Foucault und die Suche nach großen Strukturen

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Die Abwesenheit des Werks. Nach Foucault.
Tagung vom 17. bis 19.5.2004
Abstracts
Prof. Dr. Renate Schlesier (Berlin):
Archäologie und Philologie
Foucaults Begriff der Archäologie wird zu Beginn mit dem im 19. Jahrhundert entwickelten
Konzept einer „philologischen Archäologie bzw. monumentalen Philologie“ konfrontiert, der
es darum ging, die Wörter (die schriftlichen Quellen) und die Dinge (die bildlichen
Denkmäler) miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Die Anwendung dieses Konzepts
noch am Ende des 20. Jahrhunderts wird im Detail an einem Beispiel demonstriert. Daraus
ergibt sich, dass eine solche Archäologie das Gegenteil derjenigen Archäologie ist, für deren
Durchsetzung auf dem Gebiet der Denksysteme Foucault gekämpft hat. Foucaults
programmatische Auffassung von Archäologie im Sinne einer Beschreibung von
Monumenten, so zeigt sich, steht im Dienst einer „réécriture“, die sich zu einer
interpretatorischen Archäologie verhält wie ein Palimpsest zu einem philologischen
Kommentar. Gefragt werden muss jedoch nach den identifikatorischen Elementen, die auch in
Foucaults Projekt zum Vorschein kommen, und nach der Auflösung der Differenz zwischen
Wörtern und Dingen im Zeichen von Faktizität.
Von 1993 bis 2002 Professorin für Kulturwissenschaftliche Anthropologie an der Universität Paderborn. Seit
Wintersemester 2002/3 Professorin für Religionswissenschaft am Fachbereich Geschichts- und
Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin. Gastprofessuren in Paris, Jerusalem und Tokyo, sowie in
den USA, der Schweiz und Italien. Arbeitsschwerpunkte: Religions-, Wirkungs- und Wissenschaftsgeschichte
der Antike, kulturwissenschaftliche Anthropologie, Psychoanalyse und Judentum, Ritualforschung, Kunst- und
Kulturtheorien. Buchpublikationen (Auswahl): Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800
(1994); (Mit-Hg.) Reisen über Grenzen. Kontakt und Konfrontation, Maskerade und Mimikry (2003); (Mit-Hg.)
Mobility and Travel in the Mediterranean from Antiquity to the Middle Ages (2004). Zahlreiche
Aufsatzpublikationen
Prof. Dr. Wolfgang Detel (Frankfurt):
Foucault und die Suche nach großen Strukturen
Ziel des Vortrages ist eine Skizze des von Foucault entwickelten wissenschaftshistorischen
Programms, die die Stärke, Komplexität und Reichhaltigkeit dieses Programmes deutlich
werden lässt. Dazu skizziere ich zunächst die archäologische Ebene des Programms und
erläutere, wie die These vom Tod des Subjekts auf harmlose Weise in die Archäologie des
Wissens integriert werden kann. Die Kernthese ist, dass es sich um den explanatorischen Tod
des Subjekts handelt. Auf dieser Grundlage interpretiere ich den Status und das Verhältnis
von Diskursanalyse, Diskursen und Diskursformationen. Es soll deutlich werden, dass erst die
Diskursanalyse als methodisches Instrument konkrete historische Formen praktizierter Rede
als Diskurse und Diskursformationen erscheinen lässt. Foucault hat sein archäologisches
Programm der Wissenschaftsgeschichte allerdings um Machtanalysen und ethische Analysen
ergänzt. Einer der wichtigsten Aspekte dieser Erweiterung ist die These, dass Macht und
Wissen intim verschränkt sind. Diese These erläutere ich unter Rückgriff auf den Begriff der
produktiven regulativen Macht. Damit sollen zugleich die theoretischen Fehleinschätzungen
erkennbar werden, die der dekonstruktivistischen Bewegung aus der Perspektive Foucaults
zugrunde liegen. Abschließend demonstriere ich an einem konkreten historischen Beispiel,
wie fruchtbar das Zusammenspiel von archäologischer, genealogischer und ethischer Analyse
für unser historisches Verständnis sein kann.
Studium der Klassischen Philologie, Mathematik und Philosophie in Tübingen, Hamburg und Mannheim;
Staatsexamen in Klassischer Philologie und Mathematik; Promotion in Philosophie über Platon bei C.F. von
Weizsäcker und Rainer Specht; Habilitation in Philosophie mit einer Arbeit über Pierre Gassendi (Physiker und
Philosoph des 17. Jh.); Assistent für Philosophie 1973-1978 in Mannheim; 1980 C3-Professur für Philosophie in
Hamburg; 1991 Lehrstuhl für Antike Philosophie und Wissenschaftstheorie in Frankfurt/M.; zahlreiche
Gastprofessuren in den USA (zweimal Pittsburgh, Princeton, Rutgers, Columbia); 1998-1999 Dekan des FB
Philosophie und Geschichtswissenschaften
Veröffentlichungen u.a.:
Detel, W.: Platons Beschreibung des falschen Satzes im Theätet und Sophistes (Hypom-nemata 36), Göttingen,
1972
Detel, W.: Scientia Rerum Natura Occultarum. Methodologische Studien zur Physik Pierre Gassendis, Quellen
und Studien zur Philosophie 14, Berlin, 1978
Detel, W.: Aristoteles: Analytica Posteriora. Einleitung, Übersetzung und Kommentar, von W. Detel.
Aristoteles, Werke (hrsg. v. H. Flashar) 3, II; 2 Bd., Berlin, 1993
Detel, W.: Macht, Moral, Wissen. Foucault und die klassische Antike, Frankfurt, 1998
Detel, W.: Davidson und die klassische Semantik, Berlin, 2003
Detel, W./Becker, A. (Hg.): Wissensideal und Wissenskultur bei Platon, Stuttgart, 2002 (mit Beiträgen von C.
Rowe, C. Gill, M.-L. Gill, C. Osborne, P. Crivelli, J. Szaif, M. Bordt, P. Stekeler-Weithofer, A. Becker, W.
Detel, K. Bringmann, P. Scholz, E. Schütrumpf)
Detel, W./Zittel, C. (Hg.): Wissensideale und Wissenskulturen in der frühen Neuzeit, Berlin, 2002 (mit Beiträgen
von P. Machamer, W. Detel, D. Garber, B. Bauer, L. Brockliss, M. Biagioli, K. Reichert, E. Reeves, C. Wilson,
M. Vogel, A. Becker, C. Zittel, B. Stumpfhaus, W. Neuber, F. Steinle)
Zahlreiche Aufsatzpublikationen.
Prof. Dr. Klaus-Michael Bogdal (Bielefeld):
Das Geheimnis des Nichtdiskursiven
Mit dem Diskursbegriff taucht bei Foucault Mitte der sechziger Jahre auch der Begriff des
Nichtdiskursiven auf, der – als Umschreibung des Anderen jenseits der Grenzen des
Diskurses – bis hin zu den späten Schriften immer wieder zum Einsatz kommt. Sein Gebrauch
wechselt allerdings, und er bleibt vage und dunkel: eines der vielen intellektuellen
Geheimnisse von Paris. Verfolgt man seine Verwendung systematisch, zeichnet er sich als ein
Element der Wahrheitspolitik Foucaults ab, vor allem im Blick auf die marxistische Theorie.
Darüber hinaus erweist er sich im Kontext der denkerischen Innovationen und
Grenzüberschreitungen Foucaults als Metapher ungelöster theoretischer und methodischer
Probleme vor dem Hintergrund der Hauptströmungen der Philosophie der Moderne. Die
Klärung des Verhältnisses von Diskursivem und Nichtdiskursivem, so die These des Vortrags,
böte einen Schlüssel zur Erklärung sozio-kultureller Ordnungen und somit die Grundlage
einer erklärenden Kulturgeschichtsschreibung.
Studium der Germanistik, Philosophie u. Slawistik in Bochum; Professuren in Freiburg/Brsg. und Duisburg;
Gastprofessur in Graz; seit 2001 Professur für Germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld.
Mithg. der Zeitschrift ‚Der Deutschunterricht’, der Reihen ‚Oldenbourg Interpretationen’
‚Literaturwissenschaft/Kulturwissenschaft’, ‚Diskursivitäten. Literatur-Kultur-Medien’ und ‚Einführungen
Germanistik’ in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft; Hg. der Reihe ‚Historische Diskursanalyse der
Literatur’. Veröffentlichungen u.a.: Arbeitsfeld: Materialistische Literaturtheorie, Mithg. (1975); „Schaurige
Bilder“ (1978); Kleist: Michael Kohlhaas (1981/1991); Erzählung in der Geschichte (1986); Neue
Literaturtheorien. Eine Einführung, Hg. (1990), koreanische Übers. 1994; Zwischen Alltag und Utopie (1991);
Neue Literaturtheorien in der Praxis, Hg. (1993); Männerbilder, Hg. (1995); Fremdheiten – Eigenheiten, Hg.
(1995), Lektüre-Praxis, Lektüre-Vielfalt, Hg. (1996); Literaturtheorie und Geschichte, Mithg. (1996); Weimarer
Republik, Mithg. (1997); Umbrüche, Mithg. (1998), Historische Diskursanalyse der Literatur (1999), (K)ein
Kanon, Mithg. (2000), Generationskonflikte in der Literatur, Hg. (2001), Jugend. Psychologie-LiteraturGeschichte, Mithg. (2000). Zahlreiche Aufsätze zu den Forschungsschwerpunkten Literaturtheorie und
Fachgeschichte, Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Gegenwartsliteratur und Literaturdidaktik.
HD Dr. Ingo Warnke (Bielefeld):
Diskurs und Nichtdiskurs als Kategorien einer Sprachfunktion. Zum
Referenzkonzept in der linguistischen Diskursanalyse
In der funktionalen Linguistik geht man davon aus, dass sprachliche Einheiten im Hinblick
auf kommunikative Effekte konstruiert sind. Als Hintergrund dieser Effekte gelten kognitive,
pragmatische, syntaktische und semantische Bedingungen. Die sprachwissenschaftliche
Aneignung der Kategorie Diskurs/Diskursivität in der Bedeutung der Foucault’schen
Diskursanalyse erweitert die Beschreibung funktionaler Bedingungen der Kommunikation um
die Dimension historisch variabler Wissensformationen, also Episteme. Der Bezug
kommunikativer Einheiten auf und die Determination durch Episteme weist sprachlichen
Äußerungen eine diskursive Signatur zu. So sind die Funktionen sprachlicher Formen etwa im
juridischen Diskurs nicht konstant, sondern verweisen auf je unterschiedliche epistemische
Voraussetzungen. Dies gilt nicht nur für zentrale Begriffe im Sinne der Begriffsgeschichte,
sondern auch für Wortarten mit weniger expliziter Bedeutung, wie Modalverben (z.B. dürfen,
sollen) und Quantoren (z.B. jeder, alle), die von der historischen Semantik bisher bei weitem
nicht hinreichend berücksichtigt wurden. In der Diskurslinguistik steht im Zentrum der
funktionalen Analyse die Identifikation sprachlicher Referenzen auf einen epistemischen
Rahmen, mit der die Bedeutung unterschiedlichster Äußerungsformen erst diskurstypisch
fixiert wird. Im juridischen Diskurs kommt den Kategorien Diskurs und Nichtdiskurs
besondere Bedeutung bei der Kodifizierung von Grundrechten zu. Am Beispiel von Texten
des Menschenrechtsdiskurses kann gezeigt werden, wie der Bezug auf ontologische
Konstanten des Nicht-Diskursiven (Naturrechtslehre) einerseits mit diskursiven
Geltungsansprüchen auf Inkraftsetzung von Menschenrechten (Menschenrechtsbewegung)
andererseits vermittelt wird.
-
*1963
Studium der Germanistik, Musik und Erziehungswissenschaft in Bonn, Hamburg und Kassel
1993 Promotion
1999 Habilitation
seit 2000 Hochschuldozent für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Kassel
Vertretungen in Saarbrücken und Bielefeld
Forschungsaufenthalte GHI Washington, DC/USA und Harvard Law School Cambridge, MA/USA
DAAD-Gastprofessur Szeged/Ungarn
Ausgewählte Publikationen zur Linguistischen Diskurstheorie
Wege zur Kultursprache. Die Polyfunktionalisierung des Deutschen im juridischen Diskurs (1200-1800).
Berlin/New York: de Gruyter 1999.
Schnittstelle Text: Diskurs. Frankfurt/M. et al.: Lang 2000.
Diskursivität und Intertextualität als Parameter sprachlichen Wandels. In: I. Warnke (Hg.), Schnittstelle Text –
Diskurs. Frankfurt/M. et al.: Lang 2000, 215-222.
Text adieu – Diskurs bienvenue? Über Sinn und Zweck einer poststrukturalistischen Entgrenzung des
Textbegriffs. In: U. Fix/K. Adamzik/G. Antos/M. Klemm (Hgg.), Brauchen wir einen neuen Textbegriff?
Antworten auf eine Preisfrage. Frankfurt/M. et al.: Lang 2002, 125-141.
Texte in Texten – Poststrukturalistischer Diskursbegriff und Textlinguistik. In: K. Adamzik (Hg.), Texte,
Diskurse, Interaktionsrollen. Analysen zur Kommunikation im öffentlichen Raum. Tübingen: Stauffenburg
2002, 1-17.
Diskurslinguistik als Kulturwissenschaft. In: W. Erhart et al. (Hgg.), Grenzen der Germanistik.
Rephilologisierung oder Erweiterung? Stuttgart (DFG-Berichtsband) (i.Dr.).
Universales Konzept und partikulärer Geltungsanspruch. Das sprachliche Prinzip der Zweit-EbenenKommunikation in Menschenrechtsdeklarationen. In: W. Klein et al. (Hgg.), Sprache des Rechts. Studien der
interdisziplinären Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin/New
York: de Guyter (i.Dr.).
Grammatische Formen und ihre kommunikativen Funktionen im Menschenrechtsdiskurs. In: A. Busch und O.
Stentschke (Hgg.), Wissenstransfer und gesellschaftliche Kommunikation. Frankfurt/M.: Lang (i.Dr.).
Prof. Dr. Ursula Link-Heer (Wuppertal):
«La vie des hommes infâmes»
«La vie des hommes infâmes», das nicht zur gesellschaftlichen Repräsentierbarkeit
gelangende Leben der Niederträchtigen und Gemeinen, stellt Foucault nicht einfach als einen
empirischen Gegenstand für das Studium von Exclusionsbedingungen dar, durch das der
Forscher die Lücken des Ungesagten und Unbeachteten füllt. Vielmehr hat Foucault das
Leben der „Niederträchtigen“ als einen Faszinationstyp eigener Art konstituiert und in eine
beunruhigende Nähe zur Literatur, gar der Hochliteratur, gerückt. Dieser andere Umgang mit
Mördern, Verbrechern, Gefangenen, hat ihm und seinen Mitarbeitern im Fall «Moi, Pierre
Rivière» schärfste Kritik eingebracht: Foucault ästhetisiere das «infâme» bzw. sympathisiere
er mit ihm.
Dem gegenüber soll in diesem Beitrag der Faszinationstyp «la vie des hommes infâmes»
genauer konturiert und auf seine Konstitutionsbedingungen befragt werden.
Studium der Romanistik, Germanistik und Philosophie in Bochum, München und Salamanca. Seit 2003
Professorin für Romanistik und Komparatistik (Literaturwissenschaft) an der Bergischen Universität Wuppertal;
davor lehrte sie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Bayreuth.
Publikationen über Proust und Rousseau, Literatursoziologie, Foucault und die Diskursanalyse (besonders
Wechselbeziehungen zwischen psychiatrischen Diskursen und der Literatur), zum Manierismusbegriff, sowie zu
spanischen und italienischen Autoren. Derzeitige Arbeitsschwerpunkte Benjamin/Proust/Bergson und der
Spanische Bürgerkrieg.
Prof. Dr. Stefano Poggi (Florenz):
L’hypocrisie spiritualiste de la psychiatrie du Romantisme allemand
In den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts scheint die Neurologie eine bedeutende
Rolle in der Entwicklung der Biologie der Romantik zu spielen: in der Erforschung des
Gehirns und des gesamten Nervensystems kommt die typische romantische Verknüpfung von
Empirie und Spekulation am deutlichsten zum Ausdruck. Mit dem Beginn der 30er Jahre wird
das Interesse der deutschen Biologen und Physiologen für die Neurologie schwächer. Die
Untersuchungen über das Nervensystem im allgemeinen und insbesondere jene über das
Gehirn werden zunehmend vernachlässigt. Der Zeitraum von 1830 bis 1870 in Deutschland
wird von einem fast allgemeinen Stillstand der Forschung auf diesen Gebieten charakterisiert.
Der Kontrast gegenüber der Lage im ersten Viertel des Jahrhunderts ist auffallend. In einer
allgemeineren Hinsicht hatte die These eines inneren Zusammenhanges zwischen den
Funktionen des Nervensystems einerseits und jenen des gesamten Organismus andererseits
breite Anerkennung gefunden. Der Fortschritt der Neurologie schien mit jenem einer
allgemeinen Wissenschaft des Lebens (einer „Biologie“) eng verbunden zu sein. Aber, wie
bekannt, wird die Entwicklung der „Wissenschaft vom Leben“ in Deutschland seit den 40er
Jahren zunehmend von einem entschieden mechanistischen Ansatz geprägt. Die daran
anschließende Entwicklung einer elaborierten Sinnesphysiologie gilt als die Hauptbedingung
der Entstehung der sogenannten „wissenschaftlichen Psychologie“. Die Erforschung der
Sinnestätigkeit wird einer gründlichen Reform untergezogen und ein bedeutender Teil unserer
Seelentätigkeit scheint so einer genaueren Kenntnis zugänglich geworden zu sein.
Gleichzeitig wird – und zwar im Namen der Exaktheit der Forschungsmethode – auf die
Erforschung der Beziehungen der Sinnestätigkeit zur Gehirntätigkeit verzichtet. Erst in den
70er Jahren tritt die neurologische Forschung wieder in den Vordergrund. Einige Ideen der
alten romantischen Neurologie scheinen bestätigt zu werden. Es wäre keineswegs eine
Übertreibung, wenn man die Erneuerung der neurologischen Forschung in Deutschland mit
den 70er Jahren als eine Wiederbelebung vieler Ideen der romantischen Medizin ansähe. Aber
das bedeutet auch das Fortleben (oder die Wiedergeburt) jenes typisch romantischen
Widerspruchs zwischen Leib und Seele.
1947 in Florenz geboren
1970 Promotion Universität Florenz
1981-1983 Ordinarius f. Geschichte der Philosophie Universität Rom –La Sapienza
1983- Ordinarius f. Geschichte der Philosophie Universität Florenz
1987-1989 Stipendiat der Alexander von Humboldt Stiftung (Heidelberg und Konstanz)
1994-1995 Stipendiat der Alexander von Humboldt Stiftung (Konstanz)
1995-2001 Dekan des philosophischen Fachbereichs, Universität Florenz
1996 Gastprofessor f. Geschichte der Wissenschaften, Universität Genf
2001-2002 Stipendiat der Alexander von Humboldt Stiftung (Heidelberg und Konstanz)
Veröffentlichungen:
- I sistemi dell’esperienza. Psicologia, logica e teoria della scienza da Kant a Wundt, Bologna, Il
Mulino, 1977.
- Antonio Labriola. Herbartismo e scienze dello spirito alle origini del marxismo italiano, Milano,
Longanesi, 1978.
- Introduzione al positivismo, Roma-Bari, Laterza, 1987.
- Positivistische Philosophie und naturwissenschaftliches Denken, in: S. Poggi/W. Röd, Die Philosophie
der Neuzeit, 4: Positivismus, Sozialismus und Spiritualismus im 19. Jahrhundert, München, Beck, 1989,
pp. 11-151.
- Gli istanti del ricordo. Memoria e afasia in Proust e Bergson, Bologna, Il Mulino, 1991.
- S. Poggi/M. Bossi (a cura di), Romanticism Science. Science in Europe 1790-1840, “Boston Studies in
the Philosophie of Science”, vol. 152, Dordrecht – Boston – London, Kluwer, 1994, pp. 143-160.
- S. Poggi (a cura di), Gestalt Psychology: Its Origins, Foundations, and Influence, Firenze, Olschki,
1994, pp. 3-19.
- Il genio e l’unità della natura. La scienza della Germania romantica 1790-1830, Bologna, Società
editrice il Mulino, 2000.
PD Dr. Achim Geisenhanslüke (Duisburg):
Tragödie und Infamie. Literatur und Recht bei Foucault
In der Literaturwissenschaft hat das Werk von Michel Foucault ein breites Echo gefunden.
Ein Konsens der Forschung besteht darin, dass die Auseinandersetzung mit literarischen
Werken in Foucaults Arbeiten der sechziger Jahre eine zentrale Rolle spielt, die Literatur
danach aber zunehmend marginalisiert wird. Vor dem Hintergrund verbindet der Beitrag die
systematische Frage nach dem Verhältnis Diskurs-Nichtdiskurs mit einem
werkgeschichtlichen Interesse. Im Vergleich von Foucaults frühen Überlegungen zum
Tragischen aus der Histoire de la folie und späteren Überlegungen zur modernen Justiz im
Umkreis von Surveiller et punir gilt das kritische Augenmerk zum einen der Frage, inwiefern
der Begriff des Infamen bei Foucault die frühe Auseinandersetzung mit dem Tragischen
weiter schreibt. Über das werkgeschichtliche Problem der Kontinuität oder Diskontinuität der
Foucaultschen Beschäftigung mit der Literatur hinaus bezieht der Beitrag die Begriffe des
Tragischen und des Infamen auf die Frage nach dem Verhältnis des Diskursiven zum
Nichtdiskursiven: Inwiefern thematisiert Foucault in der Verknüpfung von ästhetischen und
politischen Zusammenhängen das Tragische und das Infame auf eine Form der Erfahrung, die
als sprachliche Diskursivform zugleich einen Zugang zur geheimnisvollen Ordnung des
Nichtdiskurses bietet; so lautet die Leitfrage des Beitrages, der sich thematisch dem
Schwerpunkt 2 zuordnen lässt.
Geboren 1965, Privatdozent an der Universität Duisburg-Essen. Studium der Allgemeinen und Vergleichenden
Literaturwissenschaft, Germanistik, Romanistik und der Philosophie in Berlin und Paris. Publikation zur
Literaturtheorie und zur europäischen Literatur des 17.-20. Jahrhunderts, zuletzt: Der Buchstabe des Geistes.
Postfigurationen der Allegorie von Bunyan zu Nietzsche (München 2003) und Einführung in die Literaturtheorie
(Darmstadt 2003).
Prof. Dr. Philipp Sarasin (Zürich):
Sexualität nach Foucault. Ein Forschungsprojekt
Michel Foucault bestimmte die Sexualität als eine der zentralen Nahtstellen biopolitischer
Regulation. Gegen die Illusion der sexuellen „Befreiung“ gewendet, konzipierte er vor allem
in „Der Wille zum Wissen“ (1976) nicht nur das Subjekt, sondern auch den Sex selbst als
Effekt von Machtbeziehungen, als, anders formuliert, konstitutive Fiktion moderner
Subjektivität. Der „Ankerpunkt des Widerstandes“ gegen das Sexualitätsdispositiv sollten
dabei – in bewusstem Plural – „die Körper und die Lüste“ sein, gleichsam unterhalb der
Ebene von Subjektivität, wie sie durch das christliche Gesetz oder dann in der Moderne durch
das Gesetz des Begehrens konstituiert wird. Ich möchte in meinem Beitrag ein
Forschungsprojekt vorstellen, dass auf diese theoretische Ausgangslage reagiert. Das Projekt
basiert auf einem Korpus von ca. 5000 Original-Briefen, die in den Jahren 1980-1995 in der
Schweiz an die Sex-Ratgeberin Marta Emmenegger in der Boulevard-Zeitung „Blick“
gerichtet wurden, ihre Antwortbriefe sowie ggf. die in der täglichen Kolumne in der Zeitung
abgedruckten veränderten Briefe und – vom persönlichen Antwortbrief oft abweichenden –
Ratschläge der „Lieben Marta“ in Sachen Sexualität. Grob gesagt, ermöglicht das Korpus drei
Analyseachsen: (1.) Die mediale Konstruktion von Sexualität: hier fällt vor allem auf, wie
sehr der Sex zum Zentrum und „König“ (MF) der Subjekte gemacht wird, und dass diese
unter den Bedingungen der Postmoderne bedeutete, Abweichungen zu inkludieren und jede
Rede von Normalität als veraltet zu ironisieren. (2.) Die Antworten Martas und ihre Kolumne
sind eine Form medialisierter Therapeutik, die darauf zielt, (post-)moderne Selbstverhältnisse
zu erzeugen. Hier kann im Detail nachvollzogen werden, welches die neuen Normen sind, die
in der Postmoderne die (Selbst-)Regierung der Individuen ermöglichen soll. (3.) Ein wenig
„gegen“ Foucault lassen hingegen die Originalbriefe noch eine andere Lektüre zu: In ihnen
spricht ein Subjekt – angerufen von der „Lieben Marta“ – über „sich“ und über „seinen“ Sex.
Neben dem Klappern der Diskursmühle, die in diesen Briefen immer hörbar bleibt und die
zeigt, wie sehr selbst der Sex als das angeblich „Intimste“ von medialisierten Diskursen
strukturiert wird, lassen sie aber noch etwas anderes hören: Ein brüchiges eigenes Leben, das
durchaus Züge der Biographien jener haben kann, die Foucault die „infamen Menschen“
nannte, eine Subjektivität also, die nicht ganz darin aufgeht, Effekt zu sein, sondern die als
Scheitern, als Grenzerfahrung in den Texten aufscheint, nicht zuletzt, weil sie durch das
Subjekt des Unbewussten konstituiert wird. Das ist – erkennbar – in mehrfacher Hinsicht
gegen Foucault und mit Lacan gelesen. Ich werde die Frage diskutieren, was mit einem
solchen theoriestrategischen Zug „über Foucault hinaus“ für ein empirisches
Forschungsprojekt gewonnen werden könnte.
Geb. 1956 in Basel, Studium der Geschichte, Nationalökonomie und Philosophie in Basel und Heidelberg. 1990
Promotion, 1990-1992 Postdoc an der Ecoles des Hautes Etudes en Sciences Sociales (Paris); 1992 Special Price
des Premio Europeo Amalfi; 1993-2000 Assistent und Lehrbeauftragter am Historischen Seminar an der
Universität Basel; 1999 Habilitation in Neuerer Allgemeiner und Schweizer Geschichte an der Universität Basel;
seit Oktober 2000 Extraordinarius für Neuere Allgemeine und Schweizer Geschichte am Historischen Seminar
der Universität Zürich (Forschungsstelle für Schweizerische Sozial- und Wirtschaftsgeschichte).
Wichtigste Buch-Publikationen
- „Anthrax“. Bioterror als Phantasma, Frankfurt: Suhrkamp 2004
- Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt: Suhrkamp 2003
- Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1750-1914, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001
- Zusammen mit Jakob Tanner (Hg.): Physiologie und industrielle Gesellschaft. Studien zur
Verwissenschaftlichung des Körpers im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1998
- Stadt der Bürger. Bürgerliche Macht und städtische Gesellschaft, Basel 1846-1914, Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1997 (2., überarbeitete u. erw. Aufl.; französische Übersetzung: Paris:
L’Harmattan 1998)
Prof. Dr. Pierre Lantz (Paris):
L’expérience, la rationalité, la matérialité
A travers la variété de ses recherches et ses changements d’objets, Foucault n’a cessé de
travailler à s’affranchir des postulats qui, en France, soutiennent l’enseignement de la
philosophie; ces postulats, logocentriques, amènent à récuser qu’on puisse écrire sur
«l’expérience de la déraison». Pour Derrida, par exemple, on ne peut faire l’expérience de la
folie. Dans la préface de l’Archéologie du savoir, Foucault semble lui concéder qu’il ne peut y
avoir d’expérience de la folie: il met «expérience» entre guillemets; mais c’est pour aussitôt
rebondir en proposant une théorie de l’énoncé qui élargit la conception derridienne du
discours, strictment langagière (avant la phrase qui est le moment le plus élémentaire de
l’œuvre, pas de sens et, partant, pas d’expérience, y compris de la folie). Chez Foucault au
contraire, la notion d’énoncé, mode d’être singulier, «ni tout à fait linguistique, ni
exclusivement matériel», ouvre la voie à l’analyse de pratiques et de dispositifs qui peuvent
être aussi bien discursifs que non discursifs. Le rejet du logocentrisme permet de ne plus
disqualifier comme impossible l’expérience de la folie, que cette expérience soit singulière ou
collective. Ainsi, une unité institutionnelle, le Parti, ou une entité, la société civile ou le
marché, qui couvrent de leur rationalité la part d’ombre des activités humaines, lot
immanquable de toutes les luttes.
Mais comment préciser ce qui est seulement abordé comme nondiscursif sans sortir plus
explicitement d’une approche en termes de discours? un recours à l’approche matérialiste était
rendu difficile par la confusion, toujours possible, avec la Diamat Pourtant les vocables
matérialité et microphysique du pouvoir sont présents chez Foucault pour exprimer comment
la raison invente des techniques qui, en multipliant considérablement l’efficacité des pouvoirs,
tendent à accroître leur emprise, sans qu’il y ait de sens à se demander s’ils sont raisonnables
ou déraisonnables: les techniques de production, les formes de pénalité, le redressement des
corps, l’entraînement militaire, tout cela, «c’est un problème de corps et de matérialité». (Dits
et écrits I, 1336). Encore faut-il distinguer les divers types de matérialité.
D’abord on retrouve chez Foucault l’utilisation d’une conception abstraite de l’espace
comme simple situation des énoncés: «Le domaine énonciatif est tout entier à sa propre
surface. Chaque énoncé y occupe une place qui n’appartient qu’ à lui.» (Archéologie du
savoir, 157). C’est un espace intelligible à la Malebranche.
Mais c’est à partir de là que l’on peut expliquer comment les pouvoirs peuvent distribuer
les corps, les observer, les surveiller, les discipliner; c’est à partir de l’espace géométrique que
l’on peut non seulement concevoir des corps-machines, mais aussi inventer des dipositifs de
surveillance qui contrôlent les corps alors que la matérialité de ceux-ci est au contraire
vivante. C’est à partir du corps vivant que l’on peut penser trouver entremêlés la part d’ombre
des activités humaines et l’usage des plaisirs. Contre le dispositif de sexualité, le point
d’appui de la contre-attaque ne doit pas être le sexe-désir mais le corps et ses plaisirs.
Ainsi est possible, à travers des textes qui cognent sur ce qu’ils «veulent pas dire»
(Archéologie, 27), une analyse des différentes manières d’approcher la matérialité.
Agrégé de philosophie, est Professeur émérite de sociologie à l’Université de Paris VIII (Vincennes à SaintDenis). Auparavant il avait été Professeur à l’Université de Franche-Comté. Il a été codirecteur de la revue,
L’Homme et la Société. Ses recherches portent sur le symbolisme économique et politique. Principales
publications: 1977 Valeur et richesse, Paris, Anthropos.; 1988 L’argent, la mort, Paris, L’Harmattan; 1996
L’investissement symbolique.
Prof. Dr. Udo Friedrich (Greifswald):
Ordnungsdiskurse der Frühen Neuzeit
Die Arbeiten Michel Foucaults haben das Augenmerk auf die Entstehung historischer
Ordnungsdispositive gelenkt. Das Aufkommen des modernen Staates etwa geht einher mit der
Ausbildung einer immer differenzierter werdenden Disziplinierung auf vielen Feldern des
frühneuzeitlichen Fürstenhofes: z.B. in Verwaltung, Recht, Zeremoniell und Militär. Der
Prozess ist Resultat eines grundlegenden Wandels politischer Herrschaftspraxis: der
Umstellung von Herrschaft auf Regiment. Mehr denn je wird angesichts zunehmend
komplexerer Aufgaben eine vorausschauende Planung und Organisation sozialer
Kommunikation und Wissensbestände notwendig. Ordnung wird zu einem Leitbegriff der
Epoche. Während mittelalterliches Disziplinarschrifttum auf kleine Eliten beschränkt war
(z.B. Herrschaft, Monastik), entstehen in der Frühen Neuzeit, auf der Schwelle zum
Buchdruck, eine Fülle von Ordnungsschriften, die fast alle sozialen Felder ergreifen und
allererst so etwas wie einen Ordnungsdiskurs etablieren. Der Vortrag untersucht am Beispiel
des Ordnungsschrifttums diese Frühphase bzw. Gründungsgeschichte diskursiver
Formationen im Umfeld des frühneuzeitlichen Medienwechsels (Buchdruck).
Geb. 1956; Studium der Germanistik, Philosophie und Publizistik in Münster, Hamburg und München.
Promotion. Naturgeschichte zwischen artes liberales und frühneuzeitlicher Wissenschaft. Conrad Gessners
„Historia animalium“ und ihre volkssprachliche Rezeption, Tübingen 1995; Habilitation 2000: Menschentier und
Tiermensch. Grenzziehungsdiskurse und Überschreitungsphantasmen im 12. und 13. Jahrhundert. Seit 2003
Professor für Deutsche Philologie am Institut für Deutsche Philologie der Universität Greifswald.
Forschungsschwerpunkte: Wissensorganisation im Mittelalter; Historische Anthropologie; Kulturtheorie im
Mittelalter; Narratologie der mittelalterlichen Kurzerzählung; Literatur und Mythos;
Publikationen: [...]das wir selbst künste erdencken [...] Magiediskussion und paracelsisches Wissen im
Wagnerbuch, in: Neue Beiträge zur Paracelsus-Forschung, hg. V. Peter Dilg u. Hartmut Rudolph, RottenburgStuttgart 1995, S. 169-193. Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, in:
IASL 21 (1996) S. 1-30. Ordnungen des Wissens (Mittelalter), in: Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine
Einführung in neue Theoriekonzepte, hg. V. Claudia Benthien u. Hans Rudolf Velten, Reinbek 2002, S. 83-102.
Zwischen Utopie und Mythos. Der Brief des Priester Johannes, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 122
(2003), S. 73-92. Udo Friedrich/Bruno Quast (Hgg.): Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform im
Mittelalter und Früher Neuzeit. Kolloquium Irsee 2002, Berlin 2004.
Prof. Dr. Peter v. Zima (Klagenfurt):
Die Anwesenheit des Werkes: Diskurs und Subjekt bei Foucault
Foucaults Werk, dessen Anwesenheit stets vorausgesetzt wird, wird häufig mit dem Tod des
Autors und der Abwesenheit des Werks verknüpft. Subjektivität wird als eine Fiktion
aufgefasst, die sich bei näherer Betrachtung in den sich wandelnden Diskursformationen
auflöst. Der Vortrag soll zeigen, dass Subjektivität (als Werk und Autor) stets eine sprachliche
Konstruktion ist, die sowohl konstruktivistisch-semiotisch als auch dekonstruktivistisch
aufgefasst werden kann. Eine Konfrontation von Derridas Begriff der „Iterabilität“ mit
Greimas’ semiotischem Begriff der „Iterativität“ lässt erkennen, dass Subjektivität sowohl als
anwesend als auch als abwesend gedacht, konstruiert werden kann. Dies gilt auch für die
Autorschaft und ihre Text- oder Werkproduktion.
Geboren in Prag. Nach dem Soziologie- und Ästhetik-Studium lehrte er an den Universitäten von Edinburg und
Paris Literatursoziologie und Literaturwissenschaft an den Universitäten Bielefeld und Groningen (Niederlande).
Seit 1983 ist er ordentlicher Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft in Klagenfurt (Österreich); seit
1998 korr. Mitglied der Österr. Akademie der Wissenschaften. Seine neuesten Publikationen sind: The
Philosophy of Modern Literary Theory, London, Athlone, 1999; Theorie des Subjekts, Tübingen, Francke, 2000;
Das literarische Subjekt, Tübingen, Francke 2001; Moderne/Postmoderne, Tübingen, Francke, 2001 (2. Aufl.),
und La Négation esthétique. Le sujet le beau et le sublime de Mallarmé et Valéry à Adorno et Lyotard, Paris,
L’Harmattan, 2002.
Prof. Dr. Jürgen Fohrmann (Bonn):
Die Möglichkeit (mit Foucault gelesen) von Kritik
Der Vortrag will die Frage diskutieren, welche Möglichkeiten der Foucaultsche Ansatz für
Konzepte gesellschaftlicher Kritik bietet. Er geht dabei einerseits auf Foucaults Lektüre der
Kantischen Aufklärungsschrift und auf die These, Kritik sei, ‚sich nicht derart regieren zu
lassen’, zurück; andererseits versucht er die Foucaultsche Emphatisierung des Marginalen mit
der Analyse diskursiver Formationen in Beziehung zu setzen.
Geb. 1953, Dr. phil., Prof. für Neuere deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der
Universität Bonn. Z. Zt. Auch am Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg „Medien und kulturelle
Kommunikation“
(Forschungsverbund
Aachen-Bonn-Köln).
Arbeitsschwerpunkte:
Literaturund
Medientheorie, Wissenschaftsgeschichte, Literatur- und Kulturgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. Letzte
Buchveröffentlichungen: Schiffbruch mit Strandrecht. Der ästhetische Imperativ in der ‚Kunstperiode’ ,
München 1998. Jürgen Fohrmann/Andrea Schütte/Wilhelm Voßkamp (Hg.), Medien der Präsenz. Museum,
Bildung und Wissenschaft im 19. Jahrhundert, Köln 2001. Klaus L. Berghahn/Jürgen Fohrmann/Helmut J.
Schneider (Hg.), Kulturelle Repräsentationen des Holocaust in Deutschland und den Vereinigten Staaten, New
York u.a. 2002. Jürgen Fohrmann/Arno Orzessek (Hg.), Zerstreute Öffentlichkeiten. Zur Programmierung des
Gemeinsinns, München 2002. Jürgen Brokoff/Jürgen Fohrmann (Hg.), Politische Theologie. Formen und
Funktionen im 20. Jahrhundert, Paderborn 2003. Jürgen Fohrmann/ Helmut J. Schneider (Hg.), 1848 und das
Versprechen der Moderne, Würzburg 2003. Jürgen Fohrmann/Erhard Schüttpelz (Hg.), Die Kommunikation der
Medien, Tübingen 2004.
Prof. Dr. G. Raulet (Paris):
Was bringt die Archäologie des Wissens für die Ideengeschichte
Es geht mir in diesem Vortrag darum zu zeigen, wie der „diskursive“ Ansatz in der
Ideengeschichte Gegenstände des Wissens konstituiert. Ich möchte dies u.a. am Beispiel von
Dissertationen dokumentieren, die ich in den letzten Jahren betreut habe. Dabei geht es
natürlich auch um die Geschichtlichkeit des Wissens – aber nicht eigentlich um eine Theorie
der Moderne und um die Aktualitätsbezogenheit von Foucaults Arbeiten.
Agrégation 1973. Professor an der Universität Paris Sorbonne.
Publikationen:
Chronique de l’espace public. L’Harmattan, Paris 1994; Aufklärung. Les Lumière allemandes. Flammarion,
Paris 1995; Kant. Histoire et citoyenneté. PUF, Paris 1996; La caractère destructeur. Esthétique, théologie et
politique chez Walter Benjamin. Flammarion, Paris 1997; Marx. Ellipses, Paris 1997; Apologie de la
citoyenneté. Ed. du cerf, Paris 1999; Communauté et modernité. L’Harmattan, Paris 1995 (dir. en collab. avec J.M. Vaysse); Die Historismusdebatte in der Weimarer Rpublik. P. Lang, Berlin 1996 (dir. en collab. avec W.
Bialas); Jenseits instrumenteller Vernunft. Kritische Studien zur „Dialektik der Aufklärung“. P. Lang, Berlin
1998 (dir. en collab. avec M. Gangl); Walter Benjamin. Ästhetik und Geschichtsphilosophie. P. Lang, Bern 1998
(dir. en collab. avec U. Steiner)
Forschungsschwerpunkt:
Histoire des idées allemandes (18e-20e siècles): philosophie morale et politique, esthétique
Prof. Dr. Michael Winkler (Jena):
Disziplin und Selbstsorge – Grenzen der Pädagogik
Man könnte Pädagogik als ein Dispositiv begreifen, in welchem Gesellschaften sich im Blick
auf den Nachwuchs organisieren, im Feld von Eltern-Kind-Verhältnissen und in
institutionalisierten Zusammenhängen. Dabei geht es – nicht nur, aber entscheidend auch –
um den Erhalt der Kontrolle, um Durchsetzung der Disziplin an einer Gruppe, die in seltsamer
Ambivalenz gegenüber Gesellschaft existiert. Sie ist als ausgeschlossene erzeugt, um
eingeschlossen zu werden. Diese Ambivalenz wird in dem pädagogischen Dispositiv
produziert und gleichsam positiv gemacht.
Wie dies geschieht, muss konkret verfolgt werden. Der Vortrag will dem nachgehen anhand
des jüngeren Diskurses um – so in deutscher Sprache – Bildung (in den englischsprachigen
Ländern wird hier von education gesprochen). Dieser Diskurs ist in fast allen modernen
Gesellschaften zu beobachten und wird empirisch auch international organisiert,
beispielsweise durch die OECD und ihr Programme for International Student Assessment. Es
geht in diesem Diskurs, so die These, nicht um die Leistungsfähigkeit von Bildungssystemen,
sondern um die Etablierung neuer subtiler und sublimer Disziplinarstrukturen. Diese lassen
sich in dem Kontext der Veränderungen fassen, denen sich Foucault mit dem Begriff der
gouvernementalité angenähert hat. Denn es geht um Techniken der Normalisierung, welche
aber mit kulturellen Brüchen und Pluralitäten rechnen und auf diese reagieren. Dazu wird ein
neuer Korpus an Wissen erzeugt (oder genauer: arrangiert), wie zugleich auch veränderte
Praktiken entstehen. Sie greifen in einer Weise auf Subjekte aus, in welcher deren Selbstsorge
so instrumentalisiert wird, dass sie – traditionell gesprochen – Autonomie der Heteronomie
preisgeben.
Es lässt sich nicht ausschließen, dass darin eine Entwicklung zu erkennen ist, die man als eine
Dialektik der Selbstsorge bezeichnen kann; sie geht vielleicht über das hinaus, was Foucault
zur Selbstsorge gesagt hat. Insofern stehen die Überlegungen in der Tat unter der Bedingung
einer „Abwesenheit des Werks“.
Geb. 1953 in Wien, Studium der Pädagogik, Germanistik, Geschichte und Philosophie in Erlangen. 1979
Promotion, 1986 Habilitation; 1989 Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1987-1988:
Prof. f. Allgemeine Pädagogik an der Hochschule der Künste in Berlin und 1989 an der Universität Kiel. Seit
1992 Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Theorie der Sozialpädagogik an der Friedrich-Schiller-Universität
Jena; 1996 Ruf an die Universität Göttingen (Nachfolge Klaus Mollenhauer) abgelehnt. Gastprofessuren an den
Universitäten Graz und Wien. Lehraufträge an Hochschulen in Deutschland und in der Schweiz.
Wissenschaftliche Arbeitsschwerpunkte
- Pädagogische Grundlagenforschung. Theorie und Geschichte der Erziehung. Forschungs- und
Editionsprojekt zu Friedrich Schleiermacher
- Pädagogische Zeitdiagnose (Arbeiten u.a. zu Problemen der Postmoderne), Kritik aktueller
Entwicklungen der Pädagogik
- Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen
- Theorie der Sozialpädagogik
- Jugendhilfe, insbesondere stationäre Hilfen (Heimerziehung)
Bildungsforschung: Ausbildungsfähigkeit von Schülern, Leseforschung
Buchveröffentlichungen:
Geschichte und Identität. Versuch über den Zusammenhang von Gesellschaft, Erziehung und Individualität in
der „Theorie der Erziehung“ Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 1979
Stichworte zur Antipädagogik. Elemente einer historisch-systematischen Kritik. Stuttgart: Klett-Cotta 1982; Eine
Theorie der Sozialpädagogik. Stuttgart: Klett-Cotta 1988
mit R. Treptow, L. Pluto: Bericht zur Situation der Kinder und den Leistungen der Kinderhilfen in Thüringen.
Jena/Greiz 2000
Klaus Mollenhauer – ein pädagogisches Porträt. Weinheim 2002
Herausgeber mit Christian Lüders: Themenheft „Sozialpädagogik“ der Zeitschrift für Pädagogik. 1992
Hrsg. Mit Klaus Vieweg: Fichtes Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten von 1794. FaksimileAusgabe. Jena 1994
Hrsg. Mit E. Liebau, H.W. Leonhard: Pädagogische Erkenntnis. Grundlagen pädagogischer Theoriebildung.
Weinheim und München 1995
Hrsg. Mit F. Peters, W. Trede: Integrierte Erziehungshilfen. Qualifizierung der Jugendhilfe. Frankfurt am Main
1998
Hrsg. Mit R. Coriand: Der Herbartianismus. Die vergessene Wissenschaftsgeschichte. Weinheim 1998
Hrsg. Mit H.E. Colla, S. Milham u.a.: Handbuch Heimerziehung und Pflegekinderwesen in Europa. Neuwied
und Kriftel 1999
Hrsg. Mit R. Fatke, W. Hornstein, C. Lüders (Hrsg.): Erziehung und sozialer Wandel. Brennpunkte
sozialpädagogischer Forschung, Theoriebildung und Praxis. Weinheim und Basel 1999
Hrsg. Mit Jens Brachmann: Friedrich Schleiermacher. Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe.
Zwei Bände. Frankfurt am Main 2000
Hrsg. Mit T. Gabriel (Hrsg.): Heimerziehung. Kontexte und Perspektiven. München 2003
Hrsg. Mit J. Hopfner (Hrsg.): Die aufgegeben Aufklärung. Experimente der pädagogischen Vernunft. Weinheim
und München 2003
Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Sammelwerken
Weitere wichtige Arbeiten und Veröffentlichungen u.a.:
- Expertise für den 10. Jugendbericht der Bundesregierung über ‚Kinder im Heim’
- Expertise zu den Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Sozialisationsverhältnisse in der
BRD für die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ beim Deutschen Bundestag
- Wissenschaftliche Begleitforschung zum Ganztagsschulversuch Milda (bei Jena), wissenschaftliche
Mitarbeit am 3. Österreichischen Jugendbericht
Wissenschaftliche Begleitforschung zur Strukturveränderung der Landesheime Steiermark
Prof. Dr. Clemens Kammler (Duisburg - Essen):
Die Abwesenheit der Theorie. Zur Frage der Anwendbarkeit des
Foucaultschen Diskursbegriffs auf die Literatur
Der Stellenwert der Literatur bei Foucault ist widersprüchlich. Auf der einen Seite findet sich
ein ontologisierender, emphatischer Begriff von Literatur als „Gegendiskurs“, auf der anderen
Seite das historisierende Konzept von der Literatur als Teil jener „diskursiven Praxis“ einer
Epoche, die Gegenstand der archäologischen Untersuchung ist. Die Rekonstruktion eines auf
den Gegenstand Literatur anwendbaren „Theoriekerns“ wird außerdem erschwert durch die
ständige Weiterentwicklung des theoretischen Instrumentariums und durch die „Absenz einer
im engeren Sinne literaturwissenschaftlichen Beschreibung“ (S. Wunderlich) im Œuvre
Foucaults. In diesem Vortrag geht es darum, am Beispiel der deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur und vor dem Hintergrund bisheriger prominenter Versuche, die
Diskursanalyse für die Literaturwissenschaft fruchtbar zu machen, die Frage nach den
Möglichkeiten und Grenzen diskursanalytischer Literaturwissenschaft noch einmal zu stellen.
Geb.1952; Professor für Germanistische Literaturwissenschaft und -didaktik. Studium der Germanistik,
Philosophie und Sozialwissenschaften in Bochum. Dort Promotion 1984. 1980-1996 Arbeit als Gymnasiallehrer.
1997-2001 Professur an der Universität Bielefeld, seit Ende 2001 an der Universität Duisburg-Essen.
Veröffentlichungen, u.a. zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, zur Literaturtheorie und -didaktik. Zu
Foucault erschien u.a.: Michel Foucault. Eine kritische Analyse seines Werks. Bonn 1986.
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