Tag der Kranken

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Tag der Kranken 2002 – Solidarität statt Tabu
Referat von Regierungsrat Joachim Eder, Gesundheitsdirektor des Kantons Zug, am 3. März
2002
Es freut mich sehr, Sie alle zur heutigen Film-Matinee herzlich willkommen zu heissen.
Anlass zu dieser speziellen Veranstaltung bietet der Tag der Kranken, ein Tag, den wir in der
Schweiz jedes Jahr begehen.
Der Tag der Kranken hat Tradition. Initiiert wurde er von der Schweizer Ärztin Dr. med. Marthe
Nicati zur Zeit des 2. Weltkrieges. Sie sah damals, wie die Kranken in den TuberkuloseHeilstätten in Leysin von ihren Freunden und Verwandten mehr und mehr vergessen wurden.
Deshalb erliess die sensible Lungenspezialistin einen Aufruf an alle. Sie forderte darin auf, am
ersten Märzsonntag an die Kranken zu denken, sie zu besuchen und Blumen zu bringen. Diese
Idee wurde begeistert aufgenommen. Heute, 63 Jahre später, kennt man den Tag der Kranken
in der ganzen Schweiz. Jedes Jahr spricht an diesem Tag der Bundespräsident, und die
Sektionen des Schweizerischen Roten Kreuzes verteilen in allen Pflegeheimen und Spitälern
Blumen.
Wir von der Zuger Gesundheitsdirektion setzten uns zum Ziel, dieses Jahr noch etwas
Spezielles zu machen. Das Motto "Psychische Leiden – vom Tabu zur Solidarität“ bewog uns,
die Film-Matinee "Utopia Blues" zu organisieren. Damit wollen wir die Öffentlichkeit für die
Probleme der psychisch kranken Mitmenschen sensibilisieren. Unsere Idee stiess bei Dr. med.
Hanspeter Walti, dem Leitenden Arzt des Ambulanten Psychiatrischen Dienstes (APD) des
Kantons Zug, sofort auf offene Ohren. Er ist auch der geistige Vater des inhaltlichen Teils. Er
wird als Fachmann selber noch zu uns reden und mit Marianne Rutz, der Mutter des
Hauptbetroffenen im Film "Utopia Blues", ein Interview führen.
Ich freue mich sehr, dass Sie, Frau Rutz, zu uns gekommen sind. Damit erhält unsere Matinee
eine ganz besondere Note. Wir sind sicher, dass der Film "Utopia Blues" von Stefan Haupt, der
ein eindrückliches Dokument über die psychischen Leiden und über die Psychiatrie ist und an
mehreren Festivals ausgezeichnet wurde, uns heute und für lange Zeit beeindrucken wird.
Mehr Verständnis für die psychischen Krankheiten
Weltweit leiden fast eine halbe Milliarde Menschen an psychischen Erkrankungen. Dies belegt
der Gesundheitsbericht der WHO (World Health Organisation). Und in der Schweiz erkrankt
jeder siebte Mensch an einer schweren Depression. Trotz dieser eindrücklichen Zahlen werden
die psychischen Störungen auch hierzulande oft mit einem Tabu belegt. Wer an einer
Hirnkrankheit leidet, der hat – so der Volksmund - einen Dachschaden und spinnt einfach oder
simuliert vor sich hin. Schnell ist man mit Vorurteilen zur Stelle, wenn es darum geht, sich mit
einer Erkrankung auseinander zu setzen, die das Hirn - und damit unser Bewusstsein, das
Fundament unserer individuellen Persönlichkeit - im Ausüben seiner Funktionen behindert oder
gar verunmöglicht.
Auch in unserem Kanton haben diesbezüglich viele ihre eigenen, teils schmerzhaften
persönlichen Erfahrungen machen müssen. Es wird gerade deshalb immer wichtiger, sich
öffentlich mit den psychischen Krankheiten grundlegend auseinanderzusetzen, verstehen zu
lernen, was es heisst, wenn sich jemand in einem Wechselbad der Gefühle befindet: Einmal
himmelhochjauchzend, dann zu Tode betrübt – einmal voller Hoffnung, dann total verzweifelt.
Was machen wir im Kanton Zug?
Ich bin froh, dass wir in unserem Kanton nebst der Psychiatrischen Klinik Oberwil, der Klinik
Meissenberg und unserer Thurgauer Vertragsklinik Littenheid einen eigenen gut
funktionierenden APD haben, der in den sieben Jahren seines Bestehens kontinuierlich
ausgebaut wurde und heute 850 Stellenprozente aufweisen kann. Ich bin auch glücklich, dass
die Regierung auf Antrag der Gesundheitsdirektion erst kürzlich das weitere Vorgehen im
Bereich des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes konkret an die Hand genommen hat.
Dankbar bin ich auch für die sehr guten Dienste und Leistungen der privaten Vereine und
Organisationen, die heute auch alle präsent sind und unseren Anlass ideell mittragen: Ich
spreche von der Stiftung Phönix, dem Verein Equilibrium und dem Verein Angehöriger
Schizophrenie Kranker VASK.
Ich denke, für die Betreuung unserer psychisch Kranken wird im Kanton Zug sehr viel getan.
Für mich selber ist gerade wegen der spürbaren Not vieler Mitmenschen die konkrete Hilfe,
dann aber auch die Prävention und Gesundheitsförderung ein grosses Anliegen.
Was können wir selber tun?
Wir alle sind aufgerufen, die psychisch kranken Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren
und ihnen eine bessere Zukunft zu bieten. Solidarität allein reicht aber nicht – wir müssen uns
auch fragen, wie wir auf die Ursachen dieser seelischen Schäden einwirken können.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einfach drei Fragen, die zum Nachdenken
anregen sollen:
- Muss der Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt in der Berufswelt immer so stark sein?
- Können wir unsere hochtechnisierten, mittlerweile hyperschnelle Leistungs- und
Konsumgesellschaft irgendwo auch ein wenig bremsen?
- Wie steht es mit dem immer grösser werdenden Run nach Wohlstand und Luxus im
Freizeitbereich?
Man könnte, ja müsste noch weitere Fragen stellen, der Film wird sie bestimmt zusätzlich
aufwerfen.
Ein grosses Dankeschön
Ich danke allen, die zum zweifellos guten Gelingen dieser Film-Matinee beigetragen haben:
Zuerst und vor allem Hanspeter Walti, dem Leitenden Arzt des APD; Richard Aeschlimann, dem
Leiter meines Gesundheitsamtes; allen Organisationen, die heute mit ihrem Auftritt in der
Öffentlichkeit auf ihre wichtige Arbeit aufmerksam gemacht haben und schliesslich Ihnen allen,
dass Sie gekommen sind.
Und ein Aufruf
Wenn wir in Zukunft jene, die um ihre Gesundheit kämpfen müssen, die Angst haben, die
geplagt werden von Schmerzen und von Schlaflosigkeit, die unter schwersten Depressionen
leiden, wenn wir diese Personen in Zukunft besser verstehen, nicht vergessen und vor allem
behandeln wie Mitmenschen, dann ist ein wichtiges Ziel des heutigen Morgens erreicht worden.
Gesundheitspolitik darf sich nicht nur auf das Bereitstellen von Spitalbetten, auf die Diskussion
um Krankenkassenprämien, Medikamentenpreise und das richtige Verhalten nach Urteilen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts beschränken. Gesundheitspolitik besteht auch aus
Zuwendung und Solidarität jenen Menschen gegenüber, die vorübergehend oder permanent auf
der Schattenseite des Lebens stehen.
Wie wir mit kranken Menschen umgehen, zeigt den Wert unserer Gesellschaft. Wir, die hier und
heute zusammengekommen sind, demonstrieren diesen Wert. Das wird im Alltag Auswirkungen
haben, davon bin ich überzeugt.
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