Absender: MdB Deutscher Bundestag Platz der Republik 1 11011 Berlin ....................................den 11.10.2008 Offener Brief an MdB ....................... und die Zeitungen im Wahlkreis .......................... Betreff: Abstimmung über die Verlängerung des ISAF- Mandates im Deutschen Bundestag Sehr geehrte/r.................., als Einwohner Ihres Wahlkreises und Landessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) rufe ich Sie dazu auf, bei der in der Sitzungswoche vom 15. bis 17.Oktober anstehenden Bundestagsabstimmung über die Verlängerung des ISAF-Mandats der deutschen Bundeswehr mit „Nein“ zu stimmen. Im Folgenden möchte ich Ihnen dazu in bündiger Form Argumente für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan darlegen. 1. Die Aussichtlosigkeit eines Krieges am Hindukusch Als Abgeordnete der CSU lehnen Sie Auslandseinsätze der Bundeswehr als Mittel der Politik wohl leider nicht grundsätzlich ab, was ich auch Ihrem Stimmverhalten entnehmen konnte. Sie sollten jedoch einsehen, dass die NATO-Truppen in Afghanistan auch im Interesse der Bundeswehr baldmöglichst abgezogen werden müssen – wenn sie nicht ein ähnliches Debakel erleben sollen wie die britischen und sowjetischen Truppen zuvor. Zur Erinnerung: Dreimal, zwischen 1838 und 1919, versuchte die britische Kolonialmacht vergeblich, Afghanistan als strategischen Ausgangspunkt für eine zentralasiatische Expansion unter ihre Herrschaft zu bringen. Jeder der britisch-afghanischen Kriege endete für die britische Armee mit einem Desaster. Ähnliches widerfuhr dem sowjetischen Militär, das 1979 – provoziert durch die von der CIA geförderte innerafghanische Opposition gegen die demokratische gewählte Linksregierung – in Afghanistan einmarschierte, einen zehnjährigen Bürgerkrieg mit über einer Million Toten mitverschuldete und sich 1989 aus dem Land zurückziehen musste. Die afghanischen Kämpfer kennen die unzugänglichen Bergregionen und nutzen sie als Rückzugsgebiete. Sie können sich jederzeit vom „Kämpfer“ zum „Zivilisten“ wandeln und auf die Unterstützung der Bevölkerung bauen, die mit dem Widerstand sympathisieren. Eine ausländische Besatzungsmacht kann die einheimischen Guerillakämpfer nicht endgültig entwaffnen und niederringen. Ein „endloser“ Krieg droht. Daher ist es nicht überraschend, dass immer mehr NATO-SoldatInnen – auch deutsche – Opfer des afghanischen Widerstands werden. Jeder Kriegstote aber ist einer zuviel. Kommen Sie daher Ihrer Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nach und sorgen Sie mit Ihrem Votum dafür, dass die Bundeswehr schnellstmöglich aus Afghanistan abgezogen wird! Als Abgeordnete vertreten Sie übrigens gemäß Artikel 38 Grundgesetz das „ganze Volk“– und das spricht sich in allen repräsentativen Umfragen mit mehr oder weniger großer Mehrheit für den baldigen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan aus! 2. Die Verschlechterung der humanitären und der Sicherheitslage in Afghanistan als Ergebnis des andauernden Afghanistan-Krieges Der vorgebliche Grund für das „Engagement“ („Militärhilfe dient der Absicherung des zivilen Aufbaus“, in: „Brief aus Berlin“ Nr.13 der CSU-Landesgruppe im Bundestag vom 27.06.08, S. 4) der Bundeswehr in Afghanistan war bzw. ist es, das geschundene Land von der Schreckensherrschaft der Taliban zu befreien, Demokratie und Menschenrechte zu befördern und Hilfe beim wirtschaftlichen Aufbau zu leisten. Tatsächlich war es nach Auffassung nicht nur der DFG-VK völkerrechtswidrig, wegen eines Terroranschlages von Personen, die mutmaßlich (!) in Afghanistan ausgebildet wurden und selbst nicht einmal afghanische Bürger waren, ein ganzes Land in einem grundgesetzwidrigen Angriffskrieg zu überfallen. Vor allem aber – wenn von der offiziellen „Legitimation“ des Krieges einmal abstrahiert wird – wurde durch den Krieg die Lage in Afghanistan erwartungsgemäß in vielerlei Hinsicht drastisch verschlimmert. Folgende Fakten geben ein Bild vom Zustand des Landes heute: - - - Afghanistan ist das fünfärmste Land der Welt; 99% der Bevölkerung lebt in einer derart bitteren Armut, dass manche Eltern ihre Kinder auf der Straße verkaufen; täglich sterben 600 Kinder unter 5 Jahren; alle 29 Minuten stirbt eine Frau bei der Geburt ihres Kindes; ein Drittel der Bevölkerung hungert – während die Mitglieder der von USamerikanischen Beratern abhängigen Regierung sich Villen leisten; 70% der Landbevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Wasser; der Alphabetisierungsgrad liegt auf dem Land bei 1%; die Lebenserwartung beträgt 44 Jahre. Angesichts dieser Zustände kann von einem Erfolg der Wiederaufbaubemühungen keine Rede sein. Vielmehr haben gerade Krieg und Besatzung wesentlich zur Verschlechterung der Lage beigetragen: - - - Dem Krieg fielen bis heute ca. 30.000 Menschen zum Opfer, darunter unzählige Zivilisten, was einen dauerhaften Bruch der Genfer Konventionen (Art. 3) darstellt. Aussage eines Mannes in Jalalabad: „Die Taliban haben zwei meiner Angehörigen umgebracht, die Invasoren 16. Du kannst dir ausrechnen, auf wessen Seite ich stehe.“ Experten sprechen von einer zynischen Faustregel: pro getötetem Zivilsten gewinnen die Taliban so viele Menschen als neue Sympathisanten, wie in einem durchschnittlichen afghanischen Dorf leben. Die Gesamtgröße der Schlafmohnanbauflächen stieg seit 2001 (noch unter der Herrschaft der Taliban) von 8.000 Hektar auf 185.000 Hektar (2007), sodass Afghanistan heute 93% der weltweiten Rohopiumproduktion deckt. Im „Brief aus Berlin“ heißt es: „Die Anhebung der Obergrenze hilft, eine Gefährdung der Sicherheit deutscher Soldaten und Wiederaufbauhelfer aufgrund personeller Engpässe zu vermeiden.“ Tatsächlich ist die Stationierung von Truppen, die den Wiederaufbau „sichern“ sollen, kontraproduktiv: NGOs halten sich in Afghanistan von den SoldatInnen fern – weil ihre Mitarbeiter sonst als Teil des Besatzungsregimes empfunden werden würden. Theo Riedke, Regionalbeauftragter der Deutschen Welthungerhilfe für Afghanistan: „Nach unseren Sicherheitsrichtlinien halten wir uns von den Soldaten fern. Die deutsche Presse stellt das nahezu auf den Kopf.“- Reinhard Erös, Oberstarzt der Bundeswehr a.D. und als solcher des Pazifismus’ unverdächtig, baut Schulen im gefährlichen Süden Afghanistans. In einem Beitrag für die süddeutsche Zeitung betonte er schon vor über zwei Jahren, dass dieser Beitrag zum Wiederaufbau nur erfolgreich sei, wenn der nächste NATO-Soldat wenigstens 10 km von einer solchen Schule entfernt ist. Dass – wie im „Brief aus Berlin“ zu lesen – die „Bundeswehr (...) in die Lage versetzt werden (muss), ihre erfolgreiche und von der afghanischen Bevölkerung hochgeschätzte Arbeit im Norden des Landes fortzusetzen“, erscheint angesichts der obigen Fakten wie blanker Hohn. Zwar legt eine 2006 durchgeführte Studie der FU Berlin nahe, dass die Sicherheitslage im Norden Afghanistans sich tatsächlich seit dem Sturz der Taliban verbessert habe. Aber erstens hat sich seit 2006 die Lage in Afghanistan insgesamt verschlechtert und zweitens wäre eine solche Erhebung auch heute nicht repräsentativ für das gesamte Land. Denn dort ist die ISAF unbeliebter denn je, weshalb die Zahl der Anschläge auf die Truppen stetig zunimmt: Seit 2004 hat sie sich jährlich verdoppelt – hier die Zahlen von 2005 und 2006: 2005: 27 Selbstmordattentate, 783 Straßenbomben, 1588 Direktangriffe (ges. 2398); dagegen 2006: 139 Selbstmordattentate, 1677 Straßenbomben, 4542 Direktangriffe (ges. 6358) (Zahlen für 2007 liegen noch nicht vor). Die Realität in Afghanistan ist also eine völlig andere, als den Menschen hierzulande suggeriert wird: Das Land versinkt gerade wegen der Militärpräsenz und -aktivitäten immer mehr im Chaos, und ein Wiederaufbau kann nicht von denselben Staaten begleitet werden, die das Land zuerst in der heißen Kampfphase zerstört haben und immer wieder unschuldige Zivilisten töten. Daher fordere ich Sie auf: Stimmen Sie im Oktober gegen die Verlängerung des ISAF-Mandats der Bundeswehr! 3. Die wahren Gründe des deutschen „Engagements“ am Hindukusch Der Beitrag im „Brief aus Berlin“ spricht beschönigend nur vom „Engagement“ der Bundeswehr in Afghanistan, während selbst der Deutsche Bundeswehrverband und USVerteidigungsminister Robert Gates (erst im Februar dieses Jahres!) den „Krieg“ als solchen benennen. Deutsche SoldatInnen sind indirekt seit der Entsendung der AWACSAufklärungsflugzeuge am Morden in Afghanistan beteiligt und unmittelbar seit der Übernahme der Quick Reaction Force durch die Bundeswehr in diesem Jahr. Dass es dem „Westen“ (Zitat: „Brief aus Berlin“) in Afghanistan nicht um die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten geht, wird nicht erst deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, dass die international verbreiteten Dokumentationen der Menschenrechtsverletzungen unter den Taliban – zum Beispiel seitens RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan, 2001 mit dem „Mona-Lisa-Preis“ des ZDF ausgezeichnet) – bis zu den Terroranschlägen vom 11.09.2001 weder die Weltöffentlichkeit noch die PolitikerInnen interessierten, die sich später als humanitäre HelferInnen aufspielten. Bis 1998 waren die Taliban schließlich noch opportuner Verhandlungspartner der USA bei den Verhandlungen über den Bau von Pipelines durch Afghanistan, an dem sich ursprünglich auch USamerikanische Firmen beteiligen wollten. Erst als die Taliban nicht mehr für die Sicherheit beim Pipelinebau garantieren wollten, wurden sie zu „Terroristen“ (wobei weitere drei Jahre vergingen, bis deren systematische Menschenrechtsverletzungen internationale Beachtung fanden). Im Dezember 2003 erklärte der ehemalige Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI, Asad Durrani, bei einem Vortrag der Ihrer Partei nahestehenden Hanns-Seidel-Stiftung in München, dass die – oftmals gemeinsam mit dem ISI durchgeführten – Operationen der USA in Afghanistan während der letzten rund 30 Jahren immer und alleine vom Streben nach der Kontrolle der Rohstoffströme motiviert waren. Dass es in Afghanistan heute also mitnichten nur um den Wiederaufbau, um die Sicherung von Demokratie und Menschenrechten geht, räumen immerhin sowohl der zitierte Beitrag im „Brief aus Berlin“ als auch das neue Afghanistan-Konzept der Bundesregierung vom 09.August 2008 ein. Ich fordere daher Sie als Vertreterin einer Partei, die gerne das „humanitäre Engagement“ der Bundeswehr in Afghanistan herausstreicht, dazu auf, den Menschen wenigstens die Wahrheit über die Gründe der deutschen Kriegsbeteiligung mitzuteilen. Erklären Sie offen, dass die afghanischen Zivilsten und die deutschen BundeswehrsoldatInnen für die Sicherung der Rohstoffinteressen des „Westens“ sterben! 4. Perspektiven jenseits des Krieges für Afghanistan Ein Abzug der Bundeswehr wie aller NATO-Truppen alleine reicht nicht aus, weil er die Afghaninnen und Afghanen mit denjenigen Problemen zurückließe, die in erheblichem Maße freilich erst durch die Interventionen ausländischer Armeen seit dem 19. Jahrhundert generiert und durch die derzeitige NATO-Besatzung verschärft wurden. Daher muss ein solcher Abzug koordiniert und unter internationaler Aufsicht (UNO) stattfinden. Der Wiederaufbau könnte – in welcher Form und mit welchen Maßnahmen auch immer – von der Organisation der islamischen Konferenz (OIC) koordiniert werden, zu deren Gründungsmitgliedern Afghanistan zählt und die im Gegensatz zur NATO eine anerkannte Autorität für die afghanische Bevölkerung darstellen würde. Aber derartige Spekulationen sind müßig, solange der Krieg und damit die Spirale der Gewalt in Afghanistan nicht gestoppt werden. Sie sollen nur aufzeigen, dass ein Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan mitnichten zwangsläufig zu chaotischen Zuständen im Land führen würde – nicht alleine deshalb, weil sich Afghanistan wegen des NATO-Krieges bereits in einem solchen Zustand befindet. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom 4.Oktober entnehme ich, dass sich Ihr Kollege, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag Peter Ramsauer, für Perspektiven für eine Beendigung der Afghanistan-Einsätze der Bundeswehr „in absehbarer Zeit“ ausspricht. Dieser Ansatz ist grundsätzlich richtig – doch angesichts der oben erläuterten Fakten nicht ausreichend: Jeder weitere Tag, den BundeswehrsoldatInnen in Afghanistan verbringen, trennt das Land vom Beginn eines erfolgreichen Friedensprozesses. Daher rufe ich Sie auf: Verweigern Sie bei der Abstimmung über die Verlängerung der ISAFEinsätze dem Krieg Ihre Stimme! Setzen Sie ein Zeichen für den Frieden! Mit freundlichen Grüßen,