100 Jahre Internationaler Frauentag Rede von Barbara Tedeski als Vertreterin der Frauenfriedenskonferenz am 19. März 2011 im Rahmen der Auftaktveranstaltung des 100. Internationalen Frauentags in München Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frauen, liebe Männer! Im Bewusstsein der internationalen Solidarität mit den Frauen aus allen Ländern der Welt, die an diesem Tag ihre Stimme erheben, sind auch wir hier zusammengekommen, um ein sichtbares Zeichen unseres Kampfes gegen den Krieg zu setzen – ein Zeichen für den Frieden, für die Freiheit und für die Demokratie. Ob in Kurdistan, Bangladesh oder in der Türkei, ob in Brasilien, im Iran, im Irak, in Nordafrika oder in Indien: Weltweit gehen Hunderttausende von Frauen am Internationalen Frauentag für ihre politischen Rechte auf die Straße, um gegen Unterdrückung, Gewalt, Krieg und Repression zu kämpfen. Denn der Internationale Frauentag ist zu allen Zeiten nicht nur ein Kampftag für Frauenrechte, sondern auch ein Kampftag für den Frieden gewesen, und wie ein roter Faden zieht sich dieser Kampf, der notwendiger ist denn je, durch unser aller Geschichte. Die Frage des Friedens war und ist für die Frauen von zentraler Bedeutung. Blicken wir auf 100 Jahre Frauentag zurück, so hat es Hedwig Krimmer zutreffend formuliert, so stellen wir fest: Zwei nicht durch uns verhinderte Weltkriege haben das Leben der Frauen am meisten bestimmt – ob im sozialen, ökonomischen oder im politischen Bereich. Dabei sind es verlässlich immer wieder die Frauen gewesen, die die Anzeichen eines drohend heraufziehenden Weltkriegs als erste und lange zuvor erkannten und weltweit zum Widerstand mobilisierten, ob im sozialistischen oder auch im bürgerlichen Lager: Berta von Suttner, die spätere Friedensnobelpreisträgerin, warnte bereits 1899 eindringlich vor den Gefahren der internationalen Aufrüstung und den Interessen der Rüstungsindustrie im durch und durch vom Militarismus und Waffengeklirr beherrschten Deutschen Reich. In München standen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann im kompromisslosen Kampf gegen Faschismus und Krieg in vorderster Reihe, ohne Furcht vor der Gefahr fürs eigene Leben. Und nicht zu vergessen: die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, die natürlich auch heute hier vertreten ist. Es ist die große Sozialistin und Revolutionärin Clara Zetkin gewesen, die uns vor mehr als hundert Jahren den Internationalen Frauentag historisch erstritten hat und die gründlicher und schärfer als alle anderen bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts die heraufziehende Gefahr eines imperialistischen Weltkriegs erkannte, als die Reichstagsmehrheit damit begann, ihre Politik der Aufrüstung, der Massensteuern und Massenzölle und der kolonialen Aggression unbeirrt und zunehmend massiver fortzusetzen. Clara Zetkins Angriff war vor allem gegen den „Feind im eigenen Land“ gerichtet, gegen den deutschen Imperialismus und seine Kriegsvorbereitungen, dem sie gemeinsam mit Rosa Luxemburg bis zu ihrem Tod den Kampf angesagt hatte. Als am 26. August 1910 auf der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen die Einführung eines weltweiten Frauentags beschlossen wurde, war die Verabschiedung einer „Resolution, die Erhaltung des Friedens betreffend“ von ebenso zentraler Bedeutung für die Konferenz, weil sie in der Frage nach der Ursache des Krieges für die gesamte Arbeiterbewegung Stellung bezog: „Die Zweite Internationale Konferenz Sozialistischer Frauen in Kopenhagen“, so heißt es, „erblickt die Ursache des Krieges in den durch die kapitalistische Produktionsweise hervorgerufenen sozialen Gegensätzen und erwartet daher die Sicherung des Friedens nur von der tatkräftigen, zielbewussten Aktion des Proletariats und dem Siege des Sozialismus.“ Diese Resolution stand auch im Mittelpunkt der Frauenfriedenskonferenz in München, die auf Initiative der ver.di-Frauen des Fachbereichs Kunst, Medien und Industrie auf den Tag genau einhundert Jahre später im August 2010 im Gewerkschaftshaus München durchgeführt wurde. An die hundert Frauen und auch Männer aus Gewerkschaften, Parteien, Frauen- und Friedensorganisationen und aus allen sozialen Schichten sind unserem Aufruf im Geist der Resolution „die Erhaltung des Friedens betreffend“ spontan gefolgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es mag wohl sein, dass viele von euch die Ansicht, dass die Sicherung des Friedens nur durch den Sozialismus möglich ist, nicht teilen. Aber an einer Erkenntnis ist ganz gewiss nicht zu rütteln: Es ist die Ökonomie des Kapitalismus, die heute wie damals auf Kosten der Menschen zwangsläufig zum Krieg treibt und am Krieg verdient, indem sie zunehmend massiver die sozialen Gegensätze verschärft, von denen Frauen am meisten und in der Regel zuerst betroffen sind. Denn das Geschlecht als sozialer Platzanweiser bestimmt noch immer die ökonomischen Chancen der Frauen in der Gesellschaft. Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit, dessen Folge eine erschreckend hohe Altersarmut ist, und die Doppelt- und Dreifachbelastung durch Kindererziehung, Haushalt und kostenlose Altenpflege, von der der Staat in Millionenhöhe profitiert, spiegeln den Stellenwert der meisten Frauen in einer gespaltenen Gesellschaft wider. Es ist die Ökonomie des Kapitalismus, die sich heute wie damals im Konkurrenzkampf um die rücksichtslose Durchsetzung von Profitinteressen wie ein menschenfressender Moloch breitmacht, auf unserem Rücken und allein zu unseren Lasten, die uns von einer Krise in die nächste treibt im Krieg der Krisenverursacher und jene von uns, die nicht ins kapitalistische Gewinnraster passen, mit unglaublich abstoßender sozialer Kaltschnäuzigkeit als ökonomisch „wertlose“ Personengruppen gnadenlos aussortiert. Je freier der Warenverkehr, desto unfreier die Menschen! Die zunehmenden Anschläge auf unsere Freiheits- und Grundrechte, die in dem Versuch der bayerischen Staatsregierung gipfelten, unser ureigenstes demokratisches Recht, das Recht auf Versammlungsfreiheit, einzuschränken, sind ein massiver Rechtsbruch und das perfide repressive Instrumentarium, mit dem jeder Widerstand gegen den Krieg verhindert werden soll. Dagegen müssen wir uns mit aller Macht und allen demokratischen Mitteln wehren, aufstehen und kämpfen und begreifen, wo der Feind steht! Kolleginnen und Kollegen! Die Lehre aus dem Faschismus war: Nie wieder sollte Krieg ausgehen von deutschem Boden! Tatsache ist: Deutschland führt wieder Krieg – nicht nur in Afghanistan, sondern im eigenen Land. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wurde ein Sicherheits- und Überwachungsstaat konstituiert, der mit einer rapiden Erosion von Grundrechten einhergeht. „Sicherheitspolitik“, wie sie uns hierzulande verkauft wird, hat aber in Wirklichkeit nichts, aber auch rein gar nichts mit Sicherheit zu tun. Denn tatsächlich geht es im Kern um den „Wohlstand des Landes durch Aufrechterhaltung des freien und ungehinderten Welthandels und um den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen anderer Länder“, wie es im Weißbuch 2006, dem Strategiepapier zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr heißt. Deutschland will wieder Weltmacht werden! Es gibt für uns Frauen triftige Gründe, den Kampf um den Frieden gegen die Kriegspolitik der Regierung konsequent in den Mittelpunkt unseres politischen Handelns zu stellen. Angesichts der wachsenden kriegerischen Auslandseinsätze und der zunehmenden Militarisierung unserer Gesellschaft nach innen ist es unabdingbar, das Gesetz des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen, statt sich widerspruchslos zu Komplizinnen der Zerstörung durch Waffengewalt machen zu lassen – für Kriege, die angeblich zu unserem Schutz und zur Verteidigung unserer Rechte geführt werden. Was sind das für Rechte? Es sind nicht unsere Rechte, die hier verteidigt werden sollen, es sind ihre Rechte: die Rechte der Kriegstreiber, der Kriegsprofiteure, der Massenmörder und Vergewaltiger, der Bombenleger und Vernichtungsexperten! Gleiche Rechte? Nein, danke! Kolleginnen und Kollegen! Dass die deutsche Armee an Schulen um Nachwuchs buhlt, ist nicht neu. Für die zunehmenden Kriegseinsätze im Ausland muss sie immer mehr Nachschub rekrutieren und schreckt dabei auch vor perfiden manipulativen Werbemethoden nicht zurück. Die Bevölkerung soll auf Kurs gehalten werden! Als Mütter und Väter wehren wir uns entschieden gegen das massive Vordringen der Bundeswehr an Schulen, Lehrwerkstätten, Universitäten und Arbeitsämtern. Wir wehren uns gegen die zunehmende Einflussnahme auf unsere Lehrpläne und Lerninhalte an Schulen und Universitäten und gegen die Militarisierung von Forschung und Lehre. Wir wehren uns, dass feste Kooperationsabkommen mit den Schulministerien der Länder es der Bundeswehr gestatten, ganze Unterrichtsstunden zu gestalten und Klassenausflüge in die lokale Kaserne zu organisieren, um die Akzeptanz für Kriegseinsätze zu erhöhen und den Schülern eine Politik zu vermitteln, die den Einsatz des Militärs zur Sicherung von Rohstoffen als vollkommen legitim erachtet. Kolleginnen und Kollegen! Sagt NEIN zum Krieg! Sagt NEIN zur Militarisierung der Gesellschaft und zur sozialen Gewalt! Militärische Aufrüstung und soziale Abrüstung sind nur zwei Seiten derselben Medaille. In Ägypten, in Tunesien und in Libyen erheben sich die Völker aus sozialer Not gegen die Gewaltherrschaft der Diktatoren, denen die deutsche Rüstungsindustrie die Waffen zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft beschafft. Zwei nicht durch uns verhinderte Weltkriege haben das Leben der Frauen am meisten bestimmt. Lernen wir daraus! Der Feind steht noch immer im eigenen Land! Es ist Zeit, sich zusammenzuschließen gegen die Kriegstreiber und die Kriegspolitik der Bundesregierung, denn im vermeintlichen Frieden liegt auch die größte Gefahr. Barbara Tedeski, 19. März 2011