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Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge!
Flüchtlingslager in Nordafrika lösen keine Probleme, sondern schaffen neue.
Stellungnahme des Geschäftsführenden Vorstandes von pax christi
In den letzten Wochen nutzte Bundesinnenminister Otto Schily, inzwischen auch mit
Unterstützung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Affäre um die „Cap
Anamur“ zu dem Vorschlag, Aufnahmelager für Flüchtlinge in Nordafrika
einzurichten. Dort soll eine Institution aus Beamten der Asylbehörden von EUMitgliedsstaaten prüfen, ob die Flüchtlinge Gründe vorweisen können, die gemäß
der Genfer Flüchtlingskonvention einer Rückführung in den Herkunftsstaat
entgegenstehen. Falls solche Gründe vorliegen, soll die Institution sich darum
bemühen, einen Aufnahmestaat zu finden. pax christi spricht sich klar gegen solche
EU-Aufnahmeeinrichtungen außerhalb ihres Territoriums aus.
Bei einer Umsetzung von Schilys Vorschlag werden nicht Fluchtursachen, sondern
Flüchtlinge bekämpft. Die auf Repression angelegte Politik einer sich von
Flüchtlingen immer mehr abschottenden Festung Europa, die deutsche
Innenminister nicht erst seit Otto Schily entscheidend geprägt haben, ist ungeeignet,
die Auswanderung aus den betroffenen afrikanischen Staaten aufzuhalten. Sie
erhöht am Ende nur den Preis, den die Menschen, die ihr Land verlassen,
Menschenschmugglern zahlen müssen. Daran, dass Flüchtlinge weiterhin versuchen
werden, unter lebensgefährlichen Bedingungen und mit "Hilfe" skrupelloser
Schleuserbanden nach Europa zu gelangen, ändert sie nichts. Gerade das Beispiel
der Menschen, die im Juni 2004 von dem deutschen Schiff Cap Anamur in einer
durchaus problematischen Aktion aufgenommen wurden, zeigte, dass bei der
Behandlung der Asylanträge von den italienischen Behörden akzeptierte
internationale und europäische Standards des Flüchtlingsrechts missachtet wurden:
Die Menschen wurden innerhalb weniger Tage abgeschoben. Auch das Amt des
Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) kritisierte die
Vorgehensweise der italienischen Behörden.
pax christi stimmt Bundesinnenminister Schily in dem Punkt zu, dass Hauptursache
für Migrationsbewegungen aus Afrika politische Unterdrückung,
Menschenrechtsverletzungen, soziales Elend und wirtschaftliche Notlage sind. Es ist
richtig, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen müssen.
pax christi lehnt aber die von Bundesinnenminister Schily – und früher schon in
ähnlicher Form vom britischen Premierminister Blair – vorgeschlagenen Auffanglager
außerhalb der EU ab, weil sie nicht mit den internationalen Normen in Einklang zu
bringen sind, die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gelten:

Der Bundesinnenminister bestreitet die Notwendigkeit einer Überprüfung der ersten
Entscheidung, die während des Lageraufenthalts getroffen würde. Damit öffnet er die
Tür für eine Verletzung internationaler Normen des Flüchtlingsschutzes (UNHCRHandbuch, Nr. 192, vi) sowie des in Deutschland geltenden Rechtsstaatsprinzips. Es
ergibt sich also der Verdacht, dass es den Befürwortern von Lagern außerhalb
Europas nicht primär um eine humanitäre Lösung geht, sondern vor allem darum,
den Flüchtlingen die Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien vorzuenthalten, die in
Deutschland und der EU für jedermann gelten.

Eine Aufnahmeeinrichtung außerhalb Deutschlands hätte auch die Konsequenz,
dass man sich dort nicht auf Artikel 16a des Grundgesetzes berufen kann. Ein Ziel
des Vorschlags besteht also offensichtlich darin, das in Deutschland geltende
Grundrecht von politisch Verfolgten auf Asyl zu unterlaufen. Flüchtlingen, die den
Schutz vor Verfolgung wirklich benötigen, wird der Weg nach Deutschland faktisch
und juristisch immer weiter verbaut, damit sie erst gar keine Möglichkeit erhalten, ihre
Ansprüche anzumelden.

Das vorgeschlagene Prüfverfahren in der Aufnahmeeinrichtung ist nicht durchdacht.
Die behauptete einheitliche Anwendung des Flüchtlingsrechts in Europa existiert
faktisch nicht. Gerade der Umgang der italienischen Asylbehörden mit den
Menschen, die die Cap Anamur im Sommer 2004 im Mittelmeer aufgenommen hatte,
zeigt dies. Dort gab es schwere Verstöße gegen europäisches Flüchtlingsrecht, unter
anderem gegen die gerade erst im April 2004 beschlossene Richtlinie des Rates
über Mindestnormen im Asylverfahren und gegen internationale Normen. Würde also
ein italienischer Beamter in der Aufnahmeeinrichtung nach italienischem, ein
britischer Beamter nach britischem und ein deutscher Beamter nach deutschem
Recht entscheiden? Oder würde nach dem Recht des nordafrikanischen Landes
geurteilt, auf dessen Territorium sich die Asylsuchenden befinden? Völlig unklar
bleibt, wie im Falle einer Anerkennung als Flüchtling ein Aufnahmeland gefunden
werden soll.

Darüber hinaus verkennen derartige Überlegungen, dass in Afrika bereits heute
Binnenflüchtlinge und ausländische afrikanische Flüchtlinge in großer Zahl
aufgenommen werden.
Aus den dargelegten Gründen fordert pax christi die Bundesregierung auf, die Pläne
zur Einrichtung von Aufnahmelagern für Migranten und Flüchtlinge in Nordafrika
fallen zu lassen. Stattdessen müssen die Fluchtursachen bekämpft werden, indem
gerechte Handelsstrukturen geschaffen, Rüstungsexporte unterbunden und gezielte
Hilfsprojekte in den Herkunftsländern verstärkt werden. In der Europäischen Union
muss auf die Einhaltung der vereinbarten Rechtsnormen geachtet werden.
Bad Vilbel, den 02.September 2004
Ref.: RE.03.G.04
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