Exzerpt_Kalkreuther (I) - Friedrich-Schiller

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Friedrich-Schiller-Universität Jena
Jenny Kalkreuter
Fakultät für Sozial-und Verhaltenswissenschaften
Institut für Soziologie
Sommersemester 2013
Seminar: Einführung in die Medizinsoziologie
Dozent: Tobias Franzheld (M.A.)
Exzerpt:
Die Rolle des Kranken und des Arztes
in der modernen Gesellschaft
vom 15.04.13
aus: Parsons, Talcott (1958): Struktur und Funktion der modernen Medizin, In: König, René
(Hrsg.), Probleme der Medizinsoziologie, (Sonderheft 3 KZfSS), Köln/Opladen 1958, S. 1942 (Auszug).
Medizin befasst sich mit Störungen der Gesundheit, d.h. mit Krankheiten. Diese werden als
einen Zustand der Störung des normalen Funktionierens eines Menschen definiert. Diese Definition wird sowohl auf das biologische System des Menschen als auch dessen individuellen
und sozialen Anpassungen angewandt. Medizin ist also ein Mechanismus im sozialen System,
der zur Bekämpfung von Krankheiten der Mitglieder dient. Die relevanten sozialen Strukturen
bestehen in der Rolle des Arztes und des kranken Menschen.
Der Arzt ist verantwortlich für das Wohl des Patienten. Er versucht die Genesung des Patienten nach besten Kräften zu fördern, indem er großes fachliches Können erwirbt und anwendet.
Die Rolle des Arztes ist universalistisch, funktional spezifisch und emotional neutral. Er besitzt wissenschaftliche Erkenntnisse der Medizin und deren entsprechenden Techniken. Die
Ideologie dieses Berufes besagt, das Wohl des Patienten über seine eigenen Interessen zu stellen. Ein Arzt muss ein objektives Problem auf objektive, wissenschaftlich begründbare Weise
angehen.
Die Rolle des Patienten ist geprägt durch Hilflosigkeit/Hilfsbedürftigkeit, fachliche Inkompetenz und emotionales Engagement. Er benötigt Hilfe d.h. eine professionelle, fachlich kompetente Hilfeleistung, derer Dringlichkeit vom Grad der Funktionsunfähigkeit, der Intensität der
Schmerzen und der Gefahr für das Leben abhängt. Die Patienten haben ein offensichtliches
Interesse an der Heilung und akzeptieren meist jede Maßnahme, die sich als notwendig herausstellt, wie z. B. das Ertragen von Schmerzen nach einer Operation. Die Verbindung der
Hilflosigkeit, den Mangel der fachlichen Kompetenz und der Störung des emotionalen
Gleichgewichts, setzt den kranken Menschen der Ausnutzung aus. Ein Arzt dringt in die Privatsphäre der Patienten ein, indem er persönliche Informationen über das Privatleben des Pa-
tienten erfährt, die für die Diagnose und die Therapie nötig sind, und er Zugang zum Körper
des Patienten besitzt.
Die Arzt-Patienten-Beziehung ist durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gekennzeichnet, da der Patient große Hoffnung auf Heilung in den von ihm gewählten Arzt legt. Je länger
die Behandlung dauert und je größer die emotionale Bedeutung der Krankheit, desto stärker
wird das Verhältnis zum Arzt. Dabei besteht eine große Tendenz dazu, dass der Arzt in den
Kreis der persönlichen Beziehungen des Patienten eintritt. Es ist wichtig, dass die berufliche
Tätigkeit als Arzt von den übrigen Lebensbereichen getrennt wird. Dies erfordert einen Lernprozess und einen Komplex aus Kontrollmechanismen. Ein Problem für einen Arzt stellt die
Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Bedürfnissen, den Fähigkeiten, den Anstrengungen und den Hoffnungen auf Erfolg dar.
Moderne Medizin orientiert sich an der Wissenschaft. Grundlagen der institutionellen Struktur
der ärztlichen Tätigkeit sind Leistungsdenken, Universalismus, funktionale Spezifizität, emotionale Neutralität und Kollektivitätsorientierung. Dennoch gibt es Abweichungen vom Idealtyp der Institutionalisierung der Wissenschaft und des rationalen Handels, die sich zum Einem
in der Form der pseudowissenschaftlichen Überzeugungen darstellen, oder zum Anderen im
Bereich der sozialen Ordnung zu finden sind.
Des Weiteren besitzt ein Arzt die Tendenz zum aktiven Eingreifen, weshalb es zu unnötigen
Operationen kommen kann. Dennoch sind einem Arzt die unmittelbaren Gewinnchancen verschlossen. Doch warum gibt es heute noch unnötige Operationen, vor allem im Bereich der
Wirbelsäule und anderen lebenswichtigen Körperteilen, wie z. B. das Herz? Warum sprechen
die Medien heute von unnötigen Operationen aufgrund des finanziellen Aspekts, wenn den
Ärzten doch der Gewinn verschlossen ist?
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