Das Bruttosozialprodukt als Wohlfahrtsmassstab

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Das Bruttosozialprodukt als Wohlfahrtsmassstab
( Das Nationaleinkommen )
Das Bruttosozialprodukt ist die wichtigste Kenngröße zur Darstellung der wirtschaftlichen
Entwicklung eines Landes. Es erfasst
a) den Geldwert
b) aller
c) von Inländern
d) in einem Jahr
e) für die letzte Verwendung
f) produzierten Güter.
Das Bruttosozialprodukt pro Einwohner gilt als wichtigstes Maß für den Wohlstand in
einem Land oder einer Region.
An der Aussagefähigkeit des BSP pro Kopf für das Wohlergehen der Menschen in einem
Land gibt es begründete Zweifel. Sie führen dazu, dass regelmäßig andere Maßzahlen
("Soziale Indikatoren") konstruiert werden, die diesen Zweck besser erfüllen sollen. Ein
großes Problem stellt allerdings die Verdichtung der sozialen Indikatoren in einer einzigen
Zahl dar.
Man kann sicherlich sagen, dass es den Menschen im einem Land c.p. umso besser geht, je
höher die Lebenserwartung in diesem Land ist. Ebenso wird zutreffen, dass es den
Menschen in Ländern besser geht, die über reichhaltige Rohstoffvorkommen und
angenehme klimatische Bedingungen verfügen. Aber wie will man Rohstoffvorkommen,
klimatische Bedingungen und Lebenserwartung gegeneinander aufrechnen, wenn ein Land
eine höhere Lebenserwartung, ein anderes aber reichhaltigere Rohstoffvorkommen bietet?
Da das ein sehr schwieriges Unterfangen ist, hat sich das BSP pro Kopf bis heute als
wichtigstes Wohlfahrtsmaß behauptet. Dennoch muss man es kritisch betrachten. Und es
bietet dazu eine ganze Reihe von Ansatzpunkten. Um sie zu sortieren, arbeiten wir sie in der
obigen Reihenfolge a) bis f) ab.
a) Güter, die keinen Geldwert haben, gehen nicht in das BSP ein. Dies ist vielleicht der
wichtigste Kritikpunkt, denn dadurch bleibt gerade das unberücksichtigt, was uns oft
besonders am Herzen liegt und unser Wohlbefinden ganz wesentlich beeinflusst: Zuneigung,
Freundschaft, Liebe, Spaß, Freizeit, Meinungsfreiheit etc. Das BSP misst in erster Linie die
materielle Güterversorgung.
Bei den öffentlichen Gütern (innere und äußere Sicherheit, Verkehrswege, Bildung etc.)
muss der Wert geschätzt werden, da sie nicht auf Märkten gehandelt werden.
Von vielen Gütern gehen negative externe Effekte aus. Wenn eine Waffe produziert wird,
findet sie im BSP mit ihrem Marktpreis Berücksichtigung. Wird mit der Waffe eine Gewalttat
verübt, die Menschen ins Unglück stürzt, wird der Wert des BSP deswegen aber nicht nach
unten korrigiert. Vollkommen analog verhält es sich mit umweltbelastender Produktion.
Wenn der Geldwert der Güter steigt, steigt das BSP, ohne dass sich real etwas verändert
haben müsste. Das stellt allerdings kein so gravierendes Problem dar, da man die
Preissteigerung aus dem BSP heraus rechnen kann. Wie, wird im nächsten Abschnitt erklärt.
b) Dass "alle" Güter in das BSP eingehen, stimmt streng genommen nicht. Vor allem fehlen
mit der Hausarbeit zahlreiche Dienstleistungen, die unentgeltlich z.B. bei der
Kindererziehung oder in der Küche erbracht werden. Das gilt ebenso für den do-it-yourselfBereich und die in Nachbarschaftshilfe erstellten Güter, ganz unabhängig davon, ob es sich
tatsächlich noch um legale Nachbarschaftshilfe handelt oder die Grenze zur Schwarzarbeit
bereits überschritten ist.
c) Mit der Eingrenzung verbindet sich kein Kritikpunkt am BSP, wenn man nicht
argumentieren will, dass bei einem gleich hohen BSP pro Kopf Deutsche eine andere
Lebensqualität haben, als Ausländer. Dies Argument geht mit der Annahme einher, dass
Ausländer eine andere Präferenzstruktur haben, als Deutsche (Lohndumping).
d) Ebenso liefert die Zeitabgrenzung schwache Ansatzpunkte für Kritik. Wenn überhaupt,
ließe sich folgendermaßen argumentieren: Das BSP misst die Produktion eines Jahres. Viele
Waren wie langlebige Konsumgüter stiften aber auch in späteren Jahren Nutzen. Deswegen
wäre der durchschnittliche Warenbestand eines Jahres ein besserer Indikator für den
Wohlstand als die aktuelle Produktion.
e) Dass nur Güter der letzten Verwendung in das BSP eingerechnet werden, ist insofern
problematisch, als oft schwer zu entscheiden ist, ob ein Gut ein Vor- oder Endprodukt ist.
Wie verhält es sich z.B. mit Software? Man kann sie sowohl als nutzenstiftendes Endprodukt
als auch als Vorprodukt auffassen.
f) Diesen Aspekt haben wir bereits unter a) und b) mit erfasst, wo wir gesehen haben, dass
zahlreiche Waren und Dienstleistungen im BSP unberücksichtigt bleiben.
Nicht so unmittelbar aus der Definition des BSP ersichtlich, dennoch nicht weniger wichtiger,
sind die folgenden Punkte:
Das BSP pro Kopf ist ein Durchschnittswert. Ohne zusätzliche Informationen lässt sich
nichts über die personelle Verteilung der Einkommen in der Gesellschaft sagen. Diese
mag aber für das Wohlfahrtsniveau und den sozialen Frieden von erheblicher Bedeutung
sein.
Oft wird behauptet, Umstände, die definitiv wohlfahrtsmindernd seien, würden das BSP
steigen lassen. Der viel zitierte Unfall dient als Standardbeispiel. Wer sein Auto gegen einen
Baum lenkt, lässt es anschließend reparieren oder kauft vielleicht sogar ein neues. Der
Abschleppunternehmer erzielt zusätzliches Einkommen, ein neuer Straßenbaum wird
gepflanzt ... Das hört sich zwar zunächst ganz überzeugend an, verkennt aber den Umstand,
dass der Unfallfahrer sein Geld nur einmal ausgeben kann. Er verzichtet infolge der
Unfallkosten vielleicht auf einen Urlaub oder eine größere Anschaffung.
Abschließend sei noch ein besonders pfiffiges Argument erwähnt, das allerdings einiges
Nachdenken erfordert. Nehmen Sie an, das Wichtigste für die Menschen in einem Land, in
dem alle weit über dem Existenzminimum leben, sei ihre soziale Stellung. Alles andere trete
weit dahinter zurück. Je höher die Menschen in der Einkommenspyramide stehen, desto
glücklicher seien sie annahmegemäß. Man vergleicht sich mit den Nachbarn. Können sie
sich mehr leisten als man selbst, dann freut man sich nicht etwa für sie, sondern ist neidisch.
Das Wohlstandsempfinden ist relativ.
Greifen wir uns für ein Beispiel Karlo Tanker als repräsentatives Wirtschaftssubjekt für die
Gesellschaft heraus. Was muss Karlo Tanker machen, damit es ihm besser geht. Genau!
Karriere natürlich. Er muss mehr Einkommen erzielen, damit er nicht mehr neidisch zu
seinem besserverdienenden Nachbarn Fred Werkel aufschauen muss, sondern
selbstgefällig auf ihn herabblicken kann.
Angenommen, Karlo Tanker ist mit seinen Anstrengungen erfolgreich. Er erzielt mehr
Einkommen und steigt in der Einkommenspyramide auf. Damit geht c.p. eine höhere
Produktion einher, denn das Einkommen ist ja das Spiegelbild der wertmäßigen Produktion.
Das BSP steigt und Karlo Tanker geht es besser. Hat gleichzeitig auch die Wohlfahrt
zugenommen?
Nein, denn anderen geht es jetzt ja schlechter. Da Karlo Tanker seine relative Position in der
Einkommenspyramide verbessert hat, muss wenigstens ein anderer (Fred Werkel)
zurückgefallen sein. Was kann dieser nun dagegen unternehmen? Es bleibt ihm nichts, als
sich ebenfalls anzustrengen und einem höheren Einkommen nachzujagen. Allen anderen
geht es ganz genau so. Sowie einer den Wettlauf startet, müssen alle anderen mitlaufen,
wenn sie sich nicht verschlechtern wollen. (Gazelle – Löwe)
Im Endeffekt ist aber alles für die Katz. Denn die Akteure haben versucht, ein Gut (sog.
"Positionsgut", gelegentlich auch Statusgut genannt) zu vermehren, das man gar nicht
vermehren kann.* Viel schlauer wäre es gewesen, sich mit einem niedrigeren
Einkommensniveau (= Produktionsniveau) zufrieden zu geben und das Leben zu genießen.
Wenn Sie sich jetzt sagen, das ist doch eigentlich gar nichts anderes als ein negativer
externer Effekt, dann haben Sie die Überlegung verstanden.
Ein ähnliches Beispiel lässt sich mit dem Gut "Wohnen in Stadtrandlage" konstruieren: Was
zählt neben Kindern, Reisen und Autos zu den Wünschen junger Familien? Ein
alleinstehendes Häuschen in Stadtrandlage, am besten Hanglage mit Fernblick. Mit einem
hinreichenden Einkommen (= Produktion) und einem ausgewiesenen Baugebiet können sie
sich den Wunsch erfüllen. Je mehr Menschen dieses Ziel jedoch erreichen, desto
unattraktiver wird das Baugebiet, das einst, als es ausgewiesen wurde und der erste dort
gebaut hat, noch so schön war. Manchem ist mittlerweile die schöne Aussicht schon wieder
verbaut. Fazit: Das Gut "Wohnen in Stadtrandlage" vernichtet sich u.U. selbst.
Fazit: Das Sozialprodukt ist kein geeigneter Maßstab für die Wohlfahrt einer Volkswirtschaft.
Demnach kann man auch das Wachstum als Zunahme des Sozialproduktes nicht als
Zunahme oder Abnahme der Wohlfahrt – der Zufriedenheit – heranziehen.
Ein wesentlicher Hinderungsgrund zur angemessenen Beurteilung der Wohlfahrt ist das
Input-Prinzip. Es wird lediglich gemessen, was an Kosten aufgewendet wir, m.a.W. was in
das System hinein gestckt wird. Aber wie hat unser Altbundeskanzler schon gesagt: Wichtig
ist, was hinten rauskommt.
Vergleich:
Anzahl der Ärzte pro 1000 Einwohner – Gesundheitszustand
Anzahl der Lehrer (und Professoren) pro Schüler – Bildung und Wissen
Anzahl der Polizisten und Richter – soziale Sicherheit
Investitionen in die Umwelt – saubere physiche Umwelt
Anzahl der Psychiater – Zahl der psychisch Gestörten
Anzahl der Sozialarbeiter – Drogenabhängige
Anzahl der Verkehrschilder (alle 28 Meter) – Zahl der Unfalltoten
Die OECD hat ein System sozialer Indikatoren aufgebaut, das nach dem Ouput Prinzip
strukturiert ist.
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