Es gilt das gesprochene Wort Rede der Staatsministerin für Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen in der Bayerischen Staatskanzlei Dr. Beate Merk, MdL, anlässlich der Veranstaltung „Asylbewerber, Flüchtlinge, Zuwanderer“ am 24. September 2015 um 19.00 Uhr im Schlössle in Offenhausen - Anrede - Ein herzliches Grüß Gott in Offenhausen! Sehr geehrter Herr Prof. Brunner [Prof. Dr. Dr. Hilmar Brunner], danke für Ihre Einladung. Anfang des Monats [3./4.9.2015] war ich in Serbien. Ich habe die unzähligen Flüchtlinge an der ungarischen Grenze gesehen: Verzweifelte Familien, erschöpfte Frauen, weinende Kinder – das hat mich tief bewegt. Keinen von uns lassen die Bilder hilfesuchender Menschen kalt. Die anhaltenden Flüchtlingsströme stellen uns vor eine gewaltige Herausforderung. Täglich kommen Tausende neuer Flüchtlinge bei uns an. Ein Kraftakt für Bayern und Deutschland und ein Prüfstein für Europa. -2So schwach derzeit die Solidarität in Europa ist, so stark ist die Hilfsbereitschaft in unserer Bevölkerung. Unsere Bürgerinnen und Bürger helfen, wo sie können. Sie spenden Kleidung und Essen, lindern die ärgste Not nach den Strapazen der langen Flucht. Kommunen, Polizei, Behörden und Hilfsorganisationen geben ihr Bestes – bis zur Erschöpfung. Die Menschen in unserem Land sind solidarisch, sie leben Nächstenliebe. Unser Ministerpräsident Horst Seehofer hat von einer „bayerischen Meisterleistung“ gesprochen [Pressekonferenz in der Bayerischen Staatskanzlei am 13. September 2015]. Ich bin stolz auf den aktiven Bürgersinn und die Humanität in unserem Land. Allen Helferinnen und Helfern ein herzliches Vergelt´s Gott! Sehr geehrter Herr Landrat [Thorsten Freudenberger, Landrat des Landkreises Neu-Ulm], Neu-Ulm ist das beste Beispiel: Tatenkraft, kreative Lösungen, unzählige Helferkreise [ca. 40 Helferkreise im Landkreis, Stand: August 2015]. Bei Ihnen gilt: Miteinander statt Nebeneinander! Die Kirchen [katholische Pfarreiengemeinschaft] laden zu einem Samstagscafé zum ge- genseitigen Kennenlernen ein. Und die Informati- -3onsstelle Flucht und Asyl informiert Freiwillige, wo Not am Mann ist, wo noch eine helfende Hand gebraucht wird. Dieser Einsatz ist großartig! Dafür Respekt und Anerkennung! Fest steht aber dennoch: Auf Dauer können wir den Zustrom von so vielen Flüchtlingen nicht bewältigen. Das hält kein Gemeinwesen aus. Aus doppelter Verantwortung für die Schutzbedürftigen und die einheimische Bevölkerung müssen wir die Überlastung von Staat und Solidargemeinschaft verhindern. Wir haben in den letzten Wochen eine Art Ausnahmezustand und teilweise regellose Verhältnisse erleben müssen – das darf so nicht weitergehen! Wir nehmen in Bayern die Sorgen und Nöte unserer Bürgerinnen und Bürger ernst: Wie sollen wir die gewaltigen Flüchtlingsströme bewältigen? Wo sollen wir die vielen Menschen unterbringen? Wie Abertausende Flüchtlinge erfolgreich integrieren? Wir müssen das Engagement und die Solidarität bei unseren Freiwilligen, in unseren Schulen und Vereinen lebendig und kraftvoll halten. Dazu brauchen wir einen Dreiklang in der Flüchtlingspolitik: -4- 1. Flüchtlingsströme begrenzen 2. Fluchtursachen bekämpfen 3. Integration fordern und fördern 1. Wir können nicht alle Menschen aufnehmen, die zu uns wollen. Wer Schutz braucht, wird Humanität und Solidarität erfahren. Aber Grundrecht auf Asyl bedeutet nicht, dass jeder frei wählen kann, wo er in Europa Asyl beantragt. - Wir haben vorübergehend wieder Kontrollen an unseren Landesgrenzen eingeführt. Eine erfolgreiche bayerische Initiative! Wir brauchen in unserem Rechtsstaat Kontrolle und geordnete Verfahren. Wir müssen wissen, wer zu uns ins Land kommt. - Wir schicken Menschen ohne Bleibeperspektive schneller in ihre Heimat zurück. Die Anerkennungsquote von Asylbewerbern aus dem Kosovo, aus Albanien und Serbien liegt bei nahezu null Prozent. Deshalb beschleunigen wir die Asylverfahren in speziellen Aufnahmezentren für BalkanFlüchtlinge [vorerst in Ingolstadt und Bamberg, weitere Ein- -5richtungen sind geplant]. Wer zu Unrecht auf dem Asylticket eingereist ist, muss gehen! - Und wir fordern eine gerechte Lastenverteilung in Europa. In der Flüchtlingskrise müssen alle Europäer zusammenhalten, Fairness und Solidarität zeigen. Wenn es ums Geld geht, fordern die anderen EUStaaten lautstark den Schulterschluss von Deutschland ein. Bei der Verteilung von Flüchtlingen stehlen sich viele aus der Pflicht. Das ist beschämend! - Wir kommen nur dann zu europäischen Lösungen, wenn wir mit allen europäischen Partnern reden. Diese Selbstverständlichkeit muss leider ausdrücklich betont werden. Es ist töricht, wenn Rot-Grün dagegen wettert, dass die CSU mit Ungarns Premier Victor Orban spricht. Mit wem sonst als mit dem hauptbetroffenen Transitland sollen wir denn über eine Steuerung der Migrationsströme sprechen? Orban spricht die Probleme offen an, und nur mit ihm, nicht gegen ihn werden wir zu Lösungen kommen! -6Wir fordern einen europäischen Gesamtansatz: o „Hot Spots“, also große Aufnahmeeinrichtungen für die Flüchtlinge an den EUAußengrenzen – ich kann nur hoffen, dass dem entsprechenden Beschluss der Staats- und Regierungschef von gestern jetzt wirklich kurzfristig Taten folgen! o Hilfen für Griechenland und Italien und o ein gerechtes Verteilungsverfahren der Flüchtlinge auf alle europäischen Mitgliedsstaaten. Was die EU-Innenminister vorgestern beschlossen haben, kann nur ein allererster Anfang sein, dem rasch weitere Beschlüsse folgen müssen! Nur so können wir die Flüchtlingsströme begrenzen und in geordnete Bahnen lenken. Die beste Flüchtlingspolitik ist die Verhinderung von Flucht. 2. Hier muss sich Europa beweisen und wirksam helfen, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen. Jeder Euro, -7den wir zur Unterstützung der Nachbarländer Syriens investieren, ist gut angelegtes Geld. Mit nur 1.000 Euro kann eine Flüchtlingsfamilie in den Flüchtlingszentren im jordanisch-syrischen Grenzgebiet ein Jahr lang überleben [laut BMZ]. Mein Kollege, Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, sagt zu Recht: „Mit einer Milliarde Euro in den Krisengebieten können wir mehr bewegen als mit zehn Milliarden Euro hier“ [Bundestag, 09.09.2015]. Für mich steht fest: Entwicklungshilfe ist die beste Flüchtlingshilfe! Das ist christliche Politik. Die vom Europäischen Rat gestern beschlossene zusätzliche Milliarde ist leider nur ein halbherziger erster Schritt – weitere müssen rasch folgen! Denn diese Summe ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. In den Flüchtlingslagern in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien leben – zum Teil seit vier Jahren - unzählige syrische Flüchtlinge, denn insgesamt vier bis fünf Millionen Syrer haben bislang ihr Land verlassen. Für jeden einzelnen Flüchtling bleibt da nur ein einmaliger geringer Betrag übrig. Das reicht nicht für eine angemessene Unterbrin- -8gung, die neben Wohnen und Essen auch Schule und Ausbildung umfassen muss. Wenn wir aber wollen, dass die Menschen in Syriens Nachbarstaaten nicht noch stärker mürbe werden und eine Bleibeperspektive vor Ort haben, müssen die Flüchtlingscamps zu Orten weiterentwickelt werden, an denen die Menschen über längere Zeit angemessen wohnen und ernährt werden können, und an denen es Schulen und Krankenhäuser gibt. Eines Tages sollen sie von dort aus in ihre Heimat zurückkehren können. Andernfalls werden sie sich weiterhin unter oft gefährlichen Umständen auf den Weg in die wohlhabenden Staaten Europas aufzumachen. Ich befürchte, dass viele Flüchtlinge längst den Glauben an eine Rückkehr in ihr Heimatland und die Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft verloren haben. Sie haben tagtäglich vor Augen, dass ihre Kinder zu einer ‚verlorenen Generation‘ ohne Bildung und Zukunftsperspektive heranwachsen, wenn sich nicht schnell etwas ändert. -93. Integration fordern und fördern Viele Flüchtlinge, die zu uns kommen, werden bei uns bleiben – einige dauerhaft. Wir werden alles tun, damit Integration gelingt und das Zusammenleben im Freistaat funktioniert. Bayern stellt sich dieser Verantwortung. Fordern und fördern ist unsere Devise. Denn Solidarität und Integration haben zwei Seiten: Wer bei uns leben will, der muss mit uns leben wollen. Menschen, die zu uns kommen, müssen lernen, unsere Sprache zu sprechen. Sie müssen „Ja“ sagen zu unserem christlich-jüdisch geprägten Wertefundament, zu unserem abendländischen Erbe von Humanismus und Aufklärung, wie es im Grundgesetz und der Bayerischen Verfassung grundgelegt ist. Unsere Hausordnung muss gelten. Bei uns sprechen Richterinnen und Richter Recht, keine selbst ernannten Friedensrichter. Mädchen und Frauen dürfen selbst entscheiden, mit wem sie befreundet sind und wen sie heiraten. Und alle Menschen dürfen ihre Religion selbst wählen. Hetzparolen gegen Andersgläubige - 10 wie an einer Grundschule in Neu-Ulm sind für uns gefährliche Warnzeichen. Wir dulden keine Parallelkulturen. Mit Hochdruck haben wir im Kabinettsausschuss Asyl nachhaltige Maßnahmen erarbeitet, damit Bayern das Land der gelingenden Integration bleibt. - An erster Stelle steht die Sprachvermittlung. Ob Kindergarten, Schule, Ausbildung und Beruf. Überall gilt: Ohne Deutschkenntnisse keine Integration. Wir haben fast 1000 Klassen zur Sprachförderung [470 Übergangsklassen an Grund- und Mittelschulen und 440 Berufsintegrationsklassen an unseren Berufsschulen] – diesen Kraftakt schafft kein anderes Land! - Wir setzen auf Bildung. Erzieher, Lehrer, Ausbilder haben einen gewaltigen Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen. Sie müssen wir unterstützen und fortbilden. Sie sind unsere wichtigsten Integrationshelfer. - Wir investieren in Wertebildung. Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Gleichberechtigung von Mann und Frau müssen von jedem gelebt werden. - 11 - - Wir qualifizieren für den Beruf. Ausbildung und Arbeit sind die beste Teilhabe. Dazu schmieden wir einen Pakt für Flüchtlinge mit der Bundesagentur für Arbeit und Wirtschaft. - Und wir fördern den Wohnungsbau. Wir schaffen finanzielle Anreize zur Förderung von privatem und sozialem Wohnungsbau, bauen bürokratische Hemmnisse ab und beschleunigen die Verfahren. Sehr geehrte Damen und Herren, Flüchtlingsströme begrenzen, Fluchtursachen bekämpfen, Integration fordern und fördern – das sind die drei Säulen unserer bayerischen Flüchtlingspolitik. Wir haben Verantwortung für das Ganze und dürfen keine der drei Forderungen gegeneinander ausspielen. Unser Ministerpräsident hat heute in Berlin unsere starke bayerische Position bekräftigt. Wieder einmal sehen wir: Bayern und die CSU sind die Stimme der Vernunft in Deutschland. Und: wir handeln längst, während andere noch diskutieren und zögern! - 12 - Ich bitte Sie jetzt vor allem: Packen wir diese gewaltige Generationenaufgabe mit vereinten Kräften an. Ich freue mich auf die weiteren Gespräche.