rückgrat wieder selbst entscheiden und frei denken, er hat gewonnen. Er kann nun ohne Gefahr sagen, was er sich schon lange dachte: „Nein“. Nein zu den Ansichten des Agenten und dessen Herrschaft. Ich möchte noch näher auf Brechts Wortwahl bei einem Satz – der Agent wird aus dem Haus geschleift und Herr Egge wäscht danach das Lager und tüncht die Wände – eingehen. Der Ausdruck „wegschleifen“ ist meiner Meinung nach sehr gut gewählt, da man sofort an die nötige (Kraft-)Anstrengung denkt, mit der man etwas wegschafft. Es war in der Nachkriegszeit nicht leicht, die zB antisemitischen Parolen aus den Köpfen der Bevölkerung zu verdrängen und zu berichtigen. Das die Wände übermalt werden, verstehe ich als Versuch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen – durch Vergessen und nicht sehen wollen – keineswegs ein positiver Begriff. Ob Brecht dies als richtige Methode sah oder nur dachte, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Art der Bewältigung wählt, kann ich nicht beantworten. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie sehr sich Bert Brecht in die Leute hineinfühlen und deren Verhalten analysieren konnte. Wie soll ich mir sonst seine zutreffenden Zukunftsperspektiven erklären? Als Brecht diese Geschichte schrieb, wussten viele noch nicht, welche Bedrohung von den Nationalsozialisten ausging. Die Mehrheit machte sich wahrscheinlich keine Gedanken darüber und ignorierte die sich mehrende Popularität der NSDAP. Was dann passierte, kann man genau in den Geschichtsbüchern nachlesen oder mit etwas Glück in Brechts „Geschichten vom Herrn Keuner“ finden. 2