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Dr. Mike Mösko
18.02.2016
Liebe Kollegeinnen, liebe Kollegen, liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter, liebe
Bürgerinnen und Bürger,
waren Sie schon mal überfordert? Ich meine so richtig außergewöhnlich überfordert
und belastet? Wenn ja, dann kennen Sie ja die Symptome: Zunächst fühlt man sich
betäubt, das Bewusstsein ist eingeengt und die Fähigkeiten, Aufmerksam zu sein
und Informationen zu verarbeiten sind deutlich eingeschränkt. Manche Menschen
ziehen sich zurück, andere verfallen in einen inneren Unruhezustand oder zeigen ein
Übermaß an Aktivität. Wenn diese Symptome stark genug sind, spricht man von
einer „Akuten Belastungsreaktion“ also einer psychischen Störung. Zum Glück kann
man so etwas behandeln.
Ehrlich gesagt hatte ich beim Lesen des Gesetzentwurfes des Asylpakets II, den
Eindruck, dass die Personen, die im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz an der Ausarbeitung beteiligt waren, ziemlich nah dran sind an einer solchen
„Akuten Belastungsreaktion“.
Nun gut, angesichts der seit Monaten andauernden enormen Belastung und des
hohen politischen Handlungsdrucks wäre dies auch nur zu nachvollziehbar.
Würden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums bei mir nach einer
psychotherapeutischen Behandlung anfragen, selbstverständlich würde ich Sie
behandeln. Nach der üblichen Wartezeit von drei bis sechs Monaten bekämen Sie
einen Therapieplatz und die Kosten würden von der Krankenkasse übernommen. Im
Gegensatz zu früheren Generationen von PatientInnen, könnten Sie heute Ihren
Freunden und Familienangehörigen davon berichten, dass sie zum Psychotherapeuten gehen.
In Deutschland hat es viele Jahrzehnte gebraucht, um Diskriminierung und
Stigmatisierung gegen Psychisch Erkrankte abzubauen.
Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf zum Asylpaket II aber sollen auf einmal
Flüchtlinge und Asylsuchende, die unter psychischen Störungen leiden, gezielt
diskriminiert werden.
Einen solchen eklatanten Rückschritt darf eine Gesellschaft, die so lange gegen
Diskriminierung psychisch Erkrankter gekämpft hat, nicht hinnehmen.
Ich möchte Ihnen an einigen Punkten verdeutlichen, dass die geplanten Regelungen
für Flüchtlinge, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, aus fachlicher Sicht in
keiner Weise fundiert sind, inhuman für unsere Gesellschaft und lebensgefährdend
für die Betroffenen.
Mit dem Gesetzesentwurf sollen beschleunigte Asylverfahren eingeführt werden (§
30a Asylgesetz). Das sieht so aus, dass das BAMF für bestimmte Gruppen von
Geflüchteten innerhalb von einer Woche über die Asylanträge entscheidet. Sollte der
Antrag abgelehnt werden, kann der Asylsuchende innerhalb einer Woche Einspruch
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einlegen. Daraufhin entscheidet das Verwaltungsgericht nach Aktenlage innerhalb
einer weiteren Woche.
Allein in dieser Verfahrensidee tauchen schon drei Aspekte auf, die von absoluter
Unwissenheit zeugen:
So kann laut Gesetzidee, das beschleunigte Verfahren dann eingeleitet werden,
wenn z.B. die Behörden durch falsche Angaben getäuscht wurden. Wenn der
Sachbearbeiter also herausbekommt, dass der Antragsteller in der Erstanhörung
jenes sagt und bei zweiten Anhörung diesen, kann es sein, dass dann ein
beschleunigtes Verfahren eingeleitet wird.
Dass widersprüchliche Angaben möglicherweise daher resultieren, dass jemand
unter einer psychischen Störung leidet, die sich durch Konzentrations- und
Gedächtnisleistung auszeichnet, fällt hierbei vollkommen unter den Tisch.
Dann ist da noch das mit der Zeit. Der Antragsteller soll eine Woche Zeit haben, um
unter anderem nachzuweisen, dass Abschiebungshindernisse vorliegen.
Das bedeutet, er oder Sie muss innerhalb einer Woche ein ärztliches oder
psychotherapeutisches Gutachten besorgen. Haben Sie schon mal innerhalb einer
Woche einen Termin beim Facharzt bekommen? Wie gesagt, die Wartezeit auf einen
Psychotherapieplatz betragen derzeit etwas drei Monate für deutschsprachige
Patienten.
Die Idee, dass Antragsteller binnen einer Woche einen Termin bei einem
Fachbehandler erhalten, ist also vollkommen unrealistisch.
Und selbst wenn die Personen einen Termin bekommen würden, ist die Wahrscheinlichkeit gegen null, dass sie im ersten Kontakt dem Therapeuten mitteilt, dass er oder
sie vergewaltigt wurde oder gesehen hat, wie eine Bombe einen Freund zerfetzt hat
und diese Bilder sie verfolgen.
Das wäre jedoch notwendig, damit die Diagnose einer Posttraumatischen
Belastungsstörung gestellt werden kann. Allerdings gehört es zu den Symptomen der
PTBS, dass Scham- und Schuldgefühle dazu führen, dass man nicht sofort darüber
offen erzählt. Im Gegenteil es braucht Zeit, bis die Betroffenen Vertrauen gefasst
haben, sich sicher fühlen und über ihre unglaublich belastenden traumatischen
Erfahrungen sprechen können.
Die Idee, dass Antragsteller binnen einer Woche ein Fachgutachten mit Diagnose
erhalten, ist somit ebenfalls vollkommen unrealistisch.
Darüber hinaus drückt der Gesetzentwurf ein grundsätzliches und massives
Misstrauen gegenüber psychisch kranken und traumatisierten Menschen aus. Auf
Seite 13 z. B. ist die Rede vom „Abbau von Abschiebungshindernissen aus
vermeintlich gesundheitlichen Gründen“. Diese Formulierungen stellt Asylsuchende
unter Generalverdacht, Erkrankungen lediglich vorzutäuschen, um eine Abschiebung
zu verhindern.
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Interessant an diesem Passus ist auch die Beweisführung. Nicht, das hier unabhängige Untersuchungen zitiert wurden, nein. In der Begründung wird lediglich
verwiesen auf die Erkenntnisse von Praktikern der Unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung. Interessanterweise ist dieser
Bericht der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die Qualität und Gültigkeit der Berichte
kann daher nicht nachvollzogen und beurteilt werden.
Der Gesetzentwurf verschließt auch die Augen davor, dass empirische Analysen
zeigen, dass psychische Erkrankungen in der Tat „sehr häufig als Abschiebungshindernis geltend gemacht“ werden, aber nicht etwa weil die Personen simulieren, nein,
sondern weil Asylsuchende tatsächlich sehr häufig unter psychischen Erkrankungen
leiden.
Wissen Sie beispielsweise wie viele Menschen in der deutschen Bevölkerung unter
PTBPS leiden?
Es sind etwas mehr als 2%. Unter erwachsenen Asylsuchenden liegt die Rate nach
konservativen Schätzungen bei 20% … und ist somit zehn Mal höher.
Nun ist es so, dass PTBS nur eine der möglichen Traumafolgestörungen ist. Häufig
leiden traumatisierte Geflüchtete auch unter depressiven Störungen, Angststörungen, somatoformen Störungen, dissoziativen Störungen und Substanzabhängigkeit.
Daraus lässt sich auch für den Laien erkennen, dass ein substantieller Anteil der
Flüchtlinge unter einer psychischen Erkrankung leidet.
Psychische Erkrankungen
Abschiebehindernis.
sind
somit
ein
reales
und
kein
vermeintliches
Dann gibt es noch zwei sehr interessante Aussagen:
Erstens wird im Entwurf behauptet, dass psychische Erkrankungen schwer
„diagnostizier- und überprüfbar“ seien.
Auch dies ist schlicht fachlich falsch. Psychologische Psychotherapeuten, Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten sowie auf psychische Erkrankungen
qualifizierte Fachärzte sind Experten für die Diagnostik und Behandlung psychischer
Erkrankungen. Diese qualifizierten Berufsgruppen sind in der Lage, psychische
Erkrankungen zu diagnostizieren und die Gültigkeit der Diagnose zu überprüfen.
Nicht zuletzt bilden hierfür die Diagnosekriterien der Weltgesundheitsorganisation
den Referenzrahmen.
Dann lese ich noch, dass Posttraumatische keine erstzunehmende Erkrankung sein
soll und daher nicht als Abschiebehindernis per se angenommen werden soll.
Auch hier die die Einschätzung im Gesetzentwurf fachlich falsch: PTBS ist eine
schwerwiegende Erkrankung. PTBS-Betroffene sind aufgrund psychischer
Beschwerden wie Flashbacks, Intrusionen, Vermeidungsverhalten sowie Schlaf- und
Konzentrationsstörungen, häufig massiv in ihrer Lebensführung eingeschränkt. Ihnen
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Dr. Mike Mösko
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ist es nicht möglich, regelmäßig die Schule zu besuchen, einer beruflichen Tätigkeit
oder Alltagsaktivitäten nachzugehen.
Auch ist die Annahme, dass PTBS keine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib
und Leben darstellt, fachlich falsch. Studien zeigen, dass 40 % der Flüchtlinge mit
einer PTBS, bereits Pläne hatten, sich das Leben zu nehmen oder sogar schon
einmal versucht hatten, sich zu töten
Zum Schluss meiner Rede halte ich ihnen noch ein besonderes Schmankerl bereit.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft“ gemacht
werden muss. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass lediglich
„approbierte Ärzte“ von dieser Regelung erfasst sein sollen.
Wissen sie, wer das dann machen kann? Ihr Orthopäde! Oder Ihr Proktologe! Oder
der Stationsarzt, der gerade sein Staatsexamen hinter sich gebracht hat und sich am
Anfang seiner Facharztausbildung befindet.
So sehr ich die ärztlichen KollegInnen schätze. Aber ich diagnostiziere und
behandele ja auch keinen Bandscheibenvorfall.
Diese Gesetzesforderung ist fachlich weder sinnvoll noch zielführend.
Zur Diagnostik psychischer Störungen gibt es ärztliche Psychotherapeuten wie der
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychologische Psychotherapeuten und Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten. Dieser Facharztstandard muss schlicht
gewährleistet bleiben!
Aus den zuvor genannten Gründen halte ich den Gesetzentwurf zum Asylpaket II in
Bezug auch psychisch erkrankte Flüchtlinge und Asylsuchende, für diskriminierend,
unmenschlich und fachlich unbrauchbar.
Gemeinsam mit dem Hamburger Verein SEGEMI – Seelische Gesundheit Migration
und Flucht, den Hamburger Landesverbänden der Deutsche Gesellschaft für
Verhaltenstherapie, der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung und dem
Verband der Vertragspsychotherapeuten sowie zahlreichen meiner psychotherapeutischen und psychiatrischen KollegInnen und Kollegen schließe ich mich der
Forderung der Bundespsychotherapeutenkammer an, die Passagen in der
Gesetzesbegründung, die psychisch kranke und traumatisierte Asylsuchende
diffamieren, schleunigst zu streichen bzw. zu korrigieren.
Ich danke Ihnen!
Dr. Mike Mösko,
Psychologischer Psychotherapeut & Vorsitzender von „SEGEMI - Seelische Gesundheit • Migration
und Flucht e. V.“ (Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Seelischen Gesundheit von Migranten und
Flüchtlingen in der Metropolregion Hamburg)
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Art der Veranstaltung: Öffentliche und angemeldete Kundgebung
Ort:
Rathausmarkt Hamburg
Organisator:
Hamburger Arbeitskreises Aufenthalts- und Asylrecht des
Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV)
e.V.
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